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Fragen und Antworten Posener

Freundschaft und Kritik – Alan Posener

Freundschaft und Kritik zwischen Christen und Juden?

 

Antworten von Alan Posener

auf Fragen vom Sokratischen Marktplatz

 

Alan Posener schrieb am 01.02.2012 in der WELT den Artikel „Holocaust und falsche Lehren aus der Geschichte“, in dem er dem CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering vorwarf, ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag, das Recht auf Israelkritik zu fordern. [WELT-Artikel von Alan Posener]

 

Der „Sokratische Marktplatz“ formulierte aufgrund dieses Artikels in seiner Tagesmail vom 03.02.2012 einige Fragen an Alan Posener. [Fragen an Alan Posener]

 

Herr Posener beantwortete und kommentierte unsere Fragen per Email am 04.02.2012, woraufhin der „Sokratische Marktplatz“ die Antworten von Alan Posener am 13.02.2012 in einer Rückmail kommentierte.

 

Da Herr Posener einer Veröffentlichung seiner Emails zugestimmt hat, dokumentieren wir die Diskussion im Folgenden – bis zum aktuellen Stand vom 22.02.2012.

 

Email 03. Februar 2012   –  Von Sokratischer Marktplatz an Alan Posener

Sehr geehrter Herr Posener,

Ihr Artikel über Pöttering hat uns klar gemacht, dass es keinen jüdisch-deutschen Dialog gibt. Ergo haben wir einige Fragen zu Ihrem Artikel formuliert, um in einem zweiten Schritt analoge Fragen an Hans-Gert Pöttering zu richten. Es wäre nicht unwichtig für das äußerlich intakte, aber innerlich von Misstrauen erfüllte Verhältnis zwischen deutschen Juden und Nichtjuden, wenn man wenigstens anerkennen würde, dass die beiden Seiten nicht miteinander reden. Das wäre die Voraussetzung, dass sich vielleicht etwas ändern könnte.

Siehe unsere Tagesmail vom 03.02.2012 – „Posener – Pöttering“

(Fragen an Sie am Text-Ende)

Viele Grüße

Fritz Gebhardt + Renate Auer


Email 04. Februar 2012   –    Von Alan Posener an Sokratischer Marktplatz

Sehr geehrter Herr Gebhardt, sehr geehrte Frau Auer,

Nice try, bin ich versucht zu sagen: indem Sie mir (wie „Bild“ dem Bundespräsidenten) einen Fragenkatalog präsentieren, versuchen Sie, mich als Autor zu gewinnen und damit Ihre wenig beachtete Website aufzuwerten.

Mir scheint, wer sich den Mantel eines Sokrates umhängt, müsste sich seinerseits ein paar sokratische Fragen stellen lassen. Und die erste ist: Was hat meine Kritik an Pötterings Äußerungen zu Israel am Holocaust-Gedenktag mit dem „deutsch-jüdischen Dialog“ zu tun?

Ich persönlich pflege als atheistischer Anglikaner Gespräche mit Juden, Katholiken (wie Pöttering), Protestanten, Muslimen, Freudianern, you name it. Aber mit einem „deutsch-jüdischen Dialog“, was immer das sein mag (meinen sie einen „arisch-jüdischen Dialog“ oder einen „christlich-jüdischen Dialog“?), habe ich allein schon mangels Qualifikation nichts zu tun.

Darum werden meine Antworten auf Ihre unsokratischen Suggestivfragen Ihnen auch kaum helfen, den offensichtlich von Ihnen schmerzlich vermissten „deutsch-jüdischen Dialog“ in Gang zu setzen. Wobei ich anmerken darf, dass Ihnen vermutlich niemand verbietet, mit Juden zu reden, wenn Sie das so prickelnd finden. Aber bittesehr:

 

A) Ist eine konstruktive Kritik an Freunden für Sie, Herr Posener, kein Akt der Freundschaft? Siehe Sprüche 9, 8: „Rüge den Weisen, der wird dich lieben“.

 

Wieso zitieren Sie als Atheisten die Bibel? Und: Nehmen wir an, ein Freund kritisiert Sie ständig. Er benutzt selbst die Rede, die er am Grab Ihrer ermordeten Eltern hält, um Sie zu kritisieren. Ist das für Sie Freundschaft? Oder würden Sie diesem Freund nicht irgendwann sagen: Sag mal, hast du ein Problem mit mir? 

 

B) Wenn ja, warum empfinden Sie die Worte Pötterings als Akt mangelnder Freundschaft?

 

Siehe oben.

 

C) Klingt Ihre Forderung, am 27. Januar müsste jeder Freund ein Zionist „ohne Wenn und Aber“ sein, nicht reichlich nach eingeforderter Kritiklosigkeit? Ohne Wenn und Aber bedeutet kritiklose Solidarität, was mit authentischer Freundschaft unverträglich ist. Ob man allerdings kritische Töne ausgerechnet an einem emotional „belasteten“ Tag äußern muss, ist eine andere Frage.

 

Die „andere Frage“ habe ich ja gestellt. Wieso stellen Sie „belastet“ in Anführungszeichen? Belastet Sie die Erinnerung an die Taten Ihrer Eltern oder Großeltern nicht emotional? Warum nicht? Wieso empfinden Sie die Forderung, einmal im Jahr die Kritik am jüdischen Staat hintanzustellen und sich innezuwerden, weshalb es diesen Staat gibt, als Forderung nach genereller Kritiklosigkeit? Reichen Ihnen 364 Tage Israelkritik nicht? Warum nicht?

 

D) Was ich noch nie verstanden habe: wieso muss man in freien Gesellschaften um Erlaubnis fragen, Kritik zu üben? Ist Kritik in lebendigen Demokratien nicht das ständige Salz in der Suppe?

 

Wer sagt denn, dass man um Erlaubnis fragen muss, bevor man Kritik übt? Wen? Und: Essen Sie gern eine versalzene Suppe?

 

E) Weshalb folgern Sie aus „unglücklichen“ Formulierungen den Willen Pötterings, nicht aus der Geschichte lernen zu wollen?

 

Weshalb unterstellen Sie mir das?

 

F) Warum kritisieren Sie nicht mit größerer Berechtigung die Sätze des Richard von Weizsäcker in der Will-Runde, der Mensch lerne nicht aus der Geschichte. Das sagt jener Mann, der mit seiner historischen Rede einen Beitrag leisten wollte, damit die Deutschen aus der Geschichte lernen sollten?

 

Wieso maßen Sie sich an, mir vorzuschreiben, worüber ich meine Kolumne schreibe? 

 

G) Warum benutzen Sie die Email eines anderen, um Pöttering mangelnden Willen zu unterstellen, aus der Geschichte zu lernen? Haben Sie das Empfinden, dass Deutsche generell nicht aus ihrer Geschichte lernen wollen? Das würde bedeuten, dass auch Sie die gesamte Vergangenheitsbewältigung als gescheitert ansehen.

 

Siehe Antwort auf Frage (E). Wieso stellen Sie mir Fragen zu Dingen, die ich nicht geschrieben habe? Und wenn wir schon dabei sind: Welche Lehre ziehen Sie denn aus dem Holocaust in Bezug auf den jüdischen Staat?

 

H) Warum bringen Sie Pötterings Kritik in den Verdacht, die Sache des iranischen Feindes zu besorgen, was bedeuten würde, Sie unterstellen Pöttering, das Ende des israelischen Staates zumindest „billigend in Kauf zu nehmen“. Ein happiger Vorwurf!

 

Siehe Antworten auf (E) und (G).

 

I) Wieso muss ein Politiker, der Demokratie als gleichberechtigte Heimstätte vieler Rassen, Religionen versteht, die rassistische Formel eines „jüdischen Staates Israel“ übernehