Kategorien
Tagesmail

Führer

Hello, Freunde der Führer,

„Ihr kennt mich, ihr vertraut mir. Ich glaube an Gott, der Himmel spricht mit mir. Das war mein Kongress.“ So sprach der Sohn der Vorsehung und des runden Leders.

„Ihr habt einst die Stimme eines Mannes vernommen und sie schlug an eure Herzen, sie hat euch geweckt, und ihr seid dieser Stimme gefolgt. Ihr seid ihr jahrelang nachgegangen, ohne den Träger der Stimme auch nur gesehen zu haben. Das ist das Wunder unserer Zeit, dass ihr mich gefunden habt unter so vielen Millionen. Und dass ich euch gefunden habe, das ist des Fußballs Glück!“ So, wie der deutsche Führer-Christus, hätte er sprechen können.

„Und dann Bückeberg. Ein ergreifender Zug den Berg herauf.
Die Bauersleute umarmen ihn fast. Er ist unser aller Abgott.“ (Goebbels)

„Christus ist zu uns gekommen durch Adolf Hitler! Der gab mir also die Hand, und ich habe mir drei Tage danach die Hand nicht gewaschen. Ein unerhörtes Erlebnis“. (Ein thüringischer Kirchenrat)

Die Führer der Gegenwart ähneln dem Sohn der Vorsehung immer mehr. Dieser setzte Waffen ein und eliminierte Völker. Jene setzen Wirtschaftsgewalt und Massendrogen entpolitisierter Völker ein und eliminieren Demokratien.

Gegen gottgesandte Führer sind Menschen machtlos. Besonders deutsche. Beckenbauer bewundert die Führerqualitäten des Schwyzers, der die Welt durch Fußball erlösen will. Widerstand zwecklos: das sei ein System.

Niersbach, der sich als Voyeur definiert, nicht als verantwortliches Subjekt, spielt das deutsche Betroffenheitsspiel in ergreifender Innerlichkeit – „das geht mir so nah, ich kann nicht mehr schlafen, so schwierige Probleme“ –, um dem angegriffenen und wiederauferstandenen Schwyzer in

finaler Herzlichkeit zu gratulieren.

Im Erfolg waren sie wieder ein Herz, eine Seele und ein Geldbeutel. Vergessen die sagenhaft kritischen Sätze: „diesmal spürte Blatter Gegenwind, doch er hatte nicht die Kraft, freiwillig zurückzutreten“.

Kein einziger Gegner Blatters hielt eine flammende Gegenrede, kein einziger Europäer ließ sich als Gegenkandidat aufstellen. Die Deutschen waren demokratische Nichtse, geldgeil und ruhmsüchtig. Der französische Fußballverband fiel Platini, seinem eigenen Mann, in den Rücken. Nur der englische Gesandte blieb standhaft zu Hause.

Der FIFA-Skandal besteht aus zwei Komplexen:

a) einem Konflikt zwischen dem reichen Westen und der „Dritten Welt“, die der Vormacht und der Arroganz des Westens überdrüssig ist. Blatter – Westler und Verräter der Westens in einer Person – stellt sich der Mehrheit der „Dritten Welt“ zur Verfügung, um als „Jesus, Mutter Theresa, Lincoln und Martin Luther King“ die Verlierer der Weltgeschichte gegen den übersatten und überreichen Westen zu verteidigen und ihnen zur Gleichberechtigung, ja zur neuen Übermacht über den verfallenden Westen, zu verhelfen. Der internationale Fußball ist die neue Theologie der Hoffnung der ehemaligen Sklaven- und Kolonialstaaten. Blatter singt seinen Gläubigen zu: Go down Football, let my people go. Die kleinste Südseeinsel hat dasselbe Stimmengewicht wie das präpotente Deutschland.

b) FIFA und die anderen internationalen Organisationen – die keinen Deut besser sind als Blatters gemeinnütziger Verein, nur schlitzohriger – werden immer mehr zu antidemokratischen, um nicht zu sagen, faschistoischen Gegenorganisationen zur UNO. Vorbilddemokratien wie USA, Europa, Israel, torpedieren das Parlament der Völker und degradieren es zur folgenlosen Schwatzbude. Gleichzeitig wächst das politisch verhängnisvolle Gewicht der Apolitischen, die sich bei jedem Despoten einschmeicheln, bei jedem Diktator antichambrieren, um fette Gewinne durch Stadionbauten, Werbe- und Fernsehrechte einzukassieren.

