Kategorien
Tagesmail

nichtsdesto-TROTZ C

Tagesmail vom 24.11.2021

nichtsdesto-TROTZ C,

„Deutschland ist ein Land, dem Bescheidenheit nicht leichtfällt, und doch sind viele hier erst im Nachhinein schlauer.“ (SPIEGEL.de)

Nicht mal im Nachhinein ist er schlauer: Narziss, der deutsche Jüngling, leicht in die Jahre gekommen, nicht wenig ramponiert und blutend aus allen Poren – aber unbeirrt in sich vernarrt seit dem ersten Auto, das in Wolfsburg vom Band rollte – mit dem er erneut den alten Traum wahr machte und über die Alpen fuhr, um sich im Land seiner Sehnsucht von Nachfahren der Römer – deren Riesenreich er einst im furor teutonicus übernommen hatte – am adriatischen Strand bedienen zu lassen.

Früher war er verliebt in seine messianische Unvergleichlichkeit, mit der er die Welt beglücken wollte. Nach dem Fall des Messias, der durch Vernichtung erlöste, verwandelte er seine Einzigartigkeit in Wohlstand, Reichtum und Warenströme in alle Welt, mit denen er sein erstes Nachkriegswunder vollbracht hatte.

Und jetzt? Droht das Wunder über Nacht in sich zusammenzubrechen. Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind, in dürren Blättern säuselt der Wind. Nicht mehr dein Vater, der sich längst aus dem Staub gemacht hat, deine von allen Völkern bewunderte Mutter, wird dich retten:

„Rund um den Globus genießt Angela Merkel einen Ruf wie Donnerhall. Sie verkörpert das Bild Deutschlands, ein Partner zu sein, der an der Lösung von Konflikten mitarbeitet und auf den man sich verlassen kann.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
Der deutsche Jüngling, fromm und stark,
Beschirmt die heil’ge Landesmark;
„Und ob mein Herz im Tode bricht,
Wirst du doch kein Ausländer nicht;“

Lieber wollte er sich in seinem Spiegelbild ertränken, als kein unvergleichlicher Jüngling mehr zu sein. Doch was geschah? Unverhofft kam seine Mutter des Wegs und zog ihn wortlos am Schopf aus dem Wasser: An die Arbeit, Gesamtdeutsche! Macht Fortschritt! Die Maschine muss laufen, dass wir die Besten in der Welt werden! Quasselt nicht so viel! Eure Philosophie ist belanglos, es zählt nur, was vorzeigbar und nachrechenbar ist!

Ist er blamiert, ist er gerettet? Hat er sich lächerlich gemacht vor der Welt? Wird er, wegen seiner Retterin, noch mehr bewundert?

Wer aber hat diesen selbstverliebten Jüngling erzogen? Wer hat ihn verdorben – wenn nicht diese Mutter? Alle politischen Väter haben längst Reißaus genommen!

Und wie reagieren die Deutschen selbst auf dieses Debakel? Erleben sie es überhaupt als solches – und lernen daraus? Gehen sie mit ihrer Deutschwerdung ins Gericht? Stehen wir vor einer Periode der Selbstbesinnung?

Schauen wir uns um.

„Die vierte Welle ist nicht nur eine Folge der geringen Impfquote. Sie ist auch Folge eines eklatanten Regierungsversagens. Und, so sehr es nervt: Jeder Einzelne muss sich wieder einschränken – trotz der Wut. Was machte die Politik aus den Warnungen? Das Gegenteil des Vernünftigen: Aus Angst vor dem Volkszorn schloss die Regierung einen weiteren Lockdown frühzeitig kategorisch aus. Auch eine Impfpflicht oder weitere Schulschließungen werde es nicht geben. Die Impfzentren wurden geschlossen, die Tests kostenpflichtig.“ (SPIEGEL.de)

Wut kommt auf in den Straßen. Wut auf wen? Die Objekte der Wut bleiben vage und abstrakt, Namen werden kaum genannt, fast nie fällt der Name der Generalverantwortlichen.

Das Phänomen Schuld ist längst abgeschafft und Verantwortung verpflichtet zu nichts mehr. Alles zu komplex, undurchdringlich und unfassbar. Gilt ein Grundsatz der Demokratie nicht mehr: wer versagt, muss seine Ämter zurückgeben? Wut und Hass ersetzen die kollektiven Anamnesen.

