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Hundemeute

Hello, Freunde der Hundemeute,

unter dem netten, sanften Blick der Bundeskanzlerin verwandelt sich die einheimische Gesellschaft langsam, aber sicher in eine Hundemeute. Die Mehrheit der Gesellschaft ist mittlerweilen dafür, die Griechen nicht länger zu verbellen, sondern zu verbeißen und in Stücke zu reißen.

Und der gefühlte Bundeskanzler – manche nennen ihn gar TV-Godfather – immer dabei. Wen Günter Jauch gnadenhaft erwählt, der ist erwählt, wen er eiskalt verwirft, der ist dem Hohngelächter ausgeliefert.

Und BILD allgegenwärtig dabei als Transmissions-Riemen (etwa: Übertragungs- und Vergrößerungs-Schwanz einer phallischen Gesellschaft) der kollektiven Opfererwartungshaltung: Schluss mit dem Gesäusel, allmählich wollen wir Blut sehen.

Merkel & Jauch & Döpfner: Muttergöttin, Sohn und Heiliger Geist, das ideale Trio infernale als Nachfolge für den verstorbenen Dracula-Mimen Christopher Lee. (Gentleman Döpfner will mit der Diekmann-Nummer nie etwas zu tun haben. Seine Feigheit nennt er verlegerische Freiheit. Was eigentlich denkt die überaus nette Frau Springer über ihre herrlichen Rabauken? Die nächste Goldene Kamera für Völkerverhetzung geht an die – Stifterin und Patronin, pardon: Matronin Friedel.)

Die Letzten beißen die Hunde. Nach Wahrig, dem deutschen Wörterbuch, bedeutet

der stehende Ausdruck:

„Als letzter muss man die Konsequenzen für alle anderen mittragen. Das Bild dieser Redensart kommt aus der Jagd: Das schwächste Tier wird von der Hundemeute von seinem Rudel getrennt und gestellt.“

Neu-bekehrte Wendehälse sind die Schlimmsten. Merkel, in Windeseile vom Sozialismus zum Kapitalismus konvertiert, lässt sich von keinem neoliberalen Wessi-Macho übertreffen. In lutherischer Bekenntnispose – und stünde ich allein gegen die Welt, so hätte ich doch Recht, wenn ich die epikureischen Faulpelze aus Neuhellas mit inquisitorischem Autodafe zum wahren Glauben an die Macht des unbefleckten Geldes erzöge – begann die Hatz gegen das erste Offizialopfer der wertebewussten EU.

(Hand aufs Herz, meine Geschwister: hat jemand in irgendeiner Talg-Schau mal die Frage gehört: was hat no-bail-out mit christlicher Nächstenliebe zu tun? Psst, nicht weitersagen: es ist dasselbe. Lk.16,26)

Früher wurden Ketzer noch in ordentlichen Feuern gebraten, heute werden sie fünf Jahre lang bargeldlos und finanztechnisch geröstet. (Woher der terminus technicus „Griechischer Grill“). Sollen sie doch beweisen, diese leichtlebigen Slawen-Albaner-Mischlinge, dass sie von Luft und Liebe leben können.

Nachdem die kollektive Hatz erfolgreich die Deutschen infiziert hat und die Griechen kurz vor dem Zerriss stehen, kann Merkel wieder geschickt die Rolle wechseln und die Verständnisvolle mimen. Exekutieren sollen andere. Fürs Schlachten ist Madame zu berechnend und zu sensibel. Der alte Fuchs Schäuble hat den Braten rechtzeitig gerochen und ist schnell im Gebüsch verschwunden, bevor seine beste Freundin ihn als Inquisitionsknecht der Öffentlichkeit präsentiert – die jetzt zwar „kreuziget die Griechen“ skandiert, doch morgen wieder zu Hosianna und Erbarmen neigen könnte.

(Dieselbe Rollenverteilung wie in mittelalterlichen Inquisitionsprozessen: barmherzige Kirchenvertreter führen den Prozess und sprechen das Urteil, das blutige Handwerk überlassen sie den Knechten der staatlichen „Räuberhorden“.)

Wenn morgen das große Elend am Mittelmeer ausbricht, werden die Deutschen vor tätiger Nächstenliebe überquellen. Sind sie denn wilde Tiere und Unmenschen? Doch erst müssen die Bösen zerschmettert am Boden liegen und sich zu Sündenkrüppeln erklären, bevor deutsche Gnade sich ihrer erbarmen kann.

Uralte Mythen bestimmen die Politik der fortschrittlichsten, modernsten, erfolgreichsten und reichsten Vertreter der Species homo rationalis oeconomicus stupidus. Versager und Verlierer müssen sein in der christlichen Wachstumswirtschaft. Vor kurzem noch waren die Opfer die kolonialisierten Länder der heidnischen Welt. Da diese inzwischen so ausgebrannt sind, dass bei ihnen nichts mehr zu holen ist und die Miserablen nach Europa flüchten, rücken die Opfer immer näher. So nah, dass sie bereits der erlauchten EU-Gemeinde angehören.

„Und die EU reckte ihre Hand aus und fasste das Messer, dass sie einen Afrikaner schlachtete. Da rief der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob die EU ihre Augen auf und sah einen Griechen hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer anstatt des Afrikaners.“ (1.Mos. 22,10 ff, zur Erkenntlichkeit verstümmelt)

Ohne Opfer geht die Chose nicht. Macht doch keinen Spaß, wenn‘s allen Menschen gleich gut ginge. Was wäre das für eine ennuyierende Gleichmacherei? Vive la difference. Es lebe der tödliche Unterschied, und wenn die ganze Welt unterginge.

Den psychologisch-historischen Zusammenhang zwischen kolonialen Opfern Europas und den gegenwärtigen Flüchtlingsströmen, die im Kontinent der übersättigten Täter Zuflucht suchen, hat Bommarius in einem aufwühlenden Artikel in der BLZ geschildert.

„Die Europäer sollten sich an die Kolonialgeschichte erinnern, wenn sie die Klopfzeichen an den Türen des Hauses Europa hören. Jetzt sind es die Menschen aus Afrika und Vorderasien, die Einlass begehren – aber sie klopfen an und treten nicht die Türen ein. Unterwerfung steht nicht auf ihrem Programm, und die Plünderung überlassen sie den Schleusern, die sie dafür bezahlen, dass sie sie bis vor das Haus Europa bringen. Sie verlangen nichts, sie bitten nur – ums Überleben. Doch es zeigt sich: Der Kolonialismus ist vorbei, aber die europäische Wertegemeinschaft, in deren Namen er betrieben wurde, hat überdauert.“ (Christian Bommarius in der BLZ)

Bommarius zeigt: es macht Sinn, die Gegenwart im Licht der Vergangenheit zu entschlüsseln, um zu verstehen, wie hartnäckig wir unsere einstigen Völkerverbrechen vertuschen. Die neoliberale Postmoderne verhöhnt das Erinnern. Sie blickt nicht zurück, schaut unentwegt nach vorne. Gedenket nicht des Vergangenen.

Die Christenheit, die gelernt hat, sich selbst – mit Hilfe eines trefflich erfundenen Gottes – zu vergeben, fühlt sich von aller Schuld frei und beginnt täglich als neu getaufte Menschheit. Der sündige Adam soll in täglicher Reue und Buße ersäuft werden, so der Reformator der Kanzlerin, dessen Gedenken wir in zwei Jahren mit Posaunen und Trompeten feiern werden.

Warum vergeben sich die deutschen Heuchler nicht ihre Schuld am Holocaust und erklären sich ab jetzt für unschuldig? Auf keinen Fall, weil sie einsichtig wären. Sie fürchten nur um ihr vergangenheits-bewältigendes Vorbild-Image in der Welt. Sie bringen das Kunststück fertig, Weltbeste im Sündigen zu sein – ohne je eine Sünde begangen zu haben. Siehe, das Alte ist vergangen – war da was?

Im neuen Berliner Stadtschloss sollen die kolonialen Sünden „thematisiert“ werden, wie Hermann Parzinger in wertneutralem Techno-Deutsch zu formulieren pflegt. Von edlen Schlosskulissen drapiert, kann man Verbrechen so pfauenhaft präsentieren, als seien sie exquisite Heldentaten. Wie wär‘s, Buchenwald mit dem Lustschloss des Herzogs von Weimar zu überbauen? Jetzt wissen wir, wofür wir alte Asbest-Gemäuer in antikisierendem Beton rekonstruieren müssen: kleiner Tipp für ehrgeizige Architekturstudenten.

Was so hervorragend in internationalem Maßstab funktioniert, funktioniert auch in der öffentlichen Gruppendynamik der hiesigen Gesellschaft. Bevor er wegen Inkompetenz in Schimpf und Schande davon gejagt wird, nimmt der listige Oberquizzler der Nation lieber freiwillig seinen Hut. Eben war er noch bestes Pferd im Stall, nach dem Eklat wird er von der ARD zum „Unbelehrbaren und Uneinsichtigen“ degradiert.

Wird Jauch schnöde von oben getreten, tritt er noch schnöder nach unten – und macht eine unschuldige Kandidatin ratfatz zum Gespött der Nation. Beim griechischen Finanzminister hatte er es bereits versucht. Doch seine niederträchtige Vorführmethode ging nach hinten los. Mit Fragen, die mit Wissen so viel zu tun haben, wie Jauch mit Gesprächskultur, legte er in RTL eine Falle und schon zappelte darin ein junges unschuldiges – Weiberopfer. Till Schweiger hätte ihm für eine solche Unverschämtheit die Nase demoliert.

Die deutschen Medien jauchzen in hemmungsloser Schadenfreude. Nur Anne Burgmer von der BLZ hat die willkürliche Gnadenpolitik des TV-Gottvaters bemerkt und angegriffen:

„Jauch behandelt die Kandidaten nicht gleich. Manche bewahrt er unter großem Einsatz vor einer falschen Antwort, andere lässt er eiskalt auflaufen. Vielleicht liegt das daran, wie sympathisch er sein Gegenüber findet, vielleicht hängt es auch einfach damit zusammen, ob er einen guten Tag hat.“

Warum soll es bei Jauch anders zugehen als in jeder mündlichen Abiturprüfung, in jedem Bewerbungssgespräch, beim Zicken-Ranking der Westpoint-Heidi, im Dschungelcamp und sonstigen Sympathie- und Antipathieorgien einer Gesellschaft, die sich sonst nichts mehr gönnt? Die Gesellschaft kennt nur noch Anpassungsleistungen – der geschmeidigen Unterordnung und schamlosen Imitation der Autoritäten. Wie er sich räuspert, wie er spuckt, hat Jauch bei seinem Hauskaplan abgeguckt.

Kein Weltuntergangspessimismus per favore. Nur die Eliten entlarven täglich mehr ihr moralfreies Banditentum. Der beschleunigten Dekonstruktion der Oberschichten entspricht die immer unbestechlicher werdende kritische Reaktion der Shit-Stürmer. Kein Getümmel, Athener. Sie können es noch nicht, weil sie seit Jahrhunderten nicht zu Worte kamen, weshalb sie zur Übertreibung neigen. Nicht nur im Dreckschleudern, sondern auch im Lobhudeln. Das wird gern übersehen. Doch jene werden es noch lernen. Im Gegensatz zu Merkels Leibgarden-Gazetten wollen sie nicht lügen. Lieber übertreiben sie ehrlich, als dass sie ehrlos Süßholz raspelten, um sich Privilegien bei den Mächtigen zu erschleichen.

Die SPD will nicht mehr. Den Lemmingen gleich stürzen sich die Granden der Partei auf offener Bühne über die Klippen. Um Mutter Merkel nicht zu enttäuschen, hat der Frontmann mit dem grimmigen Dauergesicht seiner Partei die grundgesetzwidrige Datenausspähung verordnet.

(„Vorratsdatenspeicherung“: alles muss auf Vorrat gemacht werden, wenn der Winter kommt und wir nichts mehr zu essen haben. Die Nomenklatur der Beamten ist noch immer von Nachkriegsruinen geprägt und der schmählichen Niederlage gegen die Sieger.)

Sollte die Basis – die noch immer alle Sauereien ihrer Führung absegnete – wider Erwarten Widerstand leisten, wird Gabriel seinen GenossInnen den Bettel vor die Füße werfen. Wer soll denn das glauben? Tu‘s doch, Sigmar. Wetten, du traust dich nicht?

Seine ungeliebte Generalassistentin Fahimi aber hat den Vogel abgeschossen. Aufrechte Demokraten würden sich, sollten sie Fahimis Äußerungen folgen, nur noch mit Burka an die Öffentlichkeit trauen. Damit sie von niemandem erkannt werden können.

„Generalsekretärin Yasmin Fahimi zeigte sich am Dienstag in Berlin aber zuversichtlich, dass der Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas und damit die Linie der SPD-Führung bei den 200 Delegierten eine Mehrheit finden werde. „Nicht zuletzt deswegen, weil ich glaube, dass die SPD zu klug ist, um wegen der Auslegung eines Grundrechtsartikels (…) ihre Regierungsfähigkeit aufs Spiel (zu) setzen. (Reuters)

Um läppischer Grundrechtsartikel willen soll die SPD das Beilager bei Mutter Merkel verschmähen? Verheerender als solche putschistischen Rechtsverletzungen der höchsten Parteiebene sind nur noch die Reaktionen in der Öffentlichkeit. Es gibt keine. Die Partei Willy Brandts ist nicht mehr satisfaktionsfähig. Ruhe sanft, SPD. Pascal Beucker in der TAZ:

„Wenn Sozialdemokraten nicht mehr als glaubwürdige progressive Alternative wahrgenommen werden, machen sie sich überflüssig.“

Islamistische Staaten werden hierzulande wegen ihrer religiösen Scharia-Justiz scharf kritisiert. Bei uns kaum anders. Mitten in der Demokratie gibt es demokratiefreie Rechtssysteme der christlichen Kirchen. Pädophile Priester müssen nicht vor den weltlichen Kadi, wenn der obere Klerus es nicht will. Die schlimmsten Kirchen-Strafen für verbrecherische Priester sind Verbannungen ins Nonnenkloster – oder in die geweihte Nähe des Papstes. So bei Geldverschwender Tebratz van Elst, der in den Gärten des Vatikans seine Mittagsruhe verbringen darf.

In einer katholischen Mainzer Kita wurden Kinder zu Opfern mangelnder Aufsicht und klerikaler Sexualfeindlichkeit. Lieblosigkeit und Vernachlässigung verführten sie zu Nachahmungen erwachsener Unrechtstaten. Anstatt ihre defizitäre Situation zu verstehen, an der sie völlig unschuldig sind, werden sie von gewissenlosen Schreibern kriminalisiert. Man wirft ihnen sexuellen Sadismus vor, als seien sie erwachsene Kunden eines Dominabordells.

Nachdem die Aufarbeitung der Pädophilenaffäre hinterhältig dazu missbraucht wurde, um jedwede kindliche Sexualität zu verteufeln, trauten sich just die ErzieherInnen kirchlicher Kitas nicht mehr, natürliche Neugierde und harmlose Doktorspiele von unerlaubtem Machtmissbrauch zu unterscheiden. Die vernachlässigten Kinder, die instinktiv die Atmosphäre ihres Umfelds widerspiegeln, wurden zu Taten animiert, die sie in kinderfreundlicher Umgebung nie getan hätten.

