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Montag, 04. Februar 2013 – Kapitalistische Kirchen

Hello, Freunde des Laizismus,

bis zu 100% zahlen die Länder die Kosten von Kindergärten, die sie komplett dem Regiment der Kirchen überlassen. Warum tun das die Länder? Um Kosten für Verwaltungspersonal zu sparen, sagen sie. Dabei subventioniert der Staat die Kirchen mit 45 Milliarden pro Jahr.

Die Mitte der Gesellschaft wird von einem lila-schwarzen Block der Kirchen beherrscht, den größten Arbeitgebern der Republik mit über einer Million Abhängigen, die zum rechten Glauben gezwungen werden, wenn sie einen Job haben wollen. Das ist ökonomische Erpressung zum Glauben. Jede Form der Erpressung ist Gewalt.

Früher wurden Heiden mit dem Schwert zum Glauben gezwungen, heute mit dem Geldbeutel. Glaub, dann kriegst du einen Job.

Im Kapitalismus kann man gegen Geld menschliche Gefühle, Bewunderung, Untertänigkeit und Sexualität kaufen. Für Ludwig von Mises, einen der österreichischen Väter des Neoliberalismus, war Unabhängigkeit von gegenseitigen Gefühlen die große Freiheit des Zasters. Will ich geliebt werden, muss ich liebenswert sein – was für ein ekelhafter Zwang. Will ich Geborgenheit, muss ich vertrauen – was für ein schauderhafter Gefühlsdespotismus.

Menschliche Beziehungen beruhen auf Gegenseitigkeit, auf Reziprozität, ein Wort, das ursprünglich hin- und herfließen bedeutet. Tit for tat, wie du mir, so ich dir. Die negative Variante ist das Talionsprinzip: Auge um Auge. Wie du mich beschädigst, beschädige ich dich. Das war mal ein großer Fortschritt gegenüber unmäßigen Racheakten.

Das Talionsprinzip gilt Christen als grausames jüdisches Vergeltungsprinzip, das sie

mit Jesu Wort überwunden haben wollten: schlägt dich jemand auf die rechte Backe, halte die linke hin. Begründung: „Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern, so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar. Und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel. Und so dich jemand nötigt eine Meile, so gehe mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem, der dir abborgen will.“

Die verweigerte Überlegenheit der christlichen Liebes-Ethik über die primitive Rache-Ethik des Judentums ist eine Hauptursache für den Hass der Deutschen auf die Juden, eine Quelle des Antisemitismus. Selbst judenfreundliche Gelehrte am Ende des 19. Jahrhunderts schauten auf das jüdische Rache-Ethos herab und empfahlen ihren mosaischen Freunden den Übertritt ins Reich der jesuanischen Agape (Nächstenliebe).

Dabei steht das Gebot der Feindesliebe auch im Alten Testament. „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“ ( Altes Testament > 3. Mose 19,34 / http://www.way2god.org/de/bibel/3_mose/19/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/3_mose/19/“>3.Mose 19,34)

Interessante Begründungen: lieben wie ein Einheimischer? Auch Einheimische kann man hassen. Lieben wie sich selbst? Auch sich kann man hassen. „Denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen“? Wurden die Hebräer in Ägypten geliebt? Dann kann das Land der Pharaonen kein Fronhaus gewesen sein.

Wer ist der Nächste? „Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen Bruder tragen. Weise deinen Stammesgenossen zurecht, so wirst du seinetwegen keine Schuld auf dich laden. An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr.“

Ist der Nächste der Bruder, der Stammesgenosse, der Feind? Hast du es nötig, dir Feinde zu schaffen, damit du sie werbewirksam lieben kannst?

Kain erschlug seinen Bruder Abel. Weil er sich von Gott verworfen fühlte und seinem Bruder die willkürliche Bevorzugung durch Gott neidete. Gott war die Ursache des Brüdermords. Hätte Gott beide Brüder gerecht geliebt, hätte es keinen Brudermord gegeben.

Eigentlich müsste das biblische Liebesgebot heißen: Liebe deinen Bruder nicht nach dem schlechten Vorbild Gottes. Nable dich ab von dem miserablen Beispiel des Herrn. Du sollst deinen Nächsten nicht lieben nach dem Muster deines himmlischen Vaters. Du sollst es besser machen. Seinen Nächsten lieben kann man nur, wenn man sich vom Schöpfer emanzipiert.

Als Begründung für seine Gebote erlässt Gott das Machtwort: Ich bin der Herr. Der Herr ist gerade kein liebender, sondern ein selektierender, die meisten seiner Kreaturen in die Hölle hassender Gott, der sich anmaßt, Befehle über Liebe geben zu können, die er selbst nicht befolgt. Die Moral des biblischen Gottes lässt sich an Heuchelei nicht überbieten. Ihr sollt tun, was zu tun Ich nicht nötig habe. Sind die Kinder Israels abtrünnig und wollen Fest- und Sexgemeinschaft mit anderen Völkern, kommen Straforgien über sie:

„Denn der HERR, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer und ein eifriger Gott. Wenn ihr nun aber Kinder zeuget und Kindeskinder und im Lande wohnet und verderbt euch und machet euch Bilder irgend einer Gestalt, daß ihr übel tut vor dem HERRN, eurem Gott, und ihr ihn erzürnet: so rufe ich heutigestages über euch zu Zeugen Himmel und Erde, daß ihr werdet bald umkommen von dem Lande, in welches ihr gehet über den Jordan, daß ihr’s einnehmet; ihr werdet nicht lange darin bleiben, sondern werdet vertilgt werden. Und der HERR wird euch zerstreuen unter die Völker, und wird euer ein geringer Haufe übrig sein unter den Heiden, dahin euch der HERR treiben wird.“ ( Altes Testament > 5. Mose 4,24 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/4/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/5_mose/4/“>5.Mose 4,24 ff)

Ein wahrer gütiger Vater, der seine Kinder zu Feinden stempelt und sie vom Erdboden vertilgt, wenn sie einen eigenen Willen entwickeln. Dass Juden unter den Völkern der Erde leben, stammte nicht aus eigenem Entschluss, sondern war eine Strafe für ihre Sünden. Die Diaspora beruhte nicht auf einer Entscheidung der Neugierde und des Kennenlernens, sondern war Folge eines Fluchs. Solange Juden in der Fremde leben müssen, stehen sie unter der Strafe ihres Herrn.

Die Kinder Israels sind keine Einheit, sondern Nachfolger eines heiligen Rests. Es gab zu allen Zeiten ungläubige Juden, deren Spuren von gläubigen Juden nach Möglichkeit beseitigt wurden. Auch György Konrad sieht keine Unterschiede zwischen einem Ultrarabbi und einem Spinoza oder Kafka.

Juden müssen immer eine Einheit sein, weil sie nie eine Einheit waren. Ein Hauptgrund, warum es keine jüdische Religionsidentität geben kann. Für Ultras waren säkulare deutsche Juden – die oft nicht wussten, dass sie Juden waren – schuldig an Hitler und Holocaust. Wären die Assimilierten nicht vom Glauben abgefallen, hätte Gott Hitler nicht zum Werkzeug seiner maßlosen Strafe machen müssen.

Die heutige Macht der Superfrommen in Israel beruht auf der unausgesprochenen Warnung: „Israelis, macht nicht noch mal den gleichen Fehler wie die deutschen Jecke-Juden. Ihr kennt die Folgen des Abfalls der Hochmütigen und Gebildeten vom Glauben der Väter.“ Es kann kein Zufall sein, dass die schärfsten Selbstkritiker (= „Selbsthasser“) in Israel deutsche oder europäisch-aufgeklärte Wurzeln haben. (Avnery, Zuckermann, Zimmermann, Grossmann, Burg etc) Der Holocaust bestätigte den frommen Kurs der Ultras und begründete ihre heutige Macht über die säkulare israelische Demokratie.

Das Schicksal des jüdischen Staates wird sich daran entscheiden, welche Population sich durchsetzen wird: die Frommen – oder die Weltlichen, die aus Gründen der Holocaust-Loyalität Schwierigkeiten haben, sich von fanatischen Biblizisten zu distanzieren.

Ist christliche Liebesethik der jüdischen Racheethik des Alten Testaments überlegen?

Nicht unerwähnt darf bleiben, dass im Verlauf der Jahrhunderte die Rabbiner und Schriftgelehrten viele Moralen entwickelten. Die Weisungen des Jesu-Zeitgenossen Hillel ähneln denen von Jesu oft bis aufs Jota: „Hillel galt als weitherziger, geduldiger Lehrer, der die Nächstenliebe und Gewaltlosigkeit lehrte und zahlreiche Schüler hatte. Sein „Gegenspieler“ war Schammai, der die Tora in mancher Hinsicht strenger auslegte. Bis heute sind Hillels Worte in der jüdischen Überlieferung von wesentlicher Bedeutung.“

Die jüdische Ethik hat sich weit über alttestamentarische Racheworte hinausentwickelt und zerfällt in die beiden Schulen Hillel contra Schammai, verkürzt: Liebe gegen Rache. Es ist keineswegs so, dass das Alte Testament das wichtigste Moralsystem des Judentums wäre. Während Christen den heutigen Judaismus mit dem Alten Testament gleichsetzen, haben moderne Juden das Problem der ethischen Unübersichtlichkeit. Die Ultras kennen dieses Problem nicht. Für sie ist das Alte Testament genauso verbindlich wie die ganze Bibel für überzeugte Christen, die der Verbalinspiration der heiligen Schrift anhängen: jedes Wörtchen ist von Gott diktiert und also unfehlbar.

Christen sollen dem Bösen nicht widerstehen. Auf den ersten Blick das genaue Gegenteil zum Alten Testament: „So sollst du Böse aus deiner Mitte ausrotten.“ Wenn dein Bruder, dein Sohn, deine Tochter, dein Weib dich zum Unglauben verführen will, gibt’s keine Gnade:

„… so sollst du ihm nicht zu Willen sein und nicht auf ihn hören; und dein Auge soll seiner nicht schonen, und du sollst dich seiner nicht erbarmen noch ihn verbergen; sondern du sollst ihn gewißlich töten. Deine Hand soll zuerst an ihm sein, ihn zu töten, und danach die Hand des ganzen Volkes; und du sollst ihn steinigen, daß er sterbe. Denn er hat gesucht, dich abzuleiten von Jahwe, deinem Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Lande Ägypten, aus dem Hause der Knechtschaft. Und ganz Israel soll es hören und sich fürchten, damit man nicht mehr eine solche Übeltat in deiner Mitte begehe.“

Gott ist nicht immer erbarmungslos. Einmal schlägt er zu, ein ander Mal erbarmt er sich. Er ist unberechenbar. Zur ethischen Klarheit, die bestimmte unmenschliche Verhaltensweisen ausschließt, ist diese Misch-Moral untauglich. Wenn alles möglich ist, brauchen wir uns über Moral nicht unterhalten. Eindeutige Moral sagt Ja und Nein, auch wenn sie nicht immer weiß, was Ja und Nein ist.

Die Moral der künftigen Menschheit wird das Ergebnis vieler Debatten zwischen den verschiedenen Kulturkreisen sein. Wir müssen erproben und herauskriegen, was das Gute und das Böse im Einklang mit der Natur sein kann. Der bisherige „Dialog“ zwischen den Nationen besteht aus ökonomischen Transaktionen. Außer Wirtschaft nichts gewesen.

Keine Partei würde sich wagen, die Macht der Kirche anzuprangern. In der gestrigen Jauch-Debatte über die Parallelwelt der Kirchen mit Privilegien fiel der Begriff Politik so gut wie nicht. Was kritisiert wurde, waren immer nur Auswüchse der kirchlichen Ideologie, nie die Ideologie selbst. Selbst linke Parteien stehen auf dem Boden christlicher Machtwerte.

