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Heuchelspsychose

Hello, Freunde Dortmunds,

Dortmunder können stolz auf ihre Stadt sein, sie haben eine exzellente Fußballtruppe. Jetzt haben sie auch den ersten Nationalsozialisten in ihrem Stadtrat. SS-Siggi, der lieber SA-Siggi hieße, begann seine Traumkarriere als Fußballfan, 1982 gründete er die Borussenfront, die alsbald Jagd auf die Ausländer machte. Sport ist nicht nur Selbst-Mord, er brütet auch Faschisten aus.

Mit Politik haben anständige Sportler nichts am Hut, nur vor den Machenschaften reizender Despoten liegen sie auf dem Bauch. Ihre Lichtgestalten fühlen sich von toten Zwangsarbeitern belästigt, die im Dienste des charakterstärkenden Spitzensports abkratzen durften. Wenn Lichtgestalten einen Besuch in den Stadien machen, müssen vertragsgemäß die Leichen kurz vorher abtransportiert worden sein, damit jene ihrer heimatlichen Presse sagen können: Sklaven und Tote? Ich habe nichts gesehen.

69 Jahre nach Kriegsende hat Deutschland wieder einen bekennenden Hitlerfan in ein Parlament gewählt. Darauf können wir stolz sein. (TAZ)

Vor etwa einer Woche wurden drei jugendliche Israelis entführt. Mutmaßlich entführt. Bisher gibt’s weder Bekennerschreiben noch Informationen über ihren Verbleib. Nichts Genaues weiß niemand, außer Netanjahu und seiner Regierung, die genau wissen, wer die Schuldigen sind. Erstens die ganze Welt, zweitens USA und Europa, drittens alle Palästinenser. Die USA und Europa tolerieren die neue Regierung aus Fatah und Hamas, also müssen sie judenfeindlich sein. Nach dem Prinzip der Sippenhaft oder Kollektivschuld verhaftet die israelische Armee alles, was

nicht bei drei auf den Bäumen ist.

„Über 300 Menschen wurden bereits festgenommen, darunter viele Hamasmitglieder und über 50 ehemalige Gefangene, die 2011 im Rahmen des Gefangenenaustausches mit dem israelischen Soldaten Gilad Shalit freigelassen wurden. Haftbedingungen für Hamasangehörige in israelischen Gefängnissen wurden vom israelischen Kabinett verschärft. Über 750 Privathäuser wurden durchsucht und teils verwüstet, in viele Haushalte drang die israelische Armee in den Nachtstunden ein.“ Schreibt Rene Wildangel, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah, in der TAZ.

Die israelische Regierung kleckert nicht, sie klotzt. Sie macht Flächenbereinigung, Sippenhaft und Kollektivstrafe in einem Waschakt. Da sie sich dem Ungeist der Ultrareligiösen unterworfen hat, müssen wir das Alte Testament aufschlagen, um die religiöse Quelle des Ungeistes zu benennen.

Man muss sich hüten, Altes Testament und Judesein in eins zu setzen, jede Religionskritik wäre dann identisch mit Antisemitismus.

Die jüdische Religion ist nicht automatisch die Religion der Juden. Mitglied einer Religion wird man nicht durch Rasse oder nationale Zugehörigkeit. Sondern durch freiwillige Zustimmung.

Es gab mehr Juden in der Geschichte, die nicht im Sinne der Ultras religiös waren, als Juden, die sich der jahwistischen Rache verpflichtet fühlen. Der Kern ihrer Religion war für humanistische Juden das Befolgen humaner Gesetze, die sie als Gebote Gottes betrachteten.

Momentan regredieren in allen westlichen Staaten die Gesellschaften zurück in die Religion ihrer Väter. Da sich die Moderne eine politische Utopie kategorisch verbietet, müssen ihre besten Reformziele am Verbot des Besserwerdens abprallen und in reaktionäre Vergangenheiten zurückfallen.

Wenn die Weltläufte zu entgleisen drohen, bleibt nur der Unterschlupf unter Popen und Götter. Im Bereich des Heiligen merken die Menschen nicht mehr, dass sie aus dem Regen in die Traufe kamen.

Nicht nur in Amerika, Russland und Deutschland, auch in Israel fehlt eine energische Religionskritik, die conditio sine qua non eines Fortgangs in eine humane Zukunft.

Es geht nicht um einen hirnrissigen Kampf gegen einen Glauben an sich. Jede Religion, jede Philosophie, jede Weltanschauung, die das Humane befördert, sei willkommen im Klub der Utopisten. Es muss jeder mit sich ausmachen, welche psychologische Verstärkung er für sein demokratisches Handeln benötigt.

Der einzige Beweis für die Akzeptanz eines Fürwahrhaltens kann nicht wissenschaftstheoretisch, ästhetisch oder zeitphilosophisch erbracht werden, sondern allein – lessingisch. Der wahre Ring erweist sich in Taten des Wahren und Menschenfreundlichen:

”Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott,
Zu Hülf‘. Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euren Kindes-Kinderkindern äußern:
So lad‘ ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich; und sprechen. Geht!”

Nein, 1000 Jahre können wir nicht warten. Jetzt muss gehandelt werden. Nicht nur in Nahost, auch in der EU, die schmählich mit Flüchtlingen umgeht, die ihre wirtschaftliche Überlegenheit benutzt, um schwächere Völker zu schädigen, in der Ukraine, in Syrien, im Irak und an allen Orten, wo der Mensch verfemt und erniedrigt wird.

Das Alte Testament als politische Agenda muss geächtet werden, nicht anders, als der Koran in muslimischen und das Neue Testament in christlichen Staaten.

Es ist eine Verblendung der Christen, das Neue Testament sei dem Rachegeist des Alten Testaments himmelweit überlegen. Der falsche Eindruck kann nur entstehen, wenn man das ganze Buch zu wenigen Paradesätzen zusammenschreddert, die man aus dem Zusammenhang von Himmel und Hölle reißt.

Wer an einen Gott der Liebe glaubt, der nur wenige seiner Kreaturen liebt und die Massen in ewigem Elend versenkt, der liebt keine Menschen, der hasst sie nach Art seines himmlischen Vaters, der seine ganze Schöpfung wegen Sündhaftigkeit versenken muss, um eine neue aus der Schublade zu ziehen.

Jedem gutdenkenden Menschen muss es den Magen umdrehen, an einen allmächtigen Schöpfer zu glauben, der seine ganze Unfähigkeit, seinen Hass auf sein missglücktes Werk, seinen eigenen unschuldigen Geschöpfen in die Schuhe schieben muss, um sein aberwitziges Image als liebender und gütiger Vater über die Runden zu retten. Der Pflichtglaube an diese dämonische Alienwelt wird die Menschheit noch in den Ruin führen.

Menschen, liebe Brüder und Schwestern, glaubt an euch selbst und an die moralische Kompetenz des Menschen, der auf Götter verzichten kann. Eine Kompetenz, die wir freilich noch lernen müssen, damit wir zusammen den Karren aus dem Dreck ziehen können. Der Mensch ist kein Sklave einer Heilsreligion, die ihm Phantastisches im Nirgendwo verspricht, auf Erden aber lässt sie ihn apokalyptisch verrecken.

Was tut die israelische Regierung? Ihr Motto ist nicht: Auge um Auge – das war schon human –, ihr Motto lautet: „Dann wird Kain siebenmal gerächt und Lamech siebenundsiebzigmal.“

In der israelischen Gesellschaft grassiert eine Facebookseite mit dem zynischen Titel: „«Bis die Jugendlichen zurückkommen, erschießen wir jede Stunde einen Terroristen», die bereits über 20.000 Likes sammeln konnte.“

Die Entführung der Jugendlichen benutzt Netanjahu, um seinen Hass auf die neue vereinigte Regierung aus Hamas und Fatah gnadenlos zu exekutieren. Wer an Verschwörungen glaubt – täglich erleben wir, wie immer mehr Verschwörungen zu undementierbaren Wahrheiten werden –, dem wird der merkwürdige Zufall aufgefallen sein, dass die Entführung just in time zu Netanjahus geplantem Rachefeldzug passierte. Da die amerikanisch initiierten Friedensgespräche vor allem an Jerusalem scheiterten, musste für die Weltöffentlichkeit ein Schuldiger aus dem Hut gezaubert werden.

„Die israelische Regierung macht massiv Stimmung gegen „Terroristen“, mit der sie nicht nur bewaffnete Kämpfer, sondern die gesamte Hamaspartei und ihre politischen Vertreter und Sympathisanten meint. Das öffnet die Tür für willkürliche Verhaftungen, unter anderem wurden auch der Parlamentspräsident Aziz Dweik und weitere Parlamentarier wieder in Haft genommen.“

Das Netanjahu-Regime scheint nichts mehr zu verfluchen, als terroristische Palästinenser, die zur Vernunft kommen. Schließlich braucht man einen funktionierenden Feind, mit dem man „nicht verhandeln kann“. Droht ein solcher Feind abhanden zu kommen, muss alles unternommen werden, um ihn wieder funktionstüchtig zu machen:

„Die neue [Hamas-Fatah] Regierung hat auch die Bedingungen des Nahostquartetts akzeptiert, die unter anderem einen Gewaltverzicht verlangen. Eine geplante Entführung wäre ein kalkuliertes Ende der Einheitsregierung, das derzeit kaum im Interesse der Hamasführung liegen dürfte. Nicht auszuschließen ist eine Entführung durch Einzeltäter, ob der Hamas zugehörig oder nicht, möglicherweise mit dem Ziel, Gefangene aus israelischen Gefängnissen freizupressen. Die israelischen Militäraktionen sollen nun die palästinensische Einheitsregierung torpedieren.“

Unfrieden und Rechthaben um jeden Preis – das scheint die Regierungsmaxime der Netanjahu-Regierung zu sein. Unmöglich, dass Gojim Rechtgläubige an Friedensfähigkeit übertreffen dürfen. Also müssen sie so lange gepresst und gedrückt werden, bis sie wieder Raketen als Liebesbotschaften schicken: Netanjahu, vertilge uns, wir haben es nicht verdient, eure Nachbarn zu sein. Vergib uns die Sünde, auf jenem Terrain gewohnt zu haben, das eure heilige Schrift als eurer ewiges Eigentum bezeichnet.

Heilige Schriften – das hat die Wissenschaft bewiesen – können weder irren noch lügen. Sie sagen immer die Wahrheit und damit alle Welt dies glaubt, wird noch ein unfehlbarer Gott als Autor und Gewährsmann eingeführt.

Rene Wildangel macht keinen Hehl aus seiner Beurteilung:

„Das Vorgehen der israelischen Armee gegen Zivilisten hat die Qualität von Kollektivstrafen, die nicht mit der Suche nach den Entführten gerechtfertigt werden können. Sie sind ein schwerer völkerrechtlicher Verstoß gegen die Genfer Konventionen und drohen, einen neuen Flächenbrand zu provozieren. Human Rights Watch bezeichnete den Vorfall als Kriegsverbrechen. Ein internationaler Aufschrei blieb jedoch aus“.

Erneut desavouiert sich der Westen bis auf die Knochen. Deutschland, das Land der Täter, vorneweg. Noch immer kapieren die Deutschen nicht, dass die einzige Konsequenz aus dem Holocaust das vorbildliche Einhalten menschenrechtlicher Standards sein muss. Dass unbeschönigte Kritik die wesentliche Eigenschaft jeder Freundschaft sein muss.

Was die Deutschen tun, ist versteckter Antisemitismus unter dem Etikett, gegen Antisemitismus zu sein. Verlogener geht es nicht. Israel hat sich hoffnungslos von aller Welt isoliert, selbst die Amerikaner gehen immer mehr von Bord. Die Deutschen ignorieren hartnäckig, dass die junge und politikunerfahrene Nation in der religiösen Sackgasse gelandet ist, dass ihre Jugend das Land flieht, weil sie keine Zukunft mehr unter der Knute der Fanatiker sieht. In Berlin gibt’s bald mehr israelische Jugendliche als in Tel Aviv.

Die geheuchelte Freundschaft wird vor allem von der deutschen Presse demonstriert. Das Volk der Täter paukt Zahlen und Daten, bereist die Stätten des Grauens, um mit Augenblicksstimmungen der Betroffenheit unter Beweis zu stellen, dass man seine Hausaufgaben gemacht hat. Doch verstanden hat man nicht, wie über viele christliche Jahrhunderte sich das Verhängnis zur Katastrophe verdichtete.

Ob Israel gut beraten ist, seine Rachegefühle für das unermessliche Leid, das es erdulden musste, an Unbeteiligten zu ventilieren, muss bezweifelt werden. Nein, sie behandeln die Palästinenser nicht so, wie die Nazis sie traktierten. Doch nicht alles, was weniger schlimm ist als der Holocaust, ist deshalb schon legitim.

Immer an vorderster Stelle einer unerträglich verlogenen Solidarität mit Israel die Shitstorm-BILD, die sich nicht entblödet, die APO des Volkes zu sein. Am liebsten würde sie noch das Volk abschaffen, wenn sie nicht auf dessen Knete angewiesen wäre.

BILD veröffentlichte den Kommentar von Dieter Graumann, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, der, wie immer, mit dem unsichtbaren Höllenstab des Antisemitismus winkt, um die Deutschen unter den Willen der Regierung in Jerusalem zu zwingen. (Dieter Graumann in BILD)

Mit dem Hinweis, Israel sei die einzige Demokratie in Nahost, fordert er die deutsche Öffentlichkeit auf, sich der Hasspolitik Netanjahus zu unterwerfen.

Eine Demokratie erkennt man vor allem daran, dass sie ihre Verständigungs- und Friedensfähigkeit beweist. Dass die Jugendlichen von bösen Palästinensern entführt wurden, muss Graumann wohl von einer prophetischen Stimme erfahren haben. Jede Wandlung der Feinde ins Positive muss mit allen Mitteln als satanischer Trick entlarvt werden. Je humaner, umso teuflischer sind – die Teufel der Feinde.

Mit dieser dualistisch-vergifteten Optik werden die Brävsten zu Ausgeburten der Hölle. Jede Menschenrechtsverletzung der israelischen Regierung wird von Graumann wortlos abgesegnet. Die ganze deutsche Öffentlichkeit schweigt und duckt sich unter diese Ungeheuerlichkeiten.

Deutschland hat seine Vergangenheit mitnichten aufgearbeitet. Es erlaubt sich eine charakterlose Unterwerfung unter die palästinenser-verachtende Unterdrückungspolitik Jerusalems.

Selbstkritische israelische Stimmen wie die Uri Avnerys, Moshe Zuckermanns, Avraham Burgs, der linken Zeitung Haaretz und vieler anderer, werden hierzulande fast komplett unterdrückt. Man schmäht die Kritiker als Selbsthasser und Hofjuden jener Deutschen, die ihren Antisemitismus hinter einer rational klingenden Israelkritik versteckten.

Wie lange soll diese unlautere Tragödie aller Seiten noch gehen? Das Tätervolk hält seine Feigheit für Wiedergutmachung seiner schändlichen Taten, das Volk der Opfer hält die Unterwürfigkeit der Deutschen für Aufarbeitung ihrer Vergangenheit. Beides ist Trug und Verblendung.

Wer den Holocaust nur ein wenig verstanden hat, muss der bipolaren Heuchelpsychose der beiden Völker widerstehen.

Man schämt sich, ein Deutscher zu sein.