Kategorien
Tagesmail

Montag, 26. März 2012 – Literatur und Therapie

Hello, Freunde Israels,

1000 Menschen haben in Tel Aviv gegen einen möglichen Iran-Krieg demonstriert. Sie trugen Schilder: Wir lieben den Iran, Bibi, bombardier den Iran nicht. Die Folgen eines möglichen Militärschlags seien unabsehbar, erklärten sie.

Herr Ratzinger wird sich bei seinem Aufenthalt auf Kuba nicht mit Dissidenten treffen. Schon seit Jahrzehnten unterdrückt der Vatikan die aus Südamerika kommende politische Theologie der Hoffnung. Wenn’s konkret wird mit Forderungen, mauert der Vatikan.

Die Seligpreisungen beziehen sich aufs Reich der Himmel, nicht auf irreparable irdische Kalamitäten. Nur der amerikanische Bible Belt wähnt sich bereits im Himmel auf Erden. Nicht mehr lange.

Wer will mit Cameron speisen? Ab 200 000 Pfund sind Sie dabei. CDU-Rüttgers war schon für das Schnäppchen von 20 000 Euro zu haben. Es war schon immer teurer, etwas Besonderes zu haben.

Martin Walser wird 85, er scheint unermüdlich. Ein ganzes Leben lang hat er die Entwicklung der Bundesrepublik literarisch begleitet, nun droht er, bis zu seinem Tode die Feder nicht wegzulegen.

Noch immer schreibt er alle Manuskripte mit der Hand, seine Frau, mit der er ein Leben lang verheiratet ist, überträgt die Texte in die Maschine. Von ihr ist nichts bekannt, keine

kesse, hübsche Interviewerin fragt nach ihr. Walsers Lebenswerk ist sein eigenes Gesamtkunstwerk.

Es gibt Schriftsteller, die ihre Umgebung aussaugen, um Stoff zum Schreiben zu haben und es gibt die anderen, die strikt zwischen Literatur und Leben unterscheiden. Maxim Biller wurde verklagt, weil zwei ihm nahestehende Frauen sich allzu deutlich in einem seiner Bücher wiedererkannten.

Die Kulturmaschine läuft wie geölt, auf zwei Buchmessen werden jährlich Bücher ad libitum veröffentlicht. Welchen Einfluss haben sie auf unser politisches Leben? Haben sie einen, wollen oder sollen sie einen haben?

Politische Stellungnahmen hört man von Schriftstellern und Intellektuellen kaum noch. In den wilden 60ern ergriff Günter Grass Partei für die ESPEDE und Willy Brandt, Walser begann seine Karriere als Mitglied der Kommunistischen Partei, Enzensberger brachte das Kursbuch heraus. Da er sich schnell langweilt, die große Revolution sich nicht am Horizont zeigte, nahm er Abschied von der Politik und reimte ein Büchlein über den Untergang der Titanic.

Bei Profikritikern gilt er als der intelligenteste und coolste, weil er weit oberhalb aller moralischen und politischen Querelen Stellung bezogen hat, ohne erkennbare Positionen zu beziehen. Engagement hält er für ein Relikt der Steinzeit.

Für Rezensenten gibt’s nichts Schlimmeres als Literatur mit moralisch „erhobenem“ Zeigefinger. Die interessante Frage: ob der geknickte Zeigefinger angebrachter wäre, wird von all den oberlehrergeschädigten Sensibelchen nicht erörtert.

Moral ist nur gut zur Bewertung von Schnäppchen-Politikern. Jede Gazette lässt sich unterteilen in die moralische Abteilung, identisch mit Politik; im Feuilleton und in der Wirtschaft regieren die Antinomer (von nomos = Gesetz).

Moral gegen Amoralismus: 1 zu 2 in der Verlängerung. Ansonsten lebt sich’s nirgendwo ungebundener als im grenzenlosen Reich der eigenen Phantasie, Imaginationen und Obsessionen, in dem jene Freiheit residiert, die nur für Bohemiens und Genies gilt, für Otto Normalverbraucher aber „in Gebundenheit“ oder „in Verantwortung“ eingeschnürt werden muss, damit kein Chaos im Berufsverkehr entstehe und niemand bei Rot über die Straße gehe – wenn Kinder zugucken.

Alles ist erlaubt, aber nicht alles ist heilsam. Das Alleserlaubte gilt für Künstler und Freigeister, der Rest für jene, die geheilt werden müssen.

Gibt’s noch Intellektuelle in Deutschland, fragte neulich ein ausländischer Intellektueller? Und wenn ja, was denken sie und warum beziehen sie keine Stellung?

Das ist übertrieben, wir haben mindestens den einen und einzigen Philosophen Precht, der in allen Talkshows das Licht der Erkenntnis verbreitet – und dann haben wir äh. Äh, das philosophische Quartett, in dem Safranski und sein großer Freund zu allen Themen der Welt Stellung beziehen.

Gestern war der tief- und großdenkende Habermasschüler Joschka Fischer mit von der Partie, der ausgreifend und überwölbend mit-, vor- und nachdachte, ohne den Zeigefinger zu erheben, doch sehr lebhaft, fast wie ein Franzos, gestikulierte.

Womit wir elegant bei jenem Franzosen gelandet wären, der den Intellektuellen ein ganzes Büchlein gewidmet hat, das ich, wenn ich Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern oder Rheinland-Pfalz wäre, schon den Kitakindern als Pflichtlektüre verordnen würde. Doch mich fragt ja niemand.

Der Inhalt hält mehr, als der Titel verspricht: „Der Verrat der Intellektuellen“. So viel ich weiß, nur noch antiquarisch zu erwerben, was alles über das rechtsrheinische Verlagswesen verrät. Hören wir mal kurz rein, wie Anne Will sagen würde:

„Ein weiterer Aspekt des Verrats der Intellektuellen zeigt sich in ihrer Einstellung zu den sukzessiven Veränderungen der Welt, vor allem zu den ökonomischen. Viele von ihnen weigern sich, diese Veränderungen mit der Vernunft, also von außen, her zu betrachten; stattdessen erstreben sie eine Verschmelzung mit dieser Welt als einer, die sich unabhängig von jeder Ansicht des Geistes entwickelt.“

Diese Position sei auf keinen Fall eine neue Form der Vernunft, wie manche Verschmelzer behaupten würden, früher spräche man von Anpassern. Sie sei vielmehr „die Negation der Vernunft, wenn denn Vernunft nicht darin besteht, sich mit den Dingen zu identifizieren, sondern durch rationale Begriffe Ansichten über sie zu gewinnen.“ (Julien Benda: „Der Verrat der Intellektuellen„)

Der damalige Chefdenker in Frankreich hieß Henri Bergson, der eine solche Verschmelzung mit den Veränderungen der Zeit einforderte, die er kreative Evolution nannte. Wer diese kreativen Kolumnen liest, weiß, dass auch Hayek ein Anhänger der kreativen Evolution war, die besser den Markt berechnen und den Bedürfnissen der Menschen, pardon der Mogule, anpassen könne, als der, sagen wir mal, deutsche Armutsforscher Butterwegge, der es sogar für richtig hielt, sich den Linken als Bundespräsident-Kandidat anzudienen, was für einen Intellektuellen unverzeihlich ist.

Da wundert uns das Urteil eines englischen Giganten, dessen Name niemand mehr kennt, obgleich er nicht nur von uraltem Adel war, sondern auch unerbittlicher Aufklärer, mithin das Gegenteil zu einem deutschen Adelsträger und Lügenbaron: Bertrand Russell. Dieser Lord hält Bergson für Teil einer konservativen Bewegung, die „in Vichy ihren Höhepunkt erreichte.“

Vichy steht für alle französischen Kollaborateure des Nazi-Regimes. Diese scharfe Einschätzung – von erschütternder Eindeutigkeit, wie Evolutionsschreiber von heute sagen würden – belegt er mit den Sätzen: „Das Gute, das Bergson in der Welt verwirklicht zu sehen hofft, ist das Handeln um des Handelns willen. Die reine Kontemplation nennt er „Träumen“ und verurteilt sie mit einer ganzen Reihe nicht gerade schmeichelhafter Beiwörter: statisch, platonisch, mathematisch, logisch, intellektuell. Wer im Vorhinein etwas über das Ziel wissen möchte, welches durch das Handeln erreicht werden soll, erfährt, dass ein im Voraus bekanntes Ziel ja nichts Neues wäre. … So sind wir verurteilt, im Handeln blinde Sklaven des Instinkts zu sein: Ruhelos und unaufhörlich stößt uns die Lebenskraft (elan vital) vorwärts. In dieser Philosophie ist kein Raum für einen Augenblick kontemplativer Einsicht, in dem wir uns … der größeren Zwecke bewusst werden können.“ (Bertrand Russell: „Philosophie des Abendlandes“).

Wenn man sich dem Rausch des Werdens überlässt – heute redet man von Zukunft –, nur noch seinen Instinkten und Gefühlen vertraut und alle Logik und Vernunft verhöhnt, hat man keine Probleme mit Leuten, die instinktiv wissen, dass sie die bessere Rasse sind und von der Vorsehung – dem deutschen Wort für kreative Evolution – zur Herrschaft über die Welt bestimmt sind.

Nicht rückwärts schauen, sondern vorwärts dem Neuen entgegen; wir sind nicht unterwegs, um anzukommen, sondern um unterwegs zu sein.

Was hat das mit Jubilar Walser zu tun? Als er noch jung und hübsch war, unterstützte er den Klassenkampf gegen die Ausbeuter, heute kann er über seine Jugendsünden nicht mal lächeln.

Früher wollte er „Rechthaben“. Seit er Karl Barths Kommentar zum Römerbrief gelesen hat, weiß er es besser. Deswegen mag er auch nicht den „gerechtfertigten“ Pastor Gauck, der alles besser wissen müsse.

Über solche lutherischen Sünden sei er hinaus. Er wisse besser, dass man nichts besser wissen müsse. Deswegen verachte er auch die „adressierte Sprache“ jener, die mit Klarheit jeden Disput gewinnen müssten.

Ein sinnvolles Gespräch erkenne man daran, dass man keine aggressiven Streitpositionen einnehme, sondern jeder von sich spräche. Jeder äußere seine Meinung, erkläre und entfalte sein Inneres, dann solle man friedlich und unstreitig auseinander gehen. Jeder habe Recht, weil niemand Recht habe.

Völlig klar, dass kein zungenredender Schönschreiber den Wirrkopf Walser tranchieren könnte, er würde sich selbst als Oberlehrer entlarven. Bleibt uns nichts anderes übrig, als mit der undankbaren Rolle der Besserwisser allen Walserfans ins offene Messer zu laufen, denen wir hier prophylaktisch zurufen, auch ihr habt nicht Recht.

Nur nebenbei sei die Prognose gewagt, dass demnächst eine Renaissance des Luthertums ausbrechen wird. Katholik Walser hat in der politischen Presse schon jetzt schlechte Karten, da kann er den reformierten Karl Barth auswendig lernen, wie er will.

Es ist schon merkwürdig, dass ein Katholik den reformierten Karl Barth liest, um den gerechtfertigten Lutheraner Gauck aus dem säkularen Sattel zu holen. Natürlich nicht in adressierter Sprache, sondern in expressionistisch-ekstatisch dahingeschleuderten Begriffsquadern. Man fühlt sich an den Zyklopen Niemand erinnert, der, von Odysseus geblendet, in blinder Wut die größten Wackersteine gegen seine Feinde schmetterte.

Schon die Grundlage des Angriffs ist daneben. Wenn ein Lutheraner sich gerechtfertigt fühlt, nicht durch Gerechtigkeit der Werke, sondern allein durch die drei Soli (hat nichts mit Ossi-Almosen zu tun): sola fide, sola gratia, sola scriptura, allein durch den Glauben, die Gnade und die Schrift, hat er ja das Besserwissen aufgegeben, indem er sich dem Besserwissen des Erlösers unterworfen hat. Allerhöchstens könnte man ihm vorwerfen, dass er göttlicher Besserwisser sei.

