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Günter Jauch

Hello, Freunde des Günter Jauch,

zu Beginn der Karwoche feierte TV-Bischof Günter Jauch im öffentlich-rechtlichen Kirchenfernsehen die obszönste und peinlichste Trauerfeier:

Nicht der Kriegstoten von Syrien gedachte er.

Nicht des Ruanda-Massakers, an dem Deutschland und Frankreich beteiligt waren.

Nicht der Kinder, die täglich hungers sterben müssen.

Nicht debattierte er über den Stand der Naturkatastrophe, die die Menschheit produziert.

Nicht über das verfaulte Medium Fernsehen.

Nicht über die wachsende Unzufriedenheit der ganzen Menschheit.

Nicht über die kommende planetarische Revolution.                                 

Er hielt eine Trauerfeier zu Ehren eines modernen Heilands, der sich für Fortschritt, Geschwindigkeit und Erfolg für die ganze Menschheit opferte, sein Kreuz auf sich nahm, niederfuhr zur Hölle und an Ostern auferstehen wird – zu erlösen seine PS- und TV-Gemeinde.

Ach, wie wird er verleumdet und bespieen durch falsche Gläubige und Propheten. In welcher Schadenfreude wird ihm der Tod gewünscht. Ach, wie wird er von seinen Getreuen angebetet, welche frommen Legenden werden über ihn verbreitet. Der du alle Rekorde gebrochen und alle Trophäen errungen hast – du brichst dir den Hals beim Skifahren? Bist du

der Menschen und Maschinen Heiland, so stehe auf von deinem Bett und besiege den ordinären Tod im normalen Leben.

Alle anderen hat er besiegt und kann sich im Krankenbett nicht selbst besiegen?

Du edles Angesichte,
dafür sonst schrickt und scheut
das große Weltgewichte,
wie bist du so bespeit,
wie bist du so erbleichet,
wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht nicht gleichet,
so schändlich zugericht‘?

Mit ministrantischem Gespür für die Dramaturgie des christlichen Kalenders hat Katholik Jauch die Karwoche mit einer modernen Golgatha-Figur eröffnet. Der Held ist abgestürzt, das Vorbild muss durchs Koma zur Wiedergeburt und Neuerfindung seiner selbst.

Die gläubigen Massen fiebern mit, Betrüger stehlen sich ans Krankenlager, um den Segen der Nähe zu erschleichen, BILD, das ikonografische Blatt für Götter und Propheten, schreibt evangeliengleiche Berichte aus dem heiligen Bezirk, Jünger treten auf mit gläubigem Silberblick, Judasse lästern für 30 Silberlinge, die heilige Familie schart sich um Kreuz und Krankenbett. Alles ist vorbereitet für die Auferstehung. Die Exklusiverträge mit der Prophetenpostille aus dem Springerverlag sind unterzeichnet. Nun heißt es harren und beten.

Nicht für die Welt ist Jauch da, sondern für die Überwelt. Nicht für die Welt bittet er, sondern für die, die sein Herr ihm gegeben hat. Nicht die Probleme der Natur und der Menschheit berühren ihn, sondern der Blick ins Jenseits. Nicht irdisches Gerede interessiert ihn, sondern An-denken und Lob-preisen.

In seinem Dom mit transzendenter Kuppel, einer Kirche gleich, zelebriert er die nationale Regression ins Drüben, zu dem ihm der Blick nicht verrannt ist. Der Tod in der Natur soll überwunden werden, die Todlosigkeit der männlichen Übernatur mit grenzenlosen PS und naturbezwingender Macht demonstriert  werden. Mutter Natur soll durch Dröhnen und Aufheulen überwunden werden.

Der Tod ist des Mannes ärgster Feind. „Von allen großen Religionen ist das Christentum die ängstlichste und diejenige, die den Schrecken des Todes am stärksten betont.“

Im Geheimen Buch des Jakobus – einem nicht-kanonischen Evangelientext – empfahl Jesus den Selbstmord. Das Königreich des Todes, sagte er, „könne nur denen gehören, die sich selbst töten, und niemand, der dieser Pflicht ausweiche, könne errettet werden.“

Der neue Umweltbericht der UN warnt und mahnt. Noch eine kurze Zeit könne die Zweigrad-Klima-Verschärfung gehalten werden. Doch alle Politiker sind bereits in die Osterferien gereist. Kein Politiker, der sich von diesem planetarischen Warnschuss erschrecken ließe. Sie wollen den globalen Suizid, damit sie erlöst werden können. Der Mann will den Tod überwinden, dafür ruiniert er das irdische Leben.

„Kein Glaube hat so viel dazu beigetragen, den sozialen Fortschritt der Menschheit aufzuhalten, wie der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele. Dieser Glaube verführt Geschlecht auf Geschlecht, Generation auf Generation dazu, die wirklichen Bedürfnisse der Toten zu opfern. Die Zerstörung des Lebens und Eigentums, die dieser Glaube zur Folge hatte, ist unermesslich.“ (P. T. Frazer)

Mütterliche Kulturen hingegen heißen den Tod als Summa des Lebens willkommen. „Wo immer es eine Vorstellung von Mutter Natur gab, verband sie sich mit dem Gedanken, dass der Tod etwas Natürliches ist und dass die Wurzeln jeder Blume im organisch Verwesenden stecken.“

Wie die nichtchristlichen Weißen betrachtete Alfred de Vigny den Tod als mütterliche Göttin: „O Tod, Göttliche, auf deinen Ruf kehren wir alle zu dir zurück und vergehen in deiner Umarmung. Nimm deine Kinder auf in deinen gestirnten Schoß. Befreie uns von Zeit, Zahl und Raum.“

Der Tod ist der Sünde Sold. Sünde ist eine männliche Erfindung. Eine mütterliche Natur kennt keine Sünde, sie akzeptiert Fehler und Irrungen, denn sie glaubt an Lernen und Erkennen. Menschen müssen nicht perfekt sein, um vollkommen zu sein.

Das Jenseits-Credo hat dem Menschen die Aura der lern- und erkenntnisfähigen Vollkommenheit geraubt. Nun glaubt er, dass er ein Versager ist – und handelt nach seinem Glauben.

Gibt es einen neuen Wettlauf der internationalen Alphamänner um Vorherrschaft in der Welt? Nein, antwortet Erich Follath in einem SPIEGEL-Essay (14/2014). Es werde keine auf Zwang gegründeten Imperien mehr in der Weltpolitik geben. Sie hätten sich überlebt:

„Die Zukunft gehört der freiwilligen Integration. Und das bedeutet, dass die Krim-Krise nur einen Gewinner hat: die Europäische Union. Bei aller Unvollkommenheit und allen Problemen ist sie die attraktivste aller unattraktiven Modelle.“

Das klingt aufreizend optimistisch und steht in völligem Kontrast zum Titel: „Wir Supermachtlosen“. Follath übersieht die längst bestehende blockfreie Vernetzung der Superreichen, Superschnüffler, Superwissenschaftler, Superbedenkenlosen und Supermächtigen. Das stählerne Band der Super- und Übermänner drückt dem Planeten längst die Kehle zu.

Hätte Follath den TAZ-Kommentar von Klaus-Helge Donath über die Philosophie der Putinisten gelesen, hätte er ein anderes Resumee gezogen. Alexander Dugin ist Professor in Moskau und verkündet das neue-uralte Evangelium von Eurasien, die Befreiung Europas von der amerikanischen Vorherrschaft.

Was ist Eurasismus? Dugin, Vordenker der neureichen und neumächtigen russischen Eliten formuliert: „Das Ziel des vollendeten Eurasismus ist ein Europa von Lissabon bis Wladiwostok, ein großes Eurasisches Kontinentalreich“ 

Es ist exakt die Ideologie des deutsch-messianischen Sonderwegs – übertragen auf das russische Reich. Demokratie, Freiheit und sonstiger Klimbim werden von Eurasiern abgelehnt.

„Der faulende Westen steht einem messianischen Russland gegenüber, das sich für dessen mentale und geistige Erneuerung bereithält. Die orthodoxe Kirche übernimmt den Part der spirituellen Unterweisung und gibt Anleitung zur sich selbst bescheidenden Demut. Die Weltordnung gleicht in diesem Konstrukt einem „Spinnennetz“ (Dugin), in dem das Gegeneinander von Freund und Feind erst Dynamik generiert. Unschwer zu erkennen, dass die geistigen Väter dieser Gedankenwelt im antidemokratischen Denken der Weimarer Republik beheimatet sind. Blaupause ist die „konservative Revolution“ der 1920er, die der Wegbereiter des Nationalsozialismus war.“ (Klaus-Helge Donath in der TAZ)

In verschiedener Geschwindigkeit und Radikalität regrediert der gesamte Westen auf seine Vorkriegsfaschismen. Selbst die Vorzeigedemokratien England und die USA waren nicht frei von Rassismus, imperialer Überlegenheit der weißen christlichen Rasse über den minderwertigen Rest der Welt.

Besonders der Osten und Deutschland, das Reich in der Mitte, hatte seit Abkehr von der europäischen Aufklärung messianische Kollektivpsychosen entwickelt, die seit der Jahrhundertwende die Konservative Revolution prägten, die widerstandslos in den Nationalsozialismus überging.

„Deutschlands Verhältnis zum Westen fußte auf dem unversöhnlichen Gegensatz, den die „konservative Revolution“ in die Formel „Kultur versus Zivilisation“ presste. Das gleiche Gefühl der Rückständigkeit und Minderwertigkeit gegenüber der westlichen Zivilisation beschleicht seit Ende der UdSSR die russischen Eliten.“

In den führenden Putinschichten gebe es keine Alternativen mehr: „Kommunisten, Neofaschisten, Klerikale und Vertreter der Kremlpartei singen alle dasselbe Lied. Texte und Melodie stammen nicht alle von Dugin, ein weit verzweigtes Netzwerk aus Stiftungen hat die Popularisierung und Verbreitung übernommen.“

Europas Regression ist ein Zurücklaufen in cäsaropapistische Herrschaftsmuster. Die Popen – seien es orthodoxe, katholische oder neocalvinistische – werden wieder zu unfehlbaren Garanten einer unfehlbaren Obrigkeit.

Der Westen legt noch am meisten Wert auf pseudodemokratische Schminke seiner Machtallüren, Russland ist am ehrlichsten und verschmäht den Methodenzauber von Wahlen und Abstimmungen.

Die neuen Machteliten in Moskau haben keine Hemmungen, mit rechtsgerichteten Regimes der EU wie in Ungarn offiziell zusammenzuarbeiten. Je schwächer die EU, desto auftrumpfender die antidemokratischen Neureichen und Neumächtigen in den östlichen EU-Ländern.

„Langfristig soll die Erweiterung der EU verhindert und die europäische Idee endgültig diskreditiert werden. Der jungen Generation wurde dieses Gedankengut in Schulen, den Medien und auf der Universität mitgegeben. Wie die politische Elite hat auch sie wieder klare Feindbilder. Ob mit oder ohne Putin, Russland ist auf längere Zeit verloren.“

Optimistisch klingt das nicht. Warum werden erst jetzt solche „Hintergrundsberichte“ aus Russland veröffentlicht? Man wundert sich, dass dieser Beitrag den Weg in die Öffentlichkeit fand.

Der Grund der historischen Blindheit ist klar: Jour-nalismus, das Reduzieren der Nachrichten auf flüchtiges Tagesgeschehen ohne historischen Hintergrund, ist dem erklärenden Analysieren der Gegenwart nicht mehr angemessen.

Der heutige Tag ist die Summe vieler Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte. Sollten die Tagesschreiber sich nicht entschließen, die absurde Trennung von der Historie aufzugeben, werden sie bald zu überflüssigen Tintenklecksern und Papierverschwendern.

(Umgekehrt gilt dasselbe für Historiker. Solange sie ihre Erkenntnisse der Vergangenheit nicht zur Erklärung des Tages nutzen, sind sie überflüssig. Gibt es hohlere Sätze als die von Schlafwandler Clark: „Die Antworten, die uns die Geschichte bietet, sind vielfältig und stehen immer unter Vorbehalt. Sie sind weder einfach noch absolut.“? 

Eine Geschichte, die uns etwas lehrt, gibt es so wenig, wie eine Natur, die uns Naturgesetze offenbart. Immer sind wir es selbst, die wir uns anhand der Geschichte und der Natur aktiv belehren. Alles Erkennen ist aktiv und das Gegenteil duldenden Geprägtwerdens.)

Es ist nicht der Osten allein, der Demokratie zur Ramschware erklärt. Es sind die „Besten“ und Cleversten aus dem westlichen Geniegelände, die gigantische Inseln weit draußen auf dem Meer planen, um in rechtlosen Kreativgemeinden alles Demokratische auszumisten.

Ausgerechnet Silicon Valley, wo unsere deutschen Besten aus allen Medienhäusern ihr glaubensbesoffenes Praktikum absolviert haben, ist zur faschistischen Brutstätte geworden.

Mit dem Begriff Faschismus habe sie ihre Schwierigkeiten, sagte die Kriegsberichterstatterin Antonia Rados letzte Woche bei Maischberger. Er sei schwer zu fassen.

Wie wär‘s mit Definieren? Deutsche Schreiber und Intellektuelle verschmähen das Definieren, um sich nicht widerlegbar zu machen.

