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nichtsdesto-TROTZ LII

Tagesmail vom 04.08.2021

nichtsdesto-TROTZ LII,

„nach der Klage des „Ungeborenen Sohnes“ bricht völlige Finsternis herein, eine Flammenwand lodert am Horizont auf, man hört Todesschreie. Das Kriegsende deutet sich als Apokalypse der Menschheit an: Die „elektrisch beleuchteten Barbaren“ dieser Erde werden von Marsbewohnern „ausgejätet“, während ein Feuerkreuz am Himmel erscheint und Blut-, Aschen- und Meteorregen auf das Wrack der Welt niederprasselt. Ein langes Schweigen folgt, in das die „Stimme Gottes“ den Satz spricht, mit dem der deutsche Kaiser seine Kriegserklärung kommentiert hatte: „Ich habe es nicht gewollt.“

Wovon ist die Rede? Von der „Tragödie in fünf Akten“ „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus. Es wird doch keine Ähnlichkeiten mit der Gegenwart geben? Da sieht man, dass die Menschheit schon endlose Weltuntergänge – überlebt hat.

Was folgt daraus? Wir sind immun gegen Apokalypsen. Auf zum Urlaub auf eine wunderschöne griechische Insel. Da gibt es nur Temperaturen bis 47 Grad, Tendenz steigend. Das werden wir ja noch aushalten, um unseren Beitrag für eine wohltemperierte EU zu leisten.

Und wer war schuld an der Tragödie?

Schuld war in seinen Augen die Presse: „Und das hat sie vermocht, sie allein.“ (Kraus)

Jetzt müssen wir protestieren. Zuviel der Ehre für die Presse. Wäre sie tatsächlich allein schuldig, müsste sie dazu nicht allmächtig gewesen sein?

Dennoch hat der Vorwurf gesessen. Heute ist die Presse – jaja – fast in allen Dingen unschuldig geworden. Soll denn stets der Bote daran schuld sein, wenn er Unglücksbotschaften übermitteln muss?

Gleichwohl: liegt da nicht permanent ein apokalyptischer Schwefelgestank in der Luft: only bad news are good news? Gut für die Auflage, schlecht für die Menschheit?

Ist die Vierte Gewalt nicht dazu da, durch Kontrolle der anderen Gewalten, Schaden abzuwenden von der Welt? Und plötzlich soll sie vom Schaden profitieren? Wie kann sie das Schlechte anklagen und das Gute loben, wenn sie keine Meinung haben darf? Pardon, sie zwar haben, aber nicht zeigen darf? Wie kann man das Gute stützen, wenn man sich mit ihm nicht gemein machen darf?

Wolf Schneider, Vordenker der Medien, dachte ganz anders. Seine Meinung wird nie zitiert, die von Hanns Joachim Friedrichs dagegen immer, der seinem Gewerbe verbot, sich gemein zu machen mit den Meinungen der Welt, ob gute oder böse. Befleckt euch nicht mit der Welt, ihr edlen Schreiber. Denn sie ist unrein.

„Weil ihr aber nicht aus der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe …“ „Sie sind nicht aus der Welt, wie ich nicht aus der Welt bin.“

„Die meisten Journalisten wollen jedoch von Ethik nichts hören, und einige verlangen: Der Journalist hat sein Handwerk zu beherrschen, das reicht. Es reicht nicht. Das Handwerk ist die Technik, und sie kann nicht die entscheidenden Fragen beantworten: Welche Wirkung will ich hervorrufen? Welche rufe ich hervor, ohne es zu wollen? Redakteure wissen, dass sie mehr Rechte besitzen als die normalen Bürger. Das soll der Journalist tun: informieren, kritisieren und Meinungen bilden – im Auftrag der Bürger, die alle Informationen benötigen, um den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Der Journalist ist von der Verfassung eingesetzt als Treuhänder des Bürgers – und nicht als Lautsprecher der Politiker.“ (Schneider, Raue, Das neue Handbuch des Journalismus)

Friedrichs‘ Meinung wurde zum Dogma, Schneiders Meinung wird totgeschwiegen. Gehört Schneiders Meinung nicht zu dem, was ist, worüber also berichtet und debattiert werden müsste?

