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Lupenreine Demokratie

Hello, Freunde der lupenreinen Demokratie,

wie viele unerschrockene Demokraten müssen noch sterben, bis ein deutscher Ex-Kanzler seine Rede von der lupenreinen russischen Demokratie streicht? Oder ist Putin lupenrein, nur seine Untertanen nicht?

„Nicht jeder in Russland ist käuflich. Die herrschende Kaste begreift das nicht, weil Putin sogar Gerhard Schröder einkaufen konnte.“ Hatte Boris Nemzow, der Unbestechliche, kurz vor seiner Hinrichtung geäußert. (Klaus-Helge Donath in der TAZ)

Nicht nur, dass die deutsche Republik keine oppositionellen Demokraten in der Welt wahrnimmt und unterstützt: hiesige Polit- und Wirtschaftseliten (Helmut Schmidt, Merkel & Co) halten die Majorität der Weltbevölkerung weder für freiheitswillig noch für demokratiefähig.

Edward Snowden, USA, Uri Avnery, Israel, und die vielen unbeugsamen kritischen Geister in aller Welt sind für Berlins Superdemokraten keine Erwähnung wert. Wer den unerträglichen Verhältnissen seiner Heimat entflieht und in Deutschland Asyl begehrt, wird hier als habsüchtiger Flüchtling und Eindringling behandelt.

Merkel empört sich nur, wenn Emnid signalisiert, dass die Mehrheit ihres Volkes empört sei. Stimmungen abwarten, bis der Kessel kocht, dann sich an die Spitze der Bewegung setzen, als sei Volkes Stimme ihr aus der Seele gesprochen: das ist eiskalte Herzenspolitik einer himmlischen Machiavellistin, die in den Geschichtsbüchern nur eine einzige Fußnote hinterlassen wird: das Geschäft der Politik betrieb sie so geräuschlos, dass niemand wahrnahm, wie sie zur „mächtigsten Frau der Welt“ aufsteigen konnte. Welche Politik sie betrieb, blieb der Bevölkerung verborgen.

Merkels Hofblatt, die Hüterin der Demokratie, ist über den Bösewicht im

Kreml empört:

„Eine Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass die Opposition den selben Schutz des Staates genießt wie die Herrschenden. Oppositionelle müssen sich darauf verlassen können, dass sie ihre Argumente, ihre Kritik aussprechen können, ohne sich zu gefährden.“ (BILD)

Vor Tagen war BILD so kühn, den griechischen Ministerpräsidenten Tsipras zu stellen, als er eine Veranstaltung in Athen verließ. Warum stellt das Blatt nicht den deutschen Ex-Kanzler – dessen einstiger Sprecher heute stellvertretender Chef der BILD ist –, um ihm die Frage zu stellen, ob seine Rede vom lupenreinen Demokraten Putin noch immer Geltung hat? Und wenn nicht, warum er seine Freundschaft noch nicht demonstrativ beendet habe, um der russischen Opposition ein Signal der Verbundenheit zu senden? Deutschland, die vorbildliche Republik, das käufliche Land.

Erst gestern hatte Christoph Marschall im Presseclub den europäischen Kontinent in drei Teile zerteilt. In den gradlinig protestantischen Norden, den weniger gradlinig katholischen Süden und den völlig andersartigen und hohen europäischen Maßstäben nicht genügenden orthodoxen Teil auf Griechenland, im Balkan und in sonstigen degenerierten Oststaaten.

Müssten wir, Herr Marschall, den käuflichen Ex-Kanzler nicht aus dem strengen Reich der Mitte abschieben und ihn hohnlachend über den balkanischen Niederungen mit dem Fall-Schirm abwerfen? Warum lädt keine öffentlich-rechtliche Talkshow die SPD-Ikone ein, um ihn über Käuflichkeit und lautere Demokratie peinlich genau zu befragen? Zuerst stirbt die Vierte Gewalt, dann die gekaufte Republik.

Die Situation in Russland ist desolat. Die tapferen Regimekritiker sind nicht genug zu bewundern ob ihrer Widerstandskraft trotz aller hoffnungslos scheinenden Verzweiflung:

„Alles hängt von der Entwicklung in der Ukraine ab. Verliert die Ukraine, haben auch wir keine Chance. Kann die Ukraine den Krieg anhalten, der EU näher rücken oder den Bankrott abwenden, haben auch wir den Hauch einer Chance. Ich rufe den Westen auf, der Ukraine zu helfen. Dort entscheidet sich das Schicksal Russlands, Europas, am Ende der ganzen Welt. Uns mit Nadeln zu malträtieren oder mit Zucker zu füttern, macht keinen Sinn mehr. Wir wissen selbst nicht, was in uns steckt. Wir müssen gezwungen sein, uns mit den ewig wiederkehrenden Abgründen auseinanderzusetzen – wie Deutschland nach dem Krieg.“ Sagt die russische Aktivistin Olga Romanowa in einem TAZ-Interview mit Klaus-Helge Donath.

Wie konnte es, nach dem hoffnungsvollen Aufbruch der Russen unter Gorbatschow, zu diesem Zerwürfnis zwischen Ost und West kommen? Solche Fragen sind nicht erlaubt. Politik ist zum Tagesgeschehen verkommen. Übertägige Fragen werden nicht gestellt. Amnesie ist das Gebot der globalen Seinsvergessenheit.

Der Westen will an seinen katastrophalen Weltimperialismus nicht länger erinnert werden und legt Wert auf täglich wechselnde persilweiße Tageswesten. Wir schauen nicht zurück, wir schauen nach vorn. Das ist die Mentalität des schlechten Gewissens, das sich in gottebenbildlicher Anmaßung selbst vergibt, obgleich man auf die Gnade des Herrn angewiesen ist.

(Versteht sich, dass die religiösen Tiefendimensionen des Konflikts ausgeblendet werden. In der ZEIT ein Ausnahmeartikel über tiefgläubige Christen, die den Westen aus religiösen Gründen bekämpfen:

«Wir haben einen gemeinsamen Feind», sagte der Baptist, «den schwulen Westen».„Die orthodoxe Kirche wirft dem Westen vor, Russland dieses Thema aufzudrängen. Patriarch Kyrill rechnete Homosexualität vor zwei Jahren zu den Übeln, die Familien zerbrechen lassen, neben Alkohol, Drogen und Prostitution.“

Nicht nur ISIS-Kämpfer können ihre ungläubigen Bekannten hemmungslos zu Ehren Allahs abschlachten, auch christliche Fanatiker sind jederzeit bereit, ihre ehemaligen Freunde bedenkenlos zu eliminieren – zur höheren Ehre Gottes. Das wollen die hiesigen, ach so humanistischen Deutungs-Kirchen nicht sehen.

Zu seinem ehemaligen theologischen Lehrer sagte ein baptistischer Nachwuchsprediger, ohne mit der Wimper zu zucken: „«Wenn wir uns im Kampf begegnen, werde ich dich töten.» Hartfeld fragte ihn, ob er mit diesem Hass vor seinen Schöpfer treten wolle. Sein Schüler antwortete: «Wenn ich vor Gott trete, dann sage ich ihm: Ich habe gegen Sodom und Gomorrha gekämpft.» Er erzählte, dass er schon Häuser ukrainischer Christen abgefackelt habe.“)

Obama frohlockt über jeden Fehltritt des Kreml. Schon die Friedensverhandlungen der beiden mächtigsten Europäer Merkel und Hollande mit Putin und Poroschenko waren unerwartet. An eine allgemeine Weltkonferenz mit den USA und Russland ist nicht zu denken. Man schürt gern im Weißen Haus. Sollen die Europäer doch zusehen, wie weit sie‘s bringen ohne den Großen Bruder aus dem Weißen Haus.

Es geht um Geopolitik. Es geht um das Verteilen und Verfrühstücken des ganzen Planeten seit der Eroberung der Neuen Welt durch Christoph Kolumbus. An eine besonders fluchwürdige Konferenz in Berlin unter dem eisernen Kanzler Otto von Bismarck erinnert Bommarius in der BLZ:

„Von November 1884 bis Februar 1885 hatten auf Einladung des Reichskanzlers Otto von Bismarck Vertreter europäischer Staaten, des osmanischen Reichs und der USA die Regeln im „Wettlauf um Afrika“ fixiert und in der „Kongoakte“ niedergelegt. Seit Jahrhunderten hatten sich die Europäer am Sklavenhandel entlang den afrikanischen Küsten beteiligt, jetzt wurden Annexion und Ausplünderung des Kontinents ins Auge gefasst. Es ging um neue Absatzmärkte und die Ausbeutung von Rohstoffen.“

Ist es mit der Herrenmentalität des Westens vorbei? Die Begriffe und Methoden der Dominanz haben sich geändert, die Grundprinzipien sind sich gleich geblieben:

„Mit dem Kolonialismus ist es vorbei (spürbar sind bis heute in ganz Afrika die verheerenden Folgen), der Rassismus aber hat überdauert. Wer über die Ursachen des Nationalsozialismus nachdenkt, kommt am „Herrenstandpunkt der weißen Rasse gegenüber der schwarzen“, wie ihn die deutsche Kolonialrechtsprechung behauptete, nicht vorbei. Und wer sich an die Pegida-Demonstrationen erinnert, der weiß: Der Herrenstandpunkt dient vielen noch immer als Plattform ihrer Weltbetrachtung.“ (Christian Bommarius in der BLZ)

Das betrifft auch das Verhältnis des erlösungsbesoffenen Westens (siehe die messianischen Gestalten aus Silicon Valley) zu den Steinzeit-Tscherkessen in der sibirischen Tundra. Erhielt der Osten nicht alle Reformanstöße aus dem Westen? Von Peter dem Großen, der in Holland ein tüchtiges Völkchen kennenlernte bis zur reformwilligen deutschen Zarin Katharina der Großen und zu dem Revolutionsführer Lenin, der ohne den Trierer Marx nicht den leisesten Hauch der Geschichte gespürt hätte? Wären Tolstoi und Dostojewski ohne westeuropäische Bildungserlebnisse zu Weltliteraten geworden? Zeitweilig erwarteten deutsche Chauvinisten à la Thomas Mann das Heil von Mütterchen Russland, heute ist die Verehrung in Verachtung und Verhöhnung umgeschlagen.

Besonders das tiefengläubige Neu-Kanaan lässt sich den Palmenzweig des siegreichen Volkes Gottes nicht nehmen. Jeden Tag steht Obama vor dem Spiegel und fragt: bist du es, der da kommen soll oder sollen wir auf diesen räudigen Putin warten?

Die für den Westen so gefährliche, weil vorbildlich friedliche, demokratische, ökologische und völkerverbindende Epoche des Michail Gorbatschow ist gottlob vorüber. Der ermordete Nemzow hätte das Werk Gorbis nahtlos weitergeführt. Doch nein, Jelzin bevorzugte den grauen Apparatschik aus der Spionageabteilung. Weil Putin der Jelzin-Sippe Straffreiheit für ihre finanziellen Machenschaften zusicherte? (Vorsicht Verschwörung.)

Was ist Geopolitik? Rudolf Walther hat in einem bedenkenswerten TAZ-Kommentar den Lieblingsbegriff des Historikers Münkler zur Debatte gestellt:

„Die Theorie der Geopolitik in Deutschland prägten um 1900 Friedrich Ratzel (1844-1904) und Karl Ernst Haushofer (1869-1946). Sie verstanden unter «Geopolitik eine von den Zwängen der Geografie geforderte Politik». So galt ihnen etwa das Meer «als Quelle der Völkergröße». Im wilhelminischen Deutschland versetzten solche Thesen viele Universitätsprofessoren in einen regelrechten Flottenrausch. Man nannte sie deshalb «Flottenprofessoren»“.

Geopolitik ist politisches Denken in geographischen Machtblöcken. Geprägt wurde der Begriff vom germanophilen Schweden Rudolf Kjellen, der den Ersten Weltkrieg als unvermeidliche Auseinandersetzung zwischen westlichen Ideen von 1789 und deutschen Heilsvorstellungen von 1914 begründete. Mit seiner Verherrlichung von Krieg und Sozialdarwinismus gilt der Schwede als Vorläufer des Nationalsozialismus.

Haushofer war Offizier und Geograph, der als Ideengeber Hitlers galt. Seine Definition der Geopolitik diente den Nationalsozialisten als „wissenschaftliche“ Begründung ihrer „Raum im Osten-Politik“ und ihrer Eroberung von ganz Europa.

Die nationalsozialistische Kampfparole Blut und Boden wurde in der Geopolitik zum Imperativ ausgedehnt, geographischen Verhältnissen als Stimmen der Natur zu gehorchen. Als ob letztere der Menschheit sagen wollten, dass natürlich zusammengehörende Reviere auch eine politische Einheit bilden sollten.

Versteht sich, dass nationale Projektionen die Zufallsverhältnisse von Land, Gebirge und Meer nach Belieben mit individuellen Größenphantasien füllen konnten. War Deutschland nicht das Reich der Mitte mit zu kleinem Raum für ein dynamisches und rassisch überlegenes Volk? Das Terrain musste es sich erkämpfen, welches ihm „von Natur aus“ zustand, damit es nicht eingekreist und erniedrigt werden konnte. Wieder einmal – wie im darwinistischen Sieg der Besten – diente der Hinweis auf die Natur zur Absegnung eines militanten Wettbewerbs.

Es ist eine gigantische Geschichtsfälschung, die nationalsozialistische Ideologie als atheistische Naturidolatrie zu bezeichnen, wie der neoklerikale Zeitgeist von heute behauptet. Die Naturbetrachtung der herrisch überlegenen Arier war romantischer Herkunft. Den Verehrern der blauen Blume war Natur nie materielle Natur allein, sondern ein diesseitiges Symbol für das Jenseitige, „ein Streben nach dem Unendlichen“. Durch die transparente Natur hindurch erblickte man das vollendete Treiben himmlischer Freuden.

In der blauen Blume entdeckte der Junge Heinrich in Eichendorffs „Heinrich von Ofterdingen“ das Antlitz der Mutter – Gottes. Natur wies über sich hinaus auf den Schöpfer derselben. Und wie der Gläubige sich die Erde untertan machen sollte, so war das Suchen der blauen Blume der Befehl, die Welt für den Himmel zu erobern. Die Wandervogelbewegung, das friedliche Erobern der Welt durch Erkunden fremder Länder, wurde zur Vorläuferin der imperialen Eroberung mit Waffengewalt:

„Es blühet im Walde tief drinnen die blaue Blume fein,
die Blume zu gewinnen, ziehn wir in die Welt hinein.
Es rauschen die Bäume, es murmelt der Fluß,
und wer die blaue Blume finden will, der muß ein Wandervogel sein.“

Schelling war der Naturphilosoph der Romantik, dessen Leitgedanken Rudolf Haym so beschrieb: „Ohne Zweifel ist es ein poetisch vollkommen berechtigter Gedanke, die Natur wie ein Ich, als einen lebendigen, schöpferischen Geist anzusehn.“

Das kreative Ich ist Abbild des Schöpfers. Gott appelliert an seine Geschöpfe, Natur nicht wie eine tote Maschine zu traktieren – wie es französische und englische Aufklärer taten. Natur war ein lebendiger, von göttlichem Geist beseelter Organismus. Nur göttlich inspirierte Menschen konnten der Natur gerecht werden. Bloße Krämer und Rechner degradierten die Natur zu einem toten Ding, das man zu Profitzwecken ausbeuten durfte.

Geopolitik war die Fähigkeit, den Imperativ der Natur als Stimme der Vorsehung zu vernehmen. Geopolitik war Gehorsam gegen den Willen des Himmels, der sich als Stimme der Natur kund tat. Deutschlands natürliche Bestimmung war die Beherrschung des europäischen Raumes kraft biologischer und charismatischer Überlegenheit.

(Nebenbei: der Niedergang der Grünen liegt in ihrem brachialen Missverständnis, der Naturauffassung der Nationalsozialisten erlegen zu sein. Als bei den ersten Grünen uralte Nazis auftauchten mit dem Anspruch, die wahre Natur zu verehren, kam es zur kopflosen Verdrängung der naturphilosophischen Debatte. Die kollektive Entkernung des Naturbegriffs flüchtete in panischer Angst in eine rein pragmatische Ökopolitik, die fürder auf jeden übergeordneten Gedanken verzichtete. Metzgersohn Fischer verhöhnte alle Grundlagendebatten über Natur als Kitsch und gefährliches Zündeln mit quasi-nationalsozialistischer Erblast.

An den Grünen ist beispielhaft zu sehen, wie jedes Tabuisieren der philosophischen oder religiösen Grundlagen einer Partei zum Exitus derselben führen muss. Die rechte Tat kommt nicht aus dem Sein – dem materiellen Wieselwort für Gott –, sondern aus dem durchdachten Bewusstsein. Die despotische Autorität des Seins wäre der Tod des selbstbestimmten Menschen.)

Woher nimmt Münkler die Frechheit, einen verseuchten Begriff wie Geopolitik als Kern seines historischen Denkens vorzustellen? Ist ihm die nationalsozialistische Kontamination des Begriffs nicht bekannt? Glaubt er tatsächlich, die Machtgelüste der großen Blöcke mit geopolitischem Mumpitz erklären und rechtfertigen zu können? Sollte Münklers dreiste Torheit die kommenden Politdebatten nachhaltig bestimmen, wird es nicht mehr lange dauern, bis wir singen werden: Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt.

Das verheißungsvolle Finale der Geopolitik aber kommt jetzt. „Ein moderner Klassiker des US-amerikanischen Verständnisses von Geopolitik ist Zbigniew Brzezińskis Werk „Die einzige Weltmacht“: Die USA als – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – einzige Supermacht sollte den eurasischen Kontinent unter ihre Kontrolle bringen und dort rivalisierende Bestrebungen verhindern, die die Machtstellung der USA gefährden könnten.“ (Wiki)

Hier haben wir die Bestätigung des Putin‘schen Vorwurfes, die USA seien zu gleichberechtigten Beziehungen mit Russland weder willens noch fähig. Schon 1970 schrieb der amerikanische Geostratege: eine Zusammenarbeit sei unter den Industrieländern notwendig, „um der globalen Instabilität zu begegnen, die aus der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit entstehe.“ Diese Koordination sollte in der Stärkung der Beziehungen zwischen den drei höchstentwickelten Ländern der kapitalistischen Welt bestehen.

In dieser Situation befindet sich die gegenwärtige EU. Der Wettbewerb zwischen hoch-industrialisierten Ländern wie Deutschland auf der einen Seite und fast agrarischen wie Griechenland auf der andern kann nicht funktionieren. Es ist wie ein Kampf zwischen David und Goliath, in der Klein-David mit List die pure Überlegenheit des Goliath übertölpeln muss.

Zbigniew Brzeziński hat ein reales Problem des rivalisierenden Kapitalismus erkannt. Bedingungsloser Wettbewerb und politische Solidarität schließen sich aus. Ergo: die Kleinen müssen an die Kette der Großen, die eine Herrenschicht über den Planeten legen.

In Europa droht die wirtschaftliche Lokomotive Deutschland den Rest Europas zu unterwerfen. Würde es Merkel gelingen, die geopolitischen Direktiven des Amerikaners zu realisieren, wäre der Zerfall der EU unvermeidbar.

