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Tagesmail

Kampf um Anerkennung

Hello, Freunde des Amos Oz,

der ein Interview mit folgender Frage begann:

„Was würden Sie tun, wenn ihr Nachbar von der gegenüberliegenden Straßenseite mit seinen kleinen Sohn auf dem Schoß sitzt und anfängt, mit einem Maschinengewehr auf ihr Kinderzimmer zu feuern? Was würden Sie tun, wenn ihr Nachbar einen Tunnel von seinem Kinderzimmer zu ihrem gräbt, um ihr Haus in die Luft zu jagen oder Ihre Familie zu entführen?“

Verständlicherweise reagiert der Interviewer irritiert und fragt nach: „«Ist die Analogie mit dem Kind auf dem Schoß angemessen? Gaza ist dicht besiedelt und die Hamas agiert unvermeidlich aus Wohngegenden …?» «Ja, das ist die Hamas-Strategie», konstatiert Oz. «Das ist der Grund, warum es für Israel eine Lose-Lose-Situation ist. Je mehr Opfer durch die Israelis, desto besser für die Hamas.»“ (Daniel Haufler in der BLZ)

Amos Oz, sonst ein verständiger Friedensfreund und Literat, hat sich zum Sprachrohr biblischer Logik gemacht. Man kann die armen Sieger nur bedauern, die alle Kriege verlieren müssen, weil die Verlierer die hundsföttische Strategie einsetzen, sich von den Siegern abschlachten zu lassen, um die Sieger ins Unrecht zu setzen.

Wie wär‘s, die Rollen zu tauschen und freiwillig Verlierer werden, um die verlierenden Sieger zu besiegen? Wenn die Letzten die Ersten sein werden, müssen

die Ersten die Letzten sein, um Erste zu werden.

Auch bei Oz haben die Palästinenser keine Chance. Sie schießen ohne jeden ersichtlichen Grund – mit Kindern als Schutzschilde – aus der Hüfte, obwohl sie von den Besatzern seit Jahrzehnten mit überwältigender Humanität behandelt werden.

Da die Welt der Gojim Israel nur hassen kann und das heilige Land als Verlierer sehen will, bleibt den Israelis keine andere Wahl, als zu bösen Siegern zu werden, um vor aller Welt als moralische Verlierer da zu stehen. Juden, so Oz, haben vor der Welt keine Chance. Verlieren sie, sind sie berechnende Märtyrer und Opfer, gewinnen sie, macht die Welt die Verlierer zu moralischen Gewinnern und sie zu verruchten Siegern. Sie können tun und machen, was sie wollen, am Ende sind sie hinterlistige Juden.

Umgekehrt könnte man auch sagen: Israel lässt der Welt keine andere Chance, als die böse Welt zu spielen, um sich selbst unverstanden und ungeliebt zu fühlen – damit es sich von Gott geliebt fühlen darf.

Die Welt lieben – das ist den Kindern Israels verboten. Das ist Hurerei mit der Welt, der Tanz ums goldene Kalb. Denn Gott ist ein eifersüchtiger Gott, der jeden Rivalen vertreiben oder vernichten wird, damit sein Volk allein Ihn liebe und Ihm treu bleibe. Ich oder die Welt – das ist die Losung Jahwes. Amos Oz ist in der biblischen Logik angekommen.

Zwei Logiken kämpfen miteinander: die Logik der Welt und die Gegenlogik der Überwelt oder Gottes. Die Überwelt gehört auch zur Welt, tut aber, als sei sie nicht von dieser Welt. Sie vertritt nur eine andere Strategie, um die Welt zu überwinden.

A) Im Matriarchat gab‘s keine Kämpfe antagonistischer Logiken.

B) Als die Herren der Schöpfung die Frauen besiegten, entstand

a) die Logik der Welt und

b) die Logik der Überwelt.

Die Logik der Welt ist die Logik, die jeder zu kennen glaubt. Es ist das Naturrecht der Starken. Der Starke setzt sich durch, besiegt die Schwachen und wird zum Herrn der Welt. Ende der Geschichte?

Nein. Die Schwachen fühlen sich gedemütigt und wollen ihre erzwungene Unterordnung nicht hinnehmen. Sie erfinden die Religion oder die Überwelt, um sich den Starken der Welt zu widersetzen. Eine fiktive Überwelt mit einem fiktiven allmächtigen Schöpfer widersetzt sich den Starken, denn dieser will allein der Starke und Mächtige sein.

Der Logik der Welt wird eine Logik der Überwelt entgegengesetzt, um die Starken zu besiegen. In der Welt herrscht die schlichte Logik: gewinnen soll der Erste und Starke. Die Letzten beißen die Hunde.

