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Tagesmail

Mittwoch, 18. Januar 2012 – Mathematik ist auch Theologie

Hello, Freunde des Ostens,

die östlichen EU-Staaten driften von Brüssel weg und Putin zu. Die ARD nannte gestern das Orban-Regime eine konservative Regierung. Dass deutsche Konservative sich gegen die Orbanisierung verwahrt hätten, wurde nicht bekannt.

Unsere östlichen Nachbarn haben sich abgestrampelt, um in Europa anzukommen. Nach der Euphorie der Freiheit kam auch bei ihnen das Risiko der Freiheit, damit es dem anarchischen Citoyen auf dem Eis nicht zu wohl werde.

Konservare heißt bewahren, vorsichtshalber wird nie hinzugefügt, was denn bewahrt werden soll. Geld, Einfluss, Macht, Religion, Tradition, Rasse? Warum nur assoziiert mit Konservare niemand Bewahren der Menschenrechte?

Im Slogan „Bewahren der Schöpfung“ wird Ökologie auf das Credo der Schöpfung und eines Schöpfers verpflichtet. Was, wenn Natur von Ewigkeit zu Ewigkeit wäre, wie fast alle Welt außerhalb des biblischen Glaubens annimmt? Wenn es also keine Schöpfung gäbe? Dann bedeutete die Formel: „Bewahren von Nichts“. Was soll

im Osten bewahrt werden, wenn demokratische Traditionen gar nicht verankert sind? Antwort: die altbekannten Geister der Unfreiheit, bekannt unter ihren Nachnamen Despotie und Religion.

Das Unwort des Jahres „Döner-Mord“ ist entlarvt, dingfest gemacht und umzingelt. Untaten im Namen des Unwortes kann es nun nicht mehr geben, meint Wort-Experte Prantl in der SZ.

Dann sollten wir auch schleunigst Freiheit zum Unwort erheben, denn im Namen der Freiheit – der wirtschaftlichen, finanziellen – werden täglich Menschen auf der Welt per Hunger dahin gerafft. Das sei der Preis der Freiheit, wer mit ihr nicht zurecht komme, müsse draufzahlen, sagen neoliberale Apostel der Freiheit.

Im Namen der Demokratie eroberte Dabbelju Bush den Irak und brachte Not und Elend übers Land. Weg mit dem Unwort Demokratie, fordern konservative Iraker, die alles bewahren wollen, nur nicht die westlich dekadente Selbstbestimmung der Menschen.

In magisch abergläubigen Kreisen kann man einen Menschen töten, indem man stellvertretend sein Bild durchlöchert. Oder seinen Namen mit Rotstift durchstreicht. Prantl unterliegt einer hierzulande weit verbreiteten religiös abgesicherten Wortmagie. Kennst du das heilige Wort, hast du die Sache. Sprichst du das allmächtige Wort aus, bist du allmächtig. Wer das passende Wort, den richtigen Namen vergeben darf, besitzt Macht über die Benannten.

Gott gibt den Menschen seinen Namen nicht preis, damit kein Geschöpf Macht über Ihn habe. Über alle Tiere des Feldes und Vögel des Himmels aber soll der Mensch herrschen, indem er sie benennt. (Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß, tanzte das lutherische Männchen um das Feuer rum. Denn Luther war es, der den Wortfetischismus zu protestantischem Trutzliede brachte: „Das Wort, sie sollen lassen stahn und kein Dank dazu haben. Der Fürst dieser Welt, wie saur er sich stellt, tut er uns doch nicht, das macht, er ist gericht: ein Wörtlein kann ihn fällen.“

Nun suchen sie das magische Passwörtlein, um den Fürsten dieser Welt zu fällen. Da sie‘s nicht finden, müssen sie unendliche Worte machen und die Republik mit trüben Wörterfluten überschwemmen, die sich als Vierte Macht präsentieren. Der Bundespräsident ist eine hohle Nuss, weil ihm die Macht des Wortes gebricht. Im Gegensatz zu ihnen, den wahren Wortgewaltigen der Presse, die jede Untat mit Ausrotten des urheberrechtlichen Unworts beseitigen.

