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Tagesmail

Kampf um Demokratie

Hello, Freunde des Thomas Drake,

der als einer der wenigen Vorbilder von Snowden gilt. „Thomas Drake, heute 57, war hochrangiger Agent des US-Geheimdienstes NSA – und deckte bereits vor Snowden die Massenüberwachung der USA auf. Er zahlte dafür einen hohen Preis: Drake verlor seinen Job, seine bürgerliche Existenz, seinen Freundeskreis und wurde zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Das US-Justizministerium hatte 35 Jahre Haft gefordert – konnte Drake aber keinen illegalen Geheimnisverrat nachweisen.“  

Steven Geyer hat in der BLZ ein Gespräch mit Thomas Drake geführt:

Anders als Snowden ging Drake den formellen Weg und protestierte innerhalb der Kommandokette gegen das Programm „Stellarwind“, das völlig unbescholtene Amerikaner überwachsen sollte. Das verstieß klar gegen die Verfassung und war auch für Agenten eine Straftat, auf die fünf Jahre Gefängnis standen – pro Verstoß.

(Nach diesem Kriterium müssten das Dabbelju- und Obama-Regime schon unendlich viele Jahre ins Gefängnis wandern. Die Unendlichkeit der Hölle wurde von amerikanischen Mathematikern auf diesem exakten Weg nachgerechnet und für wahr befunden.)

Die deutschen Geheimdienste leugnen, dass sie in erhöhtem Maß mit der NSA kooperiert hätten. Das hält Drake für eine Lüge. Es wäre dringend notwendig, dass auch in Deutschland ein

Whistleblower die Machenschaften der deutschen Lügner aufdecken würde.

Das wird ein frommer Wunsch bleiben. Wer in Deutschland den geringsten Anteil an der Macht des „Staates“ hat, der ist Staat. Kein Hausmeister eines Gymnasiums lässt sich an Staatsbewusstsein von Gauck übertreffen. Solange die Deutschen weiterhin von Staat reden, können sie hartnäckig ignorieren, dass sie es dank ihrer Befreier zur Demokratie gebracht haben. Sie hatten lange keinen Staat, nur einen schäbigen Flickerlteppich, nun wollen sie jenen nie mehr hergeben.

Merkel will Snowden weder nach Deutschland einladen, geschweige ihm Asyl anbieten. Ein amerikanisches Gutachten bedroht deutsche Abgeordnete, sie könnten in den USA vor Gericht gestellt werden.

Drake: „Das ist ziemlich unverschämt, aber ein Bluff. Wenn man die Papiere liest, findet man auch die Aussage, dass es sehr ungewöhnlich für die USA wäre, einen westlichen Parlamentarier wegen Spionage anzuklagen, nur weil der mit jemandem spricht, den die US-Regierung als flüchtigen Straftäter sieht. Ich finde ohnehin, es ist an der Zeit, dass Deutschland sich vom großen Bruder abnabelt.“ (Steven Geyer in der BLZ)

Merkel begnügt sich mit Obamas Wort, dass sie als einzige Deutsche nicht ausgespäht wird. Was mit ihren Untertanen geschieht, scheint sie nicht zu interessieren. Wie war nochmal der Text ihres Amtseids?

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

Dass sie diesen Eid täglich und millionenfach bricht, hängt mit der Schlussformel zusammen: so wahr ihr Gott helfe. Die ist im altertümlichen Gebets-Optativ gehalten und bedeutet die Bitte, Gott möge ihr helfen. Wenn Er aber nicht hilft? Dann ist ihr Eid hinfällig.

Seit Snowdens geheimen Unterlagen aus Gods own Country wissen wir: Tatsächlich hilft Er ihr nicht. Gott hat Merkel fallen lassen – und ergo führt sie ihr Volk hinters Licht. Das Volk aber kann partout nicht glauben, dass Gottes fromme Magd ihre braven Untertanen im Stich lässt. Also glaubt es hartnäckig weiter an Gott und Angela. Lieber lässt sich das deutsche Volk überwachen, als dass es sich seinen Glauben an Gott & Gottesmutter Maria-Angela nehmen ließe.

Nun wissen wir, warum das ganze Kabinett die Gottesformel benutzt. Kinder kreuzen zwei Finger hinterm Rücken, wenn sie einen Eid bei allen Engeln schwören, um ihre Spielkameraden zu foppen. Was ist der Unterschied zwischen deutschen Politikern und Kindern? Kinder wissen, dass sie täuschen. Ätsch – oder das walte Gott.

Das aber ist erst das Vorletzte. Das Letzte wäre, wenn Gott, sein Name sei gepriesen, die Pfarrerstochter direkt aus den Wolken anblaffen würde: Angela, mächtigste Frau der Welt, allmählich wirst du leichtsinnig und hochmütig. Ich helf dir gleich.

Die Römer hatten eine sinnreiche Tradition. Wenn sie wieder einmal weit draußen in der Welt aufmüpfigen Gegnern eins verpasst hatten und im Triumphzug nach Rom zurückkehrten, musste ein Staatssklave, der hinter dem Triumphator auf dem Wagen stand, diesem ununterbrochen zurufen: Bedenke, dass du ein Mensch bist.

Auch der mächtigste Mann der Welt sollte im Moment des höchsten Triumphs nicht abheben und sich einbilden, ein Gott zu sein.

Rainer Hank, katholischer Theologe und gläubiger Verfechter des calvinistischen Kapitalismus, den er mit der katholischen ecclesia triumphans identifiziert, hat in der FAZ die Rolle des Wirtschaftssklavens eingenommen, um der hybrid gewordenen deutschen Demokratie zuzurufen:

Volksherrschaft, bedenke, dass du nur eine Pöbelherrschaft bist. Maß dir nicht an, dem Profit und Freihandel Grenzen zu setzen. Demokratie, du hast zu dienen, nicht zu herrschen. Sprich mir nach: wer ist dein unumschränkter Herr und Meister? Richtig: das Blut des Lebens, der ganz besondere Saft allen Wohlstands und Reichtums, Nektar und Ambrosia des homo rationalis oeconomicus, des Herrn der Welt und Zwingherrn der Natur: das Geld, der Mammon, die Kohle, Pinke-Pinke oder Diridari. Noch Fragen, Demokratie? Also husch und troll dich.

(Nebenbei: die Natur bringt es an den Tag. Früher war Ambrosia Götterspeise. Heute stammt das feingliedrige Kraut mit haarigen Stängeln aus Nordamerika und bedroht die ganze deutsche Fauna und Flora. Womit es zum Symbolkraut des allergieauslösenden Kapitalismus geworden ist und jederzeit geeignet, germanischen Brechreiz auszulösen.

In Berlin streifen speziell ausgebildete antikapitalistische „Ambrosia-Scouts“ durch die Stadt. Bei der artfremden Pflanze gilt, was im heldenhaften Kampf gegen den Mammon gilt: „Die Pflanze ist zäh, sie muss mit Wurzel aus dem Boden gerissen werden, damit sie nicht gleich wieder nachwächst.“ Ohne Mundschutz und Handschuhe ist der Kampf reine Selbstbeschädigung.

Hat man Gysi und Sahra Wagenknecht schon mal mit Mundschutz gesehen? Womit erneut bewiesen: das Bewusstsein der Linken ist nicht auf der Höhe des wissenschaftlichen Seins, womit sie Marx performativ oder durch die Tat widerlegt haben.)

Hank ist ein wackerer Streiter Christi und des Mammons. Wenn andere feige, wenn auch immer lauter, murmeln: Demokratie ist nicht alles, so kommt er unter der Überschrift „Demokratie ist überbewertet“ ohne Umschweife zur Sache:

„Hohe Importzölle oder saftige Exportsubventionen schädigen die Allgemeinheit. Freihandel soll verhindern, dass Staaten solchen Blödsinn beschließen. Das setzt der Demokratie Grenzen, doch der Rechtsstaat geht vor.“ (Rainer Hank in FAZ.NET)

Vehement kritisiert Hank die TTIP-Kritiker. Nicht mit Larifari-Chlorhühnchen, sondern mit einem Grundlagenstreit: Rechtsstaat gegen Demokratie. Für den Chefökonomen der FAZ steht das Ergebnis des Kampfes fest. Rechtsstaat muss Demokratie besiegen und sie in die Schranken weisen.

„Tatsächlich wertet der „Investitionsschutz“ damit den Rechtsstaat als höheres Gut im Vergleich zur Demokratie, die stets in Gefahr ist, zufällige Mehrheiten protektionistisch zu bedienen.“

Damit ist Hank ins 19. Jahrhundert zurückgekehrt, als die Deutschen es nicht fertig brachten, eine Demokratie zuwege zu bringen und sich mit einem Rechtsstaat begnügen mussten, den sie – aus der Not eine Tugend machend – über die Demokratie stellten.

Doch auch der Rechtsstaat steht bei Hank nicht an oberster Stelle. Er hat nur eine dienende Funktion, um den wachsenden Wohlstand der Völker zu garantieren.

„Länder, die Freihandelsabkommen schließen, haben sich indessen irgendwann einmal davon überzeugen lassen, dass der ungehinderte Verkehr von Waren, Dienstleistungen oder Arbeitnehmern am Ende allen Vorteile bringt. Demgegenüber verzerren Subventionen und als Umwelt- oder Verbraucherschutz getarnte Handelsbarrieren den Wettbewerb und führen zu Wohlfahrtsverlusten für alle.“

Freihandelsverträge ohne Wenn und Aber haben einen einzigen Zweck: „einander wirtschaftliche Freiheiten ohne Einschränkung zu gönnen. Solche Verträge setzen in der Tat der Demokratie Grenzen.“

Damit befindet sich Hank auf den Spuren seines bewunderten Vorbildes Hayek, der nicht genug davor warnen konnte, einen hybriden Volkswillen über die Gesetze der Wirtschaft bestimmen zu lassen. In seinem Buch „Die Verfassung der Freiheit“ schreibt er unmissverständlich:

„Der dogmatische Demokrat erachtet es als wünschenswert, dass möglichst viele Fragen durch Mehrheitsbeschluss entschieden werden, während der Liberale meint, dass es für den Bereich der Fragen, die so entschieden werden sollen, bestimmte Grenzen gibt. Der dogmatische Demokrat meint insbesondere, dass die jeweilige Mehrheit das Recht haben soll, zu bestimmen, welche Gewalt sie hat und wie diese auszuüben ist, während der Liberale findet, dass es wichtig ist, die Gewalt jeder zeitweiligen Mehrheit durch langfristige Grundsätze zu beschränken. Für ihn hat die Mehrheitsentscheidung ihre Gültigkeit nicht kraft eines Willensaktes von seiten der augenblicklichen Majorität, sondern kraft einer weiter reichenden Übereinstimmung über allgemeine Grundsätze. Der Zentralbegriff des doktrinären Demokraten ist der der Volkssouveränität. Das heißt für ihn, dass die Herrschaft der Mehrheit unbeschränkt und unbeschränkbar ist. Das Ideal der Demokratie, die ursprünglich alle willkürliche Gewalt verhindern sollte, wird damit zur Rechtfertigung für eine neue willkürliche Gewalt.“

Europäische Basisgruppen, die als erste das geplante TTIP-Abkommen ans Licht der Öffentlichkeit zerrten, attackierten den Vertrag vor allem unter dem Aspekt der Aushebelung der Demokratie.

Bei Streitigkeiten zwischen den Vertragspartnern sollen nicht die jeweiligen gewählten Regierungen entscheiden, sondern geheime Schiedsgerichte, justament besetzt mit jenen Spezialanwälten, die den Vertrag unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammengemauschelt haben.

Die Beschlüsse dieses platonisch-faschistischen Weisenrats sind ultimativ und können von keinem politischen Gremium revidiert werden. So hat Vattenfall die deutsche Regierung angeklagt, die über Nacht geänderte Atomenergiepolitik habe den Konzern viele Milliarden Profit gekostet.

Auf diesen Punkt geht Hank gar nicht ein. Seine Wertigkeiten liegen ohnehin fest: Recht schlägt Demokratie und schützt den Profit.

An oberster Stelle rangieren die unveränderlichen Wirtschaftsgesetze – bei Hayek Gesetze der Evolution –, die durch sprunghafte Tagesmeinungen zufälliger Mehrheiten auf keinen Fall erschüttert werden dürfen. Es sei, so Hayek, „keineswegs offensichtlich, dass die Mehrheit auch das Recht haben muss, ihre eigene Kompetenz zu bestimmen. Es besteht gar kein Grund, warum es nicht Dinge geben soll, die niemand das Recht hat zu tun.“

Keine demokratische Mehrheit hat das Recht, die ehernen Gesetze der Ökonomie zu durchlöchern. Wirtschaftsgesetze sind allgemeine Grundsätze, die nicht nur die Entscheidungen der Mehrheit, sondern auch das kodifizierte Recht der Demokraten dominieren. Dies bedeutet, „dass die Gewalt der Mehrheit durch jene gemeinsamen Grundsätze beschränkt ist und dass es darüber hinaus keine legitime Gewalt gibt“.

Somit ist klar, aus welcher Denktradition Hayek und die Begründer des Neoliberalismus kommen. Sie entstammen jenem Liberalismus, der unter Freiheit nicht die Freiheit des Volkes versteht, sondern die der Mächtigen und Reichen, ihre Gesetze so einzurichten, dass sie selbst am meisten von ihnen profitieren.

Das ist eine vollkommene Verfälschung des ursprünglich demokratischen Liberalismus, jener Freiheit des Volkes, durch Mehrheitsentscheidungen das Ganze ihrer Republik in eigener Entscheidung zu bestimmen. Dazu gehören nicht nur allgemeine Rechte und Gesetze, sondern auch die Gesetze der Wirtschaft, die von keinem Himmel, keiner Evolution und keinen Eliten diktiert werden dürfen.

Hayek ist Vertreter der antidemokratischen Gegenaufklärung, die von der Vernunft im Allgemeinen und der des Volkes im Besonderen nichts halten. Und Rainer Hank ist ein getreuer Schüler Hayeks. Die unfehlbaren Gesetze der katholischen Kirche hat Hank nahtlos in die evolutionären Wirtschaftgesetze Hayeks – eines K. u. K.-Katholiken – überführt. Extra ecclesiam nulla salus, außerhalb der göttlichen Ökonomie gibt es keinen Profit.

Wie löcherig und kariös unser demokratisches Bewusstsein ist, zeigt sich sogar in jenen Büchern, die hierzulande als Standardwerke der Demokratie gelten. In Giovanni Sartoris „Demokratietheorie“ lesen wir: „Nach der formalen Auffassung kann das Recht jeden beliebigen Inhalt haben, und ein ungerechtes Gesetz ist dennoch Recht. Daher kann die Gesetzgebung offen tyrannisch sein und trotzdem nicht nur legal heißen, sondern auch als rechtmäßig zu achten sein.“

Nach Sartori liegt der Grund dieser Gefahr, dass aus demokratischem Recht schärfstes Unrecht werden kann, in der Überschätzung der menschlichen Vernunft. „Eine Gesellschaft, in der alles für alle von der VERNUNFT entschieden wird, ist keine wertvolle Gesellschaft.“ Vernunft ist die bei weitem überschätzte Entscheidungskompetenz „schwacher und suchender Menschen“. Was bedeutet, dass höchste Vernunft – die Einschränkung der Vernunft ist.

Das war das Generalmotto der Gegenaufklärer von Hamann über Hayek bis Picht: Aufklärung muss über sich selbst aufgeklärt werden, Vernunft aus Vernunftgründen sich selbst beschränken.

Es versteht sich, was daraus folgt. Wenn die Entscheidungsgewalt der Massen begrenzt werden muss, dann zugunsten jener Eliten, die über mehr verfügen als über abstrakte Vernunft: sie sind von einer übernatürlichen oder erleuchteten Weisheit gesegnet.

Diese aristokratische Weisheitslehre hören wir heute unter der Parole: das politische und wirtschaftliche Geschehen sei zu komplex, als dass schlichte Normalbürger fähig wären, es zu verstehen. Also lasset die Großkopfeten entscheiden, ihr Wichtigtuer von der Basis.

Es ist nur konsequent, wenn Populisten, die dem Volk einreden, die Lösung politischer Probleme sei einfach, von den machthabenden Eliten als Scharlatane abgefertigt werden. Die Paradoxie der etablierten Politikerkaste besteht in ihrer Anmutung, sie sei noch immer am kompetentesten, die realen Probleme der Gegenwart – nicht zu lösen.

Das wiederum ist identisch mit der traditionellen Doktrin christlicher Politik. Der Mensch ist zu schwach, um seine irdischen Probleme von Grund auf zu lösen. Ihm bleibt nur, bis zur Wiederkunft des Herrn prinzipienlos zu improvisieren oder – gut mecklenburgisch – sich durchzuwursteln. Niemand dürfte sich noch wundern, Schwester Angela im Lager der frommen Gegenaufklärer zu finden.

„Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte?“ Das war die Urfrage von Kant, die er allerdings gegen die Demokratie und im Sinne einer weisen Monarchie entschied, die zwar nicht gegen die wahren Interessen des Volkes entscheiden dürfe, doch was wahre Interessen des Volkes sind – das bestimmt allein der Monarch.

Ist nicht jede Demokratie in der Gefahr, durch unkluge, unvernünftige, ja demokratiefeindliche Entscheidungen sich selbst zu gefährden?

Antwort: natürlich. Man betrachte die jüngere deutsche Geschichte, in der ein Völkerverbrecher mit legalen Methoden an die Macht kam. Alle Konkurrenten in der eigenen Partei, die den illegalen Weg des Putsches bevorzugten, ließ er liquidieren.

Wenn Demokratien durch demokratische Mechanismen sich selbst und andere zerstören, helfen keinerlei obrigkeitliche und vordemokratische Zwangsmaßnahmen. Das Gift lauert im ganzen Volk, das die Quittung für ihre vergiftete kollektive Psyche kassieren muss. Das kann ungeheuer schmerzlich für alle Beteiligten und schrecklich für viele Unschuldige werden.

Demokratien sind wie Menschen, sie müssen durch Versuch und Irrtum lernen. Autoritäres Besserwissen könnte ein Volk zwar eine Weile an die Kandare nehmen – doch die inhärente Katastrophe wäre nicht behoben, sondern nur verschoben. Es ist allein Aufgabe der Demokraten, ihre Demokratie durch Streit und Auseinandersetzung permanent zu humanisieren.

Es ist auch nicht so, dass der Hass eines Volkes sich vor allem in den Unterschichten konzentrierte. Die meisten europäischen Kriege waren dynastischer Natur. Es waren interne Familienkriege der miteinander verwandten adligen Klassen. Religionskriege waren die Gifterzeugnisse des Klerus. Klerus und Adel waren die inhumansten Klassen aller Zeiten.

Erst der wachsenden Kraft der aufgeklärten Bürgerschichten gelang es, die Religionskriege innerhalb Europa zu beenden, wenngleich das interne Gift Europas sich seit Kolumbus gegen die heidnische Neue Welt richtete und bis heute nicht trocken gelegt werden konnte.

Die Deutschen haben bis zum heutigen Tage nicht verinnerlicht, was Demokratie ist. Sie misstrauen sich selbst, indem sie das „säkulare Gebilde“ der griechischen Demokratie mit einem theokratischen Fundament unterlegen und absichern müssen. Einer religionsunabhängigen Vernunft misstrauen sie bis aufs Äußerste.

Vor kurzem erst hielt der Freiburger Historiker Herbert den sozialen Rechtsstaat für ein gleichwertiges Äquivalent der Demokratie. Dass Recht und Solidarität vom Volk bestimmt und getragen werden müssen, kann ein deutscher Intellektueller ein dreiviertel Jahrhundert nach dem deutschen Verhängnis noch immer nicht verstehen.

In Amerika existiert die Demokratie nur noch auf dem Papier. Der militärisch-industrielle Komplex regiert – nach Greenwald – völlig unabhängig von jeweils gewählten Pappkameraden im Weißen Haus. Die NSA hat die Überwachungsmacht über die Welt illegal an sich gerissen. Die Giganten Google & Co halten Demokratie für bloße Hemmschuhe ihrer digitalen Beherrschung der Massen und streben nach exterritorialen Faschismusinseln im Ozean.

Die Wirtschaftseliten des Westens schauen immer begehrlicher nach der ökonomischen Macht Chinas und halten die Tage der ineffizienten Demokratie für gezählt.

Der Sport will sich mit Politik nicht beschmutzen und kokettiert mit jedem Despoten. Der österreichische Extremsportler Baumgartner plädiert unverhüllt für eine „gemäßigte Diktatur unter der Führung der Privatwirtschaft.“

Der Begriff Postdemokratie wird zum Lieblingsbegriff westlicher Politologen und Philosophen. Die Feinde der Demokratie scheuen sich immer weniger, der Herrschaft der verachteten Massen den Endkampf anzusagen.

Die rasant wachsende Macht der Erlöserreligionen propagiert dreist die Macht ihres Gottes, die den hybriden Aufklärungsstolz des selbstbestimmten Menschen an die Kette legen wird. Gleichzeitig erwachen immer mehr Völker aus dem Schlummer jahrhundertealter Entmündigung und kämpfen um ihre Freiheit.

Gehen wir finsteren Zeiten entgegen? Das liegt nicht in der Hand eines Gottes, der Geschichte oder sonstiger Finsterlinge. Das hängt allein von uns ab. Allons enfants!