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Montag, 09. Juli 2012 – Religion muss beschnitten werden

Hello, Freunde Rumäniens,

erst Ungarn, nun Rumänien. Die osteuropäischen Mitglieder der EU torkeln von Krise zu Krise. Nun wurde mit fragwürdigen Methoden der rumänische Präsident seines Amtes enthoben. Das Elend der rumänischen Demokratie erstreckt sich gleichmäßig über die politischen Lager bis weit in die Behörden. Das Volk misstraut allen und hat keine Kraft, seine politische Klasse unter Kontrolle zu bringen.

Eine Demokratie benötigt mehr als die Einrichtung von Institutionen und Verfahrensregeln. Wenn die Menschen keine demokratische Kompetenz lernen konnten, woher soll sie kommen? Die jahrhundertelange Unterdrückung der Denkfreiheit durch Nomenklatura und Klerus zeigt ihre Wirkung.

Doch es genügt nicht, das Elend zu beklagen, es müsste analysiert und benannt werden. Die Feinde der Demokratie regieren noch heute – im Namen der Demokratie. Warum wird nie die verheerende Rolle der Religion erwähnt, obgleich ohne sie keine Macht sich im Sattel halten könnte?

Europa wird nicht weiterkommen ohne

rückhaltlose Erhellung der Steigbügelhalterfunktion der Patres, Priester, Seelenhirten und Popen für alle Gewalten und Mächte dieser Welt. Die heilige Allianz aus geistlichem und weltlichem Schwert, aus Macht & Kanzel: sie lebt.

Norbert Mappes-Niedieks Analyse zu Rumänien in der BZ.

 

Der zurückgetretene Chef des Verfassungsschutzes selbst hat seinem Klub die tiefrote Karte gezeigt. Wer eigentlich ist auf die Idee gekommen, eine demokratische Einrichtung ohne demokratische Kontrolle könne zu einem Vorzeigeklub werden? Der Schredderkönig hat sich sogar vor dem Untersuchungsausschuss geweigert, seinen Namen zu nennen.

Der Verfassungsschutz ist zur Verfassungsabrissbirne geworden. Ausgerechnet dieser verwahrloste Chaosklub soll nun in höherem Auftrag die Vereine des Landes nach Verfassungstreue bewerten? Hier hat man den Holzwurm zum Baumpfleger ernannt. Anetta Kahane ist zu Recht empört.

 

Innerhalb von 57 Sekunden – während eines Fußballspiels der Deutschen schliefen eine Handvoll Abgeordnete im Plenum – wurde ein Gesetz im Bundestag verabschiedet, das die vom Grundgesetz garantierte informationelle Selbstbestimmung der Bürger schredderte.

Jetzt zetern Grüne und die SPD, doch wo waren sie während der Abstimmung? Wussten sie nicht, was auf dem Spiel stand? Demnächst wird ein geheimes Sondergremium bei Nacht und Nebel die Verfassung dem Sondermüll übergeben.

Warum erregen wir uns über ungarische, rumänische, griechische und italienische Demokratiedefizite? Vor unser aller Augen wird das Grundgesetz demontiert – und wir bemerken es nicht mal.

Vermutlich lief in ARD ein faszinierendes Brot & Spiele-Programm mit mittelalterlichen Originalkostümen. Die mittelalterliche Seelenverfassung bringen wir freiwillig mit.

 

Israelische Militärgerichte verletzen die Menschenrechte palästinensischer Kinder. Zwölfjährige erscheinen vor Gericht mit Handschellen und Ketten an den Füßen. Selten haben sie einen Verteidiger zu Gesicht bekommen. Zumeist sitzen sie in Einzelhaft, ihre Eltern dürfen sie nicht sehen. Einige erzählen von Schlafentzug, andere von Misshandlungen.