Schneiders Meinung ist auf der anderen Seite übertrieben. Kein Schreiber kann nach Belieben Wirkungen hervorrufen. Sonst wäre er ein perfekter Manipulator à la Skinner. Er kann nur Argumente vortragen, ob die Bürger sich von ihnen überzeugen lassen, ist ihre Sache.

Einen ähnlichen Fehler begehen die Parteien, die im Wahlkampf nicht schlicht ihre Standpunkte plakatieren, sondern Thesen, die der Meinung bestimmter Wählergruppen entsprechen – um sie zu ködern. Das untergräbt die rationale Debattenkultur, von der jede Demokratie lebt.

Die Presse manipuliert durch objektiv sein wollende Enthaltsamkeit – die keine ist, denn ihre Meinung dringt ihnen aus allen Poren ihrer Schreibkünste. Die Politik manipuliert durch Ansichten, die nicht ihre eigenen sind und nur der Verführung dienen sollen. Kein Wunder, dass die Medien zur langjährigen Schutzkohorte der Kanzlerin verkamen. Erst in den letzten Monaten wird die Beurteilung der Kanzlerin kritischer.

Wie gut kann eine Demokratie sein, deren exekutive und objektive Gewalt unaufrichtige Meinungsspielchen aufführen, unfähig, und unwillig, der Gesellschaft reinen Wein einzuschenken? Am Verfall der Demokratie ist die Presse nicht schuldlos. Mitnichten waltete sie ihres Amtes als Vierte Gewalt, um die Gesellschaft vor Schaden zu bewahren.

Wo liegen die Ursachen dieser unheilvollen Kumpanei? In jener Philosophie, die das Ist mit dem Soll gleichsetzte: mit der Hegel‘schen:

„Das Vernünftige ist wirklich, und das Wirkliche ist vernünftig.“

Dieser Grundsatz führte zur Einsicht, „dass die wirkliche Welt ist, wie sie sein soll, dass der vernünftige Wille, das konkrete Gute, das Mächtigste ist. Dieses Gute, diese Vernunft in ihrer konkreten Vorstellung ist Gott. Das Gute, nicht als Idee überhaupt, sondern als eine Wirksamkeit ist das, was wir Gott nennen. Die Philosophie führt zur Erkenntnis, dass Gott recht behält, dass die Weltgeschichte nichts anderes darstellt als den Plan der Vorsehung, dass Gott die Welt regiert. Die Entwicklung des Geistes ist die wahre Theodicee.“ (Theodicee = Rechtfertigung Gottes)

Im Gegensatz zu Karl Kraus, der Gott nach dem Untergang der Welt sagen lässt: Ich habe es nicht gewollt, hat Hegels Gott alles richtig gemacht – wozu allerdings auch das Böse gehört, das zur Entwicklung der Welt unerlässlich ist.

Hegels Gott hat die Botschaft: Die Welt, wie auch immer sie ist, und sei sie noch so böse, ist immer gut. Wie sie ist, so wollte ich sie.

Was folgt aus dieser Absegnung der Welt, auch in ihren abstoßenden Seiten?

„Man muss die Geschichte nehmen, wie sie ist und darf auch das Furchtbare des geschichtlichen Geschehens nicht abschwächen. Die Welt ist die „Schädelstätte des Geistes“, die Geschichte „die Trümmerstätte und Schlachtbank, auf welcher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht werden.“ Die sogenannten glücklichen Zeiten sind leere Blätter in der Geschichte. Trotzdem waltet die göttliche Vernunft in der Geschichte. Alles, auch die mächtigsten Reiche und die glänzendsten Kulturen vergehen; aber aus dem Joch entsteht immer neues, erhöhtes Leben. Es ist die List der Vernunft, dass sie ihre Leidenschaften zur Erreichung ihrer Ziele benützt. Die Geschäftsführer des Geistes – das sind die Mächtigsten der Welt, die der List der Vernunft zu folgen haben – müssen auf ihrem Weg manches zertrümmern, auch wenn aus ihrem Werk oft etwas anders wird als sie beabsichtigt hatten. Auch im „Fanatismus des Verwüstens“ erkennt der Philosoph den „Besen Gottes“.“

Womit klar geworden sein muss, dass Hegels Philosophie alles Gute und Böse der deutschen Geschichte gerechtfertigt hat. Das Gute schließt das Böse nicht aus, sondern vereinigt sich mit ihm.

