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Montag, 10. September 2012 – Gesetz und Willkür

Hello, Freunde des Staates,

ist Demokratie ein Staat? Als Kategorie ja, um sie mit anderen Staatsformen wie Tyrannis, Aristokratie, Oligarchie, totalitärem Staat zu vergleichen. Als Inhalt nein, denn einen Staatswillen neben oder über dem Volkswillen, sei es dem repräsentativen oder dem direkten, kann es nicht geben.

In Nichtdemokratien ist Staat ein Gebilde, das vom Willen Gottes, totalitären Gewaltherrschern, Priestern, Geldmagnaten, Technokraten, alten Adelsfamilien, Brahmanen, oder platonischen Philosophen abhängt. Hier hat sich das Volk einem Gebilde zu beugen, das von ihm nicht autorisiert worden ist.

In einer Demokratie werden Sozialleistungen nicht von einem „Väterchen Staat“ gewährt, das Volk gewährt aus freien Stücken dem Volk. Solidarische Leistungen sind keine patriarchalischen Akte, sondern geschwisterliche oder gleichberechtigte. Diejenigen, die haben, geben denen, die wenig oder nichts haben.

Es gilt nicht das „Matthäus-Theorem“, das Gesetz des jesuanischen Gleichnisses von den anvertrauten Pfunden ( Neues Testament > Matthäus 25,14 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/25/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/25/“>Matth. Neues Testament > Matthäus 25,14 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/25/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/25/“> 25,14 ff) : „Wer hat, dem wird gegeben und er wird Überfluss haben; dem aber, der nichts hat, wird auch das genommen werden, was er hat. Und den unnützen Knecht stoßet hinaus in die Finsternis, die draußen ist! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“

Es gilt – besser, es sollte gelten – das entgegengesetzte Prinzip des Ausgleichs: Wer hat, gibt dem, der nichts hat.

Deutschland, ein Staat auf christlichem Fundament, verhält sich in der Eurokrise

in genauer Übereinstimmung mit dem jesuanischen Bailout-Verbot: wer hat, dem wird gegeben, den schwachen Ländern, die weniger haben, wird noch genommen, was sie haben.

Seltsamerweise erhebt sich in solchen Bailout-Fällen stets das empörte Geschrei derer, die der Regierung „unchristliches Verhalten“ vorwerfen, weil sie den Armen keine Brosamen geben will. Dabei kann es gar nicht christlicher sein. Brosamen gibt man im politiklosen Bereich des Privaten. Nicht so, dass die Brosamen zum Gesetz werden dürfen. Denn das wäre Sozialismus, wie wir aus Amerika vernehmen.

Nichts veranstalten Gattinnen der Reichen lieber als Charity-Veranstaltungen für Notleidende, die von der Agape-Party strikt ausgeschlossen bleiben. Wem geholfen wird, der bleibt aus dem Zirkel der Auserwählten ausgeschlossen. Man hilft ihm, indem man ihn durch eine zufällige Gnadengabe demütigt.

Das Interesse der Geber am weiteren Schicksal der Empfänger geht gegen Null. Von persönlicher Anteilnahme kann keine Rede sein – es sei, eine Kamera ist in der Nähe, die den mildtätigen Wohltäter im Kreis seiner Hilfsempfänger zeigt.

In Deutschland gibt’s kaum einen berühmten Menschen, der inzwischen nicht eine persönliche Stiftung hätte, mit der er in jeder Quizsendung aufwarten kann.

Was ist der Unterschied zwischen einer solidarischen Demokratie – und einem Charity-Kapitalismus? Die „Nächstenliebe“ des letzteren beruht auf kurzfristiger, privater Willkür. Das in Gesetz gegossene Ausgleichsprinzip der ersteren will eine grundsätzlich gleiche und homogene Gesellschaft.

Ausgleichendes Geben ist keine sporadische Augenblickslaune, sondern eine stabile Zusage, die jedem Schwachen ein menschliches Leben ermöglicht.

In einem Charity-Kapitalismus gibt es keinerlei Rechte der Schwachen auf Zuwendungen der Reichen. Wer gibt, ist ein guter Mensch, dessen Schätze im Himmelreich durch gottwohlgefällige Werke vermehrt werden sollen. Wer nichts gibt, bleibt ein angesehener Tycoon, keine Steuerbehörde wird ihm auf den Pelz rücken.

Im Gnaden-Kapitalismus hat der Benachteiligte keinerlei Rechte auf ein menschenwürdiges Leben. Rechte hat nur der, der über Kapital verfügt. Wer über keines verfügt, hat das Recht zu sterben. Wer zufällig am rechten Ort ist, erlebt das Glück zufälliger Brosamen. Wir befinden uns im Reich des Zufalls und der Willkür, Synonyme für Gnade und Barmherzigkeit.

In einer rechtlich-solidarischen Demokratie wird dem Zufall der Kampf angesagt. Jeder Mensch hat ein Recht auf den Mitmenschen: Wenn du nichts hast, hast du ein Recht auf mich, der ich etwas habe. Nicht aus zufällig-privaten Sympathiegründen, sondern aus allgemeinen, stimmungsunabhängigen Gesetzesgründen.

Die wesentliche Beziehung zwischen Dir und Mir ist keine von privaten Launen abhängige, sondern eine stabile und gesetzliche zwischen Mir und der Polis, zwischen Dir und der Polis und der Polis und uns. Wenn jedes Individuum ein zoon politicon ist, gleicht die Gemeinschaft die Schwankungen unserer privaten Beziehung durch stabile Gesetze aus, die sich durch Zuverlässigkeit und Dauer auszeichnen.

Es ist das Gesetz, das den Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Wesen Stabilität und Verlässlichkeit verleiht. Freundschaften, Verliebtheiten, Sympathien kommen und gehen, das Gesetz bleibt bestehen.

Deswegen wird es in christlichen Gesellschaften als kalt, unpersönlich und roboterhaft geschmäht. Besser sei die persönlich überreichte Gnadengabe als die gesetzlich vorgeschriebene Verpflichtung, Steuern zu zahlen, um den kranken Nachbarn nicht verderben zu lassen.

Der solidarische Gesetzesstaat wird geschmäht, um das Prinzip der Nächstenliebe hervorzuheben. Wenn Peter Sloterdijk den „kleptokratischen Staat“ abschaffen und Steuern in Gnadengaben umwandeln will, macht er sich zum Sprecher des gnädig-zufälligen Gottes im jahrtausendealten Kampf gegen Gesetz und Universalismus.

Es war kein Zufall, als in jenen Jahrhunderten, in denen der Geist der Volksherrschaft heranwuchs, die ersten Philosophen – die Naturphilosophen – das Gesetz fanden. Das Naturgesetz. Die ungeheure Entdeckung, dass Natur ein zuverlässiger Kosmos ist, der den Menschen nicht im Stiche lässt.

Durch ihre Gesetze gibt die Natur dem Menschen die Zusage, dass er sich vollständig auf sie verlassen kann. Das war das Ende des Mythos. Der entscheidende Unterschied zwischen Mythos und Logos ist das Gesetz.

Der Mythos ist ein Bild, das nach Belieben von anderen Bildern abgelöst werden kann. Flapsig könnte man sagen, Mythos ist Wissenschaft im Flegelalter, die noch nicht bereit ist, „zeitlose“ Garantien zu übernehmen. Einmal hü, einmal hott. So sind die Götter. Nichts anderes als überdimensionale Menschen im ständigen Zoff mit willkürlichen Launen, Verstimmtheiten, Vorlieben und Abneigungen.

Als das Gesetz gefunden war, machte die Natur einen Sprung. Aus einem unberechenbaren, übermütigen und mutwilligen Teenager wurde eine zuverlässige, berechenbare, unendlich vertrauenswürdige, ausgeglichene und reife Frau: eine Mutter.

Durch Entbergen ihrer Gesetzmäßigkeit entschloss sich die Natur, erwachsen zu werden und dem Menschen die Möglichkeit zu geben, auf Erden ein zufriedenes Leben zu führen. Ob nun alles aus Wasser, Luft oder Erde entstanden sein soll, ist unwichtig. Entscheidend war nicht der Inhalt des Gesetzes, sondern das Urvertrauen in die Natur: sie ist, wie sie ist, war und immer sein wird.

Solange wir fähig sind, die Gesetze der Natur zu finden und sie zu nutzen, ohne Natur zu beschädigen, solange werden wir ein Existenzrecht auf Erden genießen.

Die Gegenwelt ist das biblische Reich der Wunder, der Gnade, des launenhaften Gottes, der in Missachtung aller Gesetze die Welt aus Nichts zaubert und sogleich wegen Eigenpfuschs zertrümmern will, sie dann doch eine Weile leben lässt, um sie am Ende in einer Gnadenfrist bedenkenlos zu entsorgen.

Das Verhältnis Gottes zu seinen Kreaturen verbleibt im vorgesetzlichen Stadium des Zufalls und der Willkür. Die Bibel hat ihren Mythos nie zum Logos weiterbilden können. Aus Zufall wird Abel gewählt, aus Zufall Kain verdammt. Viele sind berufen, wenige sind auserwählt. Also erbarmt er sich zufällig, wessen er will, verhärtet aber willkürlich, wen er will.

Die biblische Irrationalität ist die exakte Gegenwelt zur kosmischen Gesetzmäßigkeit der Griechen.

Das Abendland ist eine labyrinthische Mixtur aus beiden Welten, aus Gesetz und Gnade, aus Zuverlässigkeit und Willkür. Im Geld- und Wirtschaftsbereich muss alles berechenbar sein, wer aber als Privatier zuverlässig und berechenbar auftritt, gilt als verknöcherter Spießer, Pedant und langweiliger Philister.

Im Geschäfts- und Alltagsleben sind die Deutschen korrekt und pünktlich. Wenn sie ganz Mensch sein wollen, schlagen sie Purzelbaum, holen der Liebsten den Regenbogen vom Firmament, machen „verrückte“ Dinge, um sich nach der Auszeit wieder unauffällig in die Riemen zu legen.

Gesetz gegen Willkür, Staat gegen Kirche, Recht gegen Gnade, Solidarität gegen Nächstenliebe, Ratio gegen Irrationalität, Logos gegen Mythos. Unvereinbare Widersprüche, die im Abendland tun müssen, als hätten sie sich herzlich lieb, derweilen sie sich unterm Tisch die Schienbeine ramponieren.

Die Nächstenliebe (Agape) ist keine Devise zur sozialen Gestaltung eines Gemeinwesens. Sie ist privatistisch, willkürlich und heilsegoistisch aufs Jenseits ausgerichtet. Die Ethik des christlichen Credos hasst den heidnischen Staat, der sich auf Erden einnisten und eine Heimat gründen will.

Agape ist eine Sprungfeder, um ins Jenseits zu schnellen und von Petrus eine Eins in Betragen als Kopfnote zu erhalten. Mit einer nachhaltigen Einrichtung und Erhaltung des Staates hat sie nichts zu tun. Im Gegenteil.

Das Urevangelium ist die totale Kampfansage des messianischen Kindes an das Römische Reich, das Untier aus dem Meer, das vom Erlöser am Kreuz überwunden wird. Eine kleine Zeit noch, dann wird er als Triumphator vor der Tür stehen, alles Natürliche, Irdische in Nichts auflösen und eine neue Welt kreieren.

Über den weltlichen Staaten ist seit Jesu Auferstehung ein apokalyptisches Schwert aufgehängt, das bei seiner Wiederkehr das Alte rasieren wird. Kümmert euch nicht um den Staat, sagt der Herr, ich habe ihn zur Belanglosigkeit degradiert. Noch eine kleine Weile und er wird sich in Nichts auflösen. Das Generalmotto ist: Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Christliche Prinzipien wollen keinen Staat auf Erden errichten, sondern alles Staatliche und Autonome von der Tenne fegen. Das „Liebe deinen Nächsten“ ist auf dem Prinzip der Willkür und des Zufalls aufgebaut. Auf die Frage: wer ist mein Nächster, antwortet der Galiläer mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter:

Ein Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab und fiel unter die Räuber. Zufällig aber ging ein Priester jene Straße hinab, der an ihm vorüber ging. Zufällig kam ein Samariter, der sich seiner annahm. Einmal ist der Zufall negativ, einmal positiv.

Staatliche Kranken-, Polizei- und Sozialsysteme sind für Theokratien und theokratische Demokratien wie Amerika eine Beleidigung. Alles ist auf den unberechenbaren Augenblick angelegt. Der Mensch ist nicht Teil einer stabilen, funktionierenden koinonia, sondern Untertan göttlicher Willkür.

Gottes Wille tut sich in Zufällen kund. Der Mensch darf nicht seine Ratio, seine Vorsorgefähigkeit, seine Kompetenz zum allgemeinen Handeln einschalten. Vor nicht allzu langer Zeit wetterten lutherische Pastoren gegen die Versicherungswut der Deutschen, an der man ihre wachsende Gottlosigkeit erkennen könne.

Gott und natürliches Gesetz schließen sich aus. Als in Hellas das Naturgesetz gefunden war, lag es nahe, das Gesetz auf die menschlichen Dinge zu übertragen. Die legendären Urerfinder der Gesetze menschlichen Zusammenlebens waren Drakon und Solon. Die solonischen Gesetze wurden Grundlagen der athenischen Demokratie.

Die Starken schwächen, die Schwachen stärken, war Solons Maßstab. Eine gesunde Polis erkennt man an abgeflachten Extremen und einer ausgeprägten, selbstbewussten Mitte.

Die neoliberale Wirtschaft bedient sich der Berechenbarkeit des Geldes, um die Unberechenbarkeit zufälliger Leistungen zu feiern. Unten das fiskalische Gesetz als Instrument, oben die göttlich unvorhersehbare Selektion: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Das Christentum will gute Einzelwerke, aber keinen guten verlässlichen Staat. Es setzt auf irrationale Gnade und Charity, nicht auf rationale Gesundheits- und Sozialsysteme.

Warum hassen die Amerikaner das „sozialistische Prinzip“ der Europäer, selbst dann, wenn sie am meisten darunter zu leiden haben? Es verträgt sich nicht mit ihrer Gnadenreligion, wenn das Diesseits zur heidnischen Spielwiese autonomer Gesetze missbraucht wird.

Sie hassen auch die Machtmetropole in Washington, die sich anmaßt, Gesetze für alle zu machen. Für alle: das ist die widerliche Ansage des Satans, der die Menschen ertüchtigt, ihre Belange in solidarischer Selbstregie zu managen.

Der wiedergeborene Amerikaner lebt in der Vertikalen, sein „persönliches Verhältnis“ zum Himmel ist seine entscheidende Lebensmitte. Alles andere ist vorübergehender Tand, über dem das Damoklesschwert des kommenden Messias hängt. Noch ein Weilchen, Geschwister, morgen ist der Spuk vorbei!

Über solche himmlischen Dinge kann in Europa nicht gesprochen werden. Himmel und Hölle? Tabus oder Kindermärchen! Dabei sind sie die Eckpfeiler aller christlich-politischen Leitlinien, über die sich niemand Rechenschaft ablegt.

Dank BILD erfahren wir, wie ein Kardinal sich um die Tatsache der Hölle herumwindet. „Können Politiker in die Hölle kommen?“ fragt BILD. Antwort des Höllenspezialisten: „Hölle, das ist, wenn ein Mensch allen Ernstes sagen würde: Ich will von absolut niemandem geliebt sein! Solch ein Entschluss ist uns als freien Menschen natürlich möglich.“

Die „Hell und ihre Schrecken“ (Thomas Mann) muss wohl eine Erfindung böser Menschen sein, niemals die eines liebendes Gottes. Das ist allen Ernstes die drohende Stimme eines Menschenspalters, der die braven Schäfchen in den Himmel schickt und die Widersacher ins Feuer.

Das Menschen- und Familienbild der Religion beruht nicht auf gleichberechtigtem Universalismus, sondern auf Spaltung, Selektion, Privilegierung und Verfluchung. Der Glaube ist das Spaltmittel, mit dem selektiert, selig gesprochen und verflucht wird.

Wer glaubt, gehört zu den Siegern der Geschichte, sei es vorwegnehmend in irdischer Zeit, sei es in Ewigkeit. Insofern ist der Glaube das alles entscheidende Machtmittel, die Schlüssellizenz zum Eintritt ins Reich des finalen Triumphs.

Das „Familienbild“ der Demokratie ist die Brüderhorde nach dem Vatermord. Der Vater ist Alleinherrscher über die Familie, der Gewalt hat über Tod und Leben seiner Lieben. Civitas dei, die Kirche, ist von Anfang an die absolute Widersacherin jedes Staates, der sich ihr nicht unterordnen will.

Der demütige Jesus ist der künftige Pantokrator, gesetzt über „jede Gewalt und Macht und Kraft und Hoheit und jeden Namen, der genannt wird nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.“ Das staatliche Reich allgemeinen Rechts wird vom Herrscher übernatürlicher Gnade zuschanden gemacht.

Der Konflikt zwischen Staat und Gottesherrschaft beginnt bereits bei Samuel, der die Kinder Israel in Gottes Auftrag regiert. Wie so oft rebellieren die Erwählten, die keine sein wollen, sondern wie alle andern Völker von einem König regiert werden wollen. Sie wollen sein wie andere, sich einem allgemeinen Gesetz einordnen, wollen gleichberechtigte Mitglieder der Menschheit sein.

Gott ist pikiert und eifersüchtig, dass er als Pater Familias abgesetzt werden soll. Nach anfänglichem Zögern weist er Samuel an, dem Willen des Volkes zu willfahren und ihnen einen König zu geben. Doch das dicke Ende kommt. Samuel muss den Widerspenstigen erklären, dass die Folgen ihres Vatermords schrecklich sein werden. Der König wird ihnen die Söhne nehmen, die Töchter, die Felder und Äcker, den ganzen Besitz. ( Altes Testament > 1. Samuel 8,1 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/1_samuel/8/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_samuel/8/“>1.Sam. 8,1 ff)

Seitdem müssen die Kinder Israels ausgesondert sein, dürfen keinen allgemeinen Gesetzen der Menschheit folgen, wenn sie nicht bis aufs Blut gepeinigt werden wollen.

Doch der Vatermord bleibt unvollendet, Gott verharrt im Regiment und regiert weiter – mit Hilfe eines ordinären Königs. Der Durchbruch zur Demokratie, zur gleichberechtigten Brüderhorde misslingt.

Auch der verlorene Sohn kehrt reuig und bussfertig zum Vater zurück, während jenseits des Wassers Ödipus den Vater erschlägt und die Mutter – als Vertreterin des von den Vätern überrollten Matriarchats – gewinnt.

Ein Vorgeschmack auf die notwendige Koalition der Kinder mit den Müttern gegen die naturzerstörenden Patriarchen, die bis heute noch nicht gelungen ist – solange die Väter im Himmel regieren.

Ödipus wusste nicht, dass der Fremde, den er erschlug, sein Vater war. Erst in der Demokratie gelang es den Griechen, alle Patriarchen ins Joch der Gleichheit zu zwingen. Anstelle der Väter beginnt das allgemeine Gesetz in der Polis zu regieren, dem sich alle Bürger beugen müssen.

In der Neuzeit werden Allgemeinheit und Gleichheit in der Mitte aufgespalten. Vor dem juristischen Gesetz sind alle Menschen gleich, nicht aber vor der eigentlichen Macht der ökonomischen Gewalt.

Wer clever und durchsetzungsfähig ist, kann sich auf der Basis demokratischer Gleichheit in die Höhen pekuniärer Besonderung und ökonomischer Auserwähltheit hinaufschwingen, sich dem Gesetz der Allgemeinheit entziehen und triumphal ins Reich willkürlicher Gnade und Barmherzigkeit einziehen. Sind doch alle Talente und Fähigkeiten unverdiente Geschenke des himmlischen Vaters.

Der Kampf zwischen irdischem Staat und überirdischer Religion ist nicht ausgestanden. Im Gegenteil, gegenwärtig nimmt er in vielen Staaten an Schärfe zu.

Der Beschneidungskonflikt dient irdischen Stellvertretern eines omnipotenten Gottes als willkommener Anlass, dem Staat und dem allgemeinen Gesetz die rote Karte zu zeigen.

„Rabbiner Ehrenberg nimmt es mit der Staatsgewalt auf. …“Wir machen weiter“… Dann bläst er in das Schofarhorn.“ (Julia Haak in der BZ über die Demo pro Beschneidung)

Bei solch himmlischen Imponiergebärden sieht der irdische Staat ganz schön alt aus.