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Mittwoch, 15. Februar 2012 – Kluge, der Geschichtenerzähler

Hello, Freunde Europas,

wie weiter mit Griechenland? Das Land ist in keinem guten Zustand. Es war absolut notwendig, die Mutter Europas nach Europa zu bringen.

Doch es war fahrlässig, die Augen vor ihren Defiziten zu schließen. Alle anderen osteuropäischen Länder mussten erst ihre EU-Verträglichkeit nachweisen, bevor sich die Schlagbäume heben konnten.

Aus falscher Pietät – wie heute bei Israel – hat man bei den Griechen von Anfang an die Augen geschlossen und sie in ihr Elend stolpern lassen. Nun wird das gebeutelte Land mit großdeutscher Häme überzogen. Die ersten Großindustriellen, wie der Chef von Bosch, fordern den Rausschmiss.

Man stranguliert das Land mit Sparen, der Mittelstand steigt ab, viele Kinder müssen in den Schulen mit Notrationen versorgt werden, Alte und Schwache haben keine Chance.

Die Wirtschaft sackt ab, Steuern werden ohnehin nicht bezahlt, die Reichen schmuggeln ihre Milliarden in die Schweiz, deren Banken vom Elend fremder Völker leben, die von ihren Eliten kannibalistisch zur Ader gelassen werden.

Dabei ist das Land nicht größer als Hessen, wie Ullrike Herrmann nicht müde wird, in ihren TAZ-Kommentaren zu betonen. Für einen der reichsten Kontinente kein unlösbares Problem, wenn er

den Kanon seiner „abendländischen Werte“ ernst nähme. Er nimmt ihn ja ernst, im Kanon steht klar und deutlich: keine Hilfestellung bei wirtschaftlichem Kollaps („bail-out-Verbot“). So klingen abendländische Werte, die bei Solidarität grinsen und im Ernstfall beinharte Gesichter zeigen.

Ganz Europa habe über seine Verhältnisse gelebt, sagen die, die auf die gefräßigen Völker abzielen, welche auf Kosten der Leistungs- und Verantwortungsträger leben, wenn sie am Anteil der steigenden Profite beteiligt werden wollen. Nicht Europa hat über seine Verhältnisse gelebt, sondern die Abräumer und Hasardeure, die ihre Beute in den Tiefen der Schweizer Alpen gesichert haben.

Das Modell Schweiz ist am wenigsten das Modell des Schweizer Volkes, sondern der Welteliten, die sich hier einen sicheren Tresor, weit entfernt von den Steuerbehörden ihrer Heimatländer, eingerichtet haben.

Im eigenen Land auf Kosten des Volkes verdienen, den Profit in der Fremde deponieren. Wo bleibt denn der Herr Markt, der alles richten kann, wenn’s turbulent wird? Hayeks Markt hätte kein Problem, die konjunkturunfähigen Hellenen in der Ägäis absaufen zu lassen.

Das ganze Leben ist ein Spiel und wir sind Kandidaten, hat Hape Kerkeling die Hayek-Hymne kongenial vertont. Neues Spiel, neues Unglück, neuer Hass,. Europa beginnt sich wieder in der Mitte ihrer Gesellschaften abzulehnen.

Die Medien mit Brandbeschleunigern immer vorneweg. Wer im Spiel schlechte Karten hat, muss mit der Brüsseler Wirtschaftspolizei rechnen. Das ist gelebtes Christentum in europäischer Liebes- und Verantwortungskultur: „Meinet nicht, dass ich gekommen bin, Solidarität nach Europa zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Friede, Freude, Eierkuchen zu bringen, sondern Konkurrenz bis aufs Schwert. Denn ich bin gekommen, starke Völker mit schwachen zu entzweien, und saturierte mit hungrigen, und nordische mit südlichen, und protestantische mit katholischen, und katholische mit orthodoxen, und der Europäer Feinde werden ihre eigenen Nachbarn sein. Wer seinen gesicherten Wohlstand findet, der wird ihn verlieren, und wer sein süßes Lotterleben verliert um meinetwillen, der wird es im Jenseits finden.“ Ab, ihr Griechen, ins Jenseits.

Bernard Henry-Levy warnt in der WELT vor möglichen Folgen des Hauen und Stechens in der europäischen Großfamilie, vor „Tyrannei, Anarchie, Chaos – und Faschismus“.

Die einstmaligen niederländischen Musterdemokraten leisten sich eine Freiheitspartei, die ihre Freiheit vor allem von Osteuropäern bedroht sieht. Nun hat sie eine Webseite eingerichtet, auf der man gegen „Lärm, Parken, Verluderung und Trunkenheit“ der osteuropäischen Immigranten hetzen kann. Bulgaren, Polen und Rumänen haben nichts Besseres zu tun, als betuchten Eingeborenen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Besonders diejenigen, die niemand haben will, wie Altenpflegerinnen und Nachtschwestern.