Im Verlauf seiner weiteren Karriere lehnte Brzeziński jede Abrüstungspolitik ab und forderte „die Steigerung militärischer Stärke und eine Betonung der Menschenrechte. Vance (Außenminister Carters), das State Department und die Medien kritisierten Brzeziński öffentlich dafür, dass er den Kalten Krieg wieder aufleben lassen wolle.“

Wir sehen, die heutige politische Weltlage hat Vorläufer. Die Vorwürfe Putins wurden von nüchternen amerikanischen Politikern selbst erhoben.

In seinem Werk „Die große Niederlage“ von 1988 prognostizierte Brzeziński den Fehlschlag der Reformen Gorbatschows. Wie bei fast jedem Prognostizieren spielte das Wünschen und Hoffen auch hier eine erhebliche Rolle. Gorbi sollte scheitern. Wäre er erfolgreich gewesen, hätte das russische Modell eine gigantische Anziehungskraft für die Welt entwickelt. Die USA hätten Mühe gehabt, ihre Alpharolle per kapitalistischer Nötigung weiter zu spielen.

In der Ukrainekrise betonte Brzeziński, „ohne die Ukraine könne Russland nie wieder Supermacht werden. Erst in diesem Kontext wird der erbitterte politische Kampf Russlands um die Ukraine verständlich.“ Wer nicht zulassen wollte, dass Russland wieder zur Supermacht werde, musste die Ukraine aus dem geopolitischen Einflussbereich Moskaus herauslösen.

Die Maidanbewegung unterstützten die USA mit dem hinterlistigen Motiv, die Freiheitsbewegung der Ukrainer für den eigenen machtpolitischen Zweck zur Schwächung Moskaus zu nützen. Wen wundert‘s, dass Russland der Maidanbewegung vorwarf, sich vor den amerikanischen Karren spannen zu lassen?

In einem Gastkommentar für die Washington Post schrieb Zbigniew Brzeziński mit kaum zu überbietender Aggression: „Was ist zu tun? Putins Aggression in der Ukraine braucht eine Antwort.“ Er verglich Putins „gangsterhafte Taktik“ und „kaum getarnte Invasion“ der Krim mit Adolf Hitlers Besetzung des Sudetenlands 1938 und charakterisierte Putin als einen Cartoon-Mussolini. Doch er hielt sich zurück, einen Kriegseintritt der USA zu empfehlen. Stattdessen empfahl er, die NATO solle in Hochalarm versetzt werden.“

Seine Vision einer zukünftigen Weltpolitik fasste er so zusammen:

„Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird – und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann. (…) US-Amerikanische Politik sollte letzten Endes von der Vision einer besseren Welt getragen sein: der Vision, im Einklang mit langfristigen Trends sowie den fundamentalen Interessen der Menschheit eine auf wirksame Zusammenarbeit beruhende Weltgemeinschaft zu gestalten. Aber bis es soweit ist, lautet das Gebot, keinen eurasischen Herausforderer aufkommen zu lassen, der den eurasischen Kontinent unter seine Herrschaft bringen und damit auch für Amerika eine Bedrohung darstellen könnte. Ziel dieses Buches ist es deshalb, im Hinblick auf Eurasien eine umfassende und in sich geschlossene Geostrategie zu entwerfen.“

Kein Zweifel: Brzeziński will eine bessere Welt. Doch die will er erzwingen mit militärischer und wirtschaftlicher Stärke. Das ist die Krux aller amerikanischen Weltpolitik. Wie kann eine bessere Welt mit schlechten Mitteln geschaffen werden?

Es ist die Mandeville-Falle, in die Hayeks Wettbewerbswirtschaft und Brzezińskis Geopolitik gemeinsam tappen. Dem Guten soll mit Bösem, dem Gemeinwohl mit eigensüchtigem Laster und Luxus gedient werden.

Gott nutzt den Teufel, um sein Heilswerk zu vollenden. Wer würde sich wundern, wenn der Teufel die List Gottes überlistet – und den Wettbewerb auf den letzten Metern für sich entscheidet?

Mit dialektischer List und religiöser Zweideutigkeit ist eine lupenreine Demokratie nicht zu machen.