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Gerechtes Leben

Hello, Freunde des gerechten Lebens,

die Todesstrafe ist weiträumig abgeschafft – das bedingungslose Lebensrecht bleibt eine Utopie. Wird ein Kind geboren, steht sein Leben unter Vorbehalt. Weigert es sich, bestimmte Forderungen des Weltenherrschers zu erfüllen, wird es mit Dahinsiechen, Verelenden oder Sterben erbarmungslos bestraft.

Das Lebensrecht des Einzelnen ist an Bedingungen geknüpft. Werden die Bedingungen verletzt, muss der Mensch mit unerbittlichen Folgen rechnen. Die Geburtskultur der Moderne ist keine bedingungslose Willkommenskultur. Sondern ein misstrauischer Empfang unter stahlharten Bedingungen: Ankömmling, wenn du unsere Kriterien erfüllst, dann wird es dir auf Erden gut ergehen. Wenn nicht, wirst du den Tag deiner Geburt verfluchen.

In Europa sind Flüchtlinge nicht etwa willkommen, weil sie schutzbedürftige, gleichwertige oder liebenswerte Wesen wären. Sondern nur, wenn sie zum militanten Wohlstand der Europäer ihren Beitrag leisten.

Kinder in der ökonomischen Kampfgesellschaft werden nur gebilligt, wenn sie mit Arbeit, Intelligenz und Erfindungskraft die rücksichtslose Wettbewerbsfähigkeit der Gesellschaften verstärken.

Über der Schwelle zum Leben hängt das gnadenlose Schwert der Bedingungen: stärke unsere Gesellschaft im Überlebenskampf der Völker – oder verdirb im

Winkel der Bedeutungslosen.

Die ökonomische Straf- und Lohngesellschaft ist Erbin der religiösen Fluch- und Verheißungskultur. Erfüllt der Mensch nicht die Bedingungen der Priester, wäre es besser für ihn, er wäre nie geboren:

„Warum starb ich nicht gleich bei der Geburt, kam nicht um, sobald ich aus dem Mutterschoß hervorging? Warum kamen mir Knie entgegen, und wozu Brüste, daß ich daran trank? Denn jetzt läge ich da und wäre still; ich wäre entschlafen und hätte nun Ruhe.“ (Hiob)

„Verflucht der Mann, der meinem Vater die frohe Kunde brachte: Ein Kind, ein Knabe ist dir geboren! Warum denn kam ich hervor aus dem Mutterschoß, um nur Mühsal und Kummer zu erleben und meine Tage in Schande zu beenden?“ (Jeremia)

In der Religion müssen Pflichten des Gottes erfüllt werden, in der Ökonomie die der lebenslangen Leistung und der despotischen Maloche. Wer sie nicht erfüllt, hat kein Recht zum Leben:

„Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“. (2.Thess. 3,10)

Die Todesstrafe für Leistungsverweigerung, Muße und Nichtstun hat nicht nur die Sozialdemokratie übernommen. „Der Sozialismus stimmt mit der Bibel darin überein, wenn diese sagt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ (Bebel)

Auch NSDAP und KPdSU nahmen die biblische Drohung in ihr Parteiprogramm auf: „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen. Und wer nicht um sein Leben kämpft, soll nicht auf dieser Erde leben. Nur dem Starken, dem Fleißigen und dem Mutigen gebührt ein Sitz hienieden.“ (Hitler, 1925)

„Artikel 12. Die Arbeit ist in der UdSSR Pflicht und eine Sache der Ehre eines jeden arbeitsfähigen Bürgers nach dem Grundsatz: ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ (Stalin, 1936)

Nicht nur die sozialistischen Systeme, auch der westliche Kapitalismus beruht auf der Todesdrohung bei Arbeitsverweigerung. Das Arbeitshaus war eine der ersten Maßnahmen gegen den kapitalistischen Kollateralschaden der Armut:

„Die Umwandlung herumziehender Armer in wirtschaftlich verwendbare Untertanen sollte durch Methoden der Arbeitserziehung erreicht werden. Der Utilitarismus des aufkommenden Industriezeitalters stellte dann das Arbeitshaus im 19. Jahrhundert unter den Leitsatz „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, um so unter kapitalistischen Vorzeichen eine Fabrikdisziplin gesellschaftlich durchsetzen zu helfen“.

