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Tagesmail

Merkel und die Deutschen

Hello, Freunde der Deutschen,

Kriegsgefahr in Europa. Kampfflieger werden nach Polen verlegt, Kerry verweigert seinem russischen Kollegen Lawrow das Gespräch. Wer nicht miteinander redet, hat meist eine Kalaschnikow im Tornister. Amerikanische Schlachtschiffe durchqueren den Bosporus in Richtung Krim.

Die Kirche warnt vor Krieg, den sie herbeisehnt, um ihre Unersetzlichkeit in Notzeiten zu beweisen. Wenn Panzer rollen, füllen sich wieder die Kirchen. Not kennt nur göttliches Gebot –, wenn demokratische Gebote über den Haufen geschossen werden.

Die vorbildliche Nachkriegszeit nähert sich unwiderruflich ihrem Ende. In der nächsten Epoche, deren Umrisse noch nicht zu erkennen sind, wird die Menschheit:

a) entweder ihre Planetentauglichkeit unter Stressbedingungen zeigen müssen – oder

b) kollektiv von der Erde abtreten – oder

c) apokalyptische Hollywood-Verhältnisse in grauenhafte Realität übersetzen.

Wenige Erwählte, angesiedelt an schönsten Stellen der Erde mit erträglichem Klima, sind mit unbesiegbaren Waffen ausgestattet, die alle Angriffe verwahrloster und marodierender Pöbelhorden mit links zurückschlagen. Das wäre das unwiderrufliche Ende der Gattung homo sapiens, des „weisen Menschen“.

Es wäre die Erfüllung theologischer Überzeugungen unter irdischen Randbedingungen: Viele sind berufen, wenige auserwählt. „Suchet zuerst das Unkraut zusammen und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne. Den Weizen aber sammelt in meine Scheune.“

Die EINPROZENT Weizen der Menschheit hat Gottes Scheunen an den paradiesischsten Stellen der Erde bereits errichtet und ist längst dabei, die

99% Unkraut zu segregieren. Die Erde wird in zwei Hemisphären gespalten sein. In den neuen Gärten Eden werden die Lieblinge Gottes ihr göttergleiches Leben in Saus und Braus verbringen. In klimaverseuchten, überhitzten Wüsten hausen unter schrecklichen Bedingungen die Anwärter der Hölle.

Eine allmächtige Technik, made in Silicon Valley, wird den Verdammten dieser Erde nicht den Hauch einer Chance lassen, die Barriere zu den seligen Inseln zu überwinden. Wenige Übermenschen werden den Planeten beherrschen, die Massen der Untermenschen nach Lust und Laune zu notwendigen Arbeiten zwingen oder quantitativ ausdünnen. Auf Deutsch: zum Hungertod verurteilen.

Das ist der logische Schlusspunkt der heutigen Entwicklung, wenn man sie nicht stoppt.

In Amerika gab es, wie im griechischen Drama, einen Höhepunkt demokratischer Vorbildlichkeit, der ins Gegenteil umkippte, die demokratischen Elemente abwürgte und die puritanischen nach oben spülte. Diese Kippbewegung fand unter dem Hollywood-Mimen Ronald Reagan statt, der den neoliberalen Stimmen Friedman und Hayek zum weltbeherrschenden Wirtschaftsparadigma verhalf.

Seitdem ging‘s bergab – je mächtiger die Dollar-Despotie der Wallstreet und Londons die global vernetzte Wirtschaft an die Kette legte.

(Die europäische Finanzkrise ist zu 100% das Ergebnis des amerikanischen Bankencrashs, behauptet der New Yorker Philanthrop, Popperianer und Milliardär George Soros im spannenden SPIEGEL-Buch „Wetten auf Europa“.)

Die Ursache des neuen Macht- und Geldrauschs lag in der Perspektivlosigkeit eines saturierten Amerika, das nur Leben in sich spürt, wenn Kick, Event und Risiko zur täglichen Neuigkeitsdroge werden. Amerika hatte keine Lust mehr, die vorbildliche Demokratie Nummer Eins zu spielen. Es besann sich seines messianischen Furors und stimulierte alle apokalyptischen Sehnsüchte seines kollektiven Es, die es selbsterfüllend realisieren musste.

Amerika spürte jenen trägen Hauch, den Francis Fukuyama kurze Zeit später als „Ende der Geschichte“ beschrieb. Ende der Geschichte, ohne dass der von allen erwartete Messias auf einem lichtdurchfluteten Ufo mitten in New York gelandet wäre? Undenkbar!