Dieser Logik setzen die Schwachen, die die Religion erfunden haben, die Gegenlogik der Überwelt entgegen, um die Starken vom Thron zu holen. Ihre Gegenlogik lautet: Die Ersten und Starken werden die Letzten und Schwachen sein. Und umgekehrt: die jetzt Schwachen und Letzten werden einst die Ersten und Starken sein.

Das war die Erfindung der Heilsgeschichte, in der der Kampf der beiden Logiken in allen Variationen exekutiert wird. Der Gott der Überwelt wird zum ohnmächtigen Loser am Kreuz, um durch Auferstehung den Endsieg zu erringen. Die Starken dieser Welt haben für immer verloren. Die einst Schwachen sitzen zur Rechten Gottes, zu richten die Logischen und Starken dieser Welt.

Die simple Logik dieser Welt wird am Ende der Geschichte untergehen – und nun das Verblüffende – indem die simple Logik der Starken auf höchster Ebene rehabilitiert und zur Logik der Ewigkeit erklärt wird. Die Sieger werden ewig Sieger im Himmel bleiben, die Verlierer ewig Verlierer in der Hölle bleiben.

Welche Logik hat sich finaliter durchgesetzt? Die simple Logik der Welt und der Starken. Wer am Ende schwach war, guckt ewig in die Röhre. Mit Hilfe einer gegenlogischen Welt hat sich die Logik der Welt durchgesetzt. Die Gegenlogik der Überwelt war nur eine vorübergehende Maßnahme, um die Starken dieser Welt vom Hocker zu holen. Am Ende der Geschichte werden sich die wirklich Starken durchsetzen, die mit Hilfe eines überweltlichen Gottes alle autonomen Starken dieser Welt besiegt haben.

Hier können wir die Begriffe Autonomie und Heteronomie genauer definieren. Der autonome Mensch ist stark oder schwach, aber immer nur er selbst. Der heteronome Mensch spaltet sich in zwei Wesen: in einen schwachen, ohnmächtigen – und einen allmächtigen Gott.

Der heteronome Mensch unterwirft sich keinem fremden Gott – den es nicht gibt –, er unterwirft sich nur sich selbst. Er selbst ist Ohnmacht und Allmacht in einer Person. Damit ist er langfristig dem autonomen Menschen überlegen, der nur eine Person ist: entweder der Starke oder der Schwache.

Der heteronome Mensch kann ganz nach Belieben das schwache oder das starke, das ohnmächtige oder das allmächtige Wesen spielen. Ist er ohnmächtig, kann er die Ohnmacht ertragen, denn er kann hoffen, einst der Allmächtige zu werden.

Diese heilsgeschichtliche Perspektive des heteronomen Menschen kennt der autonome Mensch nicht. Was für ihn zählt, spielt einzig im irdischen Leben. Was nicht jetzt in irdischer Zeit geschieht, geschieht nimmermehr. Der heteronome Mensch kann die gegenwärtige Not ertragen, denn er kann auf die Zukunft des Jenseitigen hoffen und harren.

Autonomie ist identisch mit der ewigen Gegenwart der Natur. Heteronomie ist identisch mit der Zukunft der Heilsgeschichte.

Die transzendente Religion begann als Aufstand der Schwachen gegen die Mächtigen der Welt. Indem sie der Logik der Welt ihre Gegenlogik entgegensetzten, entmächtigten sie die Starken dieser Welt – um selbst die Herrschaft über die Welt zu übernehmen.

Das war die Überwältigung des römischen Reiches durch die Kirche, die aus der leidenden zur triumphierenden Kirche wurde und innerhalb zweier Jahrtausende die Herrschaft über die Welt übernahm. Die Machtergreifung der Kirche war kein Sündenfall der Frommen, sondern die Konsequenz ihrer überlegenen, aus Ohnmacht und Allmacht bestehenden Heteronomie, die im Grunde auch keine Heteronomie ist (Unterwerfung unter einen fremden Starken), sondern eine gespaltene und trickreiche Autonomie, die fähig ist, je nach Lage die Ohnmächtige und die Allmächtige zu spielen.

Gott ist in den Schwachen mächtig. Die Schwachen sind in Gott mächtig. Allmächtig ist, wer sowohl schwach als auch Gott sein kann.

Die heteronome Strategie leuchtet unmittelbar ein. Solange die Starken dieser Welt unbesiegbar scheinen, spielt man prophylaktisch die Schwachen, die für die Starken keine Bedrohung darstellen. Lieber unterschätzt, als eliminiert werden.

