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Hello, Freunde der Medien,

Medien sind Vermittler, Priester sind Vermittler, also sind Medien die neuen Priester. Priester vermitteln zwischen Mensch und Gott, Medien zwischen Mensch und Macht. Priester haben die Schlüsselgewalt und bestimmen, wer in den Himmel kommt. Medien haben die Schlüsselgewalt zu den Etagen der Mächtigen und bestimmen, wer nach oben fährt. Sie bestimmen auch, wer wieder nach unten fährt.

In dieser Hinsicht befinden sich die Vermittler nicht in der Mitte zwischen Oben und Unten, sie befinden sich über den Oberen. Sie stehen an der Spitze des überschaubaren Universums. Sie bestimmen, wer regiert, was wir zu denken haben und ob wir optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft blicken müssen. Wie sie die Welt abbilden, so sehen wir die Welt – natürlich nicht. Oder doch?

Auf jeden Fall sollen wir glauben, dass die Welt ist, wie die Medien sie uns vermitteln. Luther hat die pastoralen Vermittler abschaffen wollen. Jeder ist allein vor Gott. Doch der Reformator ist gescheitert, an die Stelle der Priester hat er ein Buch gesetzt. Ohne Lesen und Fürwahrhalten des Buches gab es keine Vermittlung zu Gott.

An die Stelle des Buches haben die Medien sich schon lange selbst gesetzt. Die Gazetten wurden zur täglichen Bibellektüre. Die modernen Götter sind so weit von der Basis entfernt, dass es ohne Vermittler keine Verbindung zwischen unten und oben gibt. Die Medien haben die luthersche Reformation – jeder ist mündig und spricht unmittelbar zu seinem Gott – rückgängig gemacht. Wir sind

in katholische Schlüsselpriesterverhältnisse zurückgefallen. Wer nicht von BILD entdeckt wurde, den gibt es nicht.

Erst das Internet konnte Luther aus der Versenkung holen und jedem Würmchen die Botschaft vermitteln: auch auf dich kommt‘s an.

Nein, Menschen sind nicht so bescheuert, dass sie alle berühmt werden wollen. Sie wollen gehört und beachtet werden. Doch niemand spricht mit ihnen, niemand hört ihnen zu. Die meisten wissen gar nicht, was sie denken. Das kann man nur herauskriegen, wenn man seine Meinung regelmäßig zur Sprache bringt. Shitstorms sind die ersten Brabbel- und Schreiversuche jener, die ihre eigene Stimme nicht kennen.

Die Welt liegt im Argen, wir müssen sie verändern. Also müssen die Medien radikal verändert werden – oder sie müssen verschwinden. Das ahnen und fürchten sie. Bis zum heutigen Tag schildern sie die Welt, als sei alles in Ordnung – wenn nur der Rubel rollt.

Doch nun können sie selbst nicht mehr verheimlichen, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Die Weltachse hat sich verschoben, sie beginnt zu schlingern und zu trudeln. Wir müssen sie wieder einfangen und stabilisieren, sonst könnte die Evolution kurzen Prozess mit uns machen.

Die Welt, wie sie ist, besteht aus Gutem und Schlechtem. Das Gute sollte man eisern verteidigen, das Schlechte unnachgiebig korrigieren. Denkt der naive Menschenverstand.

Nicht so aber die Medien, die an unveränderliche Gesetze glauben, welche mit Vernunft nichts zu tun haben. Etwa an das Gesetz einer endlos wachsenden Wirtschaft, an das Gesetz des trägen und unmotivierten Menschen, der nur durch Androhen von Abstieg und Ansehensverlust zum Malochen gezwungen werden kann. An das Gesetz des Erfolgs und an das Gesetz des berechtigten Siegs der Tüchtigen und Starken.

Die Geschichte der Menschheit ist ein einziger Auslesetest, nur die Besten werden das Erdreich erringen. Die Guten sind die Erwählten, die als Weizen in die Scheuer gesammelt werden, die Schlechten sind die Spreu, die ins Feuer geworfen wird. Nicht der kluge Instinkt der Einfältigen regiert die Welt, sondern die komplexen Verwirr-Ideologien der Mächtigen, die beweisen sollen, dass sie zu Recht das Erdreich gewinnen werden.

Die Medien sind immer auf der Seite der Macht, Außenseiter bestätigen die Regel. Wie die Priester mit ihrer Macht des Heiligen immer die jeweilige politische Macht unterstützt haben – um mit Hilfe der weltlichen Macht ihre geistige zu verteidigen –, so unterstützen Medien immer die Macht der herrschenden Eliten.

Noch nie haben die „besten Zeitungen“ der Welt wie die New York Times zur planetarischen Revolution aufgerufen. Jaja, zur friedlichen. Im Zweifel haben sie alle Lügen der Regierung gedeckt, alle Märchen der Mächtigen den bornierten Massen als Heilsbotschaft vermittelt.

Die Welt könnte untergehen und die meisten Medien haben den Eliten kein einziges Mal kompromisslos die rote Karte gezeigt. Wie Priester gehören Medien nicht zur Welt. In kühler Distanz umschweben sie den Globus wie die Engelein das irdische Jammertal. Sollte die Menschenwelt vernichtet werden – die Vermittler sind nie davon betroffen. Sind sie nicht objektive Schreiber? Sollen sie noch Aktivisten werden?

Man höre, wie ein Vermittler einen Vermittler als Zentrum des Seins und der Zeit beschreibt:

„S. begegnete unserer Entmündigung durch die Neugründung des öffentlichen Diskurses. Sein großes Projekt war die Suche nach den Bedingungen der Identität. Darauf lief alles zu. Er schrieb Bücher über das Alter, über die Gemeinschaft, über die Digitalisierung im Informationszeitalter und über die Weltgefährdung durch den Egoismus eines computergesteuerten Kapitalismus. S. prägte Begriffe, damit prägte er Wirklichkeit.“ (Jakob Augstein im SPIEGEL)

Ein Vermittler prägt die Welt. Als Einziger, Einzigartiger und Unersetzbarer. Als großer Mann. Als Genie. Als Jesus starb, konnten die Jünger nicht einsamer gewesen sein als die Edelschreiber nach dem Tode ihres deutschen Gurus.

Vermittler sind nicht sekundär, sie bilden die Realität nicht ab, sie prägen die Realität. Nicht die Wirklichkeit, die Vermittlung ist die Realität. Diese monopolistische Devise der Vermittler ist die Devise der Werbe-Illusionisten. Nicht das Produkt entscheidet über seine Qualität, sondern die Propaganda über das Produkt.

Der Schein entscheidet über das Sein. Die Welt ist alles, was der Schein ist. Die Welt muss nicht mehr zertrümmert werden, sie ist bereits durch den kannibalistischen Akt der Vermittler vernichtet, die nicht mehr das Wesentliche der Welt ablichten, schildern, plagiieren, beschreiben, sondern selbst zum nervus rerum der Dinge aufsteigen wollen.

Sein ist Wahrgenommen werden – von den Vermittlern. Was nicht wahrgenommen wird, existiert nicht. Bei den Vermittlern ist die Welt schon verschwunden und hat sich in Reden über die Welt verwandelt. Reden, das mit niemandem mehr redet, wird Geschwätz. Den immer dichter werdenden CO2-Wolken rund um den Planeten entspricht das immer dichter werdende Gewölke der sich selbst begattenden Schreiber.

(Hat es in Deutschland mal eine ähnliche Debatte einer Gazette mit ihren zürnenden Lesern gegeben wie bei der israelischen Haaretz, die sich offen der Kritik an ihrer Berichterstattung stellte? (Gil Shohat in der TAZ) Bei uns darf man mit einer Zeitung „debattieren“, indem man seine Meinung echo-los als Appendix an den jeweiligen Artikel anheftet.)

Was hat der gigantische FAZ-Vermittler geleistet, damit man ihn rühmen kann? Außer seinen Kollegen hat ihn niemand gerühmt. Das Volk kannte ihn nicht. Er war ein Jahrhundertereignis ohne Folgen – aber interessant als Projektionsfigur für Edelschreiber.