Die Verantwortlichen stehen im Dienst eines Staates, so Bettina Gaus, der „als einzige Demokratie im Nahen Osten gilt und der 1991 die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hat.“ Einem 14-jährigen Palästinenser, der einen Stein wirft, drohen bis zu 20 Jahre Gefängnis. Zwischen 500 und 700 palästinensische Kinder und Jugendliche werden jedes Jahr auf der Westbank festgenommen.

Britische Juristen, die all dies in einem Bericht zusammentrugen, zitieren einen Militärstaatsanwalt mit der Bemerkung, jedes palästinensisches Kind sei ein „potentieller Terrorist“.

In Großbritannien und anderswo habe der Bericht für Aufsehen gesorgt, so Bettina Gaus. In deutschen Medien habe sie noch keinen einzigen eigenständigen Beitrag gefunden.

In Deutschland muss man Zivilcourage aufbringen, um solche Fakten aus dem „befreundeten“ Israel in die Öffentlichkeit zu bringen. Hier dominiert die christliche Agape, die nach Paulus alles erträgt, alles erduldet, alles glaubt und das Böse nicht anrechnet. Bei Fehlern von Freunden schließt man die Augen, bei erheblichen Fehlern verklebt man sich den Mund.

Das Ganze nennt man hierzulande Philosemitismus, also Freundschaft mit den Juden, äh, den Semiten. Bei Semiten kann unklar bleiben, ob Juden mit gemeint sind. Von Judenfreundschaft spricht niemand, man bevorzugt unklare, wissenschaftlich klingende Fremdwörter. Das liegt auch daran, dass Juden kritische Worte von Freunden als verkappten Antisemitismus verhöhnen. Da könnte jeder Deutsche daherkommen und von Freundschaft faseln.

Kann ein Volk, das sich für auserwählt hält und dessen Identität nicht unabhängig von Religion definiert wird, überhaupt Freunde unter Heiden und Gojim haben? Gaus stellt keine Fragen, woher die Feigheit der Deutschen vor dem Freund herrührt. Man müsste vielleicht mal in der kürzeren und längeren Geschichte nachschauen.

Das aber ist nicht mehr die Sache von Jour-nalisten, die sich nur dem Tag verpflichtet fühlen. Historiker wiederum, die übertägig zu denken vorgeben, kümmern sich nicht ums Tägliche und Aktuelle. So fällt die notwendige Erklärung der Gegenwart wegen Nebel aus.

Das ist eine praktische Arbeitsteilung: die einen berichten nur, was ist, die anderen nur, was war. So fällt die Beziehung zwischen Ist und War in ein schwarzes Loch des Universums.

„Danke, Hitler, für den israelischen Staat“, war vor Tagen als Schändungs-Graffiti am Holocaust-Mahnmal Jad Vaschem zu lesen. Täter waren Ultras, die schon immer den zionistisch-atheistischen Staat Israel ablehnten. Der Staat Israel am Ende aller Tage sollte persönlich vom Messias eingerichtet werden, nicht von Menschen, schon gar nicht von Gottlosen.

Ohne den Holocaust hätte es keinen modernen Staat Israel gegeben, meinen die Stellvertreter Jahwes auf Erden. Für den Holocaust selbst machen die Fanatiker den Führer nicht verantwortlich. Das wäre kein menschliches Verbrechen gewesen, sondern eine von Gott inszenierte Strafe am „ehebrecherischen“ Verrat des Großteils der Juden, die ihrem Glauben untreu geworden seien und sich dem weltlichen Geist der Deutschen assimiliert hätten.

Die Ultras haben kein Problem, einen Staat abzulehnen, den sie inzwischen mit ihrem alttestamentarischen Rachegeist infizieren und beherrschen. Ohne diesen uralten Hass auf Nichtgläubige kann man die ständige Missachtung der Arabushim, die permanenten Menschenrechtsverletzungen, die herrische Unfriedenspolitik des Staates Israel nicht verstehen.

Der Großteil der israelischen Gesellschaft lehnt mit dem Kopf diese inhumane Politik ab, doch ihre Gefühlswelt erlaubt ihr nicht, sich strikt von der religiösen Intoleranz der Rechtgläubigen zu distanzieren. Immerhin gibt es jetzt Demonstrationen gegen das Sonderrecht der Ultras, keinen Militärdienst leisten zu müssen.

Das kann nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Die Ultras leben in einer hermetisch abgeschlossenen Parallelwelt. Sie müssen nicht arbeiten gehen, damit sie den ganzen Tag ihre heiligen Bücher studieren können und werden vom Staat vollständig subventioniert. Eingeschlossen den Bau ihrer Bethäuser, Synagogen und Schulen, in denen sie ihren zahlreichen Nachwuchs von Kindesbeinen an indoktrinieren dürfen. Vom Besuch staatlicher Schulen sind die Kinder der Ultras befreit.

Hier sieht man, zu welchen Zuständen es führen kann, wenn Religionen ihr maßloses Selbstbestimmungsrecht auf dem Rücken einer Demokratie ausleben können. Ihr Hass auf Staat und Welt erzeugt einen Ungeist, den sie der säkularen Gesellschaft in wachsendem Maß infiltrieren können.

Der Grund der Desorientierung liegt in der unklaren Selbstdefinition der israelischen Gesellschaft, die sich eine jüdische nennt, ohne angeben zu können, was ein Jude sein soll. Als Rasse kann man sich nicht definieren, sonst wäre man ein rassistischer Staat. Bleibt nur Religion – selbst wenn man sich für zionistisch oder agnostisch hält.

Die Schwäche der Säkularen nutzen die Frommen bedenkenlos aus und infizieren den Staat mit eben dem, womit die Gesellschaft sich identifiziert: mit Religion. Man muss davon ausgehen, dass das kollektive Unbewusste noch in erheblichem Maß von religiösen Mythen dominiert wird, worüber sich das nichtreligiöse Bewusstsein keine Rechenschaft ablegen will. Ein Umstand, der auf alle Gesellschaften zutrifft, die von Erlöserreligionen geprägt sind.

Die Moderne hat sich in vielen Punkten vom Urgrund ihrer Religionen gelöst. Im Westen gibt es keine Theokratien mehr. Vor dem geschriebenen Recht sind alle Menschen gleich. Dem Geist der Menschenrechte und der demokratischen Vernunft fühlen sich alle verpflichtet – zumindest auf dem Papier.

Die muslimischen Staaten befinden sich in einer revolutionären Phase der Demokratisierung, der Humanisierung des religiösen Rechts. Die Zahl nomineller Despotien und Theokratien schrumpft. Doch der Kampf ist noch lange nicht ausgestanden.

In vielen christlichen Demokratien gibt es religiöse Sonderrechte und staatlich geschützte religiöse Inseln.

Unter dem Etikett religiöser Selbstbestimmung versuchen die Gläubigen aller drei Erlöserreligionen ihre verlorene Macht wieder zurück zu erobern. Der Streit um die Beschneidung ist nur ein aktuelles Beispiel.

Der in den Tiefen ihrer heiligen Bücher lauernde Geist alleinseligmachender Intoleranz, von dem sich die Gläubigen nie vollständig separiert haben, – da sie diese Bücher noch immer als Diktate einer irrtumsfreien Offenbarung betrachten –, hält sie noch immer im Griff und treibt sie zur Rückeroberung des verloren gegangenen Machtterrains.

Es genügt nicht, sich als toleranten Demokraten zu geben, in seinem privaten Leben aber sich einem unduldsamen Gott und einer totalitären Glaubensdoktrin verpflichtet zu fühlen. Bewusste politische Toleranz und unbewusste oder geheim gehaltene religiöse Intoleranz sind unverträglich.

Besonders fatal wird es in Gesellschaften wie der deutschen, wenn sie sich in einer Synthese aus Glauben und Vernunft wähnt, sich auf Kant beruft – der das Wissen begrenzt hat, um dem Glauben Platz zu schaffen –, aber völlig verdrängt, dass Kant nur jenen Glauben, nur jene Religion im Auge hatte, die sich mit einem Revier innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft zufrieden gibt und die moralischen Konsequenzen dem generellen kategorischen Imperativ unterwirft.