Für den Menschen gibt es keinen Grund, sich für ein Gutes und gegen ein Böses zu entscheiden. Beide Pole sind der Wille Gottes und bilden eine unauflösliche Einheit.

Die Gut-Böse-Einheit ist diejenige der christlichen Religion – oder die Gott-Satan-Synthese. In dieser Hinsicht ist Hegels Philosophie nichts als die Übertragung christlicher Glaubensgrundsätze in die Sprache der Philosophen.

Hegel wollte die heidnische Philosophie der Griechen mit der christlichen Religion zur Einheit bringen. Es hätte seiner Vorstellung von Allmacht widersprochen, wenn es etwas in der Welt gäbe, das sich dem Willen des Höchsten entzöge.

Seine Definition der Natur als minderwertiger Bestandteil der Schöpfung entspricht der sündigen und erlösungsbedürftigen Natur in christlicher Sicht.

„Die Natur ist für Hegel im Vergleich mit der Weltgeschichte ein untergeordneter Schauplatz der Offenbarung des Geistes, „das Feld, wo die göttliche Idee im Element der Begriffslosigkeit ist“.“

Natur entwickelt sich vom Anorganischen bis zum Organischen. Der letzte Schritt der Entwicklung ist der Mensch, der sich über die minderwertige Natur erhebt. „Er bildet den Gegensatz zu der natürlichen Welt; er ist das Wesen, das sich in die zweite Welt, die Welt des Geistes erhebt. Die Tierwelt kennt nur ein quantitatives Wachsen und Erstarken, der „Mensch dagegen muss sich selbst zudem machen, was er sein soll, er muss sich alles selbst erwerben, eben weil er Geist ist. Er muss das Natürliche abschütteln. Denn durch den Geist ist er mit Gott verwandt.““

In diesem naturabwertenden System ist die ökologische Krise vorprogrammiert. Sie entspricht der Zerstörung der alten Natur in der Apokalypse, um einer nagelneuen Platz zu schaffen.

Hegels Philosophie ist die absolute Absegnung des Bösen der Welt als gottgewolltes Instrument. Die Theodicee wird zur Satanodicee. Wenn Gott die Welt erschaffen hat samt aller Teufel und Widersacher, so muss sie die beste aller Welten sein. Kein Mensch darf sich erkühnen, diese Welt aus eigener Kraft besser machen oder humanisieren zu wollen.

Die Deutschen sind noch immer in hohem Maße Hegelianer, weil sie eine moralisch bessere Utopie als idealisierenden Irrsinn ablehnen. Der Mensch muss die Welt akzeptieren, wie sie ist. Das ist die Idee der Hegel‘schen Freiheit in Einheit mit der Notwendigkeit. Ich bin frei, wenn ich absegne, was ohnehin geschieht.

Deutsche Philosophen der Gegenwart rühmen den Böse-absegnenden Charakter der Hegel‘schen Philosophie als Freiheit des Menschen. Hegel im Einklang mit Hitler? Das darf nicht sein. An allen Ecken und Enden der deutschen Geistesgeschichte wird geschrubbt und gewienert, um das Böse aus der Vergangenheit porentief zu entfernen. Gleichzeitig wird das Böse als untilgbarer Bestandteil der Geschichte im innersten Tempel der deutschen Dichter und Denker verehrt.

Sie lesen Freiheit in seinen Büchern und unterstellen die autonome Freiheit, die wir der Aufklärung zu verdanken haben.

„Im Jahr 1789 am 14. Juli soll Georg Wilhelm Friedrich Hegel ein Glas Champagner auf den Beginn der Französischen Revolution getrunken haben. Diese Revolution war das sein Leben und Denken prägende Ereignis. Das Grundmotiv der Freiheit durchzieht den gesamten Denk- und Lebensweg des bedeutendsten Philosophen des 19. Jahrhunderts.“ (Klaus Vieweg)

Hegel war ein Bewunderer der Französischen Revolution in seiner frühen Jugend, wo er mit Schelling und Hölderlin um den Freiheitsbaum tanzte. Auf der Höhe seines erwachsenen Systems wurde er zum Bewunderer Napoleons, der die Grundgedanken der Französischen Revolution ins Gegenteil verkehrte.