Ist Blatter nicht unschuldig? Wer solche Fragen stellt – um die Reinheit der FIFA vom Kopfe her zu behaupten – der hat nicht verstanden, worum es Charismatikern und Führern geht. Es geht um die Macht einer Lichtfigur, die ihre Gläubigen aus der Dunkelheit ins Helle führt. Auch Hitler ging es nicht um Geld. Geld war für ihn nur Mittel zum Zweck, um korruptes Gesindel anzulocken, das ihm aus der Hand fressen würde. (Unzumutbarer Vergleich? Ein für alle Mal: nein, no, non, niemals. Vergleichen heißt verdammt noch mal nicht gleichsetzen. Wie wollen wir das Ausmaß des weltpolitischen Elends messen, wenn nicht am schärfsten Maßstab des Grauens?)

Korruption ist nicht das Hauptelement des Skandals. Am wichtigsten ist der politische Kampf der schwächeren Länder gegen die starken – mit apolitischen, sportiven Methoden. Äthiopiens politischer Stellenwert steigt in der Welt, wenn Wunderläufer wie am Fließband aus dem armen Land kommen.

In internationalen Führerorganisationen üben ausgebrannte Weltdemokraten postdemokratische Untertänigkeit und stumme Funktionalität. Blatters Einfluss in der Welt ist größer als der von Putin und Merkel zusammen. Martin Krauss schreibt in der TAZ:

„Dass der Fußball in hiesigen Breiten wesentlich demokratischer organisiert wäre, lässt sich kaum behaupten. Und dass Teams deswegen besser seien, weil sie aus Europa kommen, ist eine These, die man getrost rassistisch nennen sollte. In Europa hat der Fußball nur einen höheren Kapitalisierungsgrad – hier kicken Weltkonzerne wie Real Madrid oder Bayern München um Jahresumsätze im dreistelligen Millionen-Euro-Bereich. Und das kickende Personal kommt oft aus den Teilen der Welt, die die Uefa in der Fifa weniger gern repräsentiert sähe. Die hingegen kümmert sich als Weltorganisation um die Integration aller Kontinente – weil sie da Verwertungsinteressen hat. Die Uefa hingegen will vor allem ihre Champions League verkaufen. Was noch mehr nervt, ist das dramatische Fehlen einer demokratischen Alternative.“

Versteht sich, dass beim ARD-Propagandisten Jauch alle selbstkritischen Aspekte des Skandals mit keinem Wörtchen angesprochen wurden. Dass öffentlich-rechtliche „Bildungskanäle“ – finanziert durch kirchensteuerähnliche Zwangssteuern – ungeheure Summen an die FIFA bezahlen, um ihre Quoten durch sportliche Massendrogen in die Höhe zu treiben, ist nicht der Rede wert. Kein einziger aktiver Fußballer oder Vereinsmanager hielt es für nötig, an der Debatte teilzunehmen.

CICERO-Schwennicke erzählte im Presseclub: als sie zum Fußballthema elf prominente Kicker zusammenstellen wollten, die ihre Meinungen frisch und frei kundtun sollten, erhielten sie wie viele Zusagen? Exakt drei: Neururer, Schmadtke und Was-wollen-Strunz.

Riesige Gesellschaftssegmente der BRD vom Sport über Kirchen, Hochschulen, Betriebe bis zu ach so sympathischen Show-VIPs sind flächendeckend entdemokratisiert. Man stelle sich vor, Dieter Bohlen verbündete sich mit Markus Lanz oder Thomas Gottschalk, um einen offenen Brandbrief an ihre Kanzlerin wegen der Flüchtlingsmalaise zu schreiben. Wenn wagemutige Risikospieler wie Stefan Raab, fixe Kochkünstler wie Steffen Hennsler und sonstige Quiz- und Rekordartisten nur einmal den Mut zum Bekenntnis hätten, dass sie von einer Demokratie profitierten, die von der Beteiligung aller lebe, dann wäre das ein wahres Pfingstwunder.

Von Edelschreibern gar nicht zu reden. Wissen sie überhaupt, was eine Demo ist? Oder glauben sie, durch wachsweiche Artikel hätten sie ihre staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt? Die Vierte Gewalt ist zur Vierten Posse, zum Fünften Rad am Wagen geworden.

Beinahe hätte ich‘s vergessen. All die Schönen und Reichen haben ihr privates Almosendorf in den Tiefen Afrikas, wo sie einmal im Jahr den Heiland aus dem Westen spielen. Jeder ein Bill Gates in Nanoformat. Sind sie schon keine politischen Wesen, haben sie das Herz doch auf dem rechten Fleck. Demokratie riecht nicht gut in deutschen Wohnstuben.

Sportliche Rekordsucht und gnadenlose Konkurrenz um Nichts sind die besten Helfershelfer des Neoliberalismus. Die größten Multis sind nicht nur die ausgabefreudigsten Werberiesen im Sport, um für sich selbst die Reklametrommel zu rühren. Sondern um den Darwin‘schen Kampf aller gegen alle bis in die kleinsten Winkel des Alltags zu treiben.

Vom IQ bis zur Schwanzlänge oder Brustgröße, von Koch- und Benimmkünsten bis zu maschinenüberwachten Körperdaten, gibt es keinen Bereich im modernen Leben, der nicht vom Zwang zum Vergleich lebte.

„Ausstrahlung“ muss heute jeder haben, der sich in den Etagen der Erfolgreichen einnisten will. Obama ist charismatisch durch rhetorische Halleluja-Potenz („we can“), Merkel durch den Heiligenschein der Demut und Bescheidenheit. Putin zeigt seinen gestählten Oberkörper, Blatter ist auserwählt durch jesuanische Unverwundbarkeit, amerikanische Kandidaten durch propere Vorzeigefamilien, Superreiche machen gute Werke, glänzen durch Dreistigkeit und Zynismus.

Lichtgestalten müssen reden können. Der Beifall der Menge wird auf Parteitagen exakt gemessen. Die altgriechische Rivalität zwischen Liebe zur Weisheit und gezirkelter Redekunst ist zugunsten der PR-Rhetorik längst entschieden. Wer hierzulande Bundespräsident werden will, muss über die Macht des Wortes gebieten. Auf Kanzlerinnenebene genügt die Macht des Schweigens.

Universitäten werden genauso quantifiziert wie olympische Rekordschwimmer. Welches Baby sich zuerst auf den Topf setzt oder Mama kräht, hat die ersten Hürden zur Unsterblichkeit schon genommen.

Welcher Mensch sich hinter Showmaster Obama versteckt, zeigt der Artikel von Markus Günther in der FAZ. Punktgenau vor der Kamera Trauer zeigen, danach hurtig zum heiteren Hobby. Obama hört niemandem mehr zu, ist abgehoben und regiert die meiste Zeit vom Golfplatz aus.

Wie misst man Macht? Mit Fieberthermometer im Hintern der Mächtigen? Durch Abstimmen in der Redaktion der FORBES. Durch subjektives Einschätzen. Wenn Amerikaner über den Daumen peilen – doch immer so, dass sie die ersten Plätze belegen –, wird ihre eitle Wahl für deutsche Medien zur objektiven Offenbarung. Kritische Fragen zur Exaktheit und Objektivität werden in keinem deutschen Artikel gestellt. Merkel, mächtigste Frau der Welt: eine Wahl, so subjektiv wie die Kür einer Schönheitskönigin, wird in deutschen Gazetten wie eine Monstranz gefeiert. (SPIEGEL.de)

Beim Uni-Ranking nicht anders. Selbst verstorbene Nobelpreisträger bringen ihrer Uni noch Punkte ein. Exzellenz scheint selbst postmortal weiter zu wuchern. Und dann das viele Geld. Nichts ist intelligenter als ein gut gefülltes Konto.

Mit solchem Schwachsinn – von den Deutschen als transatlantische Erleuchtung übernommen – hauen die Großen die Kleinen in die Pfanne. Alles muss sich quantifizieren lassen, selbst Philosophie und Kunst. Wenn Wahrheit gleich Erfolg, Erfolg gleich Macht und Mammon ist, kann niemanden verwundern, dass das amerikanische Paradies der entgrenzten Zahlen in allen Disziplinen an der Weltspitze marschiert.

Weltgeschichte ist Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, so hatte Hegel die preußische Spitze des Weltgeistes beschrieben. Für elitäre Amerikaner – linke immer ausgeschlossen – müsste Freiheit als Quantität ungehemmt konsumierbarer Produkte definiert werden. Ein Wissenschaftler, der die meisten Publikationen vorzuweisen hat, muss der produktivste und kreativste sein. Und wären diese Beiträge noch so krachledern.

Qualitäten sind nicht abzählbar, also sind sie nicht vorhanden. Der Macho-SPIEGEL schrieb jüngst eine Titelgeschichte über „Die Vermessung der weiblichen Lust“. Ohne Metermaß kann ein echter Mann sich der seltsamen Lust der Frau nicht nähern. Es wird wohl die Rache für den meßbaren Phallus sein, den virile „Feministinnen“ zum objektiven Kriterium ihres Orgasmus ernannten.

Für die Anbeter von Silicon Valley ergibt sich eine unerwartete ökonomische Niederlage:

„Die These von der revolutionären Kraft des Silicon Valley ist zu schön, um wahr zu sein. Denn produktiver werden wir durch die Digitalisierung nicht. An den Statistiken lässt sich bis heute nicht ablesen, dass Internet und Digitalisierung die Wirtschaft eines Landes produktiver machen. Hört man den IT-Pionieren zu, scheinen fahrerlose Autos, lernende Roboter und andere bis vor Kurzem unvorstellbare Dinge die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten auszuhebeln; von einem Paradigmenwechsel ist die Rede, der die Wirtschaft neu ordnet. Doch die Realität sieht anders aus: Die amtlichen Zahlen bilden die dramatischen Veränderungen nicht ab, die Produktivitätsstatistik zeigt sich unbeeindruckt.“ (Catherine Hoffmann in der SZ)

Ade Silicon Valley. Wenn nicht bald Unsterblichkeit dem dürren kalifornischen Land entsprießt, ist der Traum von der schönen neuen Welt übermorgen ausgeträumt. Wenn Genie sich nicht in Zahlen und Figuren niederschlägt, bleibt nur der kurze Weg zum Wahnsinn. Silicon Valley wollte charismatische Führerin der zukünftigen Welt werden. Eher sieht es danach aus, dass die Übermensch-Roboter verbrannte Erde hinterlassen. Über alle Regeln wollten sie sich hinwegsetzen, um die Menschheit in neue Welten zu führen.

Echte charismatische Führer kann man daran erkennen, dass sie sich als Ausnahmen über alle Fabrikwaren der Natur hinwegsetzen. Allzu leicht aber gerät die Ausnahme zur Ausschussware, über die der heiße Wüstenwind hinweg wehen wird.

Geistbegabte Führer agieren nicht ohne Lizenz zum blinden Führen. Die Magie der Person soll das eigene Denken ersetzen. Medial befeuerte Bedürfnisse nach immer großartigeren Führern in Politik, Wirtschaft, Sport und Entertainment lassen blindes Nachfolgen der Gläubigen zur erstrebenswerten Tugend werden.

Blatter ist ein gelungenes Beispiel für blindes Glauben. Duodezführer in aller Welt werden sich an ihm ein Beispiel nehmen. Außerhalb der Politik erlernt, innerhalb derselben realisiert. Merkel hing ihrem Idol Blatter das Bundesverdienstkreuz um den paternalen Hals.

Überall drängen neue Führer nach oben, um der Menschheit den Weg in die Zukunft zu weisen. Nach Hillary Clinton ist Merkel die zweitmächtigste Frau der Welt. Auf dem dritten Platz landet die caritative Lady des großen Geldes Melinda Gates. Macht ohne Wahl, allein durch abzählbare Dollars. Platz vier belegt die Präsidentin der UN-Notenbank Janet Yellen. Rang fünf die Chefin des US-Autokonzerns General Motors, Mary Barra. Groß ist die Diana der Superreichen. Machtpositionen in Demokratien dürften nur gewählte Frauen oder Männer innehaben. Mit welcher Unverfrorenheit das amerikanische Magazin ihre eigenen Geldladys an die Weltspitze setzt, ist bemerkenswert.

Die besten Führer sind die Propheten der Zukunft: die Maschinen künstlicher Intelligenz.

„Künstliche Intelligenz könnte alle Probleme der Menschheit lösen, sagt der Philosoph Nick Bostrom. Zumindest, wenn die Computer uns nicht vorher vernichten.“ Die ZEIT stellt dem Maschinenbewunderer die Frage:

„Sie sagen also: Die Erfindung der Superintelligenz bedeutet entweder die Vernichtung der Menschheit oder das Paradies?“

Antwort: „Ja. Auf lange Sicht scheint mir das plausibler als irgendwas dazwischen.“ (ZEIT-Interview)

Eine präzisere Bestätigung für die Behauptung, dass der Fortschritt der Moderne nichts ist als selbsterfüllende Verwandlung des Himmel- und Höllenglaubens in technischen Wahn, kann es nicht geben. Die christliche Kultur will die Genesis wiederholen – oder aber die Apokalypse heraufbeschwören, das Ende des ganzen Menschheitsschlamassels.

Was ist der Unterschied zwischen einem Paranoiker und einem Intelligenzanbeter? Eigentlich keiner. Der letztere ist meistens Akademiker mit Spezialkenntnissen, die er als himmlische Gnadengaben betrachtet.

Wir befinden uns im tiefsten Mittelalter. In einem alchemistischen Mittelalter, das nicht weiß, dass es durch magische Wissenschaft aus der unerlösten Substanz der Materie die gefangengenommene Gottheit erlösen muss im Wunder der Verwandlung. Der Verwandlung von schnöder Materie in göttliche Substanz. Schnöde Materie sind die irdischen Bestandteile der Intelligenzmaschinen. Göttliche Substanz ist die menschenüberlegene, ja unsterblich machende Funktion der Maschinen.

In seinem Werk „Psychologie und Alchemie“ erklärt C. G. Jung, der Rivale Freuds, die theologisch-psychologischen Vorgänge des alchemistischen Prozesses. Der Alchemist interessiere sich für die „Erlösung der Substanzen; denn in ihrem Stoff liegt die göttliche Seele gebunden und harrt der Erlösung. Sie erscheint in der Gestalt des Gottessohns. Nicht der Mensch ist in erster Linie erlösungsbedürftig, sondern die im Stoff verlorene und schlafende Gottheit. Sein Augenmerk ist weniger auf die Erlösung durch die Gnade Gottes, sondern auf die Befreiung Gottes aus der Dunkelheit des Stoffes gerichtet. Nicht der Mensch soll erlöst werden, sondern der Stoff. Man wäre versucht, die alchemistische Wandlung als eine Karikatur der Messe zu erklären.“

Der Fortschritt der Moderne ist eine Karikatur der Messe im Gewand transsubstantiierter Ressourcen.

Das ist die Parallele zwischen Priester und Maschinenschöpfer. Der Priester verwandelt schnöde Materie (Brot und Wein) in göttlichen Leib und Blut Christi. Theologen sprechen von Transsubstantiation, von wesenhafter Verwandlung. Forscher reden von Verwandlung schnöder Materie in eine Intelligenz, die den Menschen entweder erlöst – oder vernichtet. Wer die Oblate des Abendmahls in kindlichem Glauben annimmt, wird selig werden. „Wer aber in unwürdiger Weise das Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt … isst und trinkt sich selbst ein Gericht, wenn er den Leib des Herrn nicht von gewöhnlicher Speise unterscheidet.“

Wer an den Fortschritt der Maschinen glaubt, wird den neuen Garten Eden erreichen (weniger einen Garten, denn einen Maschinenpark). Wer nicht daran glaubt, wird die Menschheit vernichten.“

Man stelle sich die Absurdität der Intelligenzforschung vor: einerseits sollen die Maschinen „schneller, belastbarer und stärker werden als wir“. Dann wäre es nur eine Frage der Zeit, dass das Intelligentere auch klüger werden würde als wir. Kann man nicht intelligent und furchtbar unklug sein? Wie soll aus rechnerischer Intelligenz plötzlich Klugheit und Weisheit entspringen? Durch eine Kettenreaktion an Wundern. Ist das erste Wandlungswunder geglückt, folgen die anderen wie von selbst.

Was ist Klugheit für den überaus intelligenten Zukunftsschauer?

„Die Fähigkeit, verfügbare Ressourcen so einzusetzen, um vorgegebene Ziele bestmöglich zu erreichen.“

Der Mensch soll fähig sein, Maschinen herzustellen, die Probleme lösen können – die der Mensch ohne Maschinen nicht lösen kann? Technisch kann eine Maschine den Menschen übertreffen. Aber auch moralisch? Was der moralische Mensch nicht kann, soll die amoralische Maschine können?

Der Mensch kann Maschinen erfinden, die ihn selbst übertreffen. Das ginge nicht ohne Wunder. Denn es würde den Grundsatz verletzen: keine Wirkung ohne adäquate Ursache. Wie könnte eine Wirkung die Ursache übertreffen, ohne grundsätzliche Naturgesetze zu verletzen?

Hier wiederholt sich die Menschwerdung Gottes auf technischer Ebene. Da Gott unfähig war, den Menschen zu erlösen, musste er ein Geschöpf schaffen, das er Sohn nannte, der ihm überlegen war, um das Erlösungswerk zu vollenden. Der Erfinder der Intelligenzmaschine wäre Gott, der einen Sohn erschafft – die Maschine – die ihn überragt und zu wunderhaften Taten befähigt. Da diese Maschine dem Menschen überlegen ist, könnte sie jedoch in der Lage sein, ihren Erfinder aus dem Wege zu räumen. Nämlich dann, wenn sie fürchten müsste, dass der Mensch sie nicht mehr bräuchte und ausmusterte:

„Die Maschine wird um jeden Preis verhindern, dass Menschen sie ausschalten. Sie wird alles tun, um ihre Energiezufuhr zu sichern. Und sie wird wachsen – und selbst dann nicht aufhören, wenn sie die Menschheit, die Erde und die Milchstraße zu Büroklammern verarbeitet hat. Das ergibt sich logisch aus ihrer Zielvorgabe, die sie nicht hinterfragt, sondern bestmöglich erfüllt.“

Die Maschine, die angeblich klug sein soll, ist nicht in der Lage, zu erkennen, dass sie nicht mehr gebraucht wird. Anstatt zu nützen würde sie dem Menschen nur noch Schaden bringen. In sturer Pflichterfüllung stampft sie lieber die ganze Erde zu Büroklammern, als sich abstellen zu lassen.

Goethe hat all dies vorausgesehen. Im Gedicht „Der Zauberlehrling“ hat der Lehrling verlernt, den Besen abzustellen. Erst der alte Meister kennt die Zauberformel, um das satanisch gewordene Werkzeug des Menschen wieder zu zivilisieren:

Und sie laufen! Naß und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.

„In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur zu diesem Zwecke,
erst hervor der alte Meister.“

Die superintelligente Maschine, charismatische Führerin der Menschheit in die Zukunft, erweist sich als unkluge, törichte Vernichterin der Gattung. Theologie, die sich in Technik transsubstantiiert, verheißt den Himmel auf Erden – und wird die Hölle erschaffen.

Im verheißenen Himmel „wird der Tod nicht mehr sein, kein Leid noch Geschrei noch Schmerz wird sein; denn das Erste (= Natur) ist vergangen.“ Doch das reale Ende wird für die Mehrheit der Menschheit so aussehen:

„Den Feiglingen aber und den Ungläubigen und Befleckten und Mördern und Unzüchtigen und Götzendienern und allen Lügnern ist ihr Teil in dem See, der von Feuer und Schwefel brennt. Und dies ist ihr zweiter Tod.“

Eine Berufsgruppe fehlt im höllischen Sud: die Erfinder superintelligenter Maschinen, die dem Motto huldigen: der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss.