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Judenhass

Hello, Freunde des Kollektivs,

ein Kollektiv sind nicht Alle eines menschlichen Gebildes aus Mehreren, sondern jene Mehrheit – oder mächtige Minderheit –, die das Verhalten des Kollektivs steuert oder repräsentiert. In einer Demokratie ist es die Mehrheit, die die Regierung und Politik des Gemeinwesens bestimmt. In einer Despotie kann es eine gewalttätige Minderheit sein, die das Kollektiv an sich gerissen hat.

Im deutschen Faschismus war es die demokratische Mehrheit, die sich entschloss, sich selbst abzuschaffen und kollektiv zur Despotie einer Clique überzugehen.

Für Griechen, Spanier und Italiener, die unter den Entscheidungen der heutigen Wirtschaftskrise leiden müssen, schrumpft das verantwortliche Kollektiv der Deutschen auf die Person der Kanzlerin Merkel. Eine einzige Person kann Repräsentantin eines Kollektivs sein. Niemand würde sich wundern, wenn deutsche Touristen am Mittelmeer von Einheimischen abgelehnt, ja gehasst würden – selbst, wenn sie sich von Merkel distanzierten.

Wenn Deutschland die potenteste Exportmacht der Welt ist, wird kein Journalist schreiben: 66% der Deutschen sind Exportweltmeister, der Rest – Kinder, Alte, Kranke, Arbeitslose, Hartz4-Leute und Müßiggänger – gehört nicht zum erfolgreichen deutschen Kollektiv.

Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft Weltmeister wird, ist ganz Deutschland Weltmeister geworden. Wenn ein deutscher Theologieprofessor zum Papst ernannt wird, schreiben die Gazetten: Wir sind Papst.

Bei Erfolg gehören alle zum Kollektiv, bei Misserfolg schrumpft das Kollektiv auf die „Schuldigen“. Der Rest

distanziert sich vom Kollektiv und wäscht seine Hände in Unschuld.

Kritiker eines Kollektivs fühlen sich als Außen-seiter, Ketzer oder Querdenker – die draußen vor der Tür stehen –, wenn ihre nationale Bezugsgruppe ihre persönlichen Moralvorstellungen verletzt.

Wer den bisherigen Definitionen zugestimmt hat, kann vor der Schlussfolgerung nicht ausweichen: Im Dritten Reich sind die Deutschen kollektiv schuldig geworden. Nicht alle waren schuldig, es gab latenten und aktiven Widerstand. Doch die Gegner waren eine Minderheit und konnten den Kurs des verbrecherischen Kollektivs nicht aufhalten.

Ihr regime-kritisches Verhalten war bewundernswert, vorbildlich, oft heldenhaft. Gleichwohl gehörten sie nur quantitativ und juristisch zum Kollektiv der Allen, nicht zum qualitativen, politik-prägenden Kollektiv der Mitläufer, Repräsentanten, Entscheider und Machthaber.

Keine von individueller Autonomie geprägte Nation von Millionen kann so homogen sein, dass alle einer Meinung wären. Nicht mal in Maos planiertem Ameisenstaat oder in der nordkoreanischen Despotie sind alle Menschen innerlich gleichgeschaltet, auch wenn sie äußerlich in Schritt und Tritt mitmarschieren müssen.

Im 1000-jährigen Reich haben die Deutschen kollektive Verbrechen begangen, die man als Kollektivschuld bezeichnen muss. Vor allem gegen Juden, aber auch gegen Russen, Polen, Ungarn, Serben und alle Staaten der östlichen Sozialismen.

Trotz der offen zutage liegenden Kollektivschuld haben die Nachkriegsdeutschen sich darauf verständigt, jedwede Kollektivschuld nicht nur zurückzuweisen, sondern mit Empörung zurückzuweisen. Ein Volk im Rausch der Ausgießung des Heiligen Geistes – so der überzeugte Nazi C F. von Weizsäcker – will kein geschlossenes Kollektiv gewesen sein?

Wie ist diese Kollektivlüge, die Mutter aller nationalen Pseudologie, zustande gekommen (Pseudologie = krankhafter Lügenzwang)? Wir reden nicht von juristischer, sondern von moralischer und politischer Schuld. Rein juristisch war der Nürnberger Prozess tatsächlich Siegerjustiz, denn allgemeine, von den Völkern akzeptierte Definitionen von Verbrechen gegen die Menschheit gab es damals noch nicht. Kurz danach erst wurden sie als UN-Charta beschlossen, um als juristische Grundlage des Verfahrens gegen die Nazischergen zu dienen.

Sine lege nulla poena, ohne Gesetze keine Strafe. Das historische Sonderrecht der Deutschen kannte keine Verbrechen gegen die allgemeine Humanität. Dennoch war der Prozess notwendig, um den Deutschen das Ausmaß ihrer Verbrechen vor Augen zu führen.

In Zeiten des Drohnenkillens und vieler Foltergefängnisse in Guantanamo und anderswo müsste Amerika selbst vor ein Nürnberger Tribunal gezogen werden.

Eines der ersten Bücher des Heidelberger Philosophen Karl Jaspers nach dem Kriege war die politische Schrift „Die Schuldfrage“, in der er von kollektiver Verantwortung sprach, die These von der Kollektivschuld aber zurückwies. Jaspers, verheiratet mit einer jüdischen Frau, hatte sich erst allmählich zum Gegner Hitlers entwickelt – im Gegensatz zu seinem Freiburger Kollegen Heidegger, der selbst nach dem Krieg keine Schuld der Deutschen anerkennen wollte.

Für existentialistische Denker war eine hersagbare Moral ein Unding. Von Augenblick zu Augenblick konnte sich der Ruf der Zeit verändern, eine zeitenübergreifende Hausapothekenmoral konnte es nicht geben. Die Vorläufer der Postmoderne wollten sich in moralibus jeden Tag neu erfinden.

Als Jaspers das Desaster der Deutschen zu verstehen versuchte, entschied er sich, für den Rest seines Lebens politisch zu werden: „Wer es überlebt, dem muß eine Aufgabe bestimmt sein, für die er den Rest seines Lebens verzehren soll.“

Als praktische Handlungsanleitung seiner Philosophie sah Jaspers das Eintreten für die Freiheit, denn nur in Freiheit könne man wirklich zur Existenzerhellung gelangen. Jaspers zog für sich die Schlussfolgerung, zum politischen Leben künftig Stellung zu beziehen. Obwohl Gegner Hitlers – wenn auch kein aktiver –, bezog er die kollektive Verantwortung auch auf sich:

„Wir Überlebenden haben nicht den Tod gesucht. Wir sind nicht, als unsere jüdischen Freunde abgeführt wurden, auf die Straße gegangen, haben nicht geschrien, bis man uns vernichtete. Wir haben es vorgezogen am Leben zu bleiben mit dem schwachen, wenn auch richtigen Grund, unser Tod hätte nichts helfen können. Daß wir leben, ist unsere Schuld. Wir wissen vor Gott, was uns tief demütigt.“

Unsere Schuld? Ist unsere Schuld nicht die Schuld eines Wir, eines Kollektivs, das sich den Untaten der Herrenmenschen nicht hartnäckig genug widersetzt hatte?

Trotz moralischer Schuldsprechung verneint der Denker eine kollektive Schuld der Deutschen. „Es ist aber sinnwidrig, ein Volk als Ganzes eines Verbrechens zu beschuldigen. Verbrecher ist immer nur der einzelne. […] Es ist auch sinnwidrig, ein Volk als Ganzes moralisch anzuklagen […] Moralisch kann immer nur der einzelne, nie ein Kollektiv beurteilt werden […]“

Auf diesen sinnfreien Thesen eines Gutmeinenden ruht die kollektive Selbstentschuldung der Deutschen bis heute. Wenn ein Volk als Ganzes Verbrechen begangen hat, ist es sinnvoll und unerlässlich, es als ganzes Verbrecherkollektiv anzuklagen. Das Ganze eines Volkes sind nicht 100% desselben, sondern jenes qualitative Ganze, das das Volk ins Verbrechen führte – ohne dass eine gegnerische Minderheit den übermächtigen Tross des Verderbens hätte aufhalten können.

Amerikaner waren kollektive Mörder der eingeborenen Indianerstämme. Kein Historiker wird sagen: eine bedeutungslose Minderheit der Amerikaner ermordete die Urbevölkerung, wenn fast niemand sich gegen die Völkerverbrechen zur Wehr gesetzt hatte. Morison, einer der ersten Historiker auf amerikanischem Boden, sprach unmissverständlich von Völkermord, der seit Kolumbus Zeiten an der amerikanischen Urbevölkerung verübt wurde.

Trotz dieses klaren Wortes kritisiert Howard Zinn an Morison, dass er den Massenmord zwar zugab, aber schnell zu anderen Dingen überging, um den kollektiven Makel mit christlicher Liebe zu bedecken, wenn er Kolumbus einen „vortrefflichen Glauben an Gott als Überbringer Christi“ bescheinigte.

Das Subjekt des Verbrechens ist natürlich der Einzelne. Ein Kollektiv aber ist die Summe und nicht das Gegenteil der Einzelnen. Viele Einzelne ergeben ein Kollektiv. In einem Kollektiv verschwinden die Einzelnen nicht, sondern sie ergänzen sich zu Heil oder Unheil. Wenn es keine Kollektivschuld gibt, dürfte kein Mensch in der Welt den diskriminierenden Satz sagen: die Deutschen haben sich des Völkerverbrechens an den Juden schuldig gemacht.

„Die Deutschen“ sind immer das kollektive Ganze der Deutschen. Kein vernünftiger Mensch wird auf die Idee kommen, die quantitative Allheit des Volkes als Verbrecher zu bezeichnen. Wenigstens die Kinder, die Alten, die Schwachen und Kranken, die einsitzenden Häftlinge und die kinderbetreuenden Mütter werden nicht am Völkermord beteiligt gewesen sein. Es waren nicht alle, aber es war das dominante Kollektiv.

Jaspers Selbstanklage – „wir sind nicht auf die Straße gegangen, haben nicht geschrien“ – und seine Ablehnung der Kollektivschuld stehen in schreiendem Widerspruch, den die Deutschen bis heute nicht sehen wollen. Es genügt ihnen, wenn der große Denker sie als Kollektiv entlastet, damit die Schuld der Einzelnen nicht ins Unerträgliche steigt.

Deutschland lebt vom kollektiven Schuldfreispruch Karl Jaspers, der die Deutschen auf ihre moralische Schuld hinweisen wollte, aber durch seine widersprüchlichen Aussagen das Gegenteil erreichte. Ist das Kollektiv nicht schuldig, kann der Einzelne auch nicht schuldig sein. Denn der Einzelne ist Teil des Kollektivs. Wenn das Ganze integer ist, kann es keinen Teil des Ganzen geben, der nicht integer wäre.

Da jeder Einzelne von seiner Umgebung abhängig ist, können sehr wohl der verbrecherische Einzelne und seine verbrecherische Umgebung moralisch verurteilt werden. Warum wurde der einzelne Deutsche zum Verbrecher? Weil die deutsche Gesellschaft und die deutsche Tradition ihn zum Verbrecher verführten und prägten.

Ist die Umgebung monolithisch-verbrecherisch, hat der Einzelne keine Chance, der Dominanz der Verhältnisse zu entkommen. Das Kind einer Mafiafamilie wird es schwer haben, kein Mafia-Verbrecher zu werden. Das deutsche Volk wurde nicht über Nacht zu einem verbrecherischen Mörderhaufen. Die historischen Spuren seiner nationalen Verwüstung reichen weit zurück.

In seiner berühmten Rede über die deutsche Vergangenheit weist der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker die These von einer Kollektivschuld mit Jasper‘schen Formulierungen zurück: „Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht“, rief aber gleichzeitig dazu auf, kollektiv die Verantwortung für das nationalsozialistische Unrecht zu akzeptieren. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler bezeichnet diese Haltung als „Kollektivhaftung“.

Phrasen, nichts als Phrasen. Wer keine Schuld hat, trägt auch keine Verantwortung für die böse Tat. Er haftet nicht für etwas, was er nicht getan hat. Stellvertretend für seine schuldigen Vorväter aber kann er sich bemühen, die Verbrechen seiner Nation anzuerkennen und für die Folgen derselben aufzukommen. Das ist eine freiwillige Haftung, keine logische Konsequenz aus nicht existenten Taten.

Ein Deutscher, der die Verbrechen seiner Vorfahren nicht leugnet, Verständigung und Versöhnung mit den Opfern will, der wird alles tun, um stellvertretend für seine verbrecherischen Eltern friedensstiftende Folgerungen aus deren Untaten zu ziehen.

Die Nachkommen der Schuldigen sind keine Schuldigen, das wäre steinzeitliche Sippenhaftung. Sippenhaftung verübten die Schergen an den Familien der Widerständler und sonstiger Regimegegner.

Warum es sinnvoll ist, von Kollektivschuld zu reden, das hat der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe auf vielen Reisen durch Nazideutschland erfahren und in seinem Buch „Es führt kein Weg zurück“ eindringlich beschrieben:

„Ihm wurde klar, dass diese ganze Nation von der Seuche einer ständigen Furcht infiziert war: gleichsam von einer schleichenden Paralyse, die alle menschlichen Beziehungen verzerrte und zugrunde richtete. Der Druck eines ununterbrochenen schändlichen Zwanges hatte dieses ganze Volk in angstvoll-bösartiger Heimlichtuerei verstummen lassen, bis es durch Selbstvergiftung in eine seelische Fäulnis übergegangen war, von der es nicht zu heilen und nicht zu befreien war. […] Im Lauf dieser Sommerwochen und -monate bemerkte George überall ringsum die Merkmale der Zersetzung und des Schiffbruchs eines großen Geistes. Die giftigen Ausstrahlungen von Unterdrückung, Verfolgung und Angst verpesteten die Luft wie ansteckende Miasmen und besudelten, verseuchten und vernichteten das Leben aller Menschen, die George kannte.“

Wenn es eine kollektive Atmosphäre gibt, muss es auch eine kollektive Schuld geben. Die Einzelnen wachsen nicht in einem wertfreien Vakuum auf, sie inhalieren das Gift ihrer Gesellschaft mit jedem Atemzug.

Ist ein Mensch verpflichtet, zum Held zu werden, um sich gegen schändliche Verbrecher zu wehren? Kein Mensch muss sich opfern, um anderen beizuspringen. Wer aber das Mögliche nicht tut, um einem Opfer zu helfen, der macht sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig.

Kein Deutscher war verpflichtet, ein Held wie Georg Elser zu werden, der unter Lebensgefahr den Führer im Hofbräuhaus eliminieren wollte. Wer aber Feigheit zum alleinigen Imperativ seiner Duckmäuserei machte, der wurde mitschuldig. Auch Mitläufer sind schuldig, selbst wenn sie niemandem persönliche Gewalt angetan haben.

In seinem Dokudrama „Das radikal Böse“ versucht der Regisseur Stefan Ruzowitzky der Frage nachzugehen, warum junge Männer im Dritten Reich „im Akkord mordeten“. Sven Felix Kellerhoff hat in der WELT seine Überlegungen zu diesem Thema niedergeschrieben.

Goldhagens Rede von einem exterminatorischen (ausrottenden) Antisemitismus als Ursache für das Völkerverbrechen an den Juden verwirft Kellerhoff. Er bevorzugt psychologische Erklärungen:

„Während der zeitweise hoch gelobte, inzwischen aber in der Versenkung verschwundene US-Politologe Daniel Goldhagen von einer Disposition der Mörder zum „exterminatorischen Antisemitismus“ fabuliert und die Holocaustforschung in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit damit um Jahre zurückgeworfen hatte, bemühen sich seriöse Forscher um psychologische Erklärungsmodelle, ohne Verstehen der Taten mit Verständnis für die Täter zu verwechseln. Ein zentraler Grund, warum diese Massenmorde möglich wurden, war der Gruppendruck. Zwar drohten bei Verweigerung von Mordbefehlen keine harten Strafen – aber die Ausgrenzung aus dem Kameradschaftsverband. Es war schlicht leichter, mitzumorden als beiseite zu stehen.“

Nicht einmal die NS-Ideologie soll verantwortlich für die massenhafte Ermordung von Juden gewesen sein? War die NS-Ideologie nicht im Kern eine antisemitische Hassorgie? Sollten Juden nicht als Feinde der Menschheit eliminiert werden, damit die wahren Auserwählten, die Germanen, den Sieg der Geschichte im 1000-jährigen Reich feiern konnten?

Der Autor, ganz im Stil des heutigen Feuilletonismus hat es nicht nötig, zu argumentieren. Er dekretiert. Man muss es zweimal lesen: der lang angestaute, jahrhundertealte Antisemitismus der Deutschen, von Hitler und Goebbels und ihren Vordenkern Wagner, Chamberlain, Lagarde e tutti quanti unendlich oft propagiert, von allen Kanzeln seit den europäischen Anfängen heruntergepredigt, soll bei deutschen Soldaten keine Rolle gespielt haben?

Weil es leichter gewesen sei mitzumorden, als beiseite zu stehen: diese psychologische Windigkeit soll Ursache eines der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte gewesen sein?

Es entspricht der aufkommenden Macht der Kirchen, dass theologische Gründe keine Rolle mehr spielen dürfen. Dass Antisemitismus dogmatischer Bestandteil der christlichen Lehre ist: diese Kleinigkeit wird im Artikel nicht mal erwähnt.

Gruppendruck gibt es überall auf der Welt, wo es Gruppen gibt. Woher aber soll der Judenhass in den soldatischen Gruppen gekommen sein, wenn nicht vom Judenhass des ganzen Regimes? Was nicht sein darf, kann nicht sein. Religion muss heute tabuisiert werden. A priori muss sie an allem Elend dieser Welt schuldlos sein.

Stattdessen werden seichte Psychologismen zur Erklärung des Mordens ins Feld geführt. Denn das Psychische gelte auch heute noch. Deshalb sei es so gefährlich. „Solche psychologischen Phänomene können wieder auftreten und sind seit 1945 immer wieder aufgetreten. Die Völkermorde in Schwarzafrika, keineswegs nur 1994 in Ruanda, oder die „ethnischen Säuberungen“ im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er-Jahren sind Beispiele dafür.“

In der Tat, das Böse kann überall in der Welt auftreten. Deshalb muss es aber nicht derselben uniformen Wald- und Wiesenpsychologie entwachsen sein. Wenn Menschen verschieden sind, kann auch ihr Böses grundsätzlich verschieden sein.

Goldhagens Anklage gegen das antisemitische deutsche Kollektiv des Dritten Reiches wurde von einheimischen Historikern in beispielloser Wut und unfasslich dämlichen Argumenten niedergemacht.

Für Hans Mommsen muss Goldhagen irren, denn „nahezu alle Fachhistoriker, die auf diesem Gebiet arbeiten, lehnten die Thesen und Methoden Goldhagens ab. Mit dem Buch würden „tiefere emotive Schichten angesprochen“, die „nicht mit dem Bedürfnis nach rationaler Aufklärung“ in Verbindung stünden.“

Weil tiefere Gefühle angesprochen wurden, sollen Goldhagens Beweisführungen absurd sein? Dann können oberflächliche Gefühllosigkeiten nur noch richtig sein, die alles Theologische ausklammern, weil rationale Aufklärung sich nicht mit Emotionen beschäftige?! Hat die Aufklärung sich nicht vor allem mit theologischen Drohgebärden auseinandergesetzt und christliche Dogmen angegriffen, weil sie den Menschen in Angst und Schrecken versetzten?

Weil alle nichtjüdischen Historiker Goldhagens Thesen ablehnten, müssen sie bereits falsch sein? Wer es fassen kann, fasse es. Wie recht hatte doch Thomas Kuhn, der revolutionären wissenschaftlichen Erkenntnissen keine Chancen gab, es sei, die Vertreter des herrschenden Paradigmas hätten das Zeitliche gesegnet.

Die Motive der Deutschen stehen nicht auf Karteikarten der SS. Sie stehen in den wichtigsten Büchern der Deutschen, die sie jahrhundertelang beeinflusst haben. An vorderster Stelle das Buch der Bücher. Dann die wichtigsten Dichter und Denker, von denen fast keiner frei war von Judenhass.

In anderen Ländern gab es auch Antisemitismus? Da gab es aber zugleich das Gegengift demokratischer Menschenrechte. Im Gegensatz zum deutschen Reich, in dem Generationen abgesonderter Deutscher herangewachsen waren, die sich für so ungeheuer kühn und außerordentlich hielten, dass sie als Einzige auf der Welt wagten, die Lieblinge des Herrn auszurotten. Sie hielten sich selbst für die wahren Auserwählten.

Himmlers Posener Rede spricht von dieser Tapferkeit beim Eliminieren der satanischen Brut: „Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen“. Die ganze Welt mag mehr oder weniger antisemitisch sein, doch nur wir Deutschen sind unerschrocken genug, den hasserfüllten Worten entsprechende Taten folgen zu lassen: „Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte. […] Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen.“

Psychologie ist keine eigenständige Wissenschaft. Die Psyche der Menschen hängt von philosophischen und theologischen Systemen ab, die die Menschen von der Wiege bis zur Bahre beherrschen. Die Psyche der Nazi-Deutschen war ihre eschatologische Theologie. Den finalen Sieg der Geschichte können nur jene gewinnen, deren Hassreden von eliminatorischen Hasstaten begleitet werden.

Die Deutschen erwiesen sich als willige Vollstrecker der prophetischen Worte ihres Herrn und Heilands über die Juden:

„Ihr Schlangen und Otterngezücht! wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen? Darum siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; und deren werdet ihr etliche töten und kreuzigen, und etliche werdet ihr geißeln in ihren Schulen und werdet sie verfolgen von einer Stadt zu der anderen; auf daß über euch komme all das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blut des gerechten Abel an bis auf das Blut des Zacharias, des Sohnes Berechja’s, welchen ihr getötet habt zwischen dem Tempel und dem Altar. Wahrlich ich sage euch, daß solches alles wird über dies Geschlecht kommen.“

Die Urlüge der Deutschen ist die Leugnung ihrer Kollektivschuld. Noch immer wollen sie Opfer listiger und gewalttätiger NS-Cliquen sein, um die nationale Tradition ihrer religiösen Seelenvergiftung nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Solange sie an dieser Urlüge festhalten, werden sie keine Verbindung zu ihrem verödeten kollektiven Es erhalten.