Arbeiten, arbeiten und nie zufrieden sein, das war das Motto der Frühkapitalisten, die nie zur Ruhe oder zur Meeresstille der Seele kommen durften.

Selbst der kluge John Stuart Mill war nicht davor gefeit, arbeitswütigen Unsinn zu reden und Sokrates zum ewig Unzufriedenen zu stempeln: „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch als ein zufriedengestelltes Schwein zu sein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.“

Mill übersah, dass der Mäeut zwar nimmermüde nach Wahrheit suchte – dennoch aber so in sich ruhte, dass er für seine Überzeugungen in den Tod ging.

Heute müsste man sagen: nur selbstzufriedene Schweine können uns noch retten. Die zwanghaft Unzufriedenen zerstören lieber den Planeten, als ruhig in ihrem Zimmer zu sitzen, wie Pascal noch zu raten wusste.

In der Wilhelminischen Epoche wurde Arbeitsverweigerung kriminalisiert. Asoziale sperrte man in Arbeitshäuser. Im Dritten Reich konnten Obdachlose wegen Bettelei und Landstreicherei inhaftiert, ja in ein KZ eingeliefert werden. Heute gibt es keine Arbeitshäuser mehr. Ersatzweise dürfen arbeitsscheue Elemente aus Hunger und Elend kriminell werden, um Gefängnisse und Todeszellen zu füllen oder unter Brücken, in Tunneln der U-Bahn abzukratzen.

Arbeitsscheue Hartz4-Elemente werden zur „Residenzpflicht“ und zu jeder beliebigen Arbeit verdonnert. Das von der SPD erfundene System könnte man „Arbeitshaus light“ nennen. Obgleich heutige Begriffe wie „Bürgerarbeit“, „Workfare“ oder „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ vornehmer klingen, passt zwischen Bebel und Schröder kein Blatt Papier. Alles wie gehabt – obgleich sich angeblich nichts wiederholt.

Planwirtschaft und freier Markt, Sozialismus und Neoliberalismus: wer sie kennt, wird auch hier erkennen, Ost und West, Plan und Markt, Gefängnis oder freies Verhungern, sind nicht mehr zu trennen.

Wie soll man es noch nennen? Eine Farce, ein Possenspiel, ein zynisches Schmierenstück? Gestern gab es im deutschen Fernsehen eine Gesprächsrunde über Gerechtigkeit, in der kein einziger sinnvoller Satz über Gerechtigkeit fiel. Unter der Leitung des TV-Kaplans Jauch hörte man Sätze wie: Gerechtigkeit sei eine gefühlte Sache, eine Angelegenheit des Neids. Jeder habe seine Vorstellung von Gerechtigkeit.

Durch Arbeit solle man sich ernähren können? Das sei eine eingängige, aber naive und unrealistische Vorstellung. Es gebe Arbeiten, die die Gesellschaft nicht schätze, also müsse der Staat die Loser durch Aufstocken vor dem Hungertod retten. Oja, es gebe wertvolle Jobs wie AltenpflegerInnnen, PolizistInnen, ErzieherInnen, die schlecht bezahlt wären – doch Berufe seien nicht nur dazu da, vergütet zu werden. Sie seien auch sinnstiftend.

Da müssen Milliardäre ein elend-sinnfreies Leben führen, dass sie nur noch gigantisch vergütet werden wollen. Wer Sinn in seinem Berufe sieht, muss durch Lohnentzug bestraft werden?

Jauch, der andere ausforschte, was sie verdienten, sprach kein Wort über seine Multimillionen. Über himmlisches Personal schweigt man besser. Nur Pöbel macht Probleme. Jauch, oft im phonetischen Brunftton des „heute will ich es aber wissen“, stellte suggestive Fragen, die nur neoliberal beantwortet werden konnten: Wenn alle Erzieher wie Grundschullehrer verdienen wollen, was wollen demnächst Grundschullehrer verdienen? Und wer soll das bezahlen?

Jauch war des neoliberalen Professors Hüther untertänigster Stichwortgeber.

Eine FDP-Frau, die in vielen Gerechtigkeitsfragen Neid erblickt, konnte auf den ersten Blick erkennen, dass die Befragten im Publikum ganz ohne Neid gesprochen hätten. Das sind Seelen-Durchschau-Methoden der exquisiten Art.

Nebenbei: wenn sonst immer Untugenden die besten Motivatoren des Fortschritts sein sollen, warum hier nicht der Neid? Private Laster, öffentliche Tugenden? Werdet neidisch, Ausgebeutete dieser Erde.

Nur Verhältnisse, die keinen Neid mehr erregen, können gerechte genannt werden. Neid und Missgunst sind hellsichtiger als der bornierte Blick akademischer Ökonomen. Sind Gerechtigkeitsfragen Bewertungen unsichtbarer Gefühle? Nicht Taten entscheiden, sondern verborgene Gesinnungen? Das ist christliche Innerlichkeitszensur.

An den Wortmeldungen des Gregor Gysi und des Gewerkschaftlerchefs Reiner Hoffmann konnte man die desolate Lage der europäischen Linken ablesen. Nur Peanuts und klitzekleine Korrekturen der Lage konnte man vernehmen. Keine grundlegende Äußerung, was Gerechtigkeit überhaupt sei.

Kann man ohne glasklares Kriterium die Wirklichkeit erfassen? In Deutschland wird man durch Klarheit schnell als dogmatischer Terrorist abgestempelt.

(Hat Merkel sich selbst zur Raison ermahnt, als sie in Dachau zur „Offenheit und Zivilcourage“ aufrief? (Spiegel.de) Die Linken fürchten, als Traumtänzer zu gelten, wenn sie Gerechtigkeit als Gegenwelt definieren. Es wird seine Gründe haben, wenn die europäische Elite den aufrechten Varoufakis – dem man intern durchaus Gradlinigkeit bescheinigt – ausgerechnet als Taschenspielernatur abqualifiziert. Kein einziger Linker in Deutschland, der die Griechen öffentlich unterstützte. Die Pastorentochter, die feierlich das Lutherjahr begehen will, verabscheut das lutherische Verhalten des griechischen Finanzministers: Hier steh ich, ich kann nicht anders.)

Ein früherer Investmentbanker, der einst Millionen kassierte, sagte den einzigen sinnvollen Satz bei Jauch: Gerechtigkeit ist eine von Menschen erschaffene Norm.

Wer ist zuständig für die ungerechten Löhne? Nur Menschen. Keine Naturgesetze oder Vorschriften der Evolution. Wie kann die Norm in Realität übersetzt werden? Seltsame Frage. Durch demokratische Debatten und Mehrheitsbeschlüsse! Wie denn sonst?

Gerechtigkeit ist die geschmähteste und verachtetste Tugend des Abendlandes. Keine Tugend, die von Denkern und Politikern mit mehr Abscheu und Hohn bedacht worden wäre als justitia. Nun, keine weltliche Tugend darf der Gerechtigkeit Gottes Konkurrenz machen. Die Gerechtigkeit Gottes hat kein Interesse an gerechten Zuständen in der Welt – die nur ein ambulantes Lazarett darstellt, das im Jenseits erst Idylle werden darf.

Es gibt scharfsinnige Abendländer, die Gerechtigkeit als Naturrecht ablehnen, weil – dank der christlichen Allhäutungsmethode – alles und das Gegenteil in das Naturrecht projiziert werden konnte. So gesehen, müssten alle Begriffe des Abendlands in den Mülleimer wandern.

Kann es sein, dass jeder Selbstdenker seine eigene Meinung in die Begriffe eintragen muss? Jeder Begriff muss in einer Debatte umrissen und scharf definiert werden: was, oh Freund, verstehst du unter Gerechtigkeit? Wer Begriffe nur verwenden will, weil sie durch allgemeinen Konsens gedeckt sind, sollte am besten auf Offenbarungen warten.

Heute wird nichts mehr definiert. Durch Klarheit will niemand mehr widerlegbar sein. Es macht sich besser, wenn man Begriffe durch Himmel und Hölle zerrt, um seine mäandernde Genialität zu beweisen – als bieder zu Protokoll zu geben, was man für richtig hält.

Die Allergie gegen scharf umrissene Ausgangspositionen entspringt denselben Possenkünsten wie die entgrenzten Deutungskünste der Theologen. Wer will banaler „Buchstäbler“ sein, wenn hemmungslose Deutungs-Willkür erst den Seher und Propheten macht?

Gerechtigkeit ist eine menschengeschaffene Norm, die nur durch neue Erkenntnisse geändert werden kann. Gibt es keine Erkenntnisse, bleibt die Norm unverändert. Moral ändert sich nicht ständig – wie der SWF in die Welt posaunt –, sie unterwirft sich nicht jeder Zeitgeistideologie. Sie wäre nichts als Untertänigkeit und Anschleimen an den Zeitgeist.

Autonomes Beurteilen entnimmt die Fakten der Realität und die Bewertungsmaßstäbe dem eigenen Kopfe. Moral kann sich nicht ändern, wenn Menschen sie nicht verändern. Wer bestimmt heut über gerechte Löhne? Diejenigen, die die Macht dazu haben. Gewiss nicht die ohnmächtige Basis.

Wer die Norm der Gerechtigkeit ablehnt, akzeptiert blind die in Fleisch und Blut übergegangene Norm der Ungerechtigkeit. Es sind derangierte und überkandidelte Intellektuelle, die es für ausgeschlossen erklären, dass gerechte Normen die Wirklichkeit prägen könnten. Sie merken nicht, dass sie ungerechte Normen der Vergangenheit für sakrosankt erklären. Wer utopische Wahrheit zurückweist, akzeptiert die Unwahrheit der herrschenden Verhältnisse.

Was ist Gerechtigkeit? Das uneingeschränkte, bedingungslose Lebensrecht aller Menschen.

Leben heißt nicht Vegetieren. Leben muss nicht verdient werden. Niemand befragte die Kinder, ob sie gezeugt werden wollten. Ungefragt wurden sie in die Welt gesetzt. Sie müssen das volle und komplette Lebensrecht als Geschenk erhalten. Alles andere wäre abgefeimtester Zynismus.

Frage: wäre bedingungsloses Lebensrecht nicht die Lizenz zur parasitären Faulheit – wie christliche Arbeitsdespoten behaupten?

Glaubt jemand im Ernst, gesunde, wissbegierige und solidarische Wesen würden sich auf die faule Haut legen, um sich auf Kosten der Nachbarn mästen zu lassen? Solche Phantasien können nur in Gehirnen von Frommen entstehen, für die Arbeit Strafe für Sünden ist.

Es geht um selbstbestimmtes Tun und Werkeln im Einklang mit der Natur. Nicht um Straf-Arbeiten im Schweiße seines Angesichts. Autonomes Arbeiten ist keine Strafe, sondern lustvolles Erproben eigener Fähigkeiten. Der Angstfreie hat Lust zu arbeiten. Wer zur Arbeit durch Drohung gezwungen werden muss, bleibt ein Knecht des Erpressers.

Es war der Schwiegersohn des Karl Marx, der dem arbeits-wütigen Sozialisten die rote Karte der wahren Muße zeigte. Muße ist nicht Untätigkeit, sondern frei bestimmtes Tun. Für Marx waren die antiken Mußeklassen nichts als Schmarotzerklassen. Er übersah, dass echte Muße außerordentliche Schaffenskraft sein konnte. Der Müßiggänger Aristoteles war einer der fleißigsten Geistesarbeiter der Weltgeschichte.

Paul Lafargue „kritisiert die Arbeiterbewegung, die von der „seltsamen Sucht“, der „Arbeitssucht“ beherrscht sei. Ziel seiner Kritik ist nicht die Forderung eines Grundrechts auf Faulheit, sondern die Abschaffung kapitalistischer Produktionsweisen. Die „kapitalistische Moral“ sei „eine jämmerliche Kopie der christlichen Moral, belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem Fluch; ihr Ideal besteht darin, die Bedürfnisse des Produzenten auf das geringste Minimum zu drücken, seine Freude und seine Leidenschaften zu ersticken und ihn zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, aus der man pausenlos und gnadenlos Arbeit herausschindet.“

Sarkastisch wendet Lafargue sich an die arbeitsbesessenen Proletarier:

„Arbeitet, arbeitet, Proletarier, vermehrt den Nationalreichtum und damit euer persönliches Elend. Arbeitet, arbeitet, um, immer ärmer geworden, noch mehr Ursache zu haben, zu arbeiten und elend zu sein. Das ist das unerbittliche Gesetz der kapitalistischen Produktion.“

Stellt Marx endlich zurück in die Regale. Er hat mehr Unheil angerichtet, als eine selbstbestimmte Menschheit zu fördern, die sich Gerechtigkeit von keiner Heilsgeschichte bescheren lässt, sondern in eigener Regie erkämpft. Es genügt nicht, etwas Gutes zu wollen. Man muss wissen, welche Methoden man einsetzen kann, die das gute Ziel nicht von vorneherein destruieren.

Das bedingungslose Lebensrecht für alle darf nicht gefährdet werden durch ungleiche Verteilung des gemeinsam erwirtschafteten Reichtums. Wer sein Leben angstfrei gestalten darf, ist auf niemanden neidisch.

Eine übermäßige Ungleichheit aber ist demokratiegefährdend. Reichtum ist Macht. Wer zu reich ist, ist zu mächtig und kann Anderen seinen Willen aufzwingen.

Alle Menschen sind gleich. Das muss endlich realisiert werden. Nicht nur im juristischen Sinn. Gleich an Wert, Würde und Mitspracherechten. Materielle Unterschiede sind solange belanglos, solange sie nicht zum Machtgefälle führen.

Alle Menschen, ob Leistungsträger oder Neugeborene, Alte und Schwache, Eremiten und Träumer, Dichter und Denker, Handwerker und Bauern, haben das Recht auf ein volles und saftiges Leben. Ohne Furcht vor Abstieg, Versagen und Elend. Ein ungeheures Verbrechen, den Reichtum der ganzen Menschheit in den Hände weniger zu konzentrieren.

Wir stehen vor der nächsten Revolution der Arbeitswelt. Immer genialere Maschinen sollen humane Arbeitsplätze massenhaft vernichten. Wer heimst den Maschinenbonus ein? Bestimmt nicht jene Malocher, die man an die Luft setzen wird.

Der verheißene Segen der Supermaschinen wird zum Fluch, wenn die Vorteile, die sie bringen sollen, nicht allen Menschen zugute kommen. Maschinen verkürzen die notwendige Arbeitszeit? Welch ein Hohn. Je mehr Maschinen es gibt, je länger müssen die Malocher in immer miserableren „Dienstleistungen“ ihre Lebenszeit verschandeln. Immer weniger Lebenszeit verbringen Menschen mit Menschen in heiterer Ausgelassenheit. In der Gegenwart stumpfer Roboter müssen sie selbst immer mehr verstummen. Kein Wunder, dass die Erfinder der neuen Maschinen ihre Roboter als bessere Menschen verkaufen müssen.

Was ist Gerechtigkeit? Das komplette Gegenteil zum gegenwärtigen Neoliberalismus.

„Gegenüber dem spezifischen Laster des Egoismus: der Pleonexie (der Plusmacherei des Stärkeren, der im Wettbewerb sein Interesse rücksichtslos gegenüber den Schwachen geltend macht) erscheint hier die Gerechtigkeit als diejenige sittliche Gesinnung, welche das eigene Interesse mit dem der anderen auszugleichen sucht. Es geht um das Prinzip der verhältnismäßigen Gleichheit. Weder soll der Einzelne sich selbst zu viel, noch dem Nächsten zu wenig, noch sich selbst zu wenig und dem anderen zu viel zueignen. Er soll sich um das richtige Mittelmaß bemühen. Das ist der Sinn des suum cuique, jedem das Seine. Gerechtigkeit gibt daher dem Nächsten freiwillig mehr als das, was nötigenfalls durch Gesetze erzwungen werden kann. Denn sie ist nicht bloß Gesetzlichkeit, sondern auch Billigkeit, die nicht auf dem Buchstaben des formalen Rechts besteht, sondern das eigene Interesse freiwillig hinter dem berechtigteren Anspruch des Nächsten zurücktreten lässt. Gerechtigkeit ist – weil sie auch das Wohl des anderen, nicht bloß das eigene will – zugleich ein „Gut der Mitmenschen“, (in diesem Sinne kann man sogar von Altruismus sprechen). Viele Menschen sind zwar gerecht in Haus und Familie; doch wo es sich um Beziehungen zu außerhalb Stehenden handelt, bleiben sie hinter den eigenen Anforderungen zurück. Daher ist Gerechtigkeit ein politisches Gut, weil sie ein der Gemeinschaft dienendes ist. „Sie ist Trefflichkeit im Gemeinleben“. In der Gerechtigkeit, sagt Aristoteles, ist jede Tugend inbegriffen. In gewissem Sinne ist sie die Tugend schlechthin. Indem Gerechtigkeit darauf hinwirkt, dass im Verkehr der Menschen Leistung und Gegenleistung sich entsprechen, erweist sie sich als die eigentliche Kraft, welche Staat und Gesellschaft zusammenhält, den Menschen an den Menschen fesselt.“ (Zitate von Robert von Pöhlmann über aristotelische Gerechtigkeit in „Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der Antiken Welt“)

Gerechtigkeit ist eine urdemokratische Tugend schlechthin. Sie steht in einer Reihe neben moralischer Autonomie, verantwortlicher Politik für das Gemeinwesen, leidenschaftlichem Erkennen der Welt, fairem Debattieren auf der Agora und rationalem Abstimmen in der Volksversammlung.

Im riesigen Unterschied zur Ethik des Christentums, die jeden Gestaltungswillen der irdischen Verhältnisse ablehnt, fühlt sich die Gerechtigkeit der griechischen Demokratie für die irdische Polis in allen Dingen verantwortlich. Die Nächstenliebe des Neuen Testaments will nur glühende Kohlen auf die Liebesobjekte sammeln, um sich das Entreebillet für den Himmel zu ergattern. Um die humane Ordnung der Dinge in Stadt und Natur geht es Himmelsanbetern nicht. „Trachtet zuerst nach dem Himmelreich, dann werden euch alle anderen Dinge zugetan“. „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, die zukünftige aber suchen wir.“

„Der Mensch soll eben überhaupt nicht den höchstmöglichen Lohn für seine Arbeit, den höchstmöglichen Preis für seine Ware, die höchstmögliche Rendite für sein Kapital erstreben. Sondern alles innerhalb der Schranken der Billigkeit und Gerechtigkeit.“

(Billigkeit ist jenes Verhalten, das über den eigenen Egoismus hinausgeht und die Interessen aller berücksichtigt. Jesuanische Caritas ist die almosenhafte Verkümmerung der Billigkeit zum bloßen Zweck egoistischer Seligkeit.)

Für Pöhlmann steht fest, dass aristotelische Gerechtigkeit nichts anderes ist als der kategorische Imperativ Kants: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“

Wessen egoistisches Interesse zusammenfällt mit dem Interesse für die Polis und den irdischen Erdkreis, dessen Egoismus ist identisch mit wahrer Freundschaft zur ungeteilten Menschheit. Man könnte auch von Gerechtigkeit sprechen.