Der kategorische Imperativ ist das Herzstück des republikanischen oder demokratischen Rechts. „Handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetze machen kann.“ In Kants Universalisierungsformeln gibt es keinen Platz für Sonderrechte. Der republikanische Geist zieht die Religion vor das Tribunal seiner Vernunft, nicht das religiöse Selbstbestimmungsrecht die Vernunft vor das Tribunal eines totalitären Gottes.

Hier darf die Demokratie nicht wanken und weichen. Ohnehin befindet sie sich in Deutschland und Israel auf schwankendem und zurückweichendem Boden. Sie hat nicht mehr die Courage zur selbstbewussten souveränen Verteidigung und lässt sich immer mehr in die Defensive drängen.

Der Grund für diese mentale Schwäche liegt auf der Hand. Beide Gesellschaften, die sich in vielem ähneln wie ein Ei dem andern, obgleich sie es aus historischen Gründen nicht wahrhaben wollen, haben tiefliegende Ängste, ihre jungen und unbewährten Demokratien nicht halten zu können – ohne Anlehnung an den Großen Bruder, ohne reumütige Rückkehr der verlorenen Söhne zum allmächtigen Vater.

Die verhängnisvolle Böckenförde-Doktrin, justament von unserem ersten Aufklärer Habermas mit Herzblut unterschrieben – obgleich er sich selbst zynisch für religiös unmusikalisch erklärte – hat es zum Status eines Dogmas gebracht. Nach ihr können die Deutschen ohne Unterstützung der Religion das unverdiente Geschenk der Demokratie nicht festhalten.

Als ob Religion den Geist der Vernunft und der Menschenrechte hervorgebracht hätte und nicht umgekehrt die aufgeklärte Vernunft in mühseligem Kampf die Macht der Priester stutzen und den Glauben humanisieren musste. „Wenn denn nun gefragt wird. Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.“

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, schriebt Ingeborg Bachmann. Die kontinuierliche Aufklärung im Kampf gegen inhumane Reste der Religionen ist allen zumutbar: Christen, Juden und Muslimen.

Das Selbstbestimmungsrecht religiöser Erwachsener endet nicht nur am universellen Recht, sondern auch am Selbstbestimmungsrecht der Kinder, die selbst zu entscheiden haben, von welcher Religion sie einst gehandicapt werden wollen.

Selbst Broder ist milde gestimmt und räumt dem richterlichen Spruch von Köln das Motiv ein, etwas Gutes erreichen zu wollen: „Jüdischen Kindern soll kein Leid angetan werden, nicht mal von den eigenen Eltern.“

Ein solcher Satz ist bei keinen Navid Kermanis, Micha Brumliks und sonstigen Kirchenvätern der Gegenwart zu lesen, die virtuos Religion und Vernunft als Fleisch vom selben Fleisch betrachten.

Auch die Grünen haben noch nichts von Rechten des Kindes gehört. Sie halten die Beschneidung nur dann für bedenklich, wenn „bei minderjährigen Jungen keine Einwilligung der Eltern vorliegt.“

Hier zeigt sich schlaglichtartig die wahre Frontenbildung: Mit Hilfe unangreifbarer Religionen kämpfen allwissende Erwachsene um das Recht auf Zwangsbeglückung ihrer Kinder im Stadium der Unmündigkeit. Sie überlassen es nicht den Heranwachsenden, selbst herauszukriegen, was sie für richtig und falsch halten.

Anstatt durch beispielhaftes Verhalten ein Vorbild zu sein, das die Kinder reizt, freudig ihren Fußstapfen zu folgen, unternehmen sie gegenwärtig alles, die Zukunft ihrer Nachkommen durch Naturzerstörung irreversibel zu beeinträchtigen.

Das angemaßte Recht der Eltern auf religiöse Indoktrinierung müsste allerdings – rigoros beschnitten werden.