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Lanzknechte

Hello, Freunde der Lanz-Knechte,

wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen, hatte die einfühlsame Königin Marie Antoinette dem Volk empfohlen. Daraufhin kam es zum Sturm auf die Bastille und die Französische Revolution hat die Welt verändert. Hatten die Franzosen keine anderen Sorgen als Baguettes? Lidl wird ja auch nicht gestürmt, weil es dort kein Coca Cola mehr gibt.

Warum aber wird der Lerchenberg gestürmt, der alles tut, um den religiös-öffentlichen Auftrag zu erfüllen: Der Mensch lebt nicht von Brot allein, es muss auch „Wetten, dass“ dabei sein? Antwort eines Betroffenen, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat:

„Weil es mir zunehmend so erscheint, als wäre die Moderation von Wetten, dass ..? eine Aufgabe von nationaler Bedeutung. Deutschland diskutiert über die Fußball-Europameisterschaft, die Euro-Krise und dazwischen immer wieder über Wetten, dass..?. Die EM ist leider schon, die Euro-Krise hoffentlich bald vorbei, bleibt noch Wetten, dass..?. Natürlich weiß jeder, dass die Welt ganz andere Sorgen hat. Ich glaube, die Diskussion ist einfach ein Zeichen von Zuneigung: Die Zuschauer mögen die Show nach 30 Jahren immer noch“, sagte der einfühlsame Markus, der sein Volk besser versteht, als es sich selbst. (ZEIT-Interview)

Deutsche Theologen interpretieren heilige Schriften, bis die sich nicht mehr wieder erkennen und in Straßburg

gegen Verfälschung klagen. (Die Gottesgelehrten sind spirituelle Vorläufer der Schönheitschirurgen. Aus hässlichen Schriftstellen machen sie per Skalpell-Deutung anrührende Liebesappelle.)

Deutsche Eliten interpretieren das Volk, dass diesem Hören und Sehen vergehen müsste. Wen das Volk liebt, den züchtigt es. Wetten, dass keine einzige deutsche Talkshow das Thema des randalierenden Pöbels aufgreifen wird? Wer sollte auch den Moderator spielen, wenn alle ModeratorInnen auf der Anklagebank sitzen?

Wie wär’s mit dem Kabarettisten Dieter Nuhr, der objektiv genug ist, seinem Kollegen Lanz mit einer Anti-Anti-Lanz-Kampagne zu Hilfe zu kommen? Nuhr rügt die anonyme Meute als potentiellen Lynch-Mob. Jeder könne sich heute per Tastendruck als Revolutionär fühlen. Da muss man an Pfeifenbläser wie Snowden denken, der mit hinterlistigem Geheimnisverrat und feiger Flucht zu Putin sich als Wohltäter der Menschheit aufspielen darf.

„«Da heute jeder mit ein paar Klicks eine Onlinepetition starten kann, sich anonym äußern und unter Pseudonym unerkennbar bleiben kann, sind der digitalen Mobbildung und der allgemeinen Verbreitung des gesunden Volksempfindens keine Grenzen mehr gesetzt», hieß es darin. Jeder könne sich per Tastendruck als Revolutionär fühlen: «Das führt zur Renaissance des Lynchmobs und zeigt, wohin es führt, wenn sich anonyme Massen in Bewegung setzen.» Die Anonymität des Internets führe somit zur «Bildung eines unzivilisierten öffentlichen Raumes, vergleichbar mit den rechtsfreien Räumen der prähistorischen Gesellschaften»“. (Miriam Hollstein in der WELT)

Nun lassen sie die Hosen runter, die Medialen und Kabarettisten, um mannhaft zu bezeugen, wo sie stehen, wenn’s im Vaterland ans Eingemachte geht: an der Seite der Aufrechten treten sie dem Aufstand der Massen furchtlos entgegen. Nuhr hat keine Skrupel, das Publikum, das er mit müden Kalauern nie auf die Barrikaden brachte, nachträglich zu kriminalisieren. Unterschrieb er schon eine Petition gegen internationale Späher und Spötter, die anonym die Privatsphäre aller Völker der Welt ausforschen?

Über Nacht bildete sich eine Kohorte von Lanz-Knechten, die dem Großen Rüpel endlich die Grenzen aufzeigen soll. Künftig, so die medialen Reisläufer, sollen nur diejenigen eine Petition im Netz starten dürfen, die zuvor ihre untadelige Motivation vor einer Jury nachweisen können. Mitglieder der Jury: Dieter Nuhr, Frank Plasberg & Frau, sowie Markus Lanz, den Vorsitz hat Altmeister Günter Jauch, der das Medientheater so perfekt beherrscht wie der Priester den Altarraum.

(Natürlich geht’s nicht nur um Klein-Markus, sondern um einen ganzen Berufsstand, der seine Glaubwürdigkeit schon seit Jahren verloren hat, das Debakel aber bis heute nicht zur Kenntnis nehmen will. Jauch und Lanz gelten bei den Staatskirchenkanälen als Journalisten.

Gestern Abend zeigte Jauch erneut seine unbestrittene Fähigkeit, sich nicht gemein zu machen, indem er das Thema Snowden so äquilibristisch abnudeln ließ, dass seine Neutralität mit dem Grimme-Preis nicht zu teuer bezahlt ist. Unter seinen amerikophilen Lieblingsgästen John Kornblum und ein BILD-Reporter, beide mitleiderregend überfordert. Seine Macht in der ARD ist so groß, dass er die Ausstrahlung des Snowden-Interviews in die Nachtzeit verschieben ließ, um die Attraktivität seiner Sendung nicht zu gefährden.

BILD steht so fest an der Seite von Lanz, dass sie völlig ihre APO-Rolle vergisst und die Stimmung des Volkes als unanständig und ungehörig niedermacht. Verglichen mit Jauchs undurchdringlichem Ministrantencharme, der mit allen Wassern prophylaktischer Demut gewaschen ist, ist Lanz ein beschwipster Almöhi.

Jauchs journalistische Grundeinstellung ist die der ganzen un-gemeinen Medienmeute: Lösungen unsrer Probleme hat es nicht zu geben, andernfalls wären wir brotlos. Wer tut, als seien Probleme lösbar, muss von der Gesprächsführung ohn’ Erbarmen als Scharlatan entlarvt werden.

Jauchs Quizshow wird von den Medien als Beitrag zur IQ-Förderung und somit zur indirekten Wirtschaftswachstumsförderung gepriesen, seitdem Sarrazin auf Goethekenntnisse als Minimalvoraussetzung jeder Einbürgerung erkannt hat. Alle Medien haben seitdem die Rubrik: Wissen Sie Bescheid über … erhöhte Tücken des Zeckenstichs bei verfrühtem Heuschnupfen?)

Im Jahre 1929 verfasste der Spanier Ortega y Gasset sein berühmtes Buch „Der Aufstand der Massen“. Alle intellektuellen Eliten der Weimarer Republik, die die Demokratie hassten – und sich dabei auf Friedrich Schiller beriefen: man muss die Stimmen nicht zählen, sondern wägen –, übertrafen sich in ihren Verachtungsreden über den Pöbel. Auch Jaspers ließ kein gutes Haar an den Straßenhorden in seinem Werk „Die geistige Situation der Zeit“ von 1931.

Der französische Psychologe Gustave le Bon gilt mit seinem Buch „Die Psychologie der Massen“ als Stammvater aller Pöbelverächter: „Immer wieder betont er den geringen Einfluss von Vernunft, Unterricht und Erziehung sowie die Anfälligkeit der Massen für Schlagworte, große Gesten und geschickte Täuschungen. Am Ende seines Werkes unterzieht Le Bon noch verschiedene spezielle Massen einer sehr skeptischen Prüfung: sowohl Geschworene wie Wählermassen und Parlamente finden dabei vor seinen Augen keine Gnade.“

Hier zeigt sich der Kern der damaligen Verachtung aller unteren Gesellschaftsschichten: sie sollen malochen und die Klappe halten. Demokratie ist ein gefährlicher Versuch, die unberechenbare Volkskanaille zu zähmen:

„Die Masse ist nur wenig intelligent.

Sie denkt einseitig grob und undifferenziert im Guten wie im Bösen.

Die Masse denkt nicht logisch, sondern in Bildern, die häufig durch einfache Sprachsymbolik hervorgerufen werden.

Die Masse ist leicht erregbar, leichtgläubig und sprunghaft. Ihre Emotionalität ist schlicht.“

Die Deutschen haben ihre Geschichte in keinem Aspekt aufgearbeitet. Sie sind in der Gefahr, ihre frühere Allergie gegen ein mündiges Volk zu wiederholen. Typisch Lanzens tiefenpsychologisches Verständnis des anonymen Netzpöbels: Im Grunde liebe ihn das Volk. Seine Verehrung könne es nicht anders artikulieren als durch Attacke. Wahr ist stets das Gegenteil dessen, was das irrationale Volk von sich gibt.

(Ins gleiche Horn stößt Proletenfreund Gabriel, der die aufkommende Kritik an seiner Wende der Energiewende kommentiert: Wenn alle maulen, muss unser Konzept richtig sein. In Gabriels Rede erkennt man unschwer das Muster aller jesuanischen Diskriminierungen der sündigen Welt: wer die Welt nicht hasst, kann mein Jünger nicht sein. „Wer Freund der Welt sein will, erweist sich als Feind Gottes“.)

Die Verachtung der Massen zu Beginn des letzten Jahrhunderts war Vorläuferin der heutigen Stigmatisierung der Armen und Abgehängten. Schon 1830, kaum gab es die ersten Fabriken in Frankreich, begann der „Ausschluss des Proletariers“, wie Pierre Rosanvallon in seinem Buch „Die Gesellschaft der Gleichen“ schreibt: „Der Pauperismus (= Dauerarmut) kommt einem regelrechten gesellschaftlichen Verbot gleich: die Elenden sind Menschen außerhalb der Gesellschaft, outlaws (= Gesetzlose)“.

Nach dem genialen Konzept des christlichen Glaubens – die Verworfenen sind an ihrem höllischen Elend selbst schuld – wurden die Opfer der Ausbeuter zu Schuldigen ihres Schicksals ernannt. Rosanvallon zitiert einen damaligen Beobachter: „Dort bietet Ihnen das Elend einen so schrecklichen Anblick, dass Sie mehr Ekel als Mitleid empfinden und versucht sein werden, es als gerechte Strafe eines Verbrechens zu betrachten.“ Was ist Elend? „Die Strafe für Faulheit und Ausschweifung“.

Wer kann glauben, dass die folgenden Sätze von einem sonst menschlich denkenden Urvater der Ökonomie stammen? „Die Glücklichen und Stolzen staunen über die Unverschämtheit menschlichen Elends und wundern sich, dass dieses es wagen könne, sich vor ihnen zur Schau zu stellen; und dass es sich herausnehme, mit dem ekelhaften Anblick seiner Not die Heiterkeit ihres Glücks zu stören.“ (Adam Smith, „Theorie der ethischen Gefühle“)

Übertragen wir die Smith‘schen Erkenntnisse auf die Gegenwart, erhalten wir die Sätze: Die Erfolgreichen und Karrieristen wundern sich, dass das geistige Lumpenproletariat es wagt, seine Unverschämtheit öffentlich zur Schau zu stellen und das Glück der Schaumschläger mit ekelhaften Shitstorms zu stören.“

Blaming the victim, die Opfer der Moderne werden gedemütigt und für schuldig erklärt. Wer den Schaden hat, muss für öffentliche Häme nicht sorgen. Eine böse Pointe der Geschichte, dass ausgerechnet in Deutschland Sozialdemokraten beim Blaming the victim an vorderster Stelle agieren. Aufsteiger hassen ihre Genossen, die zu dumm sind, ihren Spuren ins Elitenparadies zu folgen. Erfolgreiche Sozis kennen kein Schamgefühl, sich vor denen zu beugen, die sie vor kurzem noch als Ausbeuter verwünschten.

Auch hier die Parallele zu Lanz, der sich nicht schämt, ausländische Stars einzuladen, die den deutschen Humbug für unerträglich halten und nach zehn Minuten Eigenwerbung die Flatter machen. Man schämt sich fremd für den übertrieben wendigen und bücklingsfreudigen Moderator, der mit obszönen Superlativen die Welt der Reichen und Erfolgreichen in den Himmel jubelt.

Lanz kennt kein Maß in der Idolisierung der illustren Gäste, somit auch keine in der unausgesprochenen Verachtung der Loser. Kein Wunder, dass er stolz ist, aus niedrigen Verhältnissen aufgestiegen zu sein, ohne zum „Sozialfall“ geworden zu sein: „Mein Vater starb, als ich 14 war. Meine Mutter stand mit drei Kindern vor dem Nichts, wobei das Nichts ein Haufen Schulden war. Wir waren kurz davor, zum Sozialfall zu werden. Es war ein Kampf – der nicht immer schön, aber dennoch wichtig war“.

Jetzt verstehen wir die rückhaltlose, ja schamlose Bewunderung der Schönen und Reichen. Lanz lobt ungehemmt, um reziprok ob seines rasanten Aufstiegs ungehemmt bewundert zu werden.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist mit seinen Unterhaltungssendungen zu einer hemmungslosen Claqueurin der neoliberalen Besten geworden. Die untergründige Botschaft an die Couchpotatoes lautet: strengt euch an, ihr Schlaffis vor der Glotze, dann habt ihr auch ne minimale Chance, bei uns im Klub der Glücklichen anzukommen.

„Wenn es Geschichten gibt, die es wert sind, erzählt zu werden, werden wir sie erzählen. Ich finde den Kern dieser Idee, die Frank Elstner vor drei Jahrzehnten hatte, nach wie vor packend: Menschen, die eine außergewöhnliche Fähigkeit haben, eine Bühne zu geben, die sie sonst niemals in ihrem Leben haben würden. Fernsehen lebt von solchen Heldengeschichten.“

Klingelt‘s langsam bei Heldengeschichten? Während die AfD stolz ihr neues Motto präsentiert: Mut zu Deutschland, propagieren die Staatssender die Fama von Helden und außergewöhnlichen Menschen.

Der Mut zu Deutschland begann, als Deutschland von Napoleon überfallen wurde und die einstigen Bewunderer der Französischen Revolution in Verächter der demokratischen Revolutionäre umkippten. Patriotismus wurde zu Nationalismus, Nationalismus zu Chauvinismus, der außergewöhnliche Menschen forderte, um Deutschland endlich aus dem Dunkel ins Helle zu führen.

Beispielhaft formulierte Fichte in seinen „Reden an die Deutsche Nation“: „Alle, die entweder selbst schöpferisch und hervorbringend das Neue leben, oder … das Nichtige wenigstens entschieden fallen lassen und aufmerkend dastehen, ob irgendwo der Fluss ursprünglichen Lebens sie ergreifen werde, oder die … die Freiheit wenigstens ahnen, und sie nicht hassen, oder vor ihr erschrecken, sondern sie lieben; alle diese sind ursprüngliche Menschen, sie sind, wenn sie als ein Volk betrachtet werden, ein Urvolk, das Volk schlechtweg, Deutsche.“

Im Auftrag seines katholischen Senders sucht der Südtiroler ursprüngliche und außergewöhnliche Menschen. Unter Bildungsauftrag versteht das ZDF die Selektion der Besonderen und Auserwählten. In Preußen waren es vor allem Kanzelredner, die die Deutschen aufriefen, ihre Berufung zu erkennen und zu Heilanden der Welt zu werden.

In der Gegenwart sind es die Unterhaltungssendungen, die den Menschen beim schwindelerregenden Klettern, beim Bezwingen der Natur im Dschungelcamp oder beim Fighten um den Titel des Superstars zeigen, dass der Deutsche seine germanischen Urqualitäten zurückerobern muss, um den Herausforderungen einer missgünstigen Konkurrenz in aller Welt gewachsen zu sein.

Lanzens Chef Himmler hebt den Auftrag des TV in die Höhe klassischer Literatur. Was will das Fernsehen? „Fernsehen soll informieren, fesseln, bewegen, unterhalten. Ich finde, Fernsehen muss unserer Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, es muss Hintergründe erklären, Werte vermitteln. Das geht in den Nachrichten- und Informationssendungen, aber auch in Fernsehfilmen oder Shows. Genauso wichtig ist es, dass alle Sendungen im Fernsehen immer auch unterhaltend sind, dass sie Interesse und Neugier wecken.“

Wenn das ZDF der Gesellschaft den Spiegel vorhielte oder Werte vermittelte, dann müsste es sich mit dem Guten gemein machen. Einst hatte das klassische Drama den kulturellen Auftrag, die Menschen unterhaltend zu belehren und belehrend zu unterhalten (prodesse et delectare). Dichter, so Horaz, sollen „zugleich Erfreuliches und für das Leben Nützliches sagen“.

Welche Selbstanmaßung des flimmernden Mediums, sich als Erbe der wahrheitsverpflichteten Kunst zu betrachten. Sagte Super-Markus einen einzigen Satz in der Sendung, der erfreulich und für das Leben nützlich war?

Wenn TV-Gaukler Journalisten sein sollen, ist die deutsche Journalistenklasse zu einer verzweifelten Komikerkohorte verkommen.