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Religionskritik

Natur, Gott und Mensch

Natur, Gott und Mensch

(Auszug aus „Ende der Landnahme …„)

 

Kosmos gegen sündige Natur

Bei Griechen war Natur die Allumfassende. Die Bezaubernde. Die hymnisch Gepriesene. Das Abendland schändet den Kosmos, zwingt ihn zur Kopulation mit der natura corrupta. Im Triumphzug über den Planeten haben christianisierte Völker der entehrten Natur die Haut abgezogen. Weisungsgemäß und auftragsgebunden. Also begann der vorletzte Tag. Die Neuzeit. Nun, da der Letzte Tag anbricht – einmal wird es der Allerletzte sein – erschrecken sie über die Folgen ihres Krieges gegen die Natur.

 

Selbst-gebärende Natur

Wo liegen die Wurzeln der Verachtung gegen die Natur, die alles Lebendige bis heut in Langmut erträgt? Die den Stolz besitzt, Gebärende und Geborene in einem zu sein. Aus eigener Potenz, in selbsterteilter Vollmacht, alles ins Leben zu rufen. Die nur ihre eigene Regie kennt. Keine obere Instanz, die sie aus Nichts geschaffen, keine unteren Mächte, denen sie ausgeliefert ist. Die keinen Direktiven folgt, es wären denn die eigenen. Die durch menschliche Künste sich nicht imponieren lässt. Die alles anbietet, sich allen anbietet, da sie niemals weniger als Alles ist. Die nicht domestizierbar ist. Und niemals totzuschlagen sein wird.

Auch nicht mit teuflischsten Maschinerien des Menschen. Der Mensch kann vieles vernichten. Vor allem sich selbst. Ungezählte Gattungen hat er vom Erdboden vertilgt, denen er weder Trauer noch Tränen widmete. Den Urschoß aber, den unerschöpflichen, fruchtbaren und wandlungsfähigen: den wird er nicht zur Strecke bringen. Völkermorde an Tier- und Pflanzengattungen: solche Begriffe kennt das Wesen nicht, das allein über Sprache verfügt.

 

Mensch erfindet Gott und betet sich selbst an

Das Profil des übernächtigen Passagiers erkennt man leicht. Es ist kein Geheimnis. Vielmehr, es ist ein Geheimnis, da es keines mehr ist, seitdem die Spatzen es von Kathedralen, Moscheen und Synagogen pfeifen. Der Spätling der Evolution tritt auf in der lächerlichen Pose des Einmaligen und Unvergleichlichen. Seine gespreizte Auserwähltheit stellt er unter Beweis, indem er das Natürliche kränkt und verleumdet.

 

Anstatt der Natur ungeteilte Zärtlichkeit zu bezeugen, erfindet er aus dem Bodensatz unglücklicher Fantasie naturübersteigende Mächte, vor denen er augendrehend die Knie beugt. Ahnt er, dass er sich selber anbetet: das grenzenlose Schattenbild seiner gekrümmten Figur – wenn die Sonne am tiefsten steht?

 

Mensch erschafft Gott, der den Menschen erschafft

Wer bis jetzt nicht bemerkte, das Geheimnis der Schöpfung sei der Mann, wird es nimmermehr bemerken. Es ist der Mann, der den Schöpfer-aus-dem-Nichts – aus dem Nichts erschuf. Gottgleich ist er, weil er ihn so entwarf, dass Gott den Bedürfnissen des Menschen immer mehr entsprechen kann. Just diesen Gott wählt nun der Mensch zu seinem Vorbild. Damit hat er – er will es nur nicht wissen – sich selbst zum Vorbild genommen. Nicht in irdischer Gestalt, sondern in fremder Gestalt eines Höheren und Anderen. Beide Gestalten, demselben Ursprung entsprossen, wollen nach zeitlicher Spaltung dereinst wieder zusammenkommen. Er, der Mensch, will ER, Gott, wer-den, da ER niemand anders ist als – er.

 

Gott: allmächtig und ohnmächtig

Als der Mensch seinen Gott erschuf, stattete er ihn mit Allmacht aus, denn selber war er ohne Macht. Das verhalf zu einem gewissen, wenn auch posierten Selbstbewusstsein. Als sich herausstellte, dass „Allmacht“ sich aus einem Vorteil in sein Gegenteil verkehrte – die Frage: warum so viele Übel bei soviel Allmacht, war nicht zu beantworten – erweiterte er das Profil seines Gottes und dehnte es bis an seinen Gegenpol. Gott entledigte sich seiner Allmacht, um durch Ohnmacht – noch mächtiger zu werden.

 

Glaube an Gott: unwiderleglich

Der ohnmächtige Gott ist Antwort auf die Frage nach dem Übel oder dem Bösen. Der allmächtige Gott ist Garantie für den stets verschobenen, doch gewissen Sieg am Ende der Zeiten. Mit dem polar erweiterten Repertoire wird Gott zukunftsfest und zukunftsoffen, immun gegen vorwitzige Kritik, unwiderlegbar, unbesiegbar, unaufhaltsam, überaus liebens- und fürchtenswert, Brenn-Punkt unseres Mitleids und unserer Mitfreude, vor allem apokalyptischer Schadenfreude, wenn am Großen Tag die Spreu vom Weizen getrennt werden wird.