„Hegel sah Napoleon am 13. Oktober 1806, einen Tag vor der Schlacht bei Jena, in Jena durch die Stadt reiten und schrieb noch am selben Tag an seinen Bamberger Freund Niethammer von der „wunderbare (n) Empfindung“, den Kaiser, „den es nicht möglich ist, nicht zu bewundern“, „diese Weltseele“, „auf einem Pferde sitzend“ zu sehen.“ Das verabscheuenswerte Böse besteht für Hegel in der „Willkür, die eigene Besonderheit über das Allgemeine zum Prinzip zu machen und sie durch Handeln zu realisieren.“

Die demokratische Vorstellung von Freiheit, seinen Willen autonom zu lenken: eben dies sei das tatsächliche Böse.

Verwerflich sei es, mit dem autonomen Willen die Welt verbessern zu wollen, wie Rousseau es forderte.

Allen Weltverbesserungsplänen Rousseaus hält Hegel die Unmöglichkeit entgegen, „den Menschen den Gesetzen der Welt zu entfremden.“ In den objektiven Geschichtsmächten Gottes wirkt der „objektive Geist“, nicht in den läppisch subjektiven Ideen des Menschen. „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit.“ Ich bin frei, wenn ich Ja sage zum Diktat der göttlichen Mächte.

Viele Begriffe Hegels klingen auf den ersten Moment modern und emanzipatorisch, weil man nicht sehen will, dass sie dem Vollzug des objektiven Weltgeistes untergeordnet sind. Man muss sie als untergeordnete Stufen der Thesen und Antithesen einordnen, die überwunden werden müssen, um zur finalen Synthese zu kommen.

Geschichte ist die Gottwerdung Gottes durch Gottwerdung des Menschen, Mensch und Gott vereinen sich am Ende der Zeit in einer absoluten Harmonie.

Die Spannungen und Widersprüche der Welt sind notwendige Stufen im Werden des Weltgeistes. Naomi Klein scheint vom deutschen Oberphilosophen keine Ahnung zu haben, sonst wäre sie über die Widersprüche der Welt – anstatt zu lamentieren – hoch erfreut:

„Im Moment haben wir Milliardäre, die immer reicher werden und Weltraumraketen bauen, und Politiker, die den arbeitenden Menschen sagen, ihr müsst an der Zapfsäule mehr bezahlen. Das ist natürlich ungeheuerlich. Ich glaube, dass wir vor einer Welle des Ökofaschismus stehen, wo die extreme Rechte nicht mehr leugnet, sondern dazu übergeht zu sagen: Okay, der Klimawandel findet statt, aber das bedeutet, wir müssen unsere Grenzen dichtmachen, weil die Leute wegen der Klimafolgen alle zu uns kommen wollen. Das führt zu einem neuen Krieg gegen Einwanderer. Und das ist das wirklich harte Thema dahinter. Früher gab es tatsächlich mehr parteiübergreifende Einstimmigkeit. George Bush senior setzte sich für Umweltthemen ein, Richard Nixon, ausgerechnet, hat einige der mit Abstand besten Klima-Umwelt-Gesetze in der Geschichte der Vereinigten Staaten verabschiedet. Doch dann beschloss eine Gruppe von Wirtschafts-Thinktanks in den USA, sich einzumischen. Das Heartland Institute ist besonders interessant, weil es eigentlich eine Denkfabrik für den freien Markt ist, die für Deregulierung und Privatisierung argumentiert.“ (SZ-Magazin.Sueddeutsche.de)

In welchem Maß die deutsche Presse bereit ist, das Ist der deutschen Politik im Hegel‘schen Geiste abzusegnen, sehen wir im folgenden Text von Anna Sauerbrey:

„Es gilt also in diesem Wahlkampf und nicht zuletzt in der medialen Kritik das Maß zu wahren und sich der neurechten Narrative bewusst zu sein. Der Unterschied zwischen legitimer Kritik und einer Kritik, die den Raum für Umsturzfantasien öffnet, besteht darin, ob man suggeriert, Änderungen seien noch innerhalb der bestehenden Ordnung möglich oder das „Systemversagen“ reiche so tief in den Wesenskern dieses Staates, dass er letztlich nur durch radikale Änderungen außerhalb der Ordnung zu bewältigen sei. Die größte Gefahr liegt letztlich in der deutschen Lust an der Selbstgeißelung und Selbstverzwergung. Zur Stärkung der Demokratie und der Akzeptanz von Staatlichkeit muss vieles besser werden. Aber man sollte sich hin und wieder daran erinnern, dass ein paar Dinge hierzulande gar nicht so schlecht laufen.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Gewiss, diese und jene Kinkerlitzchen könne man, wenn‘s sein muss, kritisieren. Aber bitte nichts Grundsätzliches, denn das würde die Kritikaster dem Verdacht aussetzen, sie wollten die Ultrarechten unterstützen. Oder gar das bestehende System auf den Kopf stellen.