Der irdische Mensch weiß viel, Gott weiß alles besser. Wenn der Logiker vom Bodensee sich dem göttlich inspirierten Wort Karl Barths unterwirft, ist er selbst göttlicher Besserwisser, der dem andern vorwirft, was man ihm gleichermaßen vorwerfen müsste. Von solchen Subtilitäten lässt sich ein Bodensee-Novalis natürlich nicht irre machen, weiß er doch, dass jeder, der ihm widerspricht, im vormenschlichen Status des Rechthabens versteinert ist.

Zum Thema Literatur und Politik gab‘s vor kurzem einen heftigen, aber expressionistischen Schlagabtausch bei den Edelfedern. Georg Diez hat im SPIEGEL dem schweizer Schriftseller Kracht faschistische Tendenzen unterstellt.

Sein neuester Roman sei durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht. Sein Held sei eine Art Deckfigur für Hitler, er selbst fasziniert vom nordkoreanischen Diktator. Insgesamt müsse man sagen, Kracht sei ein „Türsteher der rechten Gedanken. An seinem Beispiel kann man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream.“

Starker Tobak, man sollte denken, die besten Geister würden sich auf die Beweisstellen des Angreifers stürzen, um die Berechtigung der Anklage zu prüfen. Auch Jakob Augstein fühlte sich aufgefordert, sich der Chose anzunehmen.

Auf das Kleingedruckte lässt sich der Herausgeber des FREITAG gar nicht ein. Generell hält er die Bewertung eines Künstlers anhand politischer Kriterien für verfehlt. Schriftsteller seien keine Sozialkundelehrer. Wer Kunst der Politik dienstbar machen wolle, vernichte am Ende die Freiheit der Kunst, ohne die Freiheit in der Politik zu fördern.

Es sei ein seltsamer Vorwurf, der Kunst vorzuwerfen, sie befasse sich mit Auflösung und Erlösung, das sei nun mal das Wesen der Kunst. „Vielleicht“ sei Kracht ein Faschist der Literatur, dann aber im „Sinne Sloterdijks“, dem man denselben Vorwurf gemacht hätte.

Faschismus, so Sloterdijk, sei ein Expressionismus, während der Humanismus ein Erziehungs- und Optimierungsprojekt sei. Ein Humanist, so Augstein, sei Kracht „sicher nicht“. Das mache aber fast gar nichts, denn ein Schriftsteller habe keinen Bildungsauftrag.

Die Politik müsse wohl auf Unterdrückung der Gewalt aus sein, die Kunst könne der Gewalt folgen. Es sei ein dämlicher Vorwurf, ein Künstler befinde sich „außerhalb des demokratischen Diskurses“. Es gebe keinen kategorischen Imperativ: „Schreibe nur, was du selber erleben willst.“

Es gehe nicht, ein Verbrechen als Kunst darzustellen, wie Stockhausen, der 9/11 als größtes Kunstwerk der Geschichte verklärt habe. Wenn hingegen im Kunstwerk das Verbrechen vorkomme, würden wir das verkraften. Denn Kunst auf Teufel-komm- raus politisch zu infiltrieren, könne nicht gutgehen. Als Camus die stalinistischen Lager kritisiert habe, hätte Sartre erwidert: „Allein wichtig ist die Entscheidung, ob man durch die Denunziation der Lager für die Menschheit oder gegen die Menschheit arbeitet.“

Bei Augstein scheint nicht angekommen zu sein, dass Camus und nicht Sartre Recht behielt mit seiner bedingungslosen Ablehnung der Stalinverbrechen. Sartre war marxistisch verblendet und verbohrt, Moral war für ihn eine Angelegenheit der richtigen Seite der Geschichte.

Wer bei den siegenden Bataillonen ist, hat immer Recht, auch wenn die Köpfe rollen. Eine Wiederauflage christlicher Moral, die sich daran bemisst, ob man auf Gottes Seite steht oder nicht. Bist du in Gott, ist alles erlaubt. Sündige tapfer, aber glaube. Liebe und mach, was du willst. Womit Augstein sich als guter Christ oder Marxist zu erkennen gegeben hat.

Er hat auch keine Probleme, dass Kracht kein Humanist ist, ja, dass er vielleicht sogar Faschist sein könnte. Ein Schriftsteller sei kein Geschäftsführer der Politik. Augstein spricht nicht gern von Moral, lieber von Politik, als ob Moral nur Politik beträfe.

Mit anderen Worten, bist du Künstler, ist dir alles erlaubt. Du kannst jede Sau durchs Dorf jagen. Es ist ja nur Kunst, die beschreiben soll, was sie beschreiben muss: die ungeschönte Realität.

Indeed, Literatur ist Selbsttherapie. Wie der Patient lernen muss, unzensiert sein dunkles und verwerfliches Innenleben zu entäußern, um es im heilenden Licht des Bewusstseins zurecht zu bringen, so ist der Künstler sein eigener Patient und Therapeut. Er kann, ja er muss die unterste Hölle aufs Papier bringen, um sich von seinen Obsessionen zu befreien, nicht zu erlösen, denn das ist der Job heteronomer Erlöser.

Ein Künstler ist umso besser, je mehr es ihm gelingt, die unverzerrte Realität in Schrift, Ton, Bild und Skulptur zu bringen. Gelingt ihm das, kann er einen gewichtigen Beitrag zur kollektiven Therapie eines Gemeinwesens leisten.

Da muss er seinem Werk keinen moralischen Generalbass untermischen. Moralisierende Winke mit dem Zaunpfahl sind überflüssig, wenn das Werk durch authentische Beobachtung und Selbstreflexion besticht.

Sollte es jedoch Indizien geben, der Autor schildere das Böse, um es zu rechtfertigen, gar zu verherrlichen, könnte man dem Autor, – vielleicht sogar seinem Werk –, den Vorwurf der Barbarei nicht ersparen. Wie sonst könnte man einen Celine, einen Ezra Pound aus der Riege demokratischer Autoren ausschließen? Jeder Nazi-Dichter wie Hermann Burte wäre heute noch eine willkommene Schullektüre. Wozu die Arbeit, in Hamsun, Ernst Jünger & Bruder, Mircea Eliade Spuren rechten Gedankenguts aufzuspüren, wenn alle ästhetischen Katzen schneeweiß sind?

Mit welchem Recht hat FAZ-Schirrmacher im Werk „Der Tod eines Kritikers“ seinem Autor Martin Walser Antisemitismus vorwerfen können? Die heuchelnde Biederkeit und Doppelbödigkeit des deutschen Feuilletonismus schreit zum Himmel.

Seit Platon in seiner faschistischen Utopie die staatszersetzende Kunst verbot, ist es opportun geworden, im Gegenreflex alle Kunst per se heilig zu sprechen. Man verbietet sie nicht, wenn man akribisch die Geister prüft, aus welchen Kanälen sie krochen und zu welchem Zweck sie gezeugt wurden.

Der Verrat der Intellektuellen, den Julien Benda beschwor, ist in vollem Gang. Haltlos wird abgesegnet, was Geschichte, Zeitgeist, Mainstream, Evolution, das herrlich-amoralische Böse, die Phantasie, die kreative Imagination, das seliggesprochene Gefühl, der expressionistische Instinkt, das Grenzenüberschreiten, das Spiel mit dem Risiko, die Sucht nach dem Neuen ans Land spült.

Die Zeit der Distinktionen ist vorüber. Als vor 200 Jahren das Argumentieren im Dienste leidenschaftlichen Streitens um die Wahrheit verfemt wurde, war das Zeitalter der Aufklärung vorbei; jene Romantik brach an, die reihenweise katholische Jüngelchen hervorbrachte und die mentalen Grundlagen des Nazireiches legte – wie der Historiker Meinecke nach Kriegsende behauptete.

Heute wird in ästhetischer Salonsprache wieder von Faschismus und Antihumanismus gehandelt, als handele es sich um possierliche Tierchen. Der Geist der wiederkehrenden Deutschen Bewegung wird in Denkerstuben der Intellektuellen ausgebrütet.