Und wie steht‘s mit der neuen Regierung? Zieht sie Konsequenzen aus dem Versagen? Analysiert sie die Fehler der vorangegangenen Regierung? Beispiel:

„Bauernverband und Naturschützer einigten sich im Sommer auf eine viel gelobte Zukunftsvision. Doch die künftige Bundesregierung ignoriere die Vorschläge, kritisieren junge Klimaaktivisten und Junglandwirte gemeinsam.“ (SPIEGEL.de)

Da einigten sich mal, wider Erwarten, Bauern und Ökoaktivisten (dank zweier junger Frauen) und wie reagiert die neue Koalition? Wie gehabt. Keine Reaktion, keine Anerkennung, keine Ermunterung für die Leistungen der Basis. Wie die Alten sungen, so verstummen die Jungen. Es scheint, als ob Lethargie das politische Revier flächendeckend beherrscht.

„Man wollte zu einem zukunftsweisenden Einwanderungs- und Integrationsrecht kommen; das scheiterte an Angela Merkels Opposition und den Machtspielen der Union im Bundesrat. Deutschland blieb auf der alten Spur. Berichte über Menschen, die – zum Unverständnis ihrer Kollegen und des Arbeitgebers – von ihrem Arbeitsplatz weg zur Abschiebung abgeholt werden, sollen der Vergangenheit angehören.“ (Sueddeutsche.de)

Welche Reformen scheiterten nicht an Merkel? Welche überlebensnotwendigen Ökomaßnahmen werden an den Nachfolgern scheitern? Die Chancen für einen umfassenden Politwandel schrumpfen von Tag zu Tag. Der SPD genügt es, den Kanzler zu stellen, zu allem anderen schweigt Scholz in bester Mutistentradition.

Und die Grünen, berauscht in präorgastischer Machterwartung, wollen sich ihre erste Chance auf Amt und Würden nicht mehr nehmen lassen. Von radikalem ökologischem Umbau hört man nichts mehr. Zu der mächtig aufkommenden Wiedergeburt der Atomenergie in Frankreich und vielen anderen Staaten – schweigen die einstigen Atomgegner.

Seit Schließung der deutschen Nuklearmeiler hat Merkel fast alles schleifen lassen, um grüne Ersatzenergie in ausreichendem Maße zu fördern, sodass niemand die Abwesenheit des Atomstroms bedauern musste.

Die Koalitionsgespräche wurden hinter verschlossenen Türen geführt. Nicht dort, wo lebenswichtige Entscheidungen gefällt werden sollten: mitten auf dem Marktplatz, damit das Volk sich ein Urteil über die künftigen Machthaber bilden kann.

„In ihrer Passivität wälzt die Politik die Verantwortung auf die Bevölkerung ab und wird ihr nicht gerecht. Es kommt mir vor, als stünden wir vor einer Flutkatastrophe, weil an allen Stellen der Damm bricht. Und wir stehen davor und diskutieren, an welchen Stellen wir mit der Reparatur beginnen sollten, während die Menschen ertrinken.“

Passivität ist das Kennzeichen der endenden Epoche – und wird das Signum der neuen sein. Merkels Politik ist Abwickeln des alten Adam und geduldiges Erwarten der letzten Tage. Die deutschen Untertanen haben sich an diesen Stil gewöhnt. Wen wundert es, dass Merkels Ehemann als Gründe der miesen Impfquote angibt:

„Zum Teil liegt das an einer gewissen Faulheit und Bequemlichkeit der Deutschen.“ (SPIEGEL.de)

Weshalb die Regierung an der Impf-Blamage nicht schuldig sein kann, sondern die Untertanen. Der Chemieexperte irrt. Die Deutschen sind weder faul noch bequem, sie sehen nur keinen Sinn in demokratischem Engagement, wenn die Regierung alles laufen und schleifen lässt.

„Der BER, so teuer er war, müsse leider wieder geschlossen und abgerissen werden, er sei nach einem Jahr bereits völlig unbrauchbar, nicht nur ästhetisch eine Zumutung, sondern auch funktional.“ (Sueddeutsche.de)

Die BRD ist wie der BER. Pfusch und Versagen – und retour. Die Deutschen sind ihrer Erfolge satt und überdrüssig geworden. Sie wollen nicht mehr. Den Zukunftswahn der Amerikaner teilen sie schon lange nicht mehr. Doch feige, wie sie sind, reden sie nicht drüber.

Nach dem neoliberalen Schock unter Schröder verdunkelte sich der Blick nach vorn sehr schnell. Übersättigt, übermüdet und ohne Fortschrittsmotivation geht den Deutschen die Energie aus, sich ewig das Hemd zu zerreißen. Ein wesentlicher Grund, warum die globale Digitalisierung bis heute nur zögerlich und widerstrebend aufgenommen wurde.

Nun sind sie – beschämend für Sieger – in Abhängigkeit geraten von ihren einstigen Befreiern. Sie hatten sich bereits an ihr irdisches Paradies gewöhnt und sahen keinen Grund, die Zukunft im All zu ihrem neuen Paradies zu machen. Nun rächt sich, dass christliche Deutsche und christliche Amerikaner nicht über denselben Heilsplan für die letzten Tage verfügen. Noch vor 70 Jahren glaubten sie, das letzte Dritte Reich der Heilsgeschichte erreicht zu haben. Seit ihrer Niederlage haben sie die Schnauze voll von 1000-jährigen Reichen und begnügen sich mit Heines Zuckererbsen hienieden. Im Gegensatz zu ihren großen Freunden, die ihre Zukunft im Weltall sehen:

Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Mars überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.   (Deutschland, ein Wintermärchen)

Nach ihren Lehr- und Wanderjahren in Demokratie entfernen sich Schüler und Lehrer wieder voneinander. Das amerikanische Lebensgefühl wird den Rehabilitierten immer dubioser. Bill Gates, Zuckerberg, Musk und Bezos sind für sie keine Leitsterne auf dem Weg in die Zukunft.

Auf welche Führer durch die Wüste warten sie? Sie wissen noch nicht mal, dass sie solche Visionäre vermissen, zumal sie sich einbilden, auf Visionen verzichten zu können.

„Die harte Wahrheit dagegen ist, dass sich die Klima- und Umweltkatastrophe nur durch Zurückschrauben vermeiden lässt. Unser Ziel muss sein, was die belgische Philosophin Ingrid Robeyns „Limitarismus“ nennt. Genau wie es eine Armutsgrenze gibt, unter die niemand fallen sollte, gibt es eine Reichtumsgrenze, die niemand überschreiten sollte. Wir brauchen keine CO2-Steuer, sondern eine Reichtumssteuer. Vermögenssteuern treffen den Kern des Problems. Sie müssen hoch genug sein, um die Spirale der Akkumulation zu brechen und die von wenigen angehäuften Reichtümer umzuverteilen. Indem wir der fortgesetzten Zerstörung unserer lebenserhaltenden Systeme zustimmen, kommen wir den Wünschen der Superreichen entgegen. Dabei können wir nur überleben, wenn wir nicht mehr zustimmen.“ (der-Freitag.de)

Über ein gerechtes Wirtschaftssystem, unerlässliche Voraussetzung jeder humanen Ökopolitik, schweigen alle. Das sind Weltanschauungsfragen, über die eine sachliche Physikerin kein Wörtchen verliert. Von unerträglichen Wohnungsmieten und der täglich wachsenden Kluft zwischen Reichen und Armen hört man von Gottes Geschichtsverwaltern – keinen Ton.

„Wir werden sehr wahrscheinlich eine dreifache Radikalisierung erleben. Eine Radikalisierung der Klimakrise. Eine Radikalisierung der Ignoranz, um die kognitive Dissonanz zu verarbeiten. Und dann, als Reaktion, eine Radikalisierung der Klimaproteste. Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF. Oder Klimapartisanen. Oder Sabotage for Future.“ (SPIEGEL.de)

Wenn, wie es ausschaut, sich nichts Wesentliches tun wird in der Bewahrung eines menschenfreundlichen Klimas, wird sich doch was tun: die Erregung auf den Straßen wird anschwellen. Zuerst in Erhitzung des Protests, sodann, wenn sich noch immer nichts tut, in Gewalt gegen Dinge und Menschen. Das braucht man nicht für richtig halten, um dennoch darauf hinzuweisen, dass die Menschen das elitäre Schlampampen immer weniger ertragen werden.

Man muss sogar sagen: wer nichts tut, will die Katastrophe und schliddert offenen Auges in eine Ökodiktatur. Auch darüber wird nie gesprochen. Eine schwatzhafte Kultur geht stumm ihrem Ende entgegen.

„Arm, aber sexy? So richtig lustig ist das alles nicht mehr. Die Erosion des Gemeinwesens kann nicht mehr weggelächelt werden, die saturierte Bräsigkeit der vergangenen 16 Jahre fällt uns nun auf die Füße. Die letzten Jahre der Kanzlerschaft Merkels wirken wie die zähe Coming-of-Age-Phase eines Teenagers, der nicht mehr dazu motiviert werden kann, sein Zimmer aufzuräumen. Damit muss Schluss sein.“ (Berliner-Zeitung.de)

Coming of Age heißt erwachsen werden. Das Gegenteil aber ist richtig: in der Ära Merkel wurde jeder Untertan infantilisiert und still gestellt. Mutter braucht gehorsame Kinder, denen sie ihren Segen geben kann.