Welches System? Den Begriff Demokratie in den Mund nehmen, ziemt sich heute nicht mehr. Kann es nicht umgekehrt sein, dass die Inhaber der Macht das System längst ruiniert haben und wir auf dem Wege sind zum „Ökofaschismus“, wie Naomi Klein behauptet?

Hört auf, von Staatsversagen zu sprechen? Kann es sein, dass dieses Versagen die Gesellschaft schon bis ins Innerste lädiert hat? Wäre es nicht besser, umgekehrt zu rufen: Hört endlich auf mit der Ruinierung der Demokratie und der Zerstörung der Natur als Lebensgrundlage der Menschheit?

Wir erleben die gefährlichste Krise der menschlichen Geschichte – und der Presse fällt nichts Besseres ein als zu lamentieren: Hört auf, herumzubrüllen. Geht es uns nicht gut, wenn wir uns mit anderen Staaten vergleichen? Das ist eine Lieblingsübung der Deutschen, sich mit Anderen zu vergleichen, um erleichtert festzustellen: sind wir nicht noch immer, wenn schon nicht Weltmeister, so doch Europameister in allen Dingen?

Alle, die dagegen aufbegehren, werden zu Systemrebellen gestempelt – und seien sie noch so bedeutungslos. Habe ich jemanden zum Systemrevoluzzer erklärt, kann ich mir mühsame Gespräche mit ihm sparen.

Der Weltgeist reitet heute nicht mehr hoch zu Ross, sondern lässt sich in CO2-haltigen Staatskarossen mit vielen Pferdestärken durch die Landschaft chauffieren.

Die Medienmaxime: schreiben, was ist, lässt sich in zweierlei Versionen interpretieren. Entweder enthält das Ist – wie bei Hegel – auch das Soll, dann würde das bedeuten: die Presse hält alles automatisch für richtig, weil die herrschenden Mächte das Ist bestimmen. Das wäre ein Armutszeugnis für die Edelschreiber, weil sie jegliches kritische Mitwirken an der Gestaltung der Gesellschaft aufgegeben hätten.

Oder das Ist kennt kein Sollen, welches die Presse moralisierenden Schwätzern überließe, dann würde das bedeuten: die Presse hat jede Verantwortung in der Demokratie aufgegeben. Sei es aus Trägheit, Feigheit oder amoralischer Idiotie.

In der Polis war der Idiot jener Privatmann, der sich am demokratischen Prozess nicht beteiligte – und sein Leben in apolitischer Zurückgezogenheit bevorzugte.

Als die Demokratie erfunden wurde, war eine Kaste aus voyeuristischen Idioten nicht vorgesehen. In christlichen Staaten hingegen gab es solche Beobachterklassen, die für sich beanspruchten, aus dem Hintergrund die Mächtigen zu lenken und zu steuern. Von der Welt wollten sie nichts wissen, sie wollten sie nur mit eiserner Faust regieren. Es waren die Priester.

Während heute die Macht der Priester schwindet, sonnen sich die Medien als indirekte Teilhaber der Macht ohne jegliche Verantwortung. Edelschreiber sind die neue Kaste der Priester, die die Politik durch kritiklose Berichterstattung von außen mit lenkt. Scheinkritische Randbemerkungen gehören zum Wesen der Kritikunfähigkeit.

Sollte die Welt – was der mündige Mensch verhindern möge – untergehen, werden voyeuristische Priester auf einer gesicherten Hochempore stehen, das Gewimmel der Verlorenen mit dem Feldstecher beobachten und unhörbar vor sich hinmurmeln:

Wollten wir das? Durften wir etwas wollen? Wie auch immer: unsere Hände waschen wir in Unschuld.

 Danach zum Hintergrundgespräch bei Merkel in geschützter Runde.

Fortsetzung folgt.