Nach mehreren globalen Finanzkrisen hatte er entdeckt, dass wir im kapitalistischen System leben. Die technischen Wunderbubis aus Silicon Valley beschrieb er hymnisch wie die Evangelisten den kommenden Erlöser. Erst der NSA-Skandal öffnete ihm die Augen und aus dem gläubigen Jünger wurde ein Judas der Ray Kurzweils und anderer Übermenschen. Die ökologische Frage war ihm unbekannt. Israel zu kritisieren, war er zu feige. Diese Feigheit nannte er Philosemitismus. Obgleich neubekehrter Kritiker des Kapitalismus kritisierte er keinen Kohl, keine Merkel, keinen Banker und keinen Lebensmittelspekulanten.

Hatte er sich überhaupt geändert? „Ich finde auch nicht, dass ich mich verändert habe. Ich bin wie wir alle nur Zeuge eines Denkens, das zwangsläufig in die Privatisierung von Gewinnen und die Vergesellschaftung von Schulden führte.“

Welche Parallelen zu Thomas Mann, der sich vom Demokratiehasser ins Gegenteil verändert hatte, aber jede Veränderung mit Entrüstung zurückwies! Ein deutsches Genie kann alles und das Gegenteil denken: es bleibt immer derselbe Gott jenseits von These und Antithese, von Wahr und Falsch, von Gut und Böse.

Das also war der, der alle Begriffe prägte: er selbst empfand sich als unbeteiligter Zeuge, als Zaungast eines zwangsläufigen Geschehens. Das prometheische Genie, das die Realität formt wie der Bildhauer den rohen Felsen, war nichts als ein quietistischer Fatalist, ein über sich selbst erschaudernder Prophet der wahren Propheten im fernen Amerika.

Vergleichen wir ihn spaßeshalber mit dem kalifornischen Journalisten und Umweltaktivisten Bill McKibben, so war der deutsche Erlöser ein Donnerhall ohne Folgen. (Bernhard Pötter in der TAZ über Bill McKibben)

Was hat das alles mit Jakob Augstein zu tun? Er ist der Prophet des Propheten der wahren Propheten. Augstein, der im Zweifel links sein will, bewundert einen Schreiber wie einen Heiland, der nie links war und auch nach seiner Konversion – die allein als Verblüffungs-Manöver fürs Publikum gedacht war, um seine „Selbsterfindungskompetenz“ unter Beweis zu stellen – höchstens links posierte. Der die Gefahr der digitalen Überwachung erst erkannte, nachdem die NSA das Handy der bewunderten Merkel angezapft hatte.

Will jemand, der links sein will, nicht die Verhältnisse verändern? Und nicht nur als belangloser Zeitzeuge fungieren, der alles lässt, wie es ist? Wie kann Augstein den Fatalisten Schirrmacher anhimmeln, der nie einen einzigen Gedanken daran verschwendet hatte, Genosse der GenossInnen zu werden und zur grundlegenden Reform der Gesellschaft an Leib und Gliedern aufzurufen?

Journalisten trifft man niemals auf der Straße bei ordinären Demonstrationen, und wenn, nur als kühl-objektive Berichterstatter.

Muss jemand, der links sein will, nicht eo ipso Ökologe sein? Kann es Gerechtigkeit auf der Erde geben ohne der Natur gerecht zu werden? Augstein ist ein leidenschaftlicher Gärtner. Ist er auch ein Freund der Natur? Hören wir ihn:

„«Im Garten kommen wir dem Ziel am nächsten: Herrschaft, Kontrolle, Ordnung.» Schützen Sie gefährdete Pflanzen mit einer geballten, am besten dreifachen Dosis Schneckenkorn. Kein schlechtes Gewissen. Igel kommen eh nicht vor. Und wenn schon: «Igel blühen nicht.»“ (ZEIT Online)

Geht’s kaltschnäuziger? Augstein schwadroniert über Natur wie ein Kaiser-Willem-Offizier über Buschneger. Natur muss kontrolliert werden. Und ist sie nicht willig, so braucht der Gärtner-aus-Hass Pestizide und Gewalt. Und nochmal für den, der‘s nicht glaubt:

„Die Natur, schreibt er, gelte es zu beherrschen. Den Naturzustand gebe es so nicht, ein natürliches Leben sei lebensbedrohlich.“ (FAZ.NET)

Ein natürliches Leben ist lebensgefährlich. So redeten in der vorökologischen Zeit die Dinosaurier der naturfeindlichen Kultur. Mit diesem Naturbegriff hat Augstein – nicht anders als sein verstorbener Mentor – die ökologische Wendung der 60er Jahre nicht mal theoretisch begriffen.