Also zurück zum Drama der Heilsgeschichte mit täglicher Trennung von Spreu und Weizen. Holla, das ist wie Rodeo. Es knallen die Peitschen. Die Guten sitzen oben auf den Sätteln mit weißen Hüten, der tierische Rest wird zu Beefsteak und Hamburgern verhackstückt. Oder gleich zum Abdecker gebracht.

Segregation, Trennung, ist der Kern biblischer Amerikapolitik. Was nicht niet- und nagelfest ist, wird getrennt. Was nicht Nummer Eins ist – so die Regel der Familie Kennedy –, ist Nichts. Rankings in allen Disziplinen sorgen dafür, dass die Himmelsleitern von unten nach oben penibel nach Wertigkeit gefüllt werden. Gleichheit ist Sünde wider den Geist.

(Nur nebenbei: als der junge Kennedy Deutschland zum ersten Mal in der Nazizeit besuchte, traf er nur auf Nazis. Als er seinen Besuch in der Nachkriegszeit wiederholte, fand er keine Nazis mehr. Als er Jahre später als amerikanischer Präsident die BRD besuchte, war seine entscheidende Frage: kann man diesen Deutschen vertrauen?

Heutige Antwort: nein. Seit der misslungenen demokratischen Revolution 1848 haben die Deutschen kein Rückgrat mehr. Wie süchtig rennen sie jeder Bewegung hinterher, die sie für mächtig halten. In der Adenauer- und Brandt-Zeit waren sie überzeugte soziale Marktwirtschaftler. Als die Rot-Grünen Schröder-Fischer den Neoliberalismus von der Leine ließen – Oskar Lafontaine war der Einzige, der sich dem amerikanischen Import verweigerte –, waren binnen kurzer Zeit alle Medien, einschließlich der linken, neoliberal und fanden das Genöle gegen Kapitalismus ätzend.

Heute hat sich der Wind wieder gedreht, die neoliberalen Oberpriester sind wieder abgetaucht. Bis zur nächsten Modebewegung, made in USA! Schröder-Fischer sind heute gut bezahlte Marionetten kapitalistischer Imperien. Natürlich nur mit besten Absichten: der Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft – auch eine amerikanische Erfindung – dient der notwendigen Durchblutung der Gesellschaft.)

Die beschrieben Dystopie (= negative Utopie) wird unvermeidlich sein, wenn die Menschheit sich nicht auf eine gemeinsame positive Utopie einigt. Da letztere verboten ist – wer den Himmel auf Erden will, wird die Hölle errichten – verbleibt nur das Endziel der EINPROZENT: für wenige eine Utopie, für die Masse der Verdammten das Gegenteil.

Eine rationale Utopie ist kein göttlich regiertes Himmelreich auf Erden, sondern eine humane und autonome Zielvorstellung der mündigen Menschheit.

Die jetzige Verschärfung der internationalen Lage bis zur möglichen Kriegsgefahr war abzusehen. Wenn nur noch fremdschädigende Rivalitäten und religiös unfehlbare Selbstauszeichnungen die Perspektiven bestimmen, müssen sie eines Tages zum count down eskalieren. High Noon im globalen Dorf. Wer zieht zuerst das Schiesseisen? Wenn Amerika den Schnupfen hat, bekommt Europa eine Lungenentzündung, pflegte Werner Höfer zu sagen.

Auch Europa befindet sich im unaufhaltsamen Sinkflug. Die europäische Uridee war eine friedliche und solidarische Völkergemeinschaft, die fast 2000 Jahre permanenter Kriege für immer beenden sollte. Die Wirtschaftsform dieser solidarischen Gemeinschaft sollte ausgerechnet die neoliberale Dauerkonkurrenz von jedem gegen jeden sein. Wie eins und eins niemals drei sein kann, können Solidarität und erbarmungslose Rivalität niemals zur Deckung kommen.

Im föderalen Deutschland gibt es finanziellen Ausgleich zwischen reichen und armen Ländern. In Europas Maastricht-Vertrag wurde die Bail-out-Formel als wirtschaftliche Grundmoral der Einzelnationen verboten. Bail out heißt aus der Klemme helfen – oder solidarisch sein. Wie können Nationen Solidarität üben, wenn sie sich solidarisches Verhalten verbieten?!

Kohl, der Oggersheimer, war noch ein leidenschaftlicher Europäer und öffnete stets den großen deutschen Geldbeutel, um europäische Konflikte zu lösen. Für Merkel ist Europa ein Club ehrgeiziger Solisten, wo jeder jeden in den Schatten stellen muss.

(Tiefenpsychologisch könnte man eine Reaktionsbewegung auf erzwungene SED-Solidarität vermuten. Wenn sie eine solidarische Anwandlung in sich spürt, wittert die immer perfekt sein wollende Pastorentochter einen unbearbeiteten Rest ihrer Vergangenheit und merzt jedes solidarische Gefühl in sich aus. Jeder soll für sich sorgen, wie jeder Christ nur seine eigene Seligkeit in Furcht und Zittern verfolgen kann.)

