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Tagesmail

In der Heilsgeschichte wird gekeltert

Hello, Freunde der Kelter,

oder der Heilsgeschichte, der Geschichte, des Fortschritts oder der Evolution. Alle abendländischen Geschichtskonstruktionen sind verkappte Heilsgeschichten. Hat die Geschichte einen Sinn? Sie hat den Sinn, den ihr der Herr der Geschichte verliehen hat.

Am Anfang der Geschichte war Streit im Himmel. Einige Engel revoltierten gegen den Höchsten und wurden aus der himmlischen WG rausgeworfen. Um die leeren Plätze zu füllen, ersann der Herr die Schöpfung mit Menschen, die die leeren Plätze ersatzweise ausfüllen sollten.

Gott, neoliberaler Freund der Konkurrenz und des Rankings, wollte nur die Besten. Er kreierte viele Menschen, die im Verlauf der Geschichte gegeneinander antreten mussten. Wer den irdischen Concours am besten absolvierte, wurde in den himmlischen Hofstaat berufen, um die abgefallenen Engel zu ersetzen. Die Verlierer der Konkurrenz schickte man ins Reich der Verlorenen.

Der irdische Kapitalismus ist eine Kopie des göttlichen verordneten Wettbewerbs um knappe Himmelsplätze. Das Prinzip Knappheit ist keine Erfindung menschlicher Ökonomen. Es wurde vom Schöpfer ersonnen, um den Slalom um die wenigen Plätze im Reich der Seligkeit aufs höchste zu verschärfen. Gott wollte es spannend machen, vermutlich langweilte er sich auf seinem Thron.

Wie alle Übersättigten und Ennuyierten wollte er einen unberechenbaren Kitzel, der bei Laune hält. Das Prinzip Zufall musste erfunden werden, das die Voraussehbarkeit göttlicher Gesetze zu durchbrechen schien. Selbst der Allwissende sollte

neugierig sein aufs Ende der Spiele. Gladiatorenkämpfe mit ungewissem Ausgang mussten erfunden werden, um die Saturierten und dennoch Unzufriedenen mit Abenteuer und Risiko zu delektieren. Gott schuf Himmel und Erde als Spielarena für die am sechsten Tage erschaffenen Matadore, die man bis heute Menschen nennt.

Hier treten erste Schwierigkeiten auf. Wie kann es etwas geben, das sich der Allwissenheit des Schöpfers entzieht? Wenn Gott wirklich allwissend war, konnte es kein Prinzip Zufall geben. Wenn er alles voraussah, wie hätte er den Ausgang der Spiele in neugieriger Spannung erwarten können? Jedes Börsenspiel wäre langweilig, wenn die Beteiligten schon am Anfang um die Ergebnisse ihrer Wetten wüssten.

Im Wettstreit zwischen allwissender Langeweile und unwissender Kurzweil vertrat der Genfer Calvin die Allwissenheit und machte die Heilsgeschichte zum Spiel, dessen Ausgang am Anfang bereits festlag. Alles vorherbestimmt, alles prädestiniert. Aber nur aus der Perspektive des Schöpfers, nicht für die Geschöpfe, die zwar wussten, dass sie ferngelenkt werden, aber nicht, ob sie zu den Erwählten oder zu den Verworfenen gehören. Spannung auf Erden, Langeweile im Himmel?

Vielleicht amüsiert sich der Hofstaat über das Rennen, Laufen, sich Bekriegen und Betrügen der Menschlein aufs angenehmste. Andere Christentümer machen es für den Schöpfer spannender. Zwar blieb er allwissend und allmächtig, doch mit seiner Macht hielt er sich zurück und ließ das Geschehen auf Erden von den Menschen ausfechten, die einen freien Willen hatten. Gott ließ seine Allmacht eine Weile ruhen und schuf einen Raum für den Wettbewerb der Menschen, den sie aus eigener Kraft prägen sollten.

Wir übergehen schweigend die Frage, wie ein allmächtiger Gott einen Raum schaffen kann, der nicht von seiner Allmacht durchdrungen wird. Die jüdische Theologie spricht vom Zimzum, einem Raum im Universum, den der Höchste freiwillig räumte, um seinen Geschöpfen eine freie Spielwiese zu bieten. Calvin mutet den Menschen zu, ohne freien Willen auszukommen und dennoch zu tun, als hätten sie einen.

Welche Version der geneigte Leser für die göttlichere hält, muss er mit sich ausmachen, da mischen wir uns nicht rein. Natürlich gibt es noch andere Versionen des Gottes, die bis zur Ohnmacht des Schöpfers gehen können. Erst im Verlauf der Geschichte entfaltet Gott seine Persönlichkeit, erst am Ende der Zeiten wird er zum omnipotenten Herr der Heerscharen.

Bei solchen Blicken durchs Schlüsselloch ins Jenseits wird es manchem schwindlig geworden sein. So viel Wissen über Dinge, die niemand wissen kann, bringt manches naive Gemüt in Verwirrung. Zur Allwissenheit ist der Mensch nicht geschaffen.

Weshalb die NSA vor der pikanten Aufgabe steht, einen Neuen Menschen zu erfinden, der auf allen Ebenen des Seins omnipotenz-verträglich ist.

Zwar wissen sie viel, doch wollen sie alles wissen. Dies war das Kennzeichen eines deutschen Gelehrten in Weimar, der sich mit seiner Allwissenheitssucht lächerlich machte. Der deutsche Faust ist dem Famulus Wagner – einem frühen Entwurf des homo americanus – haushoch überlegen. Vermutlich kennen die NSA-Chefs Goethes Werk nicht mal vom Hörensagen. Und wenn doch, wären sie von der Überlegenheit des deutschen Faust nicht überzeugt.

Wagner, der schellenlaute Tor und trockne Schleicher, weiß zwar viel, doch er will alles wissen. Goethe hat mit Wagner den Prototyp des NSA-Menschen erfunden. Die Amerikaner sollten ihm dankbar sein und jedes Jahr in der Kantine ihrer neuen Zentrale das Stück des Geheimrats mit eigenen Kräften aufführen.

Geheimdienst und Geheimrat – schon die Begriffe zeigen die sympathetische Nähe von deutschem Idealismus und amerikanischer Schaffenskraft und würden die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Nationen stärken. Eine Krönung der Festspiele wäre, wenn es dem Geheimbund gelänge, fürs Gretchen die deutsche Kanzlerin zu gewinnen und für den Faust den durch seine aktuelle Midlifekrise bestens prädestinierten amerikanischen Präsidenten.

Was Faust und Obama im Innersten verbindet: unbeirrt gehen sie ihren Weg bis ans bittere Ende und hinterlassen Leichen, wo sie gehaust und gewütet haben. Gerade hat Obama sich für die Rolle des besten Leichenproduzenten mit den Worten beworben, im Töten sei er nicht der Schlechteste: „Ich bin echt gut darin, Menschen zu töten“. (FOCUS) Eine Qualität, die heute jeden Friedensnobelpreisträger auszeichnen muss.

Für die Besetzung des Wagner wäre ein bornierter General schnell zur Hand. Mephisto wäre jenem Herrn von Klepper auf den Leib geschrieben, der gar keine Teufelsmaske bräuchte, weil er bereits in natura wie Mephisto aussieht. Wagner – ein Geschöpf, das Silicon-Valley entsprungen sein könnte – ist ein echter Fortschrittler und freut sich, wie herrlich weit die Menschheit es schon gebracht hat. Bis an die Sterne weit, meint der miesepetrige Faust, der sich seiner Gottähnlichkeit nicht freuen kann. (An dieser Stelle müsste Obama über sich hinauswachsen und beweisen, dass er alteuropäische Dekadenz überzeugend mimen kann – ohne sich von ihr anstecken zu lassen.)

Obama:

„Ich Ebenbild der Gottheit, das sich schon

Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew‘ger Wahrheit …

Du stießest grausam mich zurücke

Ins ungewisse Menschenlos.

Den Göttern gleich ich nicht! zu tief ist es gefühlt!

Dem Wurme gleich ich, der den Staub durchwühlt.

O glücklich, wer noch hoffen kann,

Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!

Was man nicht weiß, das eben brauchte man,

Und was man weiß, kann man nicht brauchen.“

Europäischer Missmut und Skepsis an allem Wissen ist das Gegenteil des amerikanischen Sternenglaubens.

