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Gegner der Weltunordnung

Hello, Gegner der Weltunordnung,

der Frühhellenismus, die politische Frucht der griechischen Philosophie, war das letzte Großreich der Weltgeschichte, dessen Friedenswille mit seiner Friedenspolitik übereinstimmte.

Seitdem beherrschen a) unverhüllte Gewaltpolitik, zumeist religiösen Inhalts und b) verhüllte, doppelzüngige Gewaltpolitik, zumeist als Weltbeglückung kaschiert, die Geschichte des Abendlands und der Moderne.

Der Feldzug Alexanders, die unfriedliche Eroberung eines europäisch-vorderasiatischen Weltreiches, ändert nichts an dem Umstand, dass die besiegten Völker die neuen Ideen der Eroberer freiwillig und aus eigenem Antrieb übernahmen. Sieger und Besiegte fanden sich zusammen unter den Leitgedanken der Sokratiker, Kyniker, Epikuräer und Stoiker:

Friede des Menschen mit dem Menschen, Friede des Menschen mit der Natur. Alle Menschen sind eines Geschlechts, der Kosmos ist die Heimat aller Lebewesen. Männer und Frauen, Völker und Rassen, Religionen, Bildung und Besitzstände: Menschen aller Schichten und Klassen sind gleichberechtigt und Kinder derselben Mutter Natur.

Nach Althistoriker Carl Schneider waren die Jahre zwischen 280 und 220 vdZ die friedlichsten aller europäischen Weltepochen. Hier wurden jene Menschen- und Völkerrechte geboren, auf die sich die heutige westliche Welt beruft, ohne ernsthaft an sie zu glauben oder

sie in schnörkellose Wirklichkeit zu verwandeln.

Der Hellenismus fiel den ungeheuren Brutalitäten des expansiven frühen Römertums zum Opfer, das erst nach Übernahme der griechischen Kultur sein Weltreich zur pax romana humanisierte. Das Christentum endlich – das viele Ideen der hellenischen Philanthropie und eines allgemeinen Friedens übernahm und in das Erlösungswerk eines Gottes verfälschte – überwältigte die verdorbene und zum Untergang bestimmte Welt im Namen einer allmächtigen Überwelt. Mit raffiniertem Hinweis auf das Jenseits eroberten die Gläubigen das Diesseits.

Die Moderne verwandelte subjektiven Glauben in objektive Struktur einer Welt, die mit Hilfe von Technik und Wirtschaft die Welt als Beute betrachtet, die zur Strecke gebracht werden muss, um einer Neuen Welt Platz zu schaffen. Die immanente Kodierung der christianisierten Moderne, unabhängig von bewussten Bekenntnissen, plant den finalen Sieg der Guten und Erwählten und den Untergang der Verworfenen.

Die Menschheit muss auf allen Ebenen in zwei Lager geteilt werden. Die elitären Starken definieren sich als Weizen, der die Zukurzgekommenen als Spreu vernichten muss.

Da es keinen biblischen Gott als Herrn der Weltgeschichte gibt, muss die geglaubte Heilsgeschichte als selbsterfüllende Prophezeiung ins Werk gesetzt werden. Muss die alte Welt vernichtet werden, kann die Kodierung der Moderne nur einer Devise folgen: der Devise der Selbstvernichtung. Das verborgene, nur von Gläubigen in schockierender Klarheit ausgesprochene Prinzip der Welt, ist ihre Selbstauslöschung.

Die Apokalypse, an die sie glauben, muss mit allen irdischen Kräften ins Werk gesetzt werden. Ihr Glaube versetzt Berge – wer Berge versetzt, muss glauben, ob es ihm bewusst ist oder nicht. Wer nicht glauben will, muss sich dem Bergeversetzen und Weltvernichten verweigern. Ist Glaube zur Struktur geworden, muss diese verändert werden, damit die Macht des Glaubens geschwächt wird.

Seit dem Mittelalter verwandelte sich der Glaube aus einem folgenlosen Wortbekenntnis in eine allumfassende Weltbeherrschung. Jeder, der die westliche Pantokrator-Politik unterstützt, ist ein Gläubiger, gleichgültig, ob er ein Glaubensbekenntnis ablegt oder nicht. Wer die Vernichtung der Welt verhindern will, muss die Taten der Moderne als Frucht des Glaubens entlarven und beiden – dem subjektiven Glauben und seiner objektiven Frucht – Widerstand leisten.

Ein weiter Weg von der griechischen Eirene (Frieden) zum heutigen Krieg des Menschen gegen den Menschen und des Menschen gegen die Natur. Ein weiter Weg und ein 2000-jähriger Niedergang.

In der klassischen athenischen Zeit hatte Gorgias noch die Gleichung aufgestellt: „Friede ist Gesundheit, Krieg Krankheit“. „Der Hellenismus“, so Nestle, „geht in dieser Richtung weiter und fügt in der Stoa das positive Ideal eines einheitlichen Menschheitsstaates hinzu, das den Krieg folgerecht ausschließt. Das Christentum, das mit dem Heilruf: „Friede auf Erden!“ in die Welt trat, fügte beschämenderweise einen neuen Typus des Kriegs hinzu, den das Altertum nicht kannte: den Religionskrieg.“ (Wilhelm Nestle, Der Friedensgedanke in der Alten Welt)

Durch den Druck der immer stärker gewordenen Aufklärungsbewegungen musste das Christentum seine PR-Parolen ändern, indem es die Ideen der Aufklärung übernahm und seitdem als eigene Erfindungen propagiert. Seit der Nachkriegszeit erdreisten sich die christlichen Kirchen, die Ideen des Friedens und der Humanität, der Menschenrechte und Demokratie, als Gewächse aus dem Weinberg des Herrn zu verkaufen. Von den Pippin‘schen über die Konstantinischen Schenkungen bis zu den heutigen Botschaftsveränderungen ins pure Gegenteil hatten die Pfaffen noch nie Hemmungen, die Welt mit schamlosen Lügen hinters Licht zu führen.

Da sie ihren Schäfchen das blinde Glauben beigebracht haben, fehlt der Bevölkerung – trotz wachsenden Unbehagens an den Kirchen – die Fähigkeit der schonungslosen Kritik. Da die Menschen nie Sinnvolles über die griechische Humanität erfuhren, sind sie gezwungen, ihre eigene Humanität mit ihrem christlichen Kinderglauben zu identifizieren. Es würde sie höchst erstaunen, wenn man ihnen sagte, dass ihr demokratischer Humanismus nichts Christliches sei, sondern die späte Frucht der Hellenisierung der Welt.

Noch immer ist die Bibel – wie schon im mittelalterlichen Katholizismus – ein verbotenes Buch, das die Menschen mit eigener Vernunft nicht lesen dürfen. Der kleinste Anhauch einer Kritik wird von unfehlbaren Priestern mit hemmungslosen Deutungskünsten vom Tisch gefegt. Noch funktioniert das autoritäre Spiel der Schlüsselgewaltigen der Seligkeit, die ihre Abhängigen mit Furcht und Schrecken bei der Stange halten.

Die westliche Moderne in ihrem christlichen Wahn darf die religiösen Wurzeln ihrer Friedlosigkeit gegen Mensch und Natur nicht wahrnehmen. Der Kern der westlichen Globalisierung ist ein religiöses Tabu. Es ist Selbstverblendung, dass die Weststaaten eine Politik säkularer Interessen betreiben würden: Interessen im Gegensatz zu religiösem Glauben. Der Glaube ist zum Hauptinteresse des homo christianus geworden.

Es gibt kein anderes Interesse als die Seligkeit, sei es im Jenseits (wie in der europäischen ecclesia patiens), sei es im Diesseits (wie in der ecclesia triumphans der Amerikaner, die bereits hienieden Gods own Country sein wollen). Es gibt keine Interessen außerhalb der Heilsgeschichte, weder im Marxismus, noch im Kapitalismus. Interessen innerhalb einer Heilsgeschichte sind Heils-Interessen.

Ohne es zu wissen, (was nur die „säkularen“ Europäer betrifft, nicht die biblizistischen Amerikaner, die ihre heilige Schrift naiv in Politik übersetzen), verfolgt der Westen eine Gesamtpolitik, die identisch ist mit der Pilgerreise eines Gläubigen nach dem Goldenen Jerusalem. Das Finale der Heilsgeschichte steht bevor. Die endgültige Verteilung der Welt.

Welche Macht bestimmt die Zukunft des Planeten? Eine christliche – oder eine heidnische? Unter dem Druck der Christenstaaten haben auch die Heiden dieser Welt die christliche Struktur der Technik, Wirtschaft und Naturwissenschaft übernommen. Sonst wären sie vom Westen untergepflügt worden. Im Finale der Heilsgeschichte stehen sich gegenüber: die jahrhundertealten Christenstaaten und die heidnischen Staaten, die sich den christogenen Strukturen der Moderne unterwerfen mussten, um nicht völlig bedeutungslos zu werden.

Noch ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Heiden ihre verdrängten Naturreligionen und Naturphilosophien eines Tages zurückerobern und dem Westen eine ganz andere Weltpolitik präsentieren. Der uralte Glaube der Heiden an die Natur könnte sich mit der schwachen Ökobewegung des Westens verbünden: das wäre die utopische Version einer menschenwürdigen Zukunft.

Alles, was von dieser Vision abweicht, kann nur in einer kollektiven Apokalypse enden. Die Völker der Welt werden sich entscheiden müssen, welchen Kurs sie steuern wollen. Die Voraussetzung aller Kursänderung wäre eine rigorose Entlarvung des allmächtigen religiösen Tabus.

Im demokratischen Westen werden die Eliten – die sich als Auserwählte empfinden – immer mehr zu betrügerischen Feinden ihrer Völker. Sie machen keine Politik im Interesse ihrer Wähler, sie verfolgen mit allen Raffinessen des Täuschens und Finassierens eine Politik ihrer Eigeninteressen, die sie als Erfüllung ihres Heilsglaubens betrachten.

Demokratische Politik, die in aller Öffentlichkeit auf dem Marktplatz der Völker debattiert und entschieden werden sollte, wird in Geheimverhandlungen mit Hinhalten und Betrügen der Menschen durchgezogen und exekutiert.

Von der eigenen Regierung werden die Daten der Deutschen unter Verletzung aller Grundgesetze an die Amerikaner verkauft. Niemand wird zur Rechenschaft gezogen.

Die Große Koalition ist zu einer Kumpanei der Verfassungsverbrecher geworden. Steinmeier, Gabriel und Merkel schützen sich gegenseitig, wenn sie gegen alle Gesetze Waffen an Diktaturen und Theokratien verkaufen und die Informationen ihrer Untertanen an fremde Mächte verraten. (Dazu Heribert Prantl in der SZ)

Jüngster Fall eines beispiellosen Hinterslichtführens der ganzen EU sind die CETA-Verhandlungen Brüssels mit Kanada. Kanada, so Bernhard Pötter in der TAZ, „dieser ökologische Schurkenstaat, der einfach mal internationale Klimaverträge bricht, hat sich mit der mächtigsten Industrie der Welt zusammengetan, die in den Weiten der Prärie von Alberta gerade die nächste Kohlenstoffbombe zündet, als gäbe es nicht die immer dringenderen Warnungen vor einem ungebremsten Klimawandel. Und vor den „Argumenten“ der Ölkonzerne knickt dann die EU-Kommission ein. Beim Thema Umwelt riskiert Europa eine dicke Lippe, um dann stets zu versagen.“

CETA hat den Klimaschutz ausgebootet. „Kanada und die EU hatten jahrelang über die Direktive gestritten. Nun haben sich die Kanadier durchgesetzt. Sie hatten mit einer intensiven Lobbykampagne in Europa die Kommission und das Parlament ebenso unter Druck gesetzt wie die nationalen Regierungen. Die gerade abgeschlossenen Verhandlungen um das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta waren von Kanada als Instrument benutzt worden, um die EU-Direktive anzugreifen.“ (Bernhard Pötter in der TAZ)

Die Brüsseler Herren Europas scheren sich nicht mehr um die Interessen der Völker. Hinter dem Schutzschild demokratischer Gepflogenheiten sind sie zu diktatorischen Parasiten des alten Kontinents geworden, das mit seinen abendländischen Werten zu paradieren pflegt.

Der Umweltschutz ist zur Farce geworden. Eine deutsche Kanzlerin, die einstmals Ministerin für Ökofragen war, hat es nicht mal nötig, an internationalen Naturschutz-Konferenzen teilzunehmen. Fast auf allen Gebieten der Innen- und Außenpolitik, von der Flüchtlingsfrage über Umweltschutz bis zur prophylaktischen Friedenspolitik, treibt Berlin im kollateralen Schlamm amerikanischer Hegemonie, wozu auch die geduckte und kritiklose Beziehung zu Israel gehört.

(Im Unterschied allerdings zu Europa und Kanada haben amerikanische Milliardäre einen Schwenk zugunsten ökologischer Maßnahmen vollzogen. Sie ziehen ihre Gelder aus naturfeindlichen Energiearten zurück und wollen zukünftig nur noch naturverträgliche Alternativenergien fördern).

Schweden ist der erste europäische Staat, der das geschundene Palästina diplomatisch anerkennen will. Deutschland denkt nicht daran, die mutigen Schweden zu unterstützen. (Dazu Susanne Knaul in der TAZ)

Putin ist wahrlich kein Unschuldslamm. Doch seine regressive altrussische Heilandspolitik ist eine achsensymmetrische Reaktion auf die westliche Messiaspolitik. Selbst Gorbatschow, der Beendiger des Kalten Krieges, fühlt sich inzwischen genötigt, Putin atmosphärisch beizuspringen und die westliche Abgrenzungs- und Demütigungspolitik scharf zu kritisieren.

Wo sind die deutschen Gorbifreunde wie Genscher und Kohl, die ihren ehedem so geschätzten Kollegen in Schutz nehmen würden? Was Kohl wirklich über den russischen Friedensfreund und Ökologen denkt, wurde gerade in der Öffentlichkeit bekannt. „Gorbatschow ging über die Bücher und musste erkennen, dass er am Arsch des Propheten war und das Regime nicht halten konnte.“

Kohl dachte gar nicht daran, seinem früheren Verhandlungspartner, dem er „Weste auf Weste“ begegnet war, das Motiv aufrichtiger Verständigung zuzugestehen. Gorbatschows „große Worte“ waren für den Pfälzer nichts als Phrasen, die den totalen Bankrott des sowjetischen Systems bemänteln sollten.

Dieser Geist der heimlichen – und oft gar nicht mehr heimlichen – Verachtung hat auch Putin bei seinen westlichen „Partnern“ gespürt, die nicht daran dachten, ihn als Gleichen unter Gleichen zu akzeptieren.

Die Politik fremder Mächte zu verstehen, bedeutet nicht, sie kritiklos eins zu eins zu übernehmen. Verstehen und bewerten müssen eine Einheit bilden. Wer aburteilt, ohne zu verstehen, ist ein hasserfüllter Feind. Wer versteht ohne zu bewerten, ist ein Kotau-Kriecher. Wenn die Deutschen verstehen, beurteilen sie nicht, wenn sie aburteilen, verstehen sie nicht. Entweder sind sie Feinde oder Kriecher. Entweder hat man sie an der Gurgel oder zu Füßen.

Was uns fast völlig fehlt, ist eine furchtlose Selbstkritik des Westens. Der Historiker Winkler, sonst ein braver SPD-Historiker, hat in einem neuen Aufsatz eine bemerkenswerte Ausnahme gemacht. Der Westen habe sich zwar stets auf die Werte der Französischen und Amerikanischen Revolution berufen, doch seine imperiale Weltpolitik hätte immer ganz ganz anders ausgesehen, wie sein Kollege Herbert in der ZEIT ausführt:

„Sein Resümee: «An die Regeln der humanitären Kriegsführung und an die Europäische Menschenrechtskonvention fühlten sich die Briten genauso wenig gebunden wie die Franzosen in Algerien. Ein kolonialer Notstand galt in Großbritannien nicht anders als in Frankreich als rechtsfreier Raum. An den normativen Werten des Westens hielten London und Paris grundsätzlich fest – in der Praxis aber nur, soweit sie es mit sogenannten ›zivilisierten‹ Völkern zu tun hatten.»

Die USA hingegen werden als ursprünglich streng antikolonialistische Macht beschrieben, die sich jedoch durch die Verknüpfung der Dekolonialisierung mit dem Kalten Krieg immer stärker mit den alten europäischen Kolonialmächten oder blutrünstigen Diktaturen verband. Ob in Vietnam, in Indonesien, Angola oder später in Chile: «Die übergeordneten Interessen des Westens und der USA im Kalten Krieg bestimmten die Position, die Amerika gegenüber antikolonialen Bewegungen einnahm.»“  (Ulrich Herbert in ZEIT Online)

Die Politik des Westens besteht aus einer Synthese, die niemals gelingen kann: der Synthese aus heidnischer Demokratie und christlichen Welteroberungsgelüsten. Freiheit ist für Amerikaner noch immer ein Geschenk des Himmels an seine Erwählten. Und nur an seine Erwählten.

Dieses exklusive Geschenk an seine privilegierten Geschöpfe ist im Übrigen der Grund, warum Amerikaner Demokratie nicht in andere Länder übertragen können. Kriege mit pathetischen Formeln können sie zwar führen, doch „Nation-Building“ verträgt sich nicht mit ihrer elitären Auserwähltheit.

Dass Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stets aufs neu vom Menschen erarbeitet werden müssen, hat sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch nicht herumgesprochen. Der uralte Hass der ersten Christen gegen die Vernunft der Hellenen ist in der Psyche der führenden Weltmacht noch immer lebendig.

Die hellenische Epoche können wir durch mechanische Imitation nicht „zurückholen“. Das wäre unsinnig und töricht. Doch eins können wir: aus der Geschichte der Hellenen lernen und ihre alterslosen Wahrheiten des Friedens zwischen Mensch und Natur in unsere Gegenwart übertragen.

Wahre Gedanken können nicht sterben und müssen nicht neu erfunden werden. Das Beste aus der Geschichte aller Menschen müssen wir lernen, uns bleibt keine andere Wahl. Es sei, wir wünschen der Gattung Mensch den endgültigen Abgang vom Planeten Erde.