Was ist der Unterschied zwischen dem obigen Wort „Rottet das Böse aus“ und den paulinischen Versen aus dem ersten Korintherbrief 5, wo ein Bösewicht „dem Satan übergeben werden soll zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet werde am Tage des Herrn.“

Der alte Weinschlauch, der alte Sauerteig – das Alte schlechthin soll vernichtet werden. „Wenn dein Feind hungert, so speise ihn, wenn er dürstet, so tränke ihn, denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“.

Das also ist der Sinn der Feindesliebe. Der andere soll als Böser stigmatisiert werden, als ob die Erwählten den Himmel warnen wollten: Vorsicht, hier kommt ein Bösewicht, den haben wir mit Agape gebrandmarkt. Der gehört nicht zu uns. Wir taten ihm Gutes, aber nicht um seinet-, sondern um unsertwillen. Wir wollten das Konto unserer guten Taten erhöhen. Er war nur Instrument unserer vorzeigbaren Ablasshandlungen, mit denen wir uns dem Himmel genehm machen wollten. Wen Christen lieben, der ist für Zeit und Ewigkeit gezeichnet.

Dem Bösen nicht widerstehen – für Nietzsche das tiefste Wort des Neuen Testaments – bedeutet: ihr könnt das Böse nicht ausrotten. Versucht es erst gar nicht. Das kann nur der Erlöser, wenn er am Ende der Tage wiederkommt. Die Kohlen auf dem Haupt sind Vorwegnahme des höllischen Feuers. Durch Agape kommt keine Gemeinsamkeit zustande. Das Liebes-Objekt wird kein Freund, kein Geschwister im Herrn. Er bleibt der Andere, der den breiten Weg des Verderbens gehen wird.

Jüdische und christliche Theologen halten den Monotheismus für einen Universalismus. Der omnipotente Gott ist ein Herr, der an allen seine Allmacht erweisen wird, aber nicht alle erlösen wird.

Ein universaler Humanismus wählt niemanden aus und verwirft niemanden. Jeder Mensch ist Mitglied der gleichberechtigten Menschheit.

Bei Jesus in der Bergpredigt aber heißt es: „Gehet ein durch die enge Pforte! Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zum Verderben führt und viele sind es, die auf ihm hineingehen, denn die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, der zum Leben führt und wenige sind es, die ihn finden.“ ( Neues Testament > Matthäus 7.13 f / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/7/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/7/“>Matth. 7,13 f)

Das ist nicht universell, sondern teilt die Menschheit in die Minderheit der Geretteten und die Majorität der Verdammten. Universelle Vernunft hingegen besitzt jeder Mensch. Er muss sie nur entfalten und zur Anwendung bringen.

Christliche Liebe beruht nicht auf Gegenseitigkeit, sie spaltet und trennt für alle Ewigkeiten. Die Rache ist im Neuen Testament, trotz linker und rechter Wange, nicht aufgehoben. Die Rache delegiert der Christ an seinen Gott. Mein ist die Rache, spricht der Herr. Das Böse wird am Ende der Tage überwältigt, aber nicht überwunden. Es herrscht in alle Ewigkeit über mehr Menschen als das göttliche Prinzip.

Das vernünftige Gute will das Böse nicht mit Gewalt ausrotten, denn durch Gewalt wächst es hundertfältig nach. Durch ein besseres Vorbild will es das Böse verlocken, das Gute als bessere Alternative anzuerkennen.

Die christliche Moral ist in keiner Weise der alttestamentarischen Moral überlegen. Ihre angebliche Überlegenheit wird durch Arbeitsteilung erschlichen: der Mensch soll lieben, doch Gott ist für die Rache zuständig. Eine Ursache des Antisemitismus ist diese erschlichene Überlegenheit. Christen spüren, dass ihr moralischer Fortschritt auf Sand gebaut ist, aber sie können es nicht zugeben. Dieser Selbstbetrug muss an jenen geahndet werden, die man vergebens überrunden wollte.

Eine humane Gesellschaft beruht auf gegenseitigen Gefühlen. Liebe und Zärtlichkeit können durch kein Äquivalent erkauft und ersetzt werden. Wer Geld gegen Liebe bietet, erhält keine Liebe, sondern eine Dienstleistung, die abgegolten ist, wenn der Tausch vorüber ist. Nur wer geliebt wird, weil er selber liebt, kann mit dem geliebten Menschen solidarisch sein.