Naturprodukte sind zu 80% Produkte des Menschen und zu 20 % der Natur: so hatte Locke die französischen Physiokraten, die alles von der Natur erwartet hatten, ad acta gelegt und dem naturfeindlichen Kapitalismus den Weg geebnet. Natur ist nichts, die Machenschaften des Menschen sind alles.

Legt ein Linker heute keinen Wert darauf, möglichst naturnah und autark zu leben? Augstein hält nichts von Nutzgärten. Nur Ossis können solche absurden Autarkievorstellungen entwickelt haben. Richtig schreibt die FAZ-Rezensentin: „Radikaler Anthropozentrismus ist die Haltung dieses Gartenbuchs, denn ohne Gärtner gibt es keinen Garten. Der Kernbegriff des ganzen Buches ist die Arbeit.“

In der Tat: der Mensch Augstein ist Mittelpunkt des Universums. Was aber ist mit der Arbeit? Für Augstein ist Arbeit keine Beschäftigung mit der Natur, um sich von ihren Früchten zu ernähren. Augsteins Arbeit ist Domestizierung der Natur, um sie an die Kette zu legen. Das erinnert an Le Notre, den Gartenarchitekten Ludwigs 14.: die Natur ist Magd des Menschen und muss allein dem Herrscherauge des Menschen Vergnügen bereiten, ob die Natur dabei auf ihre Kosten kommt, interessierte keinen gottgesandten König.

Hat ein Linker nicht die Absicht, die bestehenden ungerechten Besitzverhältnisse zu verändern? Hören wir ihn selbst. Auf die Cicero-Frage, ob man seinen Garten nicht teilen soll, antwortet er wie ein ostelbischer Junker:

„Sie zitieren in Ihrem Buch aus Oscar Wildes Märchen vom selbstsüchtigen Riesen, dem sein Garten genommen wurde, sein liebster Besitz, da er ihn nicht teilen wollte. Muss man seinen Garten teilen? Man zieht doch gerade eine Mauer …
… um die Menschen draußen zu halten, unbedingt. Ich bin tatsächlich der Meinung, dass man möglichst wenige Leute in seinen Garten lassen sollte, der Garten ist der Inbegriff des Eigentums, das ist sozusagen auch das Politische des Gartens. Die Grenze, die Sie da ziehen, ist nicht nur die Grenze zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen Drinnen und Draußen, sondern auch zwischen Mein und Dein, und das halte ich für legitim. Das Bekenntnis zum Garten ist das Bekenntnis zum Eigentum. Ein richtiger Sozialist können Sie als Gärtner nur in einer öffentlichen Grünanlage sein.“ (Cicero-Interview)

Ist das noch Spott der gutmeinenden Art oder schon Zynismus der Besitzer-Eliten? Dieser Gartenbesitzer eignet sich hervorragend als Herausgeber einer Postille, die dem Sozialismus nahe stehen soll.

Hat ein Linker kein Verständnis für Schwache, Verfolgte und Gekränkte? Schauen wir mal:

Die heftige Reaktion der deutschen Öffentlichkeit auf die Patrouillengänge salafistischer „Scharia-Polizisten“ verhöhnte der deutsche Edelmann als völlig übertrieben. Die muslimische Journalistin Sounia Siahi widerspricht ihm und schildert die Ängste und Bedrängnisse einer Frau, die von solchen Sittenpolizisten belästigt wird:

„Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass man mit diesen Leuten nicht reden kann. Sind sie erst mal auf dem „einzigen richtigen Pfad zu Allah“, können sie nichts mehr tun. Herr Augstein, ich will mich hier in meinem deutschen Zuhause nicht wie in einem arabischen Land bewegen müssen.“ (Brief von Sounia Siahi an Jakob Augstein und dessen Antwort in SPIEGEL Online)