Ach wie gut, dass jeder weiß, dass das Böse Böse heißt. Wieso ist dies Unwort nicht längst beseitigt, um die Untaten in seinem Namen der Vergangenheit zu überlassen? Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Bösen. Man muss nur oft genug  beten, schon ist das Böse besiegt.

Beten ist angewandte Wortmagie. Über Beten würde Prantl niemals in seiner Edelgazette schreiben, schließlich ist er überzeugter Halblaizist. Aber Beten meint er, wenn er vom Drachenkampf gegen Unwörter und Untaten spricht. Ihr ungläubigen Möchtegernrepublikaner macht nur Worte, predigt er der Republik.

Aus tiefer Not des Glaubens muss das rechte Wort zur rechten Zeit kommen, sonst wird’s nichts mit der gottverlassenen Demokratie. Deswegen hat alles werkgerechte Herumwursteln mit neuen Dateien und polizeilichen Zugriffen keinen Sinn, wenn nicht zuvor ein neues Denken, eine ganz andere Gesinnung über die Gesellschaft kommt: „… zuvorderst ein neues Denken – eines, das anerkennt, dass der Islam und die Muslime zu Deutschland gehören.“

Ein neues Denken ist hierzulande ein zu rechtem Glauben erwachtes Denken, womit wir bei Böckenförde/Habermas angelangt wären: keine Demokratie lebt aus ihrer säkularen Substanz. Ohne Religion geht die Chose nicht.

Ununterbrochen wird der Republik von hinterlistigen Predigern eingetunkt, dass sie Demokratie gefährde, wenn sie sich nicht einem Neuen Denken ergebe, das eine vornehme Umschreibung für den rechten Glauben ist. In Weimar destruierten die Intellektuellen die neue Demokratie mit der standesgemäßen Arroganz, nur platonisch Gebildete seien zur Regierung ungehobelter Massen fähig.

Heute kennt niemand mehr den Namen Platon, an seine Stelle ist ein subkutaner Golgatha-Feuilletonismus getreten. Eine schlechte Stimmung, das Gefühl existentiellen Versagens soll bei den Verantwortungsträgern aufkommen, wenn sie nicht zur Wortmagie ihrer Kindheit zurückkehren.

Und was ist das neue Denken? Eines, das anerkennt, dass Islam und Muslime zu Deutschland gehören. Klingt anrührend fremdenfreundlich und tolerant, sodass jedem Meissner die reuigen Tränen kommen müssten ob seiner christlichen Intoleranz.

Nichts gegen Muslime, im Gegenteil. Doch zu Deutschland gehört nur Demokratie, sonst nichts. Zur Demokratie gehört alles, was Demokratie fördert und nichts, was sie gefährdet. Religionen kann sie dulden, solange jene durch Taten nachweisen, dass sie der Demokratie nicht an den Kragen gehen.

Der listige Prantl hofft, wenn der Islam zu Deutschland gehört, kann auch das Christentum von keinen aggressiven Laizisten und gottlosen Aufklärern mehr in Frage gestellt werden. Religion an sich wäre dann die eiserne Ration im Tornister jeder Volksherrschaft.

Offensichtlich vergaß er, dass Erlöserreligionen alles abräumen, was sich ihnen in den Weg stellt. Demokratien hingegen können alles tolerieren, was nicht wild entschlossen an ihrem Stuhle sägt. Glaubenssysteme und Motivationen haben sie nicht zu bewerten, solange jene nicht gegen Gesetze verstoßen.

In vollem Gegensatz zum Bergprediger, der sich als Gesinnungsschnüffler und Richter verborgener Gedanken betätigt – wer eine Frau ansieht, ihrer zu begehren –, hält sich eine Demokratie an das, was der Mensch in äußerlichen Taten über sich zu erkennen gibt. Ins Innere der Menschen schauen nur Göttersöhne, deren Vikare und gottähnliche Gehirnforscher. Auch welthassende Christen gehören so wenig zu Deutschland wie jüdische Ultras.

Eine reife Demokratie aber toleriert die Dunkelmännerbrigaden, weil sie sich neurotischen Angst- und Furchtsystemen überlegen fühlt und ihrer überragenden Attraktivät auf humane Wesen vertraut.