Wer Liebe kauft, ist abhängig von seinem Geldbeutel. Hat er keine Kohle mehr, wird er ausrangiert.

Eine humane Gruppe erkennt man daran, dass Gefühle mit Gefühlen getauscht werden. Was passiert im Kapitalismus? Der Tausch gleicher Gefühle wird zum Tausch von Gütern und Dienstleistungen.

Adam Smith will sich vom Tausch der Gefühle losreißen. „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers; Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eignen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe … Niemand möchte weitgehend vom Wohlwollen seiner Mitmenschen abhängen, außer einem Bettler und selbst der verlässt sich nicht allein darauf.“

An die Stelle gegenseitiger Emotionen treten quantitative Interessen, die nur auf der Basis der Arbeitsteilung funktionieren. Was ich kann, kannst du nicht. Wir brauchen einander, aber nur auf der Basis gleichwertiger Leistungen. In der Welt reziproker Gefühle gibt’s keine Arbeitsteilung. Ich verstehe dich, weil du mich verstehst. Verständnis muss mit Verständnis vergolten werden, sonst fühlt sich der Verstehende ausgenutzt und der Verstandene minderwertig.

Beim Bäcker und Metzger des Adam Smith bezahlt jeder mit etwas anderem. Ob die Tauschgegenstände gleichwertig sind, muss errechnet und künstlich festgestellt werden. Bei reziprokem Gefühlstausch kommt keiner zu kurz. Die liebende Mutter fühlt sich von ihrem Kind geliebt, solange die Beziehung intakt ist.

Gefährdet sind jene Beziehungen, wo einer glaubt, mehr zu lieben als dass er sich geliebt fühlt. Beim Metzger und Bäcker sind die Beziehungen noch übersichtlich. Als Nachbarn kennen sie sich und wissen, wie lange der andere für das Brot arbeiten musste, das er gegen ein Stück Fleisch tauscht, für das er ungefähr gleich lang und hart arbeiten musste. Zudem kennen sie das Maß ihres Wohlstandes und wissen, dass einer nicht viel reicher werden kann als der andere. Die Dinge bleiben übersichtlich, Gleichheit und Gerechtigkeit werden nicht verletzt.

Das betrifft nur den Tausch auf der Naturalienebene. Kaum ist das Geld als abstraktes Äquivalent eingeführt, kaum kann man mit Geld Tauschgeschäfte mit Fremden durchführen, besteht die Gefahr der auseinanderbrechenden Kluft. Die Verbindung von abstrakten Zahlen mit konkreten Dingen ist noch willkürlicher als die von Brot und Fleisch. Zudem fällt im Fernhandel oder in hierarchischen Gesellschaften die Gleichheitskontrolle durch gesellschaftliche Nähe weg.

Die Arbeitsteilung der Tauschwerte wird immer differenter und unübersichtlicher. Die Gesellschaft entfernt sich immer mehr von der Stufe unersetzbarer Gefühle. Was man als Gefühlsausstattung benötigt, erhält man immer weniger dadurch, dass man seine originären Gefühle anbietet. Stattdessen muss man etwas Dinglich-Gefühlsunabhängiges leisten, um mit Hilfe einer abstrakten Äquivalenz ein anderes gefühlsunabhängiges Ding zurückzuerhalten.

Der Kreis reziproker Gefühle auf gleicher Augenhöhe reduziert sich immer mehr auf die Gruppe der Nestfamilie. In der Gesellschaft wird das kalte Prinzip gefühl-loser Tauschverhältnisse installiert, an denen ich nur teilnehmen kann, wenn ich meine Gefühlsbedürfnisse auf ein Mindestmaß schrumpfe.

Da mir der Gefühlsaustausch mit wenigen Familienmitgliedern nicht genügt, beginne ich, mir Ersatzgefühle zu kaufen, die alle den Nachteil haben, dass sie von meiner Leistungsfähigkeit, Arbeitskraft, Berufserfolg abhängig sind. Je weniger ich zu bieten habe, umso weniger werde ich durch Ersatzgefühle gesättigt. Auch der Erfolgreiche kommt auch nicht auf seine Kosten. Durch seine Überlegenheit über andere aber kann er sein Ungenügen vertuschen.

