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Mittwoch, 14. November 2012 – Rassismus ist ein leeres Wort

Hello, Freunde der Grünen,

ein Shitstorm versteht sich von selbst, dem Großen Lümmel muss man alles zutrauen. Ein Candystorm würde den Shitstorm egalisieren, doch das entspräche nicht der neuen Metaphysik des Shits.

Sie sang das alte Entsagungslied,

Das Eiapopeia vom Himmel,

Womit man einlullt, wenn es greint,

Das Volk, den großen Lümmel.

Als wir noch Deutsch greinten, hieß Shit das Böse, doch das klingt nach dem muffigen Dr. Faustus, der schon als Knabe böse war, warum allerdings, das konnte uns sein alter Ego, der humanistische Erzähler nie so recht erklären, denn ein echter Humanist hat das Böse mit der Mistgabel ausgemistet.

Man kann nicht sagen, Thomas Mann habe das Problem gelöst. Ein Komponist verkauft seine Seele an den Teufel, damit er in kreativer Dauererregung die Zwölftontheorie von Schönberg erfindet (die der Nobelpreisträger im amerikanischen Asyl von Theodor W. Adorno gelernt hatte). Und diese Genie&Wahnsinn-Ermüdungen sollen die NS-Schrecken symbolisieren? Das Böse muss genial sein, weshalb nur die genialen Deutschen des Diabolischen mächtig waren.

Heute sind die Deutschen nicht mehr genial. Zum Leidwesen aller Buschkowskys und Nachrichtenredakteure sinken ihre Kriminalitätsquoten, nicht mal die weltbewegenden Finanzverbrechen gehen auf ihre Konten. In Derivaten ist Wallstreet wesentlich begnadeter als Ackermann und Maschmeyer zusammen.

Ein deutscher Professor hat sich mit den Flüchen der Völker beschäftigt. Und tatsächlich, die Deutschen fluchen anal. Im Gegensatz zu den Flüchen heißblütiger Mittelmeerländer, die eher andere Glieder verfluchen als den Schließmuskel, weswegen der protestantische Norden und der katholische Süden europa- und finanztechnisch nie zusammenpassen können.

Hier merkt man die Borniertheit der Eurokraten, alles nur unter pekuniären Gesichtspunkten zu betrachten, anstatt unter naheliegenden gruppendynamischen Fragen: wie passen die europäischen Vater- und Mutterländer oral, anal und genital-ödipal zusammen?

Brüssel, wo ein daueraktiver Männeken Piss im Mittelpunkt des Interesses steht, hat dieses integrationswidrige Problem noch nicht erkannt. Die sind eher mit dem Krümmungsgrad der Bananen beschäftigt, was allerdings auf phallische Kastrationsängste schließen lässt, wenn der europäische Standardphallus nicht mehr oral den aufrechten Gang einüben kann.

Es ist natürlich Unfug, die Deutschen als anal zu bezeichnen. Sie sind goetheanisch, selbst das Fluchen lernen sie im Deutschunterricht bei Götz von Berlichingen. Hätte Götz berlichingisch den Kohl angeflucht, wäre der ganz gelassen (Gelassenheit ist die Lieblingstugend der ADHS-Politiker) geblieben und hätte geantwortet: kommt darauf an, was hinten rauskommt.

Was ich eigentlich sagen wollte: der Candystorm passt nicht ins mediale Bild des korrekten Bösen, das man so altbacken heute nicht mehr formulieren würde. Heute würde man in fließendem Diarrhoe-Amerikanisch sagen: Shit happens. Shit ist in einer analen Gesellschaft nicht erklärungspflichtig, aber sein Candy-Gegenteil.

Dass das bajuwarische Prachtweib Claudia Roth von ihren Freunden und Freundinnen irgendwann in die Wüste geschickt werden würde, war nach vielen „Claudia nervt, die schrille Nudel Claudia“ fällig. Doch als der Zuckersturm den Shit konterkarierte, kam der SPIEGEL in nicht geringe Formulierungs-Nöte. Man kann doch nicht schreiben: die Grünen bereuten die Wahl der kühlen Stiefmutter und wollten wieder zurück an die große Brust der gefühlsechten und wahren Mutter.

Also schrieben sie preußisch-militaristisch: Befehl zum Liebhaben. (Veit Medick im SPIEGEL)

Den völlig unsensiblen Hamburgern erschließen sich tiefenpsychologische Geheimnisse einer Gruppe nicht. Wenn man die sinnliche Mutter watscht, die unsinnliche wählt, um die sinnliche wieder mit Liebesstürmen zurückzuerobern, dann „wirkt das alles natürlich ziemlich schräg“.

Mitnichten. Die Pastorin braucht man für die Sonntagspredigt und die Arbeit draußen in der kalten Welt, zusammen mit dem kopfgesteuerten Vater Jürgen. Zu Hause will man etwas zum Knuddeln und Spielen.

Die Grünen erproben hier die Familie der dynamischen Zukunft. Zwei kühle Eltern im Außendienst, der mütterliche Wonneproppen zu Hause. Kinder der Zukunft brauchen eine solche multifunktionale Nestgruppe. Marianne Sägebrecht erklärte neulich zu Recht, der Mann braucht mindestens zwei Frauen, eine weise, erfahrene zum Reden und eine junge für den unheiligen Rest.

Kinder brauchen mehrere Eltern, mit unkeuscher Bigamie hat das nichts zu tun. Man sollte von Triparentismus sprechen. Um ein Kind zu erziehen, brauchte man früher ein ganzes Dorf. Da sind drei Eltern heute doch wahrlich nicht zu viel verlangt.

Diese konkrete Utopie hat Bascha Mika übersehen, als sie in ihrem BZ-Kommentar den Grünen vorwarf, allzu wohltuend normal geworden zu sein. Mit dem Übergang von der bayerischen art de vivre zum protestantischen Arbeitsethos haben die Grünen endlich die Trennungslinie des Main überwunden und Preußen und Bayern genial zu einem ökumenischen Harmoniemodell zusammengeführt.

Aufklärung und Barock, Ratio und Dirndl, Kant und das romantische Waldhorn: die Grünen schaffen die deutsche Synthese der Zukunft.

Göring-Eckardt war in einem früheren Leben eine glühende Verfechterin von Hartz4, schreibt Bascha, dann kann sie gleich die Rolle der vorbildlichen Sünderin übernehmen.

Auch koalitionstechnisch sind die Grünen allen Parteien weit überlegen. Für Rot-Grün die dralle Claudia, für Schwarz-Grün die karge Katrin, die den Schwarzen dann gleich zeigen kann, wo der Herr der Heerscharen den Most holt. (Bascha Mika in der BZ über die Grünen)

 

Ostdeutschland wird immer rassistischer. Mehr als der Westen. Rassismus ist eine Leerformel. Die Deutschen werden immer mehr von den Dämonen ihrer Vergangenheit ereilt, die sie angeblich so toll bewältigt haben.

Bei der westlichen Bewältigung lagen die Ossis im sozialistischen Winterschlaf und hörten von ihren SED-Bonzen, die DDR hätte kein Naziproblem. Die Verbrecher seien alle im Westen. Das richtige Sein bestimme das Bewusstsein, also könne es im antikapitalistischen Sein kein rechtsreaktionäres Bewusstsein geben.

Da hatte Marx nicht mit Freud gerechnet. Die Psychologie der Generationen ist klassenunabhängig. Was nicht bearbeitet ist, kehrt wieder – völlig unabhängig von jedem Sein. Hier rächte sich der engstirnige Materialismus, der im Namen einer falschen Mutter (Mater) den „Geist“ den Popen in die Arme getrieben hatte.

Eine wahre Mutter ist nicht geistlos, und den Begriff Geist sollte man nicht den Gottesdienern überlassen. Mutter Natur ist Materie und Materie ist Geist, denn weder ist Geist spirituell noch Materie geistlos.

Ein kleiner Blick in ein philosophisches Lexikon unter Hylozoismus hätte genügt, um den Materialisten die begriffsstutzige Mutter auszutreiben. Dabei hatte das schlaue Karlchen noch eine Doktorarbeit über griechische „Materialisten“ geschrieben (über Demokrit und Epikur). Doch es muss ihm entgangen sein, dass Hyle Stoff und Zoe Leben ist und beide wesensmäßig zusammen gehören.

Stoff oder Materie ist Leben und eine unlebendige Materie gibt’s nicht, sonst hätte Mutter Natur kein Leben, Geist und Bewusstsein zustande gebracht. Das wussten bereits die ersten griechischen Philosophen, die man Naturphilosophen nannte, weil sie von der entzückenden Mutter Natur ins Staunen und Denken gebracht wurden.

Schau an, Kant hatte es genau gesehen, aber Marx Kant nicht genau gelesen: „Der Hylozoismus belebt alles, der Materialismus, wenn er genau erwogen, tötet alles.“

Da kann man sehen, wie das falsche DDR-Bewusstsein nicht unschuldig am heutigen Aufkommen des Neonazi-Rucks ist. Denn hätte die SED sich mehr mit Hitler-Resten in den Seelen der Proleten – also in den eigenen – beschäftigt, gäb‘s heute nicht so viele flächendeckende Neonazi-Winkel in Ossiland.

Was selbstredend nicht bedeutet, der Westen sei klinisch rein. Hier zeigt sich der Ungeist der Vergangenheit gleichfalls, nur in einem anderen Aggregatzustand. Im Westen glaubt man die Bürden der Vergangenheit überwunden, weil man mit jeder Klasse pflichtgemäß in Dachau war. Allein, die Reizüberflutung durch den geballten Schrecken macht noch kein Bewusstsein.

Das wissen selbst Journalisten nicht, die – wie jetzt ZDF-Kleber – ein paar mal die Welt umrunden, um Trivialitäten in einem Buch zu beschreiben, als hätte er den Klimawandel erfunden und China als zukünftige Weltmacht entdeckt (gestern bei Quasseltante Maischberger).

Der westliche „Rassismus“ ist das Produkt schulisch-stupider Vergangenheits-bewältigung, der östliche das Produkt fehlender Vergangenheitsbewältigung.

Arno Widmann beschäftigt sich mit dem Rassismus, aber auf unanalytische Pastorenart: erklärt wird nichts, aber mit erhobenem Finger ermahnt, ja vor der eigenen Tür zu kehren. Da kriegt jeder Mensch ein schlechtes Gewissen, doch niemand weiß, wo er zu kehren beginnen soll. (Arno Widmann in der FR: Die Mitte rückt nach rechts)

Der Bundesrepublikaner ist kein Strolch und kein Bösewicht, er möchte sich liebend gern ändern. Doch wie?

Da versagen die Moraltrompeter von Kanzel und Gazetten. Denn sie wissen es selber nicht. Behaupten sogar steif, das könne man nicht wissen. Das Böse sei unerklärbar.

Halten die Autoritäten unsere Kinder für hirnverbrannt? Einerseits wollen sie den Nachwuchs über das 1000-jährige Böse aufklären, damit sich das Schreckliche nicht wiederholt. Andereseits erklären sie das Böse zum theologischen Bösen, was aber seit Adam und Eva nicht im Geringsten erklärt, sondern mystifiziert und dämonisiert wird.

„Die Schlange aber war listiger als alle Tiere des Feldes.“ Auch listiger als das weibliche Tier Eva? Die meisten haben noch nie eine Schlange gesehen, einheimische sind völlig harmlos, die sollen das Böse absondern?

Ach so, nur ein Bild, gelle? Wo bitte, ist dann das Nichtbild? Das kann wohl nur die Erbsünde sein. Durch Zeugung übertragen wie eine Infektion, weswegen man von Erbsünde spricht, die jedem Kind in die Gene eingeritzt wurde?

Nachdem geistbegabte Naturwissenschaftler das Gottesteilchen und das Gottesgen gefunden haben, wär‘s allmählich an der Zeit, das Teufelsgen ausfindig zu machen, damit wir es gegen das Gottesgen austauschen können. Das wäre eine ganz neue Form der Schönheitsoperation, moralische Schönheit inbegriffen.

Meidet das Böse, aber ihr könnt es nicht – es sei, ihr geht in die Kirche und verdreht die Augen nach oben. Dann kommt der Heilige Geist, tritt der Schlange auf den Kopf und alles wird gut.

Augustin hat im Plärren eines Kindes schon das teuflische Hohnlachen hören wollen. Viel weiter mit der Bösen-Hermeneutik haben wir‘s bis heute auch nicht gebracht.

Das bestimmt auch den nicht-existenten jüdisch-deutschen Dialog. Solange kein nichtjüdischer Deutscher dem Magister Germaniae Henryk M. Broder widerspricht, ist alles im grünen Bereich. Doch kaum wagt es jemand, Broders Liebling Bibi zu nahe zu treten, ist Polen offen:

„Der Antisemitismus hat sich bis jetzt gegen jede Aufklärung als immun erwiesen. Der Antisemitismus ist kein abweichendes Verhalten, keine Ausnahme von der Regel, er ist der Normalfall des gesellschaftlichen Verhaltens Juden gegenüber – die Regel eben. Der Antisemitismus hat nur bedingt etwas mit Juden zu tun. Er kommt, wenn es sein muss, auch ohne den leibhaftigen Gegenstand seiner Leidenschaft aus. Juden dienen nur als Katalysator dieses diffusen Gefühls.“

Selbst das partielle Verschwinden der Juden ziehe kein Verschwinden des Antisemitismus nach sich, der Judenhass werde im Gegenteil noch „widerstandsfähiger und noch schwerer auszurotten als das Judentum selbst. Die nach Pinsker hereditäre, als erbliche Charakteristik des Antisemitismus ist eine systemübergreifende und auch systemüberdauernde Eigenart.“

Broder schließt sich ganz seinem Vordenker Pinsker an (russischer Jude, Arzt, Journalist und Vorläufer des Zionismus), Judophobie sei eine „dem Menschengeschlecht eigentümliche, erbliche Dämonopathie, eine blinde Naturkraft, die man entweder in Schranken halten oder der man einfach aus dem Wege gehen muss.“

Nach Broder ist es eine Illusion, die Judenfrage sei lösbar. „Die Judenfrage ist ebenso unlösbar wie die Quadratur des Kreises, und die zionistischen Erwartungen haben sich in dieser Beziehung als ebenso vergeblich erwiesen wie alle vorausgegangenen Konzepte. Die Gründung des Judenstaats hat dem Antisemitismus nicht nur den Boden unter den Füßen nicht entzogen, sondern dem paranoiden Mythos von der jüdischen Weltverschwörung neue Nahrung gegeben. Hier sind alle zionistischen Theoretiker einer trügerischen Hoffnung aufgesessen, einer Illusion, die ihrem – verständlichen – Wunschdenken entsprungen ist. Vielleicht ist die jüdische Auserwählung so zu verstehen, dass die Juden das auserwählte Volk des allgemeinen Hasses sind (Pinsker).“  

„Die Judophobie, von der Pinsker spricht ist nicht nur gegen jede Form der Aufklärung immun, die einzige Stimme, auf die sie hört, ist ihre eigene.“

(Alle Zitate in Henryk M. Broder, „Der Ewige Antisemit“)

Hätten Broder und Pinsker Recht, wäre alle Aufklärungsarbeit in der Nachkriegs-BRD ein schlechter Scherz, nichts als Maniküre, eindressiertes, äußerliches Wohlverhalten, welches bei jeder Gelegenheit, aus unerfindlichen Gründen, ausbrechen und seine verborgene Fratze zeigen könnte.

Nun wird Broders Strategie des vorbeugenden Funkenausschlagens verständlich. Wehret den Anfängen sofort mit der Grobkeule, zeigt den Bösen stets den ganzen Instrumentenkasten der Bedrohung. Worunter der Vorwurf des Antisemitismus viele Dekaden lang als das wirksamste Droh-Therapeutikum galt. Doch wie bei den Antibiotika zeigt sich eine immer größere Resistenz, da kann man die Dosis erhöhen, wie man will.

Lasst alle Hoffnung fahren, ihr Vergangenheitsbewältigungs-Träumer, so die trostlose Botschaft des bisher schlagkräftigsten, prophylaktischen Antisemitismus-Bekämpfers in Deutschland.

Versteht sich von selbst, dass solche pessimistischen Thesen in der Öffentlichkeit nicht debattiert werden. Broders Buch wird natürlich nicht in den Oberstufen gelesen. So hat sich über Jahrzehnte eine nationale Double-Bind-Situation ergeben. Macht Aufklärung, wehret den Anfängen, aber glaubt nicht, dass ihr durch Aufklärung oder sonstigen guten Willen den Anfängen wehren könnt.

Kein Wunder, dass bei dieser Einstellung die meisten Juden auf gepackten Koffern sitzen (so neulich erst Charlotte Knobloch). Denn jeden Augenblick kann sich der Abgrund öffnen. Ignaz Bubis war ein rastloser Aufklärer in fast allen Schulen der BRD. Aber auch er war der Meinung, die Ursache des Nationalsozialismus sei das Böse und das Böse unerklärbar.

Wie sind die Reaktionen auf diese Broder‘sche Antipädagogik? Meint er seine Thesen ernst? Oder macht er paradoxe Intervention der Art, je unerreichbarer die Latte hängt, je mehr strengen die Tätererben sich wenigstens an?

Würde er es ernst meinen, wäre seine Haltung identisch mit der jesuanischen Bergpredigt. Nach Luther hat Gott sein unerfüllbares Gesetz gegeben, um die Kreatur niederzuschmettern: Herr, deine Forderungen kann ich nie erfüllen. (Wer eine fremde Frau ansieht, ihrer zu begehren: ist ein unmittelbarer Reflex und kann nicht abgestellt werden; nicht mal, wenn man sich, wie Origenes, der Begehrungsorgane entledigt.) Das Problem wäre nur zu lösen, wenn die Deutschen allesamt religiös werden würden und ihrem Herrn sagten: was wir nicht können – Du kannst es.

Doch hoppla. Waren nicht die Frömmsten der Frommen unter den Deutschen die schlimmsten Judenhetzer? Das wäre demnach ein Wechsel vom Regen in die Traufe. Doch wenn das nicht hilft, hülfe nur noch eins: die Deutschen müssten Broder in der Praxis beweisen, dass er Unrecht hat und seine Trostlosigkeit leicht übertrieben ist.

Das wäre die typische Reaktion der Philosemiten. Über diese Vorbildmoralisten, die jedes kritische Wörtchen über Israel als Sünde wider den Geist betrachten, wird viel zu wenig geschrieben. Was damit zusammenhängt, dass sie selbst am meisten beobachten, warnen, schreiben und den Pessimisten Broder durch vorbildliche Wächterarbeit widerlegen wollen. Deutsch-philosemitische Antisemiten-Jäger waren vor kurzem noch weit aggressiver als Broder selbst. Ein Phänomen, das man bei allen Konvertiten beobachten kann.

Inzwischen haben sich die aktiven Philosemiten unter den Nichtjuden aus dem Staube gemacht. Broder wird immer einsamer, seine Altersattacken erscheinen immer verzweifelter. Das Gleiche gilt für den Zentralrat, dessen Warnungen stets höchst-alarmistisch und in maximalem Schrillton daherkommen und sich damit schnell abstumpfen.

Der Kontrast zu den rituellen Politiker-Gedächtnisreden könnte nicht absurder sein. Dort beschwören unsere gesellschaftlichen Alphatiere die erfolgreichste Vergangenheitsbewältigung, die jemals ein Volk geleistet hätte.

Und dann kommen in regelmäßigen Abständen die Ergebnisse der Umfragen, die wachsende Anzahl rechtsradikaler Gewalttaten. Wie sind dieselben zu erklären, wenn doch alles so vorbildlich gelaufen sein soll?

Es ist nichts mehr zu erklären. Nach Broder war ohnehin nie etwas zu erklären. Es bleibt nur das stumme mea culpa Arno Widmanns und die Hoffnung wider alle Hoffnung: „Wir können uns gegenseitig aufmerksam machen auf die Splitter und die Balken. Dazu ist Gesellschaft da. Sie ist auch ein Erkenntnisinstrument.“

Schöne und richtige Sätze. Doch eins hat Widmann vergessen: was denn soll erkannt werden? Wie sehen Splitter und Balken aus? Wonach sollen wir Ausschau halten?

Widmanns Sätzen spürt man die Vergeblichkeit an. Ach, im Grunde weiß er jetzt schon, es wird alles umsonst gewesen sein. Was bleibt dann? Nur noch die Geste des Zöllners: „Der Zöllner aber stand von ferne und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern er schlug an seine Brust und sprach: O Gott, sei mir Sünder gnädig.“

Die deutsche Gesellschaft spricht nicht. Sie ist verstummt. Würde sie über Gefühle reden, die ihr am meisten zu schaffen machen, müsste sie auch inkorrekte Gedanken und Gefühle äußern. Wie der Patient auf der Couch, der seine Mordgelüste erzählt, um sie zu bewältigen.

Doch die Gesellschaft weigert sich, auch nur den Anflug einer geschützten Atmosphäre zu bieten, wo Unterirdisches und Unansehnliches ans Licht kommen könnte. Es sind die deutschen Philosemiten, die als erste zuschlagen, Feuer und Mordio rufen und hinter jedem unklaren Gedanken und jedem anrüchigen Gefühl den Beginn des Schrecklichen vermuten.

Solche Giftigkeiten wären nicht auszuschließen. Ob sie im Guten oder im Bösen enden, weiß man vorher nicht. Wenn schlimme Gefühle von der Außenwelt akzeptiert und verstanden werden, können sie gutartig verlaufen. Werden sie mit Geschrei und Verachtung als satanisch eingestuft, werden sie auch satanisch.

Wir werden, wie wir uns akzeptieren. Wer es nicht wagt, jene Gedanken zu äußern, die in der Kunst als Ästhetik des Bösen willkommen wären, der wird sein Es nicht zum Ich machen.

Gewiss, die rückhaltlose Selbsterforschung wäre nicht immer ohne Gefahren, aber es wäre der einzige Weg aus dem Schlamassel. Alle anderen Alternativen sind bekannt und haben sich desavouiert. Alles Unliebsame und Missliebige in sich hineinfressen, unsre Ressentiments an unsere Kinder, Fremde und Minderheiten weitergeben, die diese Unverdaulichkeiten in manifesten fremdenfeindlichen Taten ausagieren müssen. Dann dürfen wir wieder den Kopf schütteln über das irreparable Böse in der Welt.

Seine Antisemitismus-Probleme wird Deutschland nicht lösen können, solange es nicht mit seinem christlichen Glauben ins Gericht gehen wird.

Seine Ultra-Probleme wird Israel nicht lösen können, solange es nicht mit seinem jüdischen Glauben ins Gericht gehen wird.

Aufklärung und Erlösungsglauben sind inkompatibel. Die politische Lage bringt es täglich mehr an den Tag.