In Italien sterben die Gazetten. Nun das traditionsreiche kommunistische Kampfblatt „Il Manifesto“. Die Vierte Gewalt hing jahrzehntelang am Tropf – der anderen Drei Gewalten. Ohne Staatsknete keine frei-gegängelte Presse. Da wundert man sich nicht, warum ein freizügiger Signore so lang das öffentliche Leben beherrschen konnte. Die Menschen wollen keine Zuhälter-Blätter mehr subventionieren.

Die Krise der Politik ist auch die Krise der Edelfedern. Wenn die SZ Geburtstag feiert, gibt’s kein Volksfest mit Weißwurscht und Radi, sondern Madame Angie wird eingeflogen und auf das Sofa neben die Chefredaktion platziert. Am nächsten Tag erscheint bestimmt ein Verriss der Kumpanei-Fete auf der ersten Seite.

Wenn alle Staats-Diener – die keinem Staat, sondern dem Volk zu dienen haben – so offene Hände zum Abgreifen hätten wie unser ehrbarer, biederer, hochmoralischer Präsidentendarsteller, wären wir längst im ägäischen Chaos versunken.

Unsere armen Gelehrten müssen schon mit durchlöcherten Schuhen in die Vorlesung und bei bafög-verwöhnten Studenten um deren Stulle anstehen. Das dürfe so nicht weitergehen, entschieden arme Professoren des Karlsruher Verfassungsgerichts. Auch Dozenten sollen nun, wie die Presse schon seit Dekaden, auf alle guten Dinge der Republik 10% Rabatt erhalten. Zusätzlich kostenlos eine osteuropäische Putzkraft mit Abitur, damit sie ein standesgemäßes Leben führen können.

Zuvor hatte das Hohe Gericht entschieden, dass Hartz4-Leute kein standesgemäßer Stand sind, sie dürfen nach Sondertarif „Stand- und Ehrlose 2a“ ausgezahlt und müssen nur so durchgefüttert werden, dass sie als industrielle Reservearmee Gewehr bei Fuß jederzeit ihren Dienst am Vaterland antreten können.

Krankmeldungen haben seit 15 Jahren den höchsten Stand erreicht. 13,2 Fehltage pro Jahr bei einem Durchschnitt von 3,5% Kranken sind 13,2 mal 3,5 zu viel an Leichtsinn und Hedonismus.

Was sagt uns die Meldung? Dass vor 15 Jahren die neoliberale Welle begann, als Hundt & Henkel den Untergang Deutschlands prophezeiten, den blauen Montag und das Schäppchen-Weekend in jeder Talkshow als Todesengel an die Wand malten.

Soll dieses anschwellende Simulantengeheule das Ende des raffenden Kapitals sein? Sind Vorgesetzte menschlicher geworden, weil sie auf das inländische Arbeitermaterial angewiesen sind und auf Osteuropäer verzichten wollen?

Aber nein. Die Leute haben nur gelernt, dass man hin und wieder krank machen muss, um nicht ernsthaft zu erkranken. Mach mal Pause, entspann dich, bleib öfter zu Hause, damit du nicht vom Burnout befallen wirst. Da schreibt dich kein Doktor krank, weil Ausgebranntsein es zur richtigen Krankheit noch gar nicht gebracht hat.

Heute braucht man keine Stechuhren mehr, um Abhängige zu kontrollieren. Wer hat die Stechuhren eingeführt? Richtig, die Benediktiner mit der Losung „Bete und Arbeite“. Sie waren die ersten, die die Zeit auskauften und Franklins „Zeit ist Geld“ vorbereiteten.

Obwohl sie noch keine modernen Uhren hatten, hört man noch heute ihre dröhnenden Zeitmesser. Es sind die Glocken, die den Menschen einbläuen, was die Glock geschlagen hat. Man könnte von Stechglocken im Dienste des Großen Uhrmachers sprechen.

Früher war es der Nachwächter mit der Laterne, der den Menschen sang: „Hört, ihr Herrn und lasst euch sagen, unsere Glock hat Zwölf geschlagen. Zwölf, das ist das Ziel der Zeit, Mensch, bedenk die Ewigkeit.“

Was die Glock heute geschlagen hat, dazu brauchen wir keine Nachwächter, wir haben Alexander Kluge, der heuer 80 geworden ist und immer nach Zwölf den freien Sendeplatz der Privaten mit Quotenkillern fühlt.

Wenn man niemanden sieht, nur eine unaufhörliche, leicht hyperventilierende Stimme hört, die ihre Gäste befragt, indem sie ihnen alles zuvor ins Ohr flüstert, was die eh nie verstanden haben, dann haben Sie Deutschlands letztes universelles Genie eingeschaltet, das so enzyklopädisch gebildet ist wie Alexander von Humboldt und Günter Jauch zusammen.

Er ist das Maskottchen der Feuilletonisten und schon jenseits von Dumm und Böse. Alles, was er treibt, ist so unvergleichlich, dass man ganz neue Huldigungskategorien erfinden musste, um ihn überhaupt ehren zu können. Kluge ist individuum ineffabile, was auf Deutsch ein gottähnliches Wesen ist. Auch den Herrn des Himmels kann man mit niemandem vergleichen, ein Wort, das bekanntlich von gleich und gleichmachen kommt.

Wenn man die Lobreden auf den Klugen liest, wundert man sich, dass er sich vor dem erlesenen Publikum des Grimme-Institutes noch nicht in die Lüfte erhob und mit verklärtem Gesicht gen Himmel gestiegen ist.

Laut SPIEGEL ist der Geehrte, er möge alt werden wie Johannes Heesters: Biograf, Sammler, Geschichtenerzähler, großartige Mehrfachbegabung, Künstler und Geschäftsmann. Gesprächskünstler, sanft, aber hartnäckig, gleichzeitig kompetent und staunend, hart verhandelnder Anwalt und Träumer, hart rechnender Produzent und Künstler. (Mehrfachbenennungen sind unvermeidlich und notwendig). Fälscher im Dienste der Aufklärung – upps?, Rechner im Auftrag der Poesie, der leise spricht, um die Welt zu zwingen, zuzuhören.

Vorausgesetzt, man hat RTL eingeschaltet, wo auch SPIEGEL TV zu sehen ist. Ein unvergleichliches Gespann. Verglichen mit diesem Gesprächskünstler muss Sokrates ein Simpel gewesen sein, der mit schlichten Worten immer dasselbe sagte.

Gottlob, die Deutschen haben die Griechen überwunden. War Platons Lehrer der Erfinder der Mäeutik, (des erkenntnisfördernden Dialogs als Hebammenkunst), ist Kluge der Totengräber derselben. Weg mit dem Alten, wir schauen streng und borniert in die Zukunft.

Was der Geehrte zu den Zeitläuften zu sagen hat, erfährt man nur, wenn man seine voluminösen Bücher gelesen hat. Und nicht mal dann. Erzähl mir keine Geschichten, pflegte Großvater zu sagen, da gab es den Geschichtenerzähler Kluge noch nicht, sonst hätte er sich eines Besseren besonnen.

Die FAZ meint: „Kluge sucht insofern nicht die faktische Wahrheit über das von ihm Berichtete, und noch weniger geht es ihm um Kunstschönheit oder gar Stil. Das Urteil, der könne doch gar nicht schreiben, greift am Sinn der Geschichten vorbei.

Seine Literatur zielt auf das Wiedererkennen des Unbekannten.“ Auch hier hat er Platon übertroffen, der nur das ehedem Bekannte, im Leibe Verdrängte, erinnernd wieder erkennen kann. Das Ganze ist überschrieben mit dem griffigen Slogan: „Die Nachtapotheke der Aufklärung.“ Heißt das, der „Fälscher im Dienste der Aufklärung“ bettet dieselbe zur wohligen Nachtruhe, damit sie endlich die Klappe hält?

Die TAZ bemerkt, der Jubilar werde wie „eine schillernde Mischung aus Promi und Prophet herumgereicht und zu allen sieben Welträtseln befragt“. Die Kluge-Antworten zu den Welträtseln sind nicht überliefert.

Gestern, selbe Welle, selbe Stelle, hörten wir von Bazon Brock, Lösungen und wirkliche Antworten könne es gar nicht geben. Ist Alexander der ganz Große etwa die Reinkarnation eines gewissen Rudolf Steiner, der auch alles wusste und von Peter Sloterdijk über alles bewundert wird, der inzwischen auch den Anspruch erhebt, der Gesamtguru der Zeit zu werden?

In Freiburg fliegt man aus der besten Gesellschaft, wenn man die dreigliedrige Staatstheorie Steiners nicht für demokratisch hält. Da müssen die beiden, Kluge und Sloterdijk, wohl in die Endausscheidung bei Stefan Raab in dessen neuer Sendung: Unser Denker-Star für Baku. Habermas hält sich bereits ungewählt für gekürt, aber nur, weil er vor Jahren in der Oberpfalz den Segen des Papstes erhielt. Vielleicht kann man ihn mit dem Sonderbambi für sein Lebenswerk besänftigen.

Vor kurzem stellte ein Mensch, er muss ziemlich prosaisch gewesen sein, die Frage: wo sind denn unsere Intellektuellen geblieben, warum beziehen sie keine Stellung zu den Zeitfragen, die den Rest der Welt beunruhigen?

Jetzt kennen wir die Antwort: sie werden von den Gazettenschreibern in internen Zirkeln wie Matrjoschkas gehalten. Man kann sie öffnen, wie man will, immer erscheint zum Ergötzen des geladenen Publikums das kleinere Ebenbild des Ebenbilds. Hört ihr, wie sie sich vor Entzücken auf die Schenkel schlagen, enzensbergern, prousten, adornen und lachen?

Wer sich für Intellektuelle näher interessiert, lese bis zur nächsten Gemeinschaftsstunde das Büchlein eines wirklichen Intellektuellen, nämlich das von Julien Benda: „Der Verrat der Intellektuellen“.