Was wollen die Amerikaner mit ihrer Allwissenheit? Sie wollen die Kelter Gottes bedienen, die Völker der Welt drücken und pressen, dass am Ende die Kloake sich vom Öl scheide – was der Sinn der Heilsgeschichte wäre:

„Die Welt ist wie eine Kelter: es wird ausgepresst. Bist du Ölschaum, so fließt du in die Kloake, bist du Öl, so bleibst du im Ölgefäß. Dass gepresst wird, ist unumgänglich. Nur beachte den Schaum, beachte das Öl. Pressung geht in der Welt vor sich: durch Hungersnot, Krieg, Armut, Teuerung, Not, Sterben, Raub, Geiz: das sind die Drangsale der Armen und die Mühsale der Staaten: wir erleben es … Da finden sich Leute, die in solchen Drangsalen murren und sagen: „Wie schlecht sind die christlichen Zeiten …“ Das ist der Schaum, der aus der Presse fließt und durch die Kloaken rinnt; sein Ausfluss ist schwarz, weil sie lästern, er glänzt nicht. Das Öl hat Glanz. Da findet sich nämlich ein anderer Mensch in derselben Presse und in der Reibung, die ihn zerreibt – war es denn keine Reibung, die ihn so blank rieb?“

In einem eindrucksvollen Bild wird die amerikanische, ja die ganze westliche Geschichtstheorie dargestellt. Erfinder des Bildes ist der nordafrikanische Kirchenvater Augustin, womit wir sehen, wie weit amerikanische Heilsgeschichtler sich fortentwickelt haben. Die Eliten der USA sind eifrig dabei, die moderne Welt durch die Kelter zu pressen. Wer zu Öl wird, hat gewonnen, wer zu Schaum, der fließt in die Kloake.

Deshalb werden die Kloaken überall auf dem Planeten immer größer – allein die Plastikkloaken ersticken bald das ganze Leben im Meer –, weil immer mehr völkische Verlierer in den Gully wandern.

Eine perfektere Schilderung des darwinistischen Wettkampfs der Besten um die begehrten Plätze ist kaum möglich. Wo ist da die katholische Soziallehre, die protestantische Sozialethik? Hungersnot muss sein, Kriege müssen sein, Armut, Teuerung, Not und Raub: alles muss heilsnotwendig sein und dient der Kelterung der Menschen. Ohne Abreibung kein glänzendes Öl. Der ungezüchtigte Mensch ist kein Mensch.

Die Hängematte der sozialen Marktwirtschaft kann keine christliche Erfindung sein. Sie wäre eine teuflische Verweichlichung, die ihre verwöhnten Sprösslinge ins Verderben bringt.

Hier wurzeln auch jene pädagogischen Rezepte, die dem Motto folgen: der nicht strapazierte Mensch ist kein wahrer Mensch. Wen Gott liebt, den drückt und presst er, bis ihm die Augen übergehen. In der Not zeigt sich erst der Mann. Ohne erzieherische Knochenbrechermühle gibt’s keine geläuterten und gekelterten Vollwertmenschen, die jedes Wohlleben als satanische Versuchung meiden.

Schon lange gab es keine Kriege in Mitteleuropa, Gott muss Alteuropa verlassen haben. Schon bilden sich verwahrlosender Luxus und verzärtelnder Wohlstand im Euroland. Hat Gott den Westen nicht mehr lieb? Ist Er nach Syrien ausgewandert? Liebt Er Muslime mehr als die in Reichtum schwimmenden verwahrlosten Jünger Jesu?

Schlagt Alarm. Es müssen wieder flotte Kriege her. Wie herrlich, die Aufrüstung eschatologischer Atombomben. Das sorgt für Kitzel im Endspurt um die begehrten Plätze der Geschichte. Wen Gott liebt, den schindet er. Mit Klimaverwüstung, Naturzerstörung, NSA und Vermüllung der Meere.

Alle christlichen Staaten des Westens befinden sich im verschärften Endspurt der Geschichte. Augustin war nicht der Letzte, der im Abendland für Spannung sorgte. Fast alle Europäer waren für heilsschaffendes Hauen und Stechen. Selbst ausgewiesene Aufklärer, die ihrer autonomen Ethik offensichtlich nicht übern Weg trauten und auf Drill von Oben setzten.

Das Beste für bürgerliche Vereinigungen ist , wenn die Einzelnen „wie Bäume in einem Wald eben dadurch, dass ein jeder dem andern Luft und Sonne zu benehmen sucht, einander nötigen, beides über sich zu suchen und dadurch einen schönen geraden Wuchs bekommen, statt dass sie, welche in Freiheit und voneinander abgesondert ihre Äste nach Wohlgefallen treiben, krüppelig, schief und krumm wachsen. Alle Kultur und Kunst, welche die Menschheit ziert, die schönste gesellschaftliche Ordnung, sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sich selbst genötigt wird, sich zu disziplinieren und so durch abgedrungene Kunst die Keime der Natur vollständig zu entwickeln.“ (Kant)

Abgedrungen ist erzwungen. Die besten Früchte der Zivilisation wachsen im Klima gegenseitigen Würgens und Nötigens. In lässigen Kulturen vermodern und verkümmern die Anlagen und Talente der Menschen. Ohne Anstrengung, den Nächsten niederzuringen – so Kant und Augustin einstimmig – gibt’s keine Dome und Paläste. Dem selbstbestimmten Menschen, der keine fremde Motivation benötigt, scheint Kant nicht zu trauen. Wie christlich sind noch unsere besten Vernunft-Propagandisten.

Freunde gibt’s in rivalisierenden Kelterkulturen nicht. Jeder Christ ist dem Christen ein Wolf. Auch Familien sind keine Idyllen. Jeder muss für sich selber sorgen, die Himmelsplätze sind rar. Augustin hat der NSA die beste Begründung zum Ausspähen der Menschen geschrieben. Besonders der Freunde unter ihnen. Denn wahre Freunde gibt’s nicht:

„Denn die Herzen derer, mit denen wir in Frieden leben möchten, kennen wir nicht, und kennten wir sie heute, wüssten wir nicht, wie sie morgen sind. Die beste Freundschaft herrscht doch wohl unter denen, die zusammen leben. Doch auch da gibt’s keine Sicherheit. Denn aus der versteckten Tücke der Hausgenossen entstehen oft die ärgsten Übel, die umso bitterer sind, je süßer der Friede war. Man hielt ihn für echt, und er war doch nur arglistig erheuchelt.“ (Augustin)

Präziser kann man die momentane Hassfreundschaft zwischen Deutschland und Amerika nicht formulieren. Es gibt keine echten Freundschaften unter Menschen, auch nicht unter Familienangehörigen. Von fremden Völkern ganz zu schweigen. „Des Menschen Feinde sind seine eigenen Hausgenossen“. Die besten Freunde und Bündnispartner sind potentiell die hinterfotzigsten Feinde.

Endlich wird’s ehrlich unter den Westpartnern. Der bisherige Freundschaftsschleim zwischen den Verbündeten wird abgeschüttelt. Unverblümt sagt man sich ins Gesicht, dass man sich nicht über den Weg traut.

Und doch, mitten im Streit zeigt sich das Verbindende und Gemeinsame: trau keinem Freund, er könnte dein schlimmster Feind sein. In dieser trauten Gesinnung ist der Westen noch immer ein Herz und eine Seele. Der deutsche Kant hat nur philosophisch ausgesprochen, was der amerikanische Kapitalismus exemplarisch vorexerziert. Alle Abhängigen machen es bedenkenlos nach.

Die Heilsgeschichte kennt keine Freunde, sie kennt nur Rivalen um Sein oder Nichtsein. Der Preis ist immens, da dürfen keine Sentimentalitäten aufkommen. Wer die gestürzten Engel im Himmel ersetzen will, muss sich ranhalten und jeden Konkurrenten brachial aus dem Felde schlagen. Trutz Teufel, Amerika: Ihr oder Wir.

„Ihr wisst doch, dass die, die in der Kampfbahn laufen, alle laufen, aber nur einer bekommt den Siegespreis. Darum lauft so, dass ihr den Preis gewinnt! Auf uns wartet ein Siegeskranz, der niemals verwelkt. Darum kämpfe ich, wie einer, der nicht ins Ungewisse läuft. Ich kämpfe mit der eigenen Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt“.

Das Luftschlagen zwischen Amerika und Deutschland hat aufgehört. Ab jetzt lautet die Devise: präzis schnüffeln und exakt auf die Weichteile zielen!