Augsteins Antwort lässt an patriarchalischer Empathielosigkeit und machohafter Arroganz nichts zu wünschen übrig. Mit muslimischen Frauen kann der weiße Edelmann nichts anfangen: „Ich schreibe natürlich für eine autochthone, hauptsächlich weiße, bürgerliche Leserschaft, die sich darüber Gedanken machen muss, wie sie die offene Gesellschaft am Leben erhält. Und das eigene Ressentiment, die Vorurteile gegen Ausländer, gegen andere Religionen sind ein alter Feind der offenen Gesellschaft.“

Wenn er seine privilegierte Gesellschaftsschicht überprüft – „Check your privilege“ – muss er kühl konstatieren: als Angehöriger der weißen Eingeborenen muss er für eine freie Gesellschaft sorgen. Und die erkennt man – ja woran? An der Toleranz gegenüber Intoleranten?

Augstein benutzt die Popper-Formel, hat aber von dem leidenschaftlichen Demokraten Popper nicht die geringste Ahnung. Freie Gesellschaft bedeutete für Sir Charles nicht laisser-faire gegenüber militanten Gegnern der freien Gesellschaft.

Versteht sich von selbst, dass Augstein sich für die religiösen Ursachen der Scharia nicht die Bohne interessiert. Er selbst zitiert gern Theologisches – schließlich weiß man als Abendländer, dass Religion zur Grundausstattung der freien Gesellschaft gehört –, ob er aber selbst bekennender Jesuaner ist: solche lächerlichen Fragen beantwortet er nicht. Weiße Herren haben andere Gegner zu bekämpfen als ängstliche Frauen mit seltsamem Glauben:

„Sie kennen andere Feinde – weil Ihr Hintergrund ein anderer ist, Ihr Blickfeld ist anders. Das bedeutet, Sie sehen mich gegen die Gegner vorgehen, die ich kenne und beklage, und dass ich denen, die Sie kennen, dabei den Rücken zukehre. So ist das aber, wenn man in einem Gefecht ist, wo die Feinde von zwei Seiten kommen können – wenn ich das mal so militärisch sagen darf. Was ist die Lösung? Ich weiß es nicht.“

Was ist, wenn die Gegner dieselben wären? Das darf nicht sein. In seinem Feind ehrt man sich selbst, sagte Nietzsche und also will der herrische Eingeborene seine ganz besonderen Feinde. Wär‘s anders, müsste er ja mit einem muslimischen Weib solidarisch sein! Wie schrecklich.

Und wie kann man das Problem seiner tapferen Kritikerin lösen? Augstein weiß es nicht. Er bevorzugt die vornehme Noli-me-tangere-Haltung. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ein wenig Demut kann nicht schaden und schützt vor dem Vorwurf der Rechthaberei. Ohne Demut wäre man ja verpflichtet, gemeinsam und solidarisch die Probleme der Welt anzugehen.

Was ist ein Linker à la Augstein? Einer, der sich über alle Ungerechtigkeiten dieser Welt echauffieren kann. Doch von Lösung der Probleme nichts wissen will. Davon träumen nur naive Utopisten und penetrante Gutmenschen.

Das Gezeter der Deutschen über die Scharia-Polizisten hielt Augstein für einen PR-Triumph der Salafisten. Scheinbar bestätigte im Fernsehen ein Sprecher der reaktionären Muslime den PR-Sinn der Aktion. Doch die Bestätigung war selbst eine PR-Finte der besonders raffinierten Art. Indem sie von PR-Aktion sprachen, konnten sie davon ablenken, dass sie in Wirklichkeit sehr wohl die Menschen in Angst und Schrecken versetzen wollten.

Das ist der komplette Sieg des PR-Scheins über die Wirklichkeit. Esse est percipi, Sein ist, was Medien und Propagandisten aus ihr machen. Die Wirklichkeit ist verschwunden. Wichtig ist allein, wie sie verkauft wird.

Kann es sein, dass der FREITAG-Herausgeber ein Problem mit selbstbewussten Frauen hat? Nach der Muslimin, die er kalt ablaufen lässt, kriegt ZEIT-Kollegin Susanne Gaschke ihr Fett ab.

Gaschke hatte die Kühnheit besessen, als politische Quereinsteigerin Oberbürgermeisterin von Kiel zu werden. Dort scheiterte sie in kurzer Zeit. Wegen impertinenter maskuliner Kumpanei – wie sie in einem Buch behauptet. Augstein verreißt das Buch. In einem Stil und Ton, der an die feminismusfeindliche Adenauerzeit erinnert.