Reinigung durch Leiden, so könnte man Merkels gnadenlose Pädagogik gegen die schwächeren europäischen Partner benennen. Sparzwang ist gut, weil es weh tut. Wen Gott und Merkel lieben, den züchtigen sie.

Dabei vergisst sie – sie lebte nicht im Westen und niemand erzählte es ihr – dass Nachkriegsdeutschland deshalb so schnell auf die Füße kam, weil Amerika den Deutschen großzügig Schulden erließ und einen noch großzügigeren Marshallplan gewährte.

Dass Amerika nicht uneigennützig war und einen starken Partner an der Front gegen den Sozialismus benötigte, spielt keine Rolle. Nicht Motive sind entscheidend, sondern die Taten, die aus den Motiven kommen.

Es ist eine historische Verblendung der exquisiten Art, dass die Deutschen durch souveräne Wohltaten ihrer Befreier wieder auf die Beine kamen, aber ähnliche Wohltaten ihren heutigen Partnerstaaten nicht gönnen. Merkel, verbissen wie eine schwäbische Hausfrau, berauscht sich an der Exportstärke der deutschen Wirtschaft, ohne wahrzunehmen, dass jeder Marktteilnehmer potente Marktnachbarn benötigt, um seine eigenen Waren loszuwerden.

Rationale Wirtschaft ist kein fremdschädigend-eigensüchtiger, sondern ein wohlverstandener Egoismus, der identisch ist mit einem wohlverstandenen Altruismus. Das haben Christen, unter dem Diktat ihres eigensüchtigen Seligkeits-Altruismus, noch nie verstanden: dass man anderen nützen muss, um sich selbst zu nützen. Sentimental lieben muss man den Andern nicht. Es genügt, den gesunden Menschenverstand einzuschalten.

Adam Smith hasste die verlogene Nächstenliebe der Kirchen, die – unter dem Deckmantel der Uneigennützigkeit – nur schamlos ihre eigenen Kassen füllten. Im Mittelalter war der Papismus mit Abstand die reichste Institution in Europa. Die gepredigte Nächstenliebe war eine effiziente Profitquelle.

Merkel hat nie Adam Smith gelesen. Ihr Lernen in westdeutschen CDU-Kadern beschränkte sich auf listiges Inhalieren der jeweiligen Mehrheitsmeinung. In der DDR war der Kapitalismus ihr Klassenfeind. Für die Pastorentochter war der Sozialismus aber gleichfalls ein ideologischer Feind. Was tun in dieser verqueren Lage?

Bloße Reaktionsbewegungen führten in die Irre. Den Sozialismus konnte sie durch kecken Übergang zum kapitalistischen Klassenfeind überwinden. Doch wie sollte sie mit dem ehedem feindlichen Kapitalismus umgehen? Da blieb nur eine Möglichkeit: durch Überidentifikation.

Aus der früheren Kapitalismusgegnerin wurde eine verbissene, übermotivierte Superkapitalistin. Das Ergebnis dieser nie durchdachten Überkreuz-Konversion spüren die südlichen Länder am eigenen Leib. Merkel spielt die strenge Mutter, die ihr Rezept für richtig hält, weil es den verwahrlosten mediterranen Kindern ins Fleisch schneidet. Was die Indianer nicht tötet, macht sie nur härter.

Wenn Merkel schon nicht die deutsche Nachkriegsgeschichte kennt, hätte sie die Anfänge der amerikanischen Geschichte studieren können. Die 13 Urstaaten an der Ostküste hatten fast identische Wirtschaftsprobleme wie die heutige EU. Was taten sie? Genau das, wogegen Merkel sich heute mit Händen und Füßen wehrt. Sie schlossen sich enger zusammen, errichteten eine politische und wirtschaftliche Zentrale, ein gemeinsames Finanzministerium, das nach gleichen Regeln die anfallenden Probleme behandelte.

Doch Merkel, die mächtigste Frau der Welt, die bescheidene Magd Gottes, will keine Macht abgeben. Sie will die Fäden in nationaler Regie behalten. Gegen jeden notwendigen weiteren Schritt europäischer Integration legt sie ihr Veto ein. Überflüssig zu erwähnen, dass sie es nicht für nötig hält, die Völker selbst zu befragen, wie sie ihre europäische Zukunft gestalten wollen.