Es gibt kein Neues Denken unter himmlisch-autoritären Vorzeichen. Es gibt nur das alte, das sich als neues kostümiert. Oder aber sich längst vom Virus der freien Vernunft hat anstecken lassen, um sich vom Alten immer weiter zu entfernen. Diesem Neuen kann geholfen werden. Für Bruder Prantl besteht noch Hoffnung. Wie er allerdings das öffentliche Kuscheln mit Angie rechtfertigen will, ohne den bösen Schein illustrer Kumpanei zu erwecken, muss er erst beweisen.

Es gibt nicht nur, wie bei Wulff, materiellen Mehrwert, den man abstauben kann. Sondern geistigen, atmosphärischen, der sich einstellt, wenn man sich nur noch durch hohen Besuch nobilitiert fühlt. Warum feiert eine freie Gazette ihre Feste nicht mit jenen, denen sie sich angeblich verpflichtet fühlt: den freien Menschen auf freien Gassen und Plätzen? Elitäre Klumpenbildungen mit Schmeichelreden aus erlauchtem Munde zur Bestätigung der eigenen Unverzichtbarkeit sind von Übel, Bruder Heribert!

Kommen wir zur Paranoia der strengsten Wissenschaft, der Mathematik. Ein interessanter SPIEGEL-Artikel nimmt uns mit in die schreckenerregenden Abgründe unserer jugendlichen Schulerfahrungen, wo es gutmeinenden Rechenkünstlern gelang, unsere angeborene Ratio mit Absurditäten dauerhaft zu unterhöhlen.

Wie alt ist der Kapitän, wenn sich auf seinem Schiff  26 Schafe und 10 Ziegen befinden? Antwort der Kinder: 26 plus 10 = 36 Jahre alt. Nicht mal Erwachsene würden sich trauen, die Falle der hinterlistigen Aufgabe aufzudecken, geschweige Kinder, die der überlegenen Einsicht der Autoritäten blind vertrauen.

Natürlich merken sie, dass das Ganze Wahnsinn ist, doch die Pose der Selbstverständlichkeit irritiert sie und macht ihnen den Wahnsinn zur Methode. Der Lehrer muss sich doch was dabei gedacht haben, denken sie; hinter dem Unsinn muss sich ein verborgener Sinn finden lassen.

Zur Rede gestellt, sagt Julia repräsentativ für alle Kinder von sechs bis sechzig, natürlich habe sie den Nonsens ihrer Antwort bemerkt: „Aber das ist nicht meine Schuld. Du hast mir die falschen Zahlen gegeben.“

Merkt jemand, welches Spiel gespielt wird? Es ist das Spiel: credo, quia absurdum. Der Autorität glaub ich alles, und wenn sie den absurdesten Schrott erzählt. Das Kind befindet sich in derselben Situation wie der Gläubige, der den absurden Machenschaften seines Gottes ratlos vis à vis steht.

Hat es in Religion nicht gelernt, dass seine scharfsinnigen Fragen als flach und hohl abgewiesen wurden? Zu oft wurde es der Renitenz und Verstocktheit geziehen, als dass es wie Hiob die Irrationalismen der Autoritäten destruieren dürfte. Auch der aufmüpfige Hiob muss am Ende vor Oberlehrer Jahwe kapitulieren: „Darum hab ich geredet mit Unverstand, Dinge, die zu wunderbar für mich, die ich nicht begriff.“ (Wie der Gläubige seinen Gott rettet, indem er ihm haushoch überlegene Vernunft attestiert, die ein normaler Mensch nicht verstehen könne, so rettet das Kind seine gottgegebenen Pädagogen, indem es Sinnloses in Absurdes hineingeheimnist.

Eine Rettungstat wider alle Logik, wider allen intakten Menschenverstand nennen Theologen Theodizee (Rechtfertigung Gottes). Wer immerfort göttlich Absurdes glauben muss, produziert selbst Absurdes, um jenes zu rechtfertigen – auch wenn er seinen eigenen Verstand dabei opfern muss (sacrificium intellectus).

Merke: in erleuchteten Hochkulturen ist auch Mathematik nichts als Theologie. Wer wachen Kindern solch aberwitzige Texte zumutet, darf sich über deren Leseschwäche nicht wundern. Kinder trauen sich nicht, Nonsenstexte, die in autoritärer Unfehlbarkeit daherkommen, präzis zu entziffern. Aus Angst, am eigenen Verstand irre zu werden.