Gaschkes Begründung ihrer politischen Karriere lautet: „Unsere Demokratie lebt ganz wesentlich von der Vorstellung, dass prinzipiell jeder Wähler auch selbst für politische Ämter und Mandate wählbar ist“.

Für diese urdemokratische Einstellung hat Augstein nur Hohn und Spott:

„In der Tat, es sollte prinzipiell jeder für die Stelle des Kassenwarts im Kindergarten infrage kommen. Aber auch für die Verwaltung einer mittleren Großstadt mit Millionenbudget? In der Kommunalpolitik geht es nicht um das Bombardement von Syrien – aber sie ist doch darum kein Spielplatz für Amateure mit Ambitionen.“ (Jakob Augstein in SPIEGEL Online)

Für den Hobbygärtner ist Susanne Gaschke nichts als eine schlechte Politikerin, das Buch ein einziger Fall von Selbstmitleid. Demokratie, oh dumme Hobbydemokraten, ist nichts für inkompetente Amateure. Da müssen knallharte Berufspolitiker her. Frauen, die nicht als muskelbepackte Männer auftreten können, haben im politischen Geschäft nichts zu suchen.

Dass Gaschke die größte Schuld bei ihren Gegnern sucht, ist für Augstein schon der Beweis, dass sie falsch liegen muss. Wer sich nicht selbst kasteit, wer auf seinem Recht besteht, muss nach deutscher Medienart am verstocktesten sein.

A priori weiß ein deutscher Vater, dass alle Kinder schuldig sind, wenn sie sich wieder mal die Nase blutig schlugen. Besonders schuldig aber muss sein, wer als ehrgeizige Frau die Machenschaften einer Männergesellschaft aufdeckt und kritisiert. Das muss geahndet werden. Nun wissen wir, warum Augstein nie mit einer Frau Blome im Sandkasten herumalbern würde, wie er es mit Herrn Blome so aufdringlich vorexerziert. Ist doch sein höchstes Männerideal das „spielende Kind“ – so nennt er sein Idol Schirrmacher –, das er aber mit einem kindischen Hallodri verwechselt.

Frauen haben im männlichen Sandkasten nichts zu suchen. Sie haben keinen Humor, man kann schlecht mit ihnen im Schlamm balgen. Frauen raus aus der Arena der Männer, zu der nur virile Berufsprofis Zutritt haben. Mit einer einzigen forschen Attacke erlegt der Dandy-Sozialist das gesamte feministische Frauengedöns der letzten Dekaden. Ein gewisser Schröder müsste sein lupenreines Vorbild sein.

Was bedeutet die Formel: im Zweifel links?

Es ist die Meinung eines aus hoher Sicht auf die Erdenläufte herabsehenden Salonrebellen, dass der Sozialismus, die Suffragetten, die Ökologen, die autarken Selbstversorger, die laienhaften Möchtegerndemokraten, die muslimischen Frauen (welche gegen männliche Bevormundung antreten): dass alle auf dem Holzweg sind, die nicht in vorsintflutlicher Weise die Natur drangsalieren und es wagen, die Vorherrschaft der Männer in Frage zu stellen.

Vor einiger Zeit setzte eine ultra-jüdische Organisation Augstein auf die Liste der zehn schlimmsten Antisemiten der Gegenwart. Das war dreister Unsinn. Doch der Schuss vor den Bug wirkte. Augstein hält sich seitdem – wie sein Mentor Schirrmacher – vom israelischen Thema fern. Die Probleme dieser seltsamen Völkerschaften im Dschungel des Nahost seien unlösbar, behauptete er in einem jämmerlichen Kommentar. Lassen wir also die Finger davon.

Das muslimische Schariaproblem, das palästinensisch-israelische Problem, das Natur-Mensch-Problem, das Feministinnenproblem, die politische Kompetenz mündiger BürgerInnen: alle elementaren Probleme dieser Welt – sind unlösbar. Schon der bloße Versuch bestraft sich mit Lächerlichkeit.

Im Zweifel links, heißt: im Zweifel – links liegen lassen.