Je mehr der Bereich primärer Gefühle zusammenschrumpft, umso mehr wird die kalte Gesellschaft zum Feld sekundärer Talmigefühle. Schließlich bilde ich mir ein, meine Grund-Akzeptanz im Betrieb zu erhalten. Je reicher ich bin, je auserwählter darf ich mich fühlen. Je kümmerlicher ich mir vorkomme, je mehr kann ich mein Volk zur Urhorde authentischer Gefühle hochschwindeln. Ein Volk, ein Reich, ein Führer. Der Staat wird zum Organismus, weil meine persönlichen Verhältnisse immer unorganischer, leb- und gefühlloser werden.

Adam Smith hat diese Gefahren geahnt. Zuerst verwandelt er die Gesellschaft in eine kommerzielle Tauschgesellschaft. „So lebt eigentliche jeder (!) vom Tausch oder er wird in gewissem Sinne ein Kaufmann, und das Gemeinwesen entwickelt sich letztlich zu einer kommerziellen Gesellschaft.“ Kein Wunder, dass die kommerziell zurückgebliebenen Germanen die Engländer als Krämer beschimpften. Doch auch ihr primärer Gefühlshaushalt war längst defekt und musste sich durch Helden-Visionen kompensieren.

Krämer und Helden – beides waren verkrüppelte Ersatzfiguren emotional verhungernder Völker. Was geschieht in der Krämergesellschaft, wenn ein Mensch nichts zum arbeitsteiligen Tausch zu bieten hat – wie die Mütter, die sich vor allem um ihre eigenen Familienmitglieder kümmern müssen? „Hat dieser Mensch aber gerade nichts zur Hand, was der andere braucht, kann kein Tausch unter ihnen zustande kommen.“

Der lebensnotwendige Gefühlstausch auf gleicher Ebene verflüchtigt sich zum Tausch von Ersatzgefühlen der Ersatzgefühle. Heute fühlt man sich schon als heldenhafter Krämer, wenn man ein Nichts ist in einer Gesellschaft, deren Wirtschaftskraft das des Nachbarvolkes übersteigt. Oder einer Nation, deren Fußballelf Weltmeister geworden ist – obgleich man noch nie einen Ball getroffen hat.

Die Großkirchen als Großunternehmer betreiben einen besonders trübsinnigen Tausch. Sie bieten einen Job und fordern Gesinnung. Zwar fordern auch immer mehr säkulare Betriebe, dass ihre Angestellten an das Unternehmen „glauben“. Aber mehr als folgenlose Lippenbekenntnisse können sie nicht abverlangen.

Die Kirchen hingegen haben Macht über das private Leben. Wer schwul, geschieden oder ungläubig ist, hat keine Chancen mehr im Konzern Kirche. Ohne Glauben kein Job, ohne Job kein Geld. Wer nicht die rechte Gesinnung hat, will auch nicht arbeiten, wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.

Die Kirche zwingt zur rechten Gesinnung, zum wahren Glauben, wie der Gastgeber im Gleichnis vom großen Gastmahl. Da niemand seiner Einladung folgte, sagte der Herr zum Knecht: „Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde.“ Das war die Legitimation zu den Kreuzzügen und zur Zwangsmissionierung in aller Welt. Von diesen Methoden haben die Kirchen noch immer nicht Abstand gewonnen.

Früher durfte das Schwert gezogen werden, um die Menschen zum Glauben zu nötigen. Heute dürfen Sonderrechte selbsternannter Stellvertreter Gottes exekutiert werden. Die Kirchen erheischen, eine antikapitalistische, gesinnungsreine Institution zu sein. Sie sind verwerflicher als jeder profitorientierte Betrieb: ihr Profit ist der Glaube, den sie durch wirtschaftliche und spirituelle Macht erzwingen. Sobald die Seele in die Kirche springt, der Zaster schon im Kasten klingt.