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Hoeneß

Hello, Freunde der Volksaufklärung,

gestern traute man seinen Augen nicht: ein Anhauch von Aufklärung ging durchs Volk. In den öffentlichen Foren sah und hörte man zum ersten Mal Gespräche, die den Titel Gespräche verdienten.

ModeratorInnen, die sonst Gespräche mit schneidenden Stimmen reglemtieren, hielten sich zurück und ließen Menschen reden, die ihre Sache zu sagen wussten. Sachverständige teilten ihr Herrschaftswissen mit einem aufmerksamen Publikum.

Vertreibt die Gesprächsdespoten, lasst die Menschen selbst miteinander reden. Mündige brauchen keine Gouvernanten, die sie mit Zuckerbrot und Peitsche wie Zirkustiere vorführen. Die Regeln der Gespräche werden von den Redenden bestimmt, nicht von Showleuten, die zwischen Show und Gespräch nicht zu unterscheiden wissen.

Gestern war ein guter Tag für Deutschland. Die Symbolfigur eines caritativ auftretenden Gier-und-Raub-Kapitalismus wurde zur Kenntlichkeit entlarvt. Brosamen spenden, um mit bestem Gewissen den Profit der Gesellschaft auf seine Seite zu bringen: das ist religiöse Standardwirtschaft des Abendlands. Der heidnische Staat mit seinen Steuerforderungen wird verhöhnt, um das eigene Seelenheil mit unverrottbaren Schätzen zu retten. Jürgen Todenhöfer, einst Jungstar der

Christdemokraten, bringt es auf den geistlichen Punkt:

«Es ist traurig, dass dieser große Mann, der nichts verbrochen hat als sein mit ehrlicher Arbeit verdientes Geld vor den Räubern retten zu wollen, dass dieser so sympathische Mensch nun vor einer Meute herzloser Strauchdiebe in die Knie geht anstatt ihnen zuzurufen: „Wer seid ihr, dass ihr es wagt, mir auch noch moralisch zu kommen. Was habt ihr in eurem Leben anderes getan als lügen, erpressen und rauben?“ „Jener viel mächtigere Richter, vor dem wir nach unserem Tod alle einmal stehen werden, wird Uli Hoeneß vielleicht trotzdem in die Arme nehmen und sagen: ‚Was du dem Geringsten unter den Menschen getan hast, das hast du mir getan.’» (In Facebook)

Nicht das allgemeine Gesetz des Staates und die Gleichheit aller Menschen spielen für Christen eine Rolle, sondern die Rettung weniger Auserwählter und die Verdammnis der Vielen.

„Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat und eins von ihnen verliert, lässt nicht die 99 in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Ich sage euch: So wird im Himmel mehr Freude sein über einen Sünder, der Busse tut, als über 99 Gerechte, die der Busse nicht bedürfen.“

Seit 2000 Jahren stehen die Erwählten mit der heidnischen Polis auf Kriegsfuß. Gebet dem Kaiser, was des Kaisers, heißt: gebt diesem belanglosen Machthaber, was er will. Schon morgen ist er tot, alles Irdische ist vorbei. Morgen wird das Reich der Seligen errichtet.

Wenn Christen Armen und Schwachen helfen, dann nicht um derentwillen, sondern um ihres eigenen Seelenheils willen. Der hilflose Caritasempfänger ist nur Instrument, um die Seligkeit des Gebers zu befördern. Mit Brosamen und Spenden sammelt man glühende Kohlen aufs Haupt der Hilfsobjekte. „Wahrlich, ich sage euch: Wiefern ihr es einem meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr es mir getan.“

Mir, Mir, Mir: immer geht’s um die Anbetungs- und Glorifizierungsbedürfnisse eines Sohnes ohne Selbstbewusstsein, der durch Bildung gläubiger Gemeinden sein Ich stabilisieren und dem himmlischen Vater seine Erlöserqualitäten nachweisen muss. Was immer der Mensch Gutes tut, es muss um des Sohnes willen geschehen – oder es ist Hybris des Menschen, der seine irdischen Probleme aus eigener Kraft meistern will.

Alle Hilfe des Menschen an den Menschen muss der Sohn an sich raffen: alle moralischen Taten der Menschen gehören mir, sind mein Eigentum. Der Erwählte raubt den Menschen, was den Menschen gehört.

So die Gläubigen bis zum heutigen Tag: was die Menschheit für alle erarbeitet, betrachten sie als ihr Eigentum, als Eigentum weniger. Was würden erwachsene Kinder sagen, wenn ihr Vater erklärte: Alles, was ihr verdient, gehört mir? Alles, was ihr tut, tut ihr in meinem Interesse und für meinen Profit? Gebt euch zufrieden mit wenigen Brosamen und bedankt euch überschwänglich bei Mir für die großzügige Gnadengabe?

Jesus wird noch deutlicher: „Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht hinweg von mir, ihr Verfluchten in das ewige Feuer, das mein Vater dem Teufel und seinen Engeln bereitet hat.“ Die Bösen werden nicht bestraft, weil sie ihren schwachen Brüdern und Schwestern nicht halfen, sondern weil sie Ihm nicht halfen. Die Armen und Schwachen sind nur belanglose Stellvertreter und Hilfsfiguren des Herrn.

Was immer an guten Taten auf Erden getan wird, sie gehören allein jenen, denen alles gehört: dem Vater und seinem Sohn. Was immer auf Erden getan wird, die irdischen Verhältnisse dürfen weder geändert noch verbessert werden. Es geht allein um Lohn und Strafe im Jenseits.

Der Sinn menschlichen Tuns liegt nicht im Irdischen, sondern in der flirrenden Unendlichkeit des Himmels. An den Sinn seines Tuns muss man glauben, im Hier und Jetzt erfahren kann man ihn nicht.

Kein Wunder, dass Menschen unentwegt nach dem Sinn ihres Lebens fragen müssen. Würden sie mit allen Sinnen erleben, dass sie ihren Mitmenschen Gutes erweisen und von ihnen Gutes erfahren können: warum sollten sie an den Sinn ihres Lebens glauben müssen? Wer glaubt, muss auf Erfahrung verzichten. Menschen, die die Phänomene ihres Glaubens zu erfahren glauben, haben sie imaginativ selbst produziert.

Das christliche Credo schöpft die Moral der Menschen für seine überirdischen Zwecke ab. Was immer die Menschheit Gutes tut, gehört dem Himmel, was sie Böses tut, das gehört ihr und verdirbt sie. Das ist der Selektionscode der Einprozent Gewinner und der 99 % Verdammten. „Und diese werden in die ewige Strafe gehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.“

Wen kann es wundern, dass diese dubiosen Verheißungen in 2000 Jahren westlicher Heilsgeschichte zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden mussten – um den Glauben an seinen Früchten zu bestätigen? Hätten Christen diese Jenseitsperspektiven nicht in eine politische Agenda verwandelt, wäre der Christenglaube mangels Effizienz längst ausgestorben.

Was sie glauben, stellen sie selber her, bilden sich aber ein, die Früchte ihres Tuns wären Früchte des Himmels. Vom Himmel lassen sie sich die Ergebnisse ihrer irdischen Bemühungen entwenden, der die Leistungen der Menschen in Himmelsleistungen verfälscht. Der Mensch lässt sich vom Himmel berauben, weil er unfähig ist, zu seinen Taten zu stehen und Verantwortung für sie zu übernehmen.

Dasselbe Phänomen bei den Proletenmassen des Kapitalismus. Warum haben die Ausgebeuteten nicht schon längst die EINPROZENT Parasiten zum Teufel gejagt? Weil sie tief in ihrem Innern noch immer die Mär ihrer Ausbeuter glauben: dass sie zu wenig bringen und minderwertig sind im Vergleich zu den Leistungsgiganten der Tycoons, an deren Göttlichkeit sie noch immer glauben müssen.

90% der heutigen Medien leben prächtig vom Effekt der Glorifizierung der Berühmten und Glamourösen. Wär‘s anders, hätten die meisten Printausgaben der Gelben Presse längst Bankrott gemacht.

Die Revolution wird erst stattfinden, wenn der Pöbel sein Selbstbewusstsein entdeckt und wahrnimmt, dass er die Erde pflügt, bebaut und kultiviert. Wie lange hat man ihm eingebläut, dass all sein Tun umsonst, dass er die Niete der Schöpfung ist?

Man hat ihnen Demut gepredigt – nun sind sie demütig. Man hat ihnen Sündenbewusstsein implantiert – nun sind sie Sündenkrüppel. Man hat ihnen gesagt, dass der Mensch denkt, aber Gott lenkt – nun lassen sie Ihn und seine Lieblinge schalten und walten.

Wer nur den lieben Gott lässt walten
Und hoffet auf Ihn allezeit
Der wird Ihn wunderlich erhalten
In aller Noht und Traurigkeit.
Wer Gott dem Allerhöchsten traut
Der hat auf keinen Sand gebaut.
Was helfen uns die schweren Sorgen?
Was hilft uns unser Weh und Ach
?
Was hilft es daß wir alle Morgen
Beseuftzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreutz und Leid
Nur größer durch die Traurigkeit.

Es ist doch alles Tun umsonst, auch in dem besten Leben. Das ist noch immer das geglaubte Evangelium im Herzen der zeitgenössischen Malocher. Die Kirchen – Büttel der Eliten – sorgen zuverlässig dafür, dass die Massen ohne Polizei und Wasserwerfer das Allerheiligste der politischen Schaltstellen nicht betreten. Die Armen reich, die Reichen arm machen – das wäre Blasphemie:

Es sind ja Gott sehr schlechte Sachen
Und ist dem Höchsten alles gleich
Den Reichen klein und arm zu machen
Den Armen aber groß und reich
.
Gott ist der rechte Wundermann
Der bald erhöhn / bald stürtzen kan.

Soviel zum antikapitalistischen Revolutionär auf Petri Thron, der es vortrefflich versteht, die Massen durch schlichtes Schuhwerk zu enthusiasmieren. Wie müssen diese Massen ausgehungert sein nach Zeichen der Veränderung. Berichtete man ähnliche Effekte vom Führer einer Sekte, würde der Guru von den Medien beerdigt werden.

Solange die Welt sich von solch ecclesiogener Scharlatanerie an der Nase herumführen lässt, solange können die EINPROZENT Plutokraten ruhig schlafen.

Das Drama des Uli Hoeneß ist das Drama des Sohnes, der aus seiner kleinen Welt auszog, den Vater zu übertreffen – und durch Erfolg gescheitert ist. Er musste wieder tief fallen, um seinen Vater nicht nachträglich zu beschämen.

Hoeneß wollte reich werden, um Gutes zu tun. Er war ein verhinderter Heiliger, nein, ein anonymer Heiliger, der mit weltlichen Mitteln realisieren wollte, was die Heiligen durch Hokuspokus realisieren.

Ist er süchtig, fragte gestern eine Talk-Teilnehmerin? Was für eine Frage. Er ist so süchtig wie die ganze Gesellschaft. Wenn alle süchtig sind, ist es keiner mehr. Massenneurose schützt vor Einzelneurose. Legt das ganze Kollektiv auf die Couch und verpflichtet es zur Anamnese. Unmöglich? Es ist ja noch niemals probiert worden.

Der Sinn historischer Forschung wäre nichts als kollektive Anamnese. Doch die Historiker flüchten sich in Daten und Zahlen. Verstehen und Lernen aus der Geschichte haben sie flächendeckend gestrichen. Geschichte muss ein Bildungsfach, eine universitäre Disziplin bleiben. Mit anderen Worten: sie muss für die Katz sein.

Hoeneß, der Sohn, wiederholt das Drama der christlichen Religion, die eine Sohnesreligion ist. Der Vater war mit seinem Latein am Ende und musste sich einen Sohn schaffen, der stellvertretend für Ihn die Welt retten sollte. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe.

Warum braucht der allmächtige Vater einen Sohn, um die Welt zu retten? Bei Mircea Eliade ist die Biografie des alttestamentarischen Gottes beschrieben. Der urhebräische Wetter- und Donnergott machte eine phänomenale Karriere. Vom Stammesgott (Henotheismus) expandiert er zum einzigen Weltenherrscher (Monotheismus) über alle Völker und erweitert das Spielfeld seiner Kinder Israel rund um die Welt.

Die meisten verlassen ihre kleine Heimat und verstreuen sich unter die Gojim, um ein Licht zu sein den Völkern. Säkular gesprochen, um der Welt zu beweisen, dass sie wegen herausragender Fähigkeiten zu Recht von Gott auserwählt wurden.

Als die eschatologischen Verheißungen der Propheten – vor allem Daniels – nicht eintrafen, geriet der zum allmächtigen Schöpfer aufgestiegene Jahwe in die Midlifekrise. Er schaute sich nach einem heiligen Kind um, das ihn aus seiner Not retten könnte. Das war der Sohn, der sich anheischig machte, die Welt durch Überwindung des Todes und des Teufels zu erlösen. (Was sagt die Christin Lewitscharoff zur künstlichen Zeugung des Erlösers in einer Jungfrau?)

Voraussetzung war eine totale Symbiose mit dem Vater: „Glaubet mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir.“ Das waren Hitlers Lieblingstexte, um seine Symbiose mit dem deutschen Volk durch johanneische Verse zu beglaubigen. Hitler empfand sich als Sohn der Vorsehung und als Reinkarnation des Messias, der die Geschichte mit dem 1000-jährigen Reich beenden wollte.

Die Symbiose des Sohnes mit dem Vater scheiterte. Der Sohn empfand schmerzlich, dass Gottes Wille nicht der seine war. Doch er musste sich fügen: Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, doch dein Wille geschehe. „Ich kann nichts von mir aus tun. Denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“

Religiöse Legenden sind Kollektiv-Projektionen eines ganzen Zeitalters. Ab 600 vdZ begann in Griechenland die griechische Aufklärung mit der Naturphilosophie. Die Epoche der Tradition und der fraglosen Väter schien überall vorbei. Die Kinder Israels, seit der babylonischen Gefangenschaft politisch das Opfer großer Mächte, sehnten sich nach dem Ende der Geschichte mit einem furiosen Erlöser.

Doch nichts geschah. Jesus von Nazareth wollte zwar ein Sohn Gottes sein, lehnte es aber ab, die Juden gegen die Römer zu befreien. Die Autorität der Alten und Väter vergilbte, die Söhne traten an, um eine neue Weltordnung zu begründen. Vergeblich. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn, der sich vom Vater löst, aber auf der ganzen Strecke scheitert und zu den väterlichen Fleischtöpfen zurückkriecht, ist das Gleichnis jener desorientierten Epoche.

Der Sohn versprach die endgültige Lösung aller irdischen Probleme durch das baldige Ende der Geschichte. Bis heute blieb er verschollen und machte kein einziges Versprechen wahr.

Um den schwachen Vater und seinen noch schwächeren Sohn zu retten, müssen seine Gläubigen seit 2000 Jahren den Beweis erbringen, dass – wenn der Sohn es nicht schafft – sie mit allen Mitteln der Wissenschaft, Politik und Wirtschaft das Ende der Menschheit selbsterfüllend herbeiführen. Auch diese Prophetie blieb bis zum heutigen Tag Makulatur.

Hoeneß ist keine Vaterfigur, sondern der ältere Bruder, der verbissen die Familie ans Licht bringen muss, um das Versagen des Vaters zu kompensieren. Das gelang ihm erstaunlich gut, bis er sich unversehens in Höhen fand, wo er den Boden unter den Füßen verlor. Aus Höhenangst, die er sich verhehlte, begann er das Zocken, um seine Furcht vor dem Absturz zu betäuben.

Alles ging so leicht, dass er schwerelos im Raum zu schweben schien. Zwar war er zu den Eliten aufgestiegen, doch er blieb ein Fremder mit seinen caritativen Zwängen, die man insgeheim belächelte und zum wirksamen PR-Gag degradierte.

Hoeneß ist das christliche Pendant zu dem Popperianer George Soros, der auch durch Zocken reich werden wollte, um die Offene Gesellschaft in der Welt zu verbreiten.

Alle Freunde des Münchners sagen heute: den privaten Uli kennen wir nicht. Seine süchtigen Geldspiele blieben ihnen verborgen.

Während Soros seine Philosophie mit Stiftungen und Büchern verbreitete, blieb Hoeneß isoliert. Je mehr er sich ängstigte, im Elitenbereich als Außenseiter enttarnt zu werden, je mehr tat er, um die Enttarnung durch Fehlleistungen selbst herbeizuführen.

Wie im Märchen vom Fischer und seiner Frau enden seine bis an den Himmel gewachsenen Bedürfnisse mit der schmählichen Rückkehr zum schäbigen Anfang:

„Als sie schließlich fordert, wie der liebe Gott zu werden, wird sie wieder zurück in die armselige Hütte versetzt, wie am Anfang. (Ga man hen. Se sitt all weder in’n Pissputt.)“

Hoeneß’ Pissputt wird das Gefängnis sein. Noch versteht der Gefallene nicht, was ihm geschah. Seine Zeit als Manager des erfolgreichsten Fußballklubs ist vorbei. Hoeneß, der exemplarische Sohn einer christlichen Gesellschaft, muss sein Kreuz auf sich nehmen und seine Niederlage eingestehen. Stolz verschmäht er eine Revision, nur zum schnöden Zweck, seine Strafe zu reduzieren.

Beugen lässt er sich nicht, auch nicht in der Not. Sein Strafbedürfnis hält ihn aufrecht. Auch in seiner dunkelsten Stunde will er ein Vorbild sein. Nun steht er vor seiner via dolorosa und wird seine imitatio christi bis zum bitteren Ende vollenden.

Der himmlische Sohn, sein Vorbild, verwandelte seine Niederlage am Kreuz in eine gloriose Auferstehung. Uli, sein Knecht, wird keine Auferstehung erleben.

Hoeneß’ exemplarischer Aufstieg und Fall wird das Verhältnis der Deutschen zum Kapitalismus verändern.