Für Theologen freilich ist das Böse den Kindern angeboren. Im Plärren eines Kindes erkannte Kirchenvater Augustin die satanische Erbsünde, die durch den Geschlechtsakt der Eltern übertragen wird. Und wie reagierten die klerikalen Oberherrn? Mit obszöner Selbstjustiz. Sie, die ihre Aufsichts- und pädagogische Fürsorgepflicht sträflich vernachlässigten, gerieren sich als geifernde Anhänger einer scharia-ähnlichen Selbstjustiz. In der ZEIT stellt Expertin Ulli Freund einiges richtig:

„Sexuelle Übergriffe unter Kindern sind keinesfalls die Ausnahme. Dass einem Kind die Windel runtergezogen oder der Rock hochgehoben wird oder Kinder sich gegen den Willen eines Einzelnen in die Toilette drängen, um ihn beim Wasserlassen zu beobachten – diese Dinge geschehen permanent. Keine Kita ist davor geschützt. Hier fängt sexualisierte Gewalt unter Kindern an. Es ist allerdings falsch, in diesen Fällen von sexuellem Missbrauch zu sprechen.“  (ZEIT-Interview)

Fehlt nur noch Annette Schavan, um das Ansehen der Kirche zu retten. Beim wissenschaftlichen Schummeln erwischt, wurde sie zur Strafe gleichfalls in den Vatikan verbannt. Beim Argumentieren allerdings, dass die Kirche eine dominante Macht im Staat zu bleiben habe, schummelt sie nicht weniger als in ihrer Doktorarbeit. Doch Sünden um des Himmelreichs willen sind keine Todsünden und werden leicht vergeben.

Dass religiöse Überzeugungen reine Privatangelegenheiten der Frommen sein müssen, will der machtbewussten Katholikin gar nicht gefallen. Wenn der Glaube die Welt überwunden hat, muss die Welt dies in allen Poren spüren.

„Religion ist auch heute nicht nur Privatsache. Sie ist präsent auf der Bühne der Zeit. Und wir spüren im globalen Kontext, dass sie an Relevanz gewinnt. Deshalb kann die Politik nicht gleichgültig bleiben gegenüber religiösen Überzeugungen.“ (Annette Schavan in ZEIT.de)

Schavan steht nicht allein mit der Forderung, Religion als Herrin der Politik anzuerkennen. Nicht nur der Gott in der Verfassung, auch das höchste Gericht der BRD lässt keinen Zweifel an der richtungsweisenden Politmacht des Klerus:

«Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit gewährleistet und sich zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die historisch verwurzelten Wertüberzeugungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht. Der christliche Glaube und die christlichen Kirchen sind, wie immer man ihr Erbe heute beurteilen mag, von überragender Prägekraft gewesen. Die Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster können dem Staat nicht gleichgültig sein.» (BVerfGe 93,1,22) Was für Deutschland gilt, gilt auch für Europa.“

Nicht nur in ökonomischer, auch in religiöser Sicht müssen deutsche Verhältnisse für ganz Europa stilbildend sein. Frankreich kann sich schon mal warm anziehen. Mit dem strengen Laizismus unserer revolutionären Nachbarn wird es bald vorbei sein.

Die wahren Herren des Glaubens sind heute nicht mehr geschwätzige Theologen oder frömmelnde Politiker, sondern – unsere höchsten Juristen aus Karlsruhe, die nicht müde werden, dem Gott im demokratischen Regiment die Ehre zu geben. Und dies mit Autorität unseres Rechts, das sich nicht scheut, die christliche Religion zur höchsten Hüterin der Demokratie zu ernennen.

Vergessen ist, dass Kirchen die schlimmsten Gegner der Demokratien und der Menschenrechte waren. Durch massive Verfälschung der Tradition verwandelten sich theologische Böcke in demokratische Gärtner und maßen sich inzwischen klerikale Oberaufsicht über die Werte der Demokratie an.