Faschismus ist alles, was nicht demokratisch ist und sich nicht unpolitisch – also nur kriminell – versteht. Ob der Faschismus bis zum totalitären Nationalsozialismus gehen muss, kann zumeist ignoriert werden. Nicht die Quantität, die Qualität entscheidet.

Siliconisten – wie Putinisten – sind absolute Demokratie-Feinde: „Es mag seltsam klingen, aber die Demokratie ist eine veraltete Technologie. Ein paar hundert Jahre alt“, sagt Randolph Hencken von The Seasteading Institute. „Sie hat Reichtum, Gesundheit und Glück für Milliarden Menschen auf der ganzen Welt gebracht. Aber jetzt wollen wir etwas Neues ausprobieren.“

Weit ab von aller rechtsstaatlichen Demokratie sollen auf hoher See platonisch-theokratische Utopien installiert werden. Die Maschinentüftler wollen Machthaber werden – ohne demokratische Kontrollmechanismen. Eine totalitäre Herrschaft der Weisen und Priester soll mit Hilfe digitaler Spitzentechnologie die Allmacht über den Planeten erringen.

Und in diesem Reich der Allmachts-Träumer haben deutsche Spitzenschreiber feuchte Augen bekommen. Wissen sie nicht, was Faschismus ist? Haben sie ihre Vergangenheit nicht bewältigt? Mit welchem Trick vernebeln deutsche Ideologen ihre brandgefährliche Ignoranz?

Sie leugnen, dass man Wirklichkeit mit Begriffen angemessen beschreiben kann. Entweder schütten sie massenhaft Begriffe in den Raum, um zu sagen: keiner passt absolut, ergo ist die Realität begrifflich nicht erfassbar. Oder sie schmähen den Begriff an sich und nutzen lieber die Aura des konkurrierenden Bildes:

„Der Begriff ist greisenhaft, das Bild immer frisch und jung. Der Begriff lebt von der Angst, das Bild von der triumphierenden Festlichkeit der Entdeckung. Der Begriff ist ein Opfer der Zeit, das Bild ist immer jenseits der Zeit. Der Begriff appelliert an den Kopf, das Bild an das Herz“. (Nach Armin Mohler)

Woher die Begriffsfeindlichkeit der Deutschen? Von ihrer Feindschaft gegen die Aufklärung. Begriffe sind ihnen zu „kopfgesteuert“, ihr Bilderrausch hingegen sei unergründlich, unüberprüfbar und geheimnisvoll.

Das Mekka der selbsternannten Genies ist die Brutstätte des amerikanischen Faschismus. Deutschland, das Reich der Mitte, wird von pseudo-demokratischen und antidemokratischen Faschismen eingerahmt und eingepfercht. Kein Wunder, dass es Putin kaum kritisiert und Obama nicht widersteht.

Die amerikanische Kampfansage gegen die Demokratie ist unmissverständlich:

„Tatsächlich kommt die Idee neue Gesellschafts- und Staatsformen zu entwickeln aus dem Silicon Valley. Denn Technologiekonzerne wie Google und Facebook bekommen immer mehr Probleme mit den Behörden, weil sie unverantwortlich mit den Daten ihrer Kunden umgehen. Google-Chef Larry Page träumt von einem Ort ohne Datenschutzgesetze und ohne demokratische Verantwortung. «Es gibt eine Menge Dinge, die wir gerne machen würden, aber leider nicht tun können, weil sie illegal sind», verkündete Page schon 2013. «Weil es Gesetze gibt, die sie verbieten. Wir sollten ein paar Orte haben, wo wir sicher sind. Wo wir neue Dinge ausprobieren und herausfinden können, welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben.»“ (Joachim Gaertner in ttt/ARD)

Wozu brauchen wir Verschwörungstheorien, wenn faschistische Verschwörer in aller Öffentlichkeit der Demokratie an die Gurgel gehen?

Im Kalten Krieg standen Totalitarismus und Demokratie als Reich des Bösen und Reich des Guten gegenüber. Jetzt stehen sie sich erneut unversöhnbar gegenüber – als zweieiige Zwillinge. Während Russland und China ohnehin demokratische Verhältnisse ablehnen, schaut Amerika seelenruhig zu, wie seine Besten den Faschismus als ideale Staatsform der Zukunft preisen.

Von Freund und Feind muss Europa sich gleichweit distanzieren. Die gemeinsamen transatlantischen Werte hat der Ozean verschlungen – wo er am tiefsten ist.

Europa, die Wiege der Volksherrschaft, könnte zur letzten planetarischen Zufluchtsstätte der Demokratie werden.