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Kausalität

Hello, Freunde der Mutlosigkeit,

es müsste das Wort des Jahres werden: mutlos. „Mutlos gegen Agrarfabriken“, formuliert die Heilschlaf-Postille ZEIT.

Immer größere Ställe im Osten Deutschlands in maschineller Tierhaltung, Geruchsbelästigung, Gülleseen, schreiende gequälte Tiere. Wie das Schwein schreit nach frischem Wasser, so schreien wir, Herr, zu Dir.

Bürgergruppen wehren sich. Die Politik aber ist mutlos.

„Mehr als 250 Bürgerinitiativen wehren sich in Deutschland gegen die industrielle Tierhaltung, angeführt von dem Bündnis „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“.

Selbst der Bauernverband verfolgt die Entwicklung skeptisch: „Wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung“, sagt ein Sprecher, „aber ab einer gewissen Größe der Betriebe wird das schwer“.

Die entscheidungsfreudige Moderne ist mutlos. Beim Naturzerstören und Zastermachen hingegen äußerst mutig.

Mutlos: das ist der Bankrott jeder politischen Analyse. Gründe und Ursachen der Ärgernisse gibt es nicht mehr. Ein bisschen Psychologie aus der Kinderfibel, das war’s.

Der Staat ist mutlos gegen Naturschänder mit großem Geldbeutel. Vermutlich hält er den Atem an – um nicht noch mehr Schweinequäler anzulocken. Übeltäter darf man nicht provozieren.

Bei der Freikäfighaltung seiner abgehängten Unterschichten ist der Staat hingegen

tollkühn. Da rasselts. Da werden Sozialschmarotzer an die Kandare genommen. Besonders die Kinder unter ihnen, die nicht mehr von Schulen – diesen mutlosen Einrichtungen – erzogen werden, sondern von pädagogisch besonders begabten Arbeitsbeamten.

Auch bei den Verhandlungen zur Großen Koalition sind die Politiker ohne Mut. Sie beginnen sich zu verzwergen, schreibt der SPIEGEL, damit sie von der Bevölkerung nicht mehr gesehen werden. Gott sei Dank, wir werden geschrumpft, damit wir in unserer Feigheit von niemandem mehr gesehen werden.

„Ich mag den nicht, der stolze Gebärde und hohen Mut hat“, spricht der Herr. „Stolzer Mut ist Sünde“, spricht der Prediger. Vorsicht vor denen, die allzu viel Mut haben, sie sind hochmütig. Und Hoch-Mut kommt vor dem Fall. Vor gotteslästerlichem Hochmut ist unsere Vierte Gewalt weit entfernt. Schade eigentlich.

Gibt es noch Ursachen? Oder würfelt Gott – wie die Gegner Einsteins zu wissen glaubten, die ihn beim Würfeln in der Kneipe entdeckt hatten. Mit welcher Präzision Fachleute über dieses Thema schreiben, sehen wir am folgenden Wikizitat:

„Allerdings ist der Satz vom nicht-würfelnden Gott kaum haltbar, wie die Geschichte der Physik im 20. Jahrhundert gezeigt hat. Schon in den Gesprächen mit Niels Bohr während der 1920er Jahre bekam Einstein den Widerspruch zu spüren. „‚Gott würfelt nicht‘, das war ein Grundsatz, der für Einstein unerschütterlich feststand, an dem er nicht rütteln lassen wollte. Bohr konnte darauf nur antworten: ‚Aber es kann doch nicht unsere Aufgabe sein, Gott vorzuschreiben, wie Er die Welt regieren soll.‘“ (Heisenberg 115)

Obwohl Einstein einen großen Ruf als Wissenschaftler hatte, blieb seine Ansicht die einer Minderheit, und heute, fast sechzig Jahre nach seinem Tod, haben verfeinerte Experimente Einsteins Position noch weiter geschwächt. „Die jüngsten quantenoptischen Experimente dürften genügen, Einstein im Grabe rotieren zu lassen.“

Weil Einstein Widerspruch bekam, war er widerlegt? Dann wäre jede Regierungsvorlage erledigt, wenn sich die Opposition zu Wort gemeldet hätte. Hat Einstein dem Gott Vorschriften machen wollen, wie er die Welt regieren soll? Oder wollte Einstein das Regiment Gottes – beim areligiösen Einstein die Natur – nur beschreiben, wie er es wahrnimmt?

Ist Einsteins Position widerlegt, weil sie eine Minderheitenmeinung war? Entscheiden in der Physik heute Mehrheiten – oder exakte Experimente und Argumente? Welche „verfeinerten Experimente“ haben Einstein „noch mehr geschwächt“ und würden ihn „im Grabe rotieren lassen“?

Laien können solch hohen Dinge nicht verstehen, dennoch die Ergebnisse philosophisch debattieren. Es wäre die Pflicht der esoterisch formulierenden Naturwissenschaftler, ihre Ergebnisse so zu präsentieren, dass der hausbackene Menschenverstand sie diskutieren könnte.

Sind die Fachleute dazu nicht in der Lage, gibt’s zwei Möglichkeiten: a) Entweder sie haben versagt, ihre staatlich finanzierte Forschung vor dem demokratischen Souverän zu erklären und zu erörtern. Oder b) ihre brillanten Forschungsergebnisse sind nur für sie interessant. Für das normale Leben spielen sie keine Rolle – weil sich für das Alltagsleben ohnehin nichts ändert.

In einem vitalen Gemeinwesen wären alle Berufe und Schichten allen anderen erklärungs- und rechtfertigungspflichtig. In maroden Brahmanengesellschaften driftet alles auseinander. Jede Schicht, jede Expertengruppe spricht ihre eigene Geheimsprache. Gegenseitige Kontrollen finden nicht statt.

In der Politik, vor allem in der Wirtschaft sind die Dinge so komplex geworden, dass die Politiker selbst nicht verstehen, was sie beschließen wollen. Von Lobbygruppen lassen sie sich in die Feder diktieren, was sie zu meinen haben.

Die Arbeitsteilung ist so weit gediehen, dass spezialisierte (= ausdifferenzierte: das Luhmannwort ist zum medialen Lieblingswort derer geworden, die dem undifferenzierten Pöbel das Maul stopfen wollen) Sprachen das Gemeinwesen zerstückeln. Wenn niemand niemanden versteht, setzt sich das machtgestützte Elitenkyrillisch durch, ohne dass andere Schichten ein Überprüfungsrecht hätten.

Im täglichen Tourismus setzt sich Welt-englisch durch, in den abgeschirmten Machtzentralen regieren die Wissen-ist-Macht-Sprachen. Ein „Ausdifferenzierungsprozess“ wie in der Wirtschaft, wo ein Prozent die Mammonsprache am besten versteht, die überflüssigen 99% aber nur Bahnhof verstehen.

Inzwischen verstehen auch die Einprozentigen nichts mehr. Ihre tägliche Bereicherungsmethode überlassen sie ihren Computern, die im Wettkampf mit anderen Computern algorithmisch beweisen müssen, welche Maschinen den Reichtum der Welt am besten abschöpfen.

Was ist ein Banküberfall, müsste Bertolt Brecht heute formulieren, verglichen mit einer genialen Rechenmaschine an der Börse?

Sind das alles irreversible Prozesse, wie alle kausalen Gesetze des Fortschritts? Alles, was Agenten der Evolution für richtig halten, muss unverrückbar kausal sein. Alles, was ihnen gegen den Strich geht, ist, na ja sagen wir wahrscheinlich, möglicherweise, eventuell, was Genaues wissen wir nicht, es könnte auch ganz anders sein.

Die Sieger der Geschichte haben sich jene Gesetze der Geschichte untertan gemacht, die ihnen den Sieg garantieren. Gesetze des Rechts oder der Moral diffamieren sie als Vermutungen, Hypothesen, idealistische Phantastereien.

Es ist ja nicht so, dass die Superreichen ihre Milliarden aus den Geldbeuteln der Armen schamlos stehlen müssten. Da hätte es längst Mord und Totschlag gegeben. Nein, die Tycoons haben sich die Gesetze der Evolution ersteigert. Wer sich in der Evolution eingekauft hat, den lässt die Evolution nicht im Stich. Wenn alles nach dem Buchstaben des Gesetzes gehen soll, muss man sich die Buchstaben der Gesetze gefügig machen.

Die Masters of Universe sind zu alleinigen Besitzern der Weltgesetze geworden. Wer diese Gesetze auf seiner Seite hat, muss nicht den Groschen der Witwe klauen. Er darf die überreichen Früchte seiner legal domestizierten Wirtschafts- und Fortschrittsgesetze einfahren. Machet euch die Gesetze der Erde untertan und sie werden euch auf Händen tragen.

Was ist gerecht? Was sich an die Gesetze hält. Doch was, wenn Gesetze selbst ungerecht sind?

Diese Frage ist heute unerwünscht. Man müsste die Gesetze selbst unter die Lupe nehmen, um zu sehen, wer an ihnen dreht, damit sie ihm seine Gunst erweisen. Seit mindestens 300 Jahren, seit Erfindung des Kapitalismus, drehen die Eliten an den Gesetzen, damit die lebendigen Ströme der Dukaten in die richtigen Kanäle geleitet werden.

Auf der Mittelmeerinsel Madeira gibt es das kunstreiche Bewässerungssystem der Levadas. Über weitläufige Kanäle wird Wasser aus dem Gebirge in die wasserarmen Ebenen geleitet. Zwei Männer, die das Vertrauen der Bewohner genießen, sorgen für gerechte Abzweigung des kostbaren Wassers auf die einzelnen Familien. Schon seit Jahrhunderten funktioniert das Verteilungssystem, weil die Gerechtigkeitsvorstellung des Wasserzuteilens von der ganzen Bevölkerung geteilt wird.

Im Kapitalismus wird die Gerechtigkeitsdebatte bereits im Ursprung zerstört. Gerechtigkeit? Ach wissen Sie, Frau Maischberger, jeder hat seine eigene Vorstellung von Gerechtigkeit. Die Debatte ist beendet, bevor sie begonnen hat.

Die Spezialsprache derer, die die Geldströme überproportional in ihre Säckel ableiten, setzt sich unwidersprochen durch. Wer heute nicht die richtige Sprache versteht, muss sich in der Arbeitsagentur anhören, mit welcher Verteilungs- und Repressionssprache die herrschende Politik Tacheles spricht. Die Moralgesetze der Bevölkerung werden so lange zu Kleinholz gespalten – ausdifferenziert –, bis die Wirtschaftssprache der Mächtigen zur Monopolsprache der ganzen Gemeinschaft geworden ist.

Es geht das Gerücht, dass die Welteliten momentan immer mehr den Aufstand der planetarischen Massen gegen ihr legales Raubsystem fürchten. Mögen sie nur zittern, doch ihre Ängste sind verfrüht. Solange die Massen glauben, sie hätten den Börsensingsang noch nicht richtig verstanden, schieben sie sich selbst die Schuld an ihrem Elend zu.

Der Nachteil der Massen ist, dass sie anständiger und gerechter als ihre Blutsauger sind. Sie wollen nicht glauben, dass es Menschen gibt, die sich bedenkenlos auf Kosten ihrer Mitmenschen bereichern. Zwar hörten sie schon oft, der Mensch sei von Natur ein egoistisches Raubtier, allein, ihnen fehlt der Glaube. Ja, sie beschimpfen die da oben und halten sie für die Blutsauger der Welt – und dennoch können sie im Tiefsten nicht glauben, dass ihre Empörung Recht haben könnte.

Bis hierher hat ihre lautstarke Empörung nur den Zweck, von den Mächtigen widerlegt zu werden. Die Wohlwollenden glauben, sie hätten in der Welt etwas grundlegend missverstanden. Ein paar klare Worte von Oben – und alles würde sich in Wohlgefallen auflösen.

Warum jagen Milliarden Menschen wenige Tausend Blutsauger nicht zum Teufel? Weil sie nicht glauben, was sie täglich schmerzlich erleiden. Sie sind an ihrer Wahrnehmung irre geworden. Das ist kein Zufall. Sie sollen an ihr irrewerden. Das ist die beste Vorsorgeversicherung der Oberen gegen einen drohenden Amoklauf der Vielzuvielen. Viel effektiver als Polizei und NSA zusammen.

Gehst du durch eine reiche Stadt und siehst Obdachlose und Bettler en masse, musst du dich kneifen: hast du das Elend wirklich gesehen oder halluzinierst du bereits?

Werden wir von unliebsamen Reizen überschüttet, hilft uns ein psychischer Mechanismus: die Reduktion kognitiver Dissonanz. Verstörende Wahrnehmungen werden rationaler gedeutet, als sie sind.

Frei nach Nietzsche sagt sich der Reizüberflutete: „Das hab ich gesehen, sagen meine fünf Sinne. Das kann ich nicht gesehen haben, sagt meine moralische Einfalt und bleibt hartnäckig. Schließlich – geben meine Sinne nach.“

Das wäre die Reduktion moralischer Dissonanz, ein Gesetz, viel wichtiger zur Einschätzung der politischen Eselsgeduld der Massen als die Reduktion kognitiver Dissonanz.

Wer ist zuständig für das Irre-Machen der Massen? Das Bildungssystem: Schulen und Universitäten, Theologie und Philosophie. Den Erkenntnissuchenden bläuen sie schon an der Pforte zur alma mater ein:

Bist du sicher, du Tropf, dass es dich gibt? Bist du sicher, dass deine Sinne und Wahrnehmungen dich nicht täuschen? Bist du dir sicher, dass deine mitmenschliche Moral nicht Lug und Trug ist? Bist du kein einfältiger Gutmensch, der sich das Ausmaß der Schlechtigkeit in der Welt nicht vorstellen kann?

Bei enttäuschten Gutmenschen besteht tatsächlich die Gefahr, dass sie aus gerechtem Zorn über den Zustand der Welt zur Zwangsbeglückung greifen und ihr mit Gewalt ihre Moralvorstellungen aufzwingen wollen. Faschismus ist eine besondere Gefahr für desillusionierte Spießer, die sich über Nacht zu Beglückern der Welt erklären.

Nichtspießer können auf offizielle Gewalt verzichten, sie bemächtigen sich mit Hilfe von Gelehrten und Wissenschaftlern der Gesetze der Welt. Ein einfallsreicher Ökonom ist wertvoller für die Disziplinierung der Massen als ein vertrottelter Verfassungsschutz. Einem smarten Baron und Verteidigungsminister gelingt es gar, seine schmucke Frau an die Kriegsfront mitzunehmen, mit der Begründung, erst der Familienausflug garantiere die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch.

Die Verwirrpolitik der Europäer begann am Beginn der Neuzeit. Kein Bill Gates würde sich heute die idiotische Frage stellen: Gibt es mich? Wie kann ich mich überzeugen, dass Ich bin? Um nach langem Grübeln erleichtert aufzuatmen: Heureka: ich denke, also bin ich.

Descartes war ein singuläres Genie. Was sollten die vielen Volksmassen sagen, die den ganzen Tag malochen und zum scharfsinnigen Grübeln niemals kommen? Gibt es sie nicht, weil sie nicht denken?

Seit dem Franzosen ist die Ergo-Philosophie in die Welt gekommen. Zuerst die Vorleistungen, dann das Ergo.

Hatte man was gegen scharfsinniges Denken, konnte man sagen: Ich fühle, atme, spreche, arbeite – also bin ich. Erst muss ich etwas leisten, herstellen, berühmt oder reich werden, um zu beweisen, dass ich bin. Die Existenz des Einzelnen war gefährdet, wenn sie nicht verdient worden war. Bist du überhaupt berechtigt, zu existieren, du Wicht, Leistungsverweigerer und Müßiggänger, du ungebildete, unsportliche, uncharmante Niete?

Die Ergo-Liste der Vorbedingungen zum Dasein wurde immer länger. Mit einer Ausnahme. Wenn du reich warst und alle Vorleistungen kaufen konntest, war dir alles erlaubt. Wer reich ist, kann ein misanthropisches Ekelpaket sein, seine Reputation in der Gesellschaft ist durch sein Konto gesichert.

Nicht, dass die Vorbedingungen an sich sinnlos wären. Gefährlich wird’s nur, wenn die geforderten Tugenden das Daseinsrecht des Menschen garantieren und legitimieren müssen. Das Leben wurde zum Ergo. Was tust und leistest du, damit du die Lizenz erhältst, ergo leben zu dürfen?

Wer sich die Existenzberechtigung durch Vorleistungen erarbeiten, erschuften und verdienen muss, lebt auf Vorbehalt. Jederzeit könnte die Lizenz wegen mangelnder Vorleistung gekündigt werden. Ich bin zu faul, zu arm, zu ungebildet, zu undeutsch, also bin ich nicht befugt, meine Mitmenschen durch meine Existenz zu belästigen.

Milliarden von Menschen riskieren zu wenig, sind nicht mobil und flexibel genug, also sollen sie abtreten und das Feld Tüchtigeren überlassen. Wer jeden Tag auf der Schärfe des Schwerts balancieren muss, um sein Leben zu erhalten, der kann sich seiner nicht sicher sein. Der zweifelt daran, dass es ihn selbst gibt.

Die umfassende Unsicherheit trägt nicht gerade dazu bei, die Wahrnehmungs- und Denkfähigkeiten der Menschen zu stärken. Die elementare Verwirrung an allem ist die Machtgarantie derer, die von den Denk- und Gefühlsunsicherheiten der Vielen profitieren. Deren Motto lautet: ich bin, weil ich reich und mächtig bin, weil es viele gibt, die es nicht sind und mir ergo nicht gefährlich werden können.

Adam Smith gründete den ganzen Kapitalismus auf Arbeitsteilung. Mit der Schilderung der vielen Tätigkeiten bei der Stecknadelproduktion beginnt er sein Buch. Doch am Ende seines Buches erkennt er die Gefährlichkeit einer allzu großen Arbeitsteilung. Bei vielen Dingen des täglichen Lebens habe er seine gesunde Urteilsfähigkeit verloren:

„Die wichtigen und weitreichenden Interessen seines Landes kann er überhaupt nicht beurteilen. Seine berufliche Fertigkeit, so scheint es, hat er sich auf Kosten seiner geistigen, sozialen Tauglichkeit erworben. Dies ist die Lage, in welche die Schicht der Arbeiter, also die Masse des Volkes, in jeder entwickelten und zivilisierten Gesellschaft unweigerlich gerät, wenn der Staat nichts unternimmt, sie zu verhindern.“

Smith hätte hinzufügen müssen, dass nicht nur die unteren Schichten, sondern auch die oberen Klassen nicht mehr in der Lage sind, ihre geistigen und sozialen Fähigkeiten auszubilden.

Wenn jede Expertengruppe, jede Klasse ihre eigene Sprache spricht, kann‘s zum Dialog auf öffentlichen Foren nicht kommen. Die Demokratie muss zerbrechen.

Hat der Staat etwas unternommen, um das babylonische Sprachengewirr zu verhindern? Im Gegenteil, er unterstützt die Zerklüftung der Gesellschaft. Auch die Medien, die geeignet wären, für eine gemeinsame Sprache zu sorgen, tun das blanke Gegenteil. Sie setzen dem Chaos noch eins drauf und parlieren eine großkotzige Extravaganzsprache.

Gibt es einen einzigen Physiker, der der kausalen Stabilität von Naturgesetzen misstraut und seine Rakete nicht auf den Mond schickt, nur weil er fürchtet, die Gesetze könnten nur wahrscheinlich, aber nicht sicher sein?

Gibt es einen einzigen Naturwissenschaftler, der wirklich glaubt, Newtons Apfel könnte mit 20%iger Wahrscheinlichkeit nach oben fliegen, anstatt auf den Boden zu fallen?

Wissenschaftler geben sich eminent wichtig, können aber die simpelsten Fragen nicht beantworten, ob ihre weltumstürzenden Erkenntnisse tatsächlich die Welt einstürzen. Es fehlt eine gemeinsame demokratische Sprache, mit der jeder mit jedem auf dem Marktplatz reden kann.

Es gibt eine bombensichere Kausalität der Eliten, die genau wissen, dass nur Leistung und Fleiß, Risiko und Wachstum zu Wohlstand und Reichtum führen. Gesetze, die den Mächtigen dienen, sind 100%ig kausal und zuverlässig.

Es gibt eine löcherige und vage Kausalität der Massen, die nie exakt wissen können, ob Unsicherheit, Überforderung und Ausgebranntsein ursächlich zu seelischem Leid, familiärer Zerrüttung und autistischer Abkapselung der Vereinzelten führen.

Die Gesetze der Macht sind immer fest und unwiderlegbar, die Gesetze der Weltverbesserer nur leichtsinnige und angreifbare Träume.

Wahrheit? Wir wissen, dass wir nichts wissen können. Objektive Erkenntnisse? Jeder Mensch ist eine Welt für sich und hat nichts als seinen persönlichen Blickwinkel. Allgemein verbindliche Moral? Das wäre eine totalitäre Moral.

Der Kapitalismus glaubt, ehernen Gesetzen zu folgen: Gesetzen der Natur – die er vernichten will. Wie können wir überleben, wenn wir vernichten, wovon wir leben?