Kein Staat muss Religion missachten, denn es gibt keinen Staat in einer Demokratie. Es gibt nur Menschen, die ihre Religion nicht als politische Macht einsetzen dürfen – wenn wir nicht die Wiederholung religiöser Kreuzzüge riskieren wollen.

Die Hetze gegen den Islam mit Vorwürfen, die man auch den Christen machen müsste, ist bereits eine Vorform des religiösen Krieges. Dass das christliche Erbe öffentliche Macht beanspruchen kann, wie immer man dies Erbe heute beurteilen mag, ist eine General-Lizenz für jede Anmaßung und klerikale Intoleranz im Schutz des Staates.

Kein Wunder, dass die Popen beider Kirchen vor Kraft nicht laufen können. Sie verfügen über riesige öffentliche Gelder, die sie zur Indoktrination vieler Kitas und fast aller sozialen Einrichtungen in der BRD ausnutzen.

In allen Aufsichtsgremien der öffentlichen Sender haben sie das letzte Wort. Fast keine Partei im Bundestag, die es wagen würde, die Macht der Kirche zu beschneiden. Fast kein Politiker mit Ambitionen, der sich als Laizist und Kirchenkritiker präsentieren dürfte. In Schulen wird flächendeckend Religionsunterricht gegeben, um den Kindern möglichst früh die menschenhassende Botschaft des Evangeliums einzutrichtern. (Wer nicht glaubt, der sei verflucht. Der Mensch soll die Erde untertänig machen, er ist unumschränkter Herr der Natur. Mensch und Erde müssen untergehen, Ungläubige kommen ewig ins Feuer.)

Schavan zitiert Böckenförde, einen ehemaligen Richter des BVGs, der inzwischen höchste theologische Reputation in der Republik genießt. Hat Böckenförde gesprochen, ist der Fall erledigt. Selbst für irreligiöse Philosophen wie Habermas.

„Die Religion wird in den Bereich der Gesellschaft verwiesen, ohne Bestandteil der staatlichen Ordnung zu sein“.

Welch heuchlerische Demut und kompletter Widerspruch zu Schavans bisherigen Äußerungen. Religion ist in Deutschland ein eherner Bestandteil der Verfassung. Im Gegensatz zum laizistischen Frankreich will Deutschland Kirche und Staat nicht vollständig trennen. Schavan selbst bezieht sich auf den Gott in der Präambel.

„Die Formulierung in der Präambel – „in Verantwortung vor Gott und den Menschen“ – ist eine Verantwortungsformel. Sie verweist auf die Grenzen, ja auf die Demut des Staates, der niemals eine perfekte Ordnung sein kann und keine absolute Wahrheit beansprucht. Der Staat ist Menschenwerk. Das ist die Absage an jedes totalitäre System.“

Schavan will nicht machtversessen auftreten. Doch wer hierzulande Verantwortung für sich reklamiert, begehrt Macht und sonst nichts. Eine Demokratie ist keine demütige, sondern eine selbstbewusste, ja stolze Einrichtung. Denn sie ist politisches Bildnis und Gleichnis des mündigen Menschen, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und sich keiner Heilsgeschichte beugt.

Stolz sein heißt nicht, sich über andere Menschen erheben, sondern sie ermuntern, ihre eigenen Unrechtssysteme zu bekämpfen. Jede Demokratie beansprucht sehr wohl die „absolute Wahrheit“ des autonomen Menschen und unterwirft sich keiner hybriden Absolutheit unfehlbarer Religionen.

Absolut ist nicht totalitär. Die totalitärsten Systeme des Abendlandes waren Theokratien. Das Dritte Reich war ein genuin eschatologisches Regime, das ohne aktive, ja fanatische Unterstützung der Kirchen gar nicht möglich gewesen wäre.