Der Grund der Merkel‘schen Maulfaulheit liegt darin, dass sie ihren störrischen Nationalismus nicht mehr rechtfertigen kann. Sie scheut zunehmend die öffentliche Auseinandersetzung. Ihr Motto ist schlicht: solange der Laden funktioniert, solange die Wirtschaft brummt, solange machen wir keine überflüssigen Worte. Maul halten und malochen, das ist ihre subkutane Botschaft. Öffentliche Debatten kennt sie aus den Jahren ihrer pastoral-sozialistischen Vergangenheit nicht. Nicht zu viel Geplapper, hat sie bei ihrem Predigervater oft genug gehört:

„Ich sage euch aber, dass die Menschen von jedem unrechten Worte, das sie reden werden, am Tage des Gerichts werden Rechenschaft geben müssen. Denn nach deinen Worten wirst du gerecht gesprochen werden, und nach deinen Worten wirst du verurteilt werden.“

Merkels Charisma beruht auf ihrer Wortkargheit. Das kommt bei Deutschen – die durch viele vergiftete Worte eines Führers verführt wurden – gut an. Wenig schwatzen, viel durchwurschteln, das macht die Qualität einer Frau. „Hüte dich vor der Fremden, die glatte Worte gibt“. Mit honigsüßen Worten verführt die Ehebrecherin; die treue Hausfrau am Herd folgt wortlos den Direktiven der Männer.

Merkel folgt wortlos ihren eigenen Direktiven. Sie will ihre Taten reden lassen. Punkt. Wer diese Rede nicht versteht, will nur alles zerreden.

Warum ist Merkel so beliebt? Weil sie klüger und listiger ist als alle Männer ihrer Umgebung zusammen. Da freut man sich klammheimlich, dass sie die männlichen Großschwätzer zur Kenntlichkeit entlarvt, man könnte fast Mitleid mit ihren Opfern bekommen. Hat sie inzwischen alle Christenmänner entmannt, kommen nun die Genossen dran.

Gabriel läuft schon an der unsichtbaren Leine. In der Edathy-Affäre hat sie ihm ihr Vertrauen ausgesprochen, von einem umgekehrten Vertrauensspruch hörten wir nichts. Er braucht Mami, Mami braucht ihn nicht. Sie schickt die Laienspielgruppe der Proleten auf die Bühne, damit sie sich vor dem Publikum abarbeitet; sie selbst bleibt im Hintergrund und spart ihre Kräfte für das Wesentliche.

In Merkel erkennen sich die Deutschen wie in einem Spiegel. Fleißig und bemüht, machen sie nicht viel Worte. Solange der Laden läuft, läuft er doch. Wo ist das Problem?

Die Deutschen haben in den 68ern bis zum Erbrechen debattiert. Und, was ist dabei herausgekommen? Siehste! Der lakonische Gibbs in der amerikanischen Serie NCIS ist zum Vorbild der Deutschen geworden. Der wortkarge Held ist der wahre Cowboy. (Selbst der Lieblingsschauspieler der Deutschen heißt Schweiger.)

„Seid aber Täter des Wortes. Wer aber kein Täter des Wortes ist, der gleicht einem Mann, der sein natürliches Aussehen im Spiegel betrachtet. Nachdem er sich nämlich betrachtet hat, geht er davon und vergisst alsbald, wie er aussah. Was hilft es, wenn jemand sagt, er habe Glauben, aber keine Werke hat? Vielmehr soll man sagen: Du hast Glauben und ich habe Werke. Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke und ich will dir aus meinen Werken den Glauben zeigen.“

Merkel ist die Mutter der Nation, mit der sie symbiotisch verbunden ist. Wer Merkel kritisiert, müsste zugleich die Deutschen kritisieren. Merkel und ihre Nation sind zum Hindernis für die dringlich erforderliche Weiterentwicklung Europas geworden. Sie genießen ihren Wohlstand und schauen kaum über den Tellerrand. Ihr weltmeisterlicher Tourismus ist Flucht vor der heimatlichen Ödnis – ich bin dann mal weg –, aber kein Dialog mit der Welt.

Deutschland interessiert sich nicht für die Welt. Die Schmähreden der BILD gegen Griechenland, Asylbewerber und Flüchtlinge stoßen nicht auf einhelligen Abscheu. TV-Gesprächsrunden mit obligaten Teilnehmern aus der Fremde – Fehlanzeige.

Je mehr die Welt zusammenwächst, je mehr schließt sich Deutschland ab, saftet und sumpft in sich selbst. Was immer in der Welt passiert, die Deutschen wollen nur den Refrain hören: die deutsche Wirtschaft boomt, der Export steigt.

Deutsche Wirtschaft, deutsche Schläue,

deutsches Bier und deutscher Drang

Sollen in der Welt behalten

Ihren alten schönen Klang

Uns zur Maloche zu begeistern

Unser ganzes Leben lang.