Beginnen die Starken zu schwanken, beginnt die heilige Wandlung der Schwachen in die Starken des Herrn, gegen die kein irdisch Kraut gewachsen ist. Haben die einst Schwachen die Welt überwunden – wird das Ende der Geschichte eingeläutet und der Sieg der zuletzt Starken auf ewig gesetzt: Himmel und Hölle beginnen, ohne je zu enden.

Was haben diese merkwürdigen Geschichtsspekulationen mit der jetzigen Weltpolitik zu tun? Alles. Was ist der Motor der Weltgeschichte? Nicht ordinäre Interessen. Nach Hegel ist es der Kampf um Anerkennung.

(Merkwürdigerweise bezieht sich der Amerikaner Fukuyama nicht auf die Engländer Hobbes und Locke, sondern auf den Deutschen Hegel, um den Motor der Geschichte zu beschreiben. Hegels Kampf um Anerkennung hält er für sozialer und edler als die wirtschaftliche Monopolherrschaft des angelsächsischen Egoismus. Nach Fukuyama steht nicht die Ökonomie im Zentrum des Weltgeschehens.)

Bei Hegel steht kein isoliertes Wesen am Anfang der Geschichte – sei es gut oder böse –, sondern ein soziales Duo. Aber kein Duo aus Mann und Weib, sondern ein Duo aus starkem und schwachem Mann.

Hegels Weltgeistgeschichte ist eine reine Machogeschichte. Auch bei ihm heißt es: die Frau schweige in der Gemeinde des Weltgeistes. Heute gilt jene Frau als emanzipiert, die in Machos Arbeitswelt unterschlüpft und dort alles absegnet – also die Klappe hält.

Auch die emanzipierte Frau darf noch immer nicht die Machowelt als kapitalistische kritisch unter die Lupe nehmen. Das ist der Grund der gegenwärtigen Misere des Feminismus.

Das Männerduo Hegels besteht aus dem Herrn und dem Knecht. Irgendwann in grauer Vorzeit hat der Herr (also der Starke) sein Leben gegen äußere Feinde riskiert und den Kampf auf Leben und Tod gewonnen. Der Knecht war feige und hielt sich versteckt. Zur Strafe für die Feigheit, zum Dank für den gewonnenen Sieg über den Feind muss der Knecht auf immer Knecht bleiben und für den Herrn rund um die Uhr malochen und ihn ernähren. Der Herr darf für seine anfängliche Heldentat für immer auf der faulen Haut liegen und sich seines Lebens freuen.

Bei Marx wird Hegels Herr zum kapitalistischen Ausbeuter, der Knecht zum abhängigen und ausgebeuteten Proleten. Doch auch bei Marx ist noch immer Religion im Spiel. Wie bei der Erfindung der Überwelt der Schwache identisch ist mit dem Allmächtigen der Heilsgeschichte, ist bei Marx der Prolet identisch mit dem unumstößlichen Gesetz der Geschichte, der am Ende im Reich der Freiheit zum starken Gesamtsieger der Geschichte wird. Der Prolet besiegt den Ausbeuter, der im Nirwana verschwindet.

Auch hier ist das Gesetz des Naturrechts der Starken nicht überwunden. Nur die Klassen tauschen die Plätze, die Knechte werden die Herren, die Herren landen auf dem Müll der Geschichte.

Diese Umkehrung von Herr und Knecht zeichnet sich schon bei Hegel ab. Der malochende Knecht eignet sich alle Kulturtechniken an, der doof bleibende, in Saus und Braus lebende Herr wird völlig von seinem disziplinierten und kenntnisreichen Butler abhängig. Am Schluss ist es wie in jedem deutschen Gymnasium. Der Hausmeister, der sich blendend im Hause und sonst im Leben auskennt, hat den weltfremden Direktor an die kurze Leine gelegt.

(In der Proletenpartei der SPD hat sich das deutsche Wunder ereignet, dass die aufgestiegenen Proleten die Kenntnis der wahren Welt an der Basis vergaßen, dafür die Kenntnis der Machteliten nur im kraftmeierischen Hochstapler-Modus erworben haben. So haben sie den Kontakt nach unten verloren, den nach oben dauerhaft nicht gewonnen. Sie werden untergehen, so wahr Merkel ihnen helfe, die als Magd des Herrn im Einklang mit dem überweltlichen Gott der Starken steht. Da kann Schröder noch lange den bußfertigen Sünder auf der Kanzel mimen, bei ihm bleibt alles Pose.)

Bei Hegel und Marx gewinnt der listige Knecht gegen den tumben Herrn und wird zum finalen Herrn des Herrn.

(Dem Stuttgarter Hegel wäre zuzutrauen, dass er unter der Figur des arbeitsamen Knechts – das schwäbische Weib versteckt hätte, das durch Dienen zum Herrschen über den Mann kommt. Wäre dem so, hätte das letzte Stündlein des herrschenden Mannes geschlagen. Zum letzten Mal würde das Weib in der kapitalistischen Epoche dem Mann dienen, um schließlich die ganze Welt des Mannes aus den Angeln zu heben. Dann erst könnte die Geschichte zum Matriarchat, zum Einklang mit der Natur zurückkehren.)

Hegels Kampf um Anerkennung ist eine maskuline Fehlkonstruktion. Anerkennung kann man sich nicht durch Macht und Gewalt erkämpfen. Auch nicht durch zivilisatorisches Know-how und technischen Fortschritt. Am Ende stehen sich unversöhnte Klassen gegenüber. Ob der Knecht der Herr, der Herr in Wahrheit der Knecht ist: einerlei. Anerkennen kann man nur den Gleichberechtigten in voller Freiheit. Sodass es weder Knechte noch Herren geben darf.

Das anerkannte Kind ist nicht Knecht seiner Eltern. Freundschaft, Verbundenheit, Eros: das sind die zentralen Elemente jeder Anerkennung, die frei und spontan gegeben und frei und spontan angenommen werden. Anerkennung hat nichts mit Klassen- und Geschlechterkampf, erzwungener Arbeitsteilung und Machtgefälle zu tun.

Anerkennung, die erkämpft werden muss, wird zur Trophäe des Siegers über den Verlierer, der zur Anerkennung gezwungen wird, ob er will oder nicht. Solche Anerkennung fällt mit dem Ende des Machtgefälles.

Das Ende der Geschichte als Ende aller Konflikte, Irrungen und Wirrungen kann nur die freiwillige Anerkennung des Menschen durch den Menschen sein. Der Widerspruch zwischen Logik des Irdischen und der Gegenlogik des Überirdischen wird dann aufgehoben sein. Das Überirdische wird nicht mehr benötigt, um das Gefälle zwischen Starken und Schwachen mit Chimären wegzuschaffen. Das Naturrecht der Starken ist aufgehoben durch das Naturrecht der Gleichen, die sich frei anerkennen und anerkennen lassen.

Wenn das Begehren des fremden Begehrens nicht mehr erzwungen werden muss, weil es nicht erzwungen werden kann, wird das Reich der anerkannten Menschheit beginnen.

Der Nahost-Konflikt ist ein Kampf um Anerkennung mit kriegerischen Mitteln. Israel hat viele Jahrhunderte die sich opfernde Gegenlogik der Religion spielen müssen, um der Logik der Starken zu widerstehen. Nach dem Kriege hat es den Sprung ins Lager der Starken geschafft und einen eigenen Staat eingerichtet.

Nun gehört es zu den mächtigsten Staaten der Welt, doch die Seele der meisten Israelis hat diese Veränderung noch nicht verinnerlicht. Innerlich spielen sie noch immer ihre alte Gegenlogik der Opfer und der Loser, die sich von der Welt nicht anerkannt fühlen. An den Palästinensern statuieren sie das Exempel, sich diese Anerkennung mit Repression und Gewalt zu erzwingen. Das wird scheitern und den ganzen Staat Israel gefährden.

In ihrer archaischen Zeit ließen sich die Kinder Israels von einem Gott die Gegenlogik einer trügerischen Allmacht implantieren:

„Und er sprach: Siehe, ich will einen Bund machen vor allem deinem Volk und will Wunder tun, dergleichen nicht geschaffen sind in allen Landen und unter allen Völkern, und alles Volk, darunter du bist, soll sehen des HERRN Werk; denn furchtbar ist, was ich für dich tun werde. Halte, was ich dir heute gebiete. Siehe, ich will vor dir her ausstoßen die Amoriter, Kanaaniter, Hethiter, Pheresiter, Heviter und Jebusiter. Hüte dich, daß du nicht einen Bund machest mit den Einwohnern des Landes, da du hineinkommst, daß sie dir nicht ein Fallstrick unter dir werden; sondern ihre Altäre sollst du umstürzen und ihre Götzen zerbrechen und ihre Haine ausrotten; denn du sollst keinen andern Gott anbeten. Denn eifersüchtig heißt der HERR; ein eifersüchtiger Gott ist er.“

Die Gegenlogik ihres Gottes gegen eine Heidenwelt ist die Logik ihres jetzigen Krieges, den die Palästinenser für die ganze Welt erdulden müssen.

Israel wird erst friedensfähig werden, wenn es sich dem Einfluss der Ultrareligiösen entzieht, nicht auf Wunder eines Gottes wartet, keine Sondermoral für sich beansprucht, anderen Völkern nichts Fürchterliches antut und seinen Kampf um Anerkennung allein in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit führt.