Die Schuld liegt auf beiden Seiten. Die Kinder wollten nicht erwachsen werden, die Mutter brauchte keine Besserwisser, mit denen sie endlos streiten und debattieren musste. Deutschland, eine doppelspurige Tragödie.

„Eine Impfpflicht ist eine drastische Maßnahme, kann aber rechtlich und ethisch in dieser Notlage gerechtfertigt werden. Auch in Deutschland sind noch immer viele Menschen nicht geimpft. Sie bringen damit sich und andere in Gefahr und das Gesundheitssystem an die Grenze. Im Kampf gegen die Pandemie hat die deutsche Politik versagt. Dabei zeigen Beispiele aus anderen Ländern, was notwendig wäre. Je länger jetzt noch gewartet wird, desto drastischer werden die Maßnahmen ausfallen müssen.“ (Suedeutsche.de)

In der Impffrage hat die Kanzlerin komplett versagt. Nicht so in den Augen ihrer Bewunderin Susanne Beyer, die sie im letzten Augenblick retten will:

„Sie war lange, zu lange, kaum noch sichtbar, man hat sie zwar früh warnen hören vor der vierten Welle, energisch genug abgewehrt hat sie sie aber nicht. Seit Montag jedoch wirkt die noch amtierende Kanzlerin wieder kämpferisch. Gestern hat sie sogar Vertreter der Ampelparteien ins Kanzleramt einbestellt. Sie soll ihnen ins Gewissen geredet haben.“ (SPIEGEL.de)

Das ist Berufsverweigerung mit finaler Siegespose. Alles verkommen lassen, im letzten Augenblick den Zampano spielen. Obwohl sie jegliche Autorität in Impffragen verspielt hat, posiert sie als starke Frau mit Herrscherattitüden: sie bestellt ein und redet ins Gewissen. Das ist geistliche Anmaßung in demütiger Gebärde. Für deutsche Bibelignoranten kein Begriff.

Bräsigkeit, Passivität, übersatte Unmotiviertheit heißen in emotionsloser Wissenschaftssprache „unfreier Wille“:

„In immer neuen Wellen erreicht uns die Nachricht, einen „freien Willen“ gebe es nicht. Alles, was wir Menschen tun, sei bis ins kleinste Detail vorab determiniert. Die Argumente wiederholen sich, treten aber jedes Mal als Neuigkeit auf, man kann das schon eine Sturmflut nennen.“ (der-Freitag.de)

Immer schon war Wissenschaft bereit, den herrschenden Mächten mit tiefen Einsichten zu Hilfe zu eilen. Ist es nicht offensichtlich, dass eine reaktionsunfähige, unfreie Menschheit wehrlos dem Ende zutaumelt? Philosophische Urquerelen werden gelöst in unwiderlegbarer Untergangsevidenz.

Das alles sind keine Zeichen der Dekadenz. Das sind Phänomene einer finalen Katastrophe. Nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas, ja der gesamten Gattung.

Gibt es irgendwo das Zugeständnis eines selbsterfüllten Bankrotts? Das Zeichen, dass wir versagt haben? Im Gegenteil: jeder schiebt die Schuld auf den anderen. Die Mächtigen sind die Unschuldigsten:

„Dieses Versagen ist schlimm, doch der Umgang damit macht es noch schlimmer. Statt Fehler einzugestehen und Verantwortung zu übernehmen, versuchen alle Beteiligten verzweifelt, die Schuld auf andere zu schieben. Die alte Regierung, die immer noch geschäftsführend im Amt ist, hat die Arbeit vollständig eingestellt. Die Bundesländer, die durchgesetzt haben, dass sie die Hauptverantwortung für die Krisenbewältigung behalten, blieben ebenfalls weitgehend untätig oder lockerten die Maßnahmen, anstatt sie zu verschärfen. Dass Union und Länder die Verantwortung für die aktuelle Katastrophe der künftigen Ampel-Koalition zuschieben wollen, ist eine Dreistigkeit, die ihresgleichen sucht.“ (TAZ.de)

In rasanter Geschwindigkeit gibt sich die EU auf und verrät die Substanz ihres Gründungsgeistes: die Unverletzlichkeit der Menschenrechte, das Zentrum humanen Lebens:

„In den vergangenen Jahren ist in der europäischen Migrationspolitik ein Tabu nach dem anderen gefallen. Inzwischen vertritt die Mehrheit der EU-Staaten Positionen, die vor wenigen Jahren noch jene von Rechtspopulisten wie Italiens Matteo Salvinis oder Frankreichs Marine Le Pens waren. Durch die Erpressung des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko, der Tausende Flüchtlinge einfliegen ließ und an die Grenze trieb, hat diese Entwicklung noch einmal Fahrt aufgenommen. Europa, so scheint es, ist im Begriff, den Flüchtlingsschutz, wie wir ihn kennen, abzuschaffen. Da stand er nun, Heiko Maas, und sagte in den Tagesthemen einen Satz, den man von einem deutschen Außenminister nicht erwartet hätte. Mit dem Asylrecht, sagte Maas, müsse man »konstruktiv« umgehen.“ (SPIEGEL.de)

Zuerst wird die Sprache verdorben, dann das Zentrum menschlicher Würde. Warum wundern wir uns, dass Merkel keinem Despoten die Meinung ins Gesicht sagen kann? Weil sie zuhause die Zerstörung einer überzeugenden Moral selbst vorantreibt. Das deutsche System ist zur Doppelmoral versteinert. Nirgendwo ein Aufschrei, wenn den Moralphrasen dreist das entgegengesetzte Tun folgt. Man gewöhnt sich an alles. Was unterscheidet uns noch von Putin und Erdogan?

Gibt es Menschen, die sich dem Verhängnis entgegenstellen? Die sich nicht nehmen lassen, ihre unabhängige Meinung in Taten zu verwandeln und sich dem Verhängnis zu widersetzen? Diese mutigen Selbstdenker jedoch sind, nach Dirk Schümer, die schlimmsten und bedrohlichsten. Ihre Rettungsvisionen nutzen sie zur Rechtfertigung totalitärer Herrschaftsgelüste:

„Jeder Klimaaktivist ist ein potentieller Totalitarist: „Wer das politische Ziel, also die wie auch immer geartete „Rettung“ des Klimas, zum höchsten Gut erklärt, kann darüber nach den festgelegten Regeln des Rechtsstaates nicht mehr verhandeln. Sie haben sich ja – ob in der Herrschaft eines von ihnen definierten Gottes oder des Proletariats oder der Revolution, was auch immer – eine unhintergehbare Rechtfertigung für jedes noch so tödliche Handeln geschaffen. In dieser Hinsicht gehorcht auch Fridays for Future, gehorcht jede bockige Ansprache von Greta Thunberg oder Luisa Neubauer demselben Gesetz: Wenn ihr, also die träge Mehrheit, nicht bald und wenigstens symbolisch nach unseren Vorgaben handelt, dann seid ihr die Henker der Menschheit. Die Definitionsmacht über Recht und Unrecht, Leben und Tod, Heil und Unheil hat sich jeder Totalitarismus immer schon angemaßt. Sollen sich die Unüberzeugten nicht ins Hemd machen; man hat sie immerhin gewarnt. Und letztlich sind die kommenden Gewalttaten ja – auch das sagte jede Ideologie voraus – unabdingbar fürs Heil zukünftiger Generationen.“ (WELT.de)

Die Definitionsmacht über Recht und Unrecht, Heil und Unheil ist keine Macht über Leben und Tod. Sie ist die Frucht autonomen Denkens, das sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt. Ohne Einsicht in Gut und Böse, Moral und Verderben, sind wir unfähig zu friedlichem und naturverträglichem Leben. Selbstbestimmtes Denken und Handeln ist ein demokratisches Urrecht, ein Recht, das zugleich eine Pflicht ist.

Wo lassen Schümer denken? Er kann platonischen Beglückungszwang nicht von sokratischer Moral unterscheiden, die jede Gewalt im Verfolgen humaner Ziele ablehnt: „Besser, Unrecht erleiden als Unrecht tun.“

Schümer giftet gegen alle, die sich dem Untergang entgegen stellen. Seine Attacke gegen selbstbestimmtes Tun und Denken ist ein Plädoyer für restlose Zerstörung allen demokratischen Lebens.

Das Motto der neuen Regierung lautet: mehr Fortschritt wagen. Technischen Fortschritt können sie nicht unterscheiden vom Fortschritt eines globalen Friedens und universeller Solidarität. Dieser Fortschritt wird den Untergang endgültig besiegeln.

Unsere Gemeinwesen sind bis auf die Fundamente zertrümmert. Lasst uns das Chaos aufräumen und alles von vorne aufbauen. Unser Motto soll heißen: Natur bewahren, Menschlichkeit wagen. Wir können, denn wir sollen.

Fortsetzung folgt.