Schavan muss einräumen: „Das Christentum selbst tat sich mit der Emanzipation des Staates von der Religion bis ins 20. Jahrhundert hinein schwer. Religionsfreiheit wurde durch die katholische Kirche erst im Zweiten Vatikanischen Konzil, also vor fünfzig Jahren, anerkannt.“

Das Christentum tat sich mit der Emanzipation der Völker schwer? Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Der Klerus bekämpfte mit Feuer und Schwert den geringsten Widerstand gegen seine Allmacht.

Aus taktischen Gründen hat er sich heute angepasst und tut, als hätte er die Demokratie selbst erfunden. Dreistere Lügner als Theologen gibt’s nicht auf Erden. Deutsche Historiker unterlassen nichts, um den Lügen der Theologen eine wissenschaftliche Scheinberechtigung zu verschaffen.

„Papst Johannes Paul II. erinnerte 1998 in Havanna daran, „dass ein moderner Staat weder aus dem Atheismus noch aus der Religion ein politisches Konzept machen darf.“

Ein Papst darf alles. Sogar dem Staat vorschreiben, was er zu tun und zu lassen hat. Keine Demokratie, die es ernst meint mit Freiheit und Selbstbestimmung, wird ihren BürgerInnen einen Glauben vorschreiben. Die Kirche allerdings darf aus Religion immer einen Staat machen – wenn die Machtverhältnisse es nur erlauben, stimmt‘s?

Was eigentlich bezweckt die Ex-Ministerin mit ihrem ungenießbaren Aufsatz? Hier zeigt sich‘s:

„Unsere öffentlichen Debatten über Integration sind immer auch Debatten über Religion. Wer Integration ermöglichen will, kann Religion nicht übersehen. Deshalb ist der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen so wichtig. In Deutschland gibt es seit Jahren Bemühungen, neben dem katholischen, evangelischen und jüdischen Religionsunterricht auch islamischen Unterricht an öffentlichen Schulen einzuführen. Denn zur öffentlichen Verantwortung gehört, den Zugang zu religiöser Bildung zu ermöglichen.“

Schavan sorgt sich um die Einflusssphäre klerikaler Macht. Der staatliche Religionsunterricht muss die Basis der kirchlichen Macht bleiben. Ausgerechnet ein unfehlbarer, menschheitsspaltender Glauben soll Kindern Toleranz und Dialogfähigkeit vermitteln.

Den Kirchen laufen die Massen davon. Sie fürchten akkumulierenden Machtverlust. Doch nur die Basis läuft ihnen weg. Die Eliten wissen, was sie einer Lehre zu verdanken haben, die jede Obrigkeit als Obrigkeit von Gott für sakrosankt erklärt.

Selbst in der Hochzeitsfeier des schwedischen Königshauses wurde zur Krönung der Zeremonie das hohe Lied der Liebe aus dem Korintherbrief verlesen:

„Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht, sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber der Wahrheit; sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.“

Klingt verlockend – wenn man die Kleinigkeit übersieht, dass kein Staat es sich erlauben dürfte, das Böse zu ignorieren. Der liebende Westen kann es sich nicht mal erlauben, das Böse des Islam oder eines russisch-orthodoxen Putin nicht anzurechnen. Vor allem: was geschieht mit jenen, die solch himmlische Liebe – die keinem Ungläubigen zur Seligkeit verhilft – mit Entschiedenheit ablehnen, weil in ihrem Namen die entsetzlichsten Verbrechen begangen wurden? Nach dem Motto Augustins: Liebe – und tu, was du willst?

Im Christentum wurde Liebe zum Vorwand schrecklichster Verbrechen. Die NS-Schergen liebten den rassisch edlen Menschen, weshalb sie alle „Untermenschen“ vom Erdboden vernichten mussten.

„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.“

Wer christliche Liebe verschmäht, ist ein hohler Scharlatan. Ein komplettes Nichts. Mit einem Wort: Abfall. Moralische Taten ohne christliche Gesinnung nützen nichts. Eben so gut könnte man sie unterlassen.

Was bleibt? Sündige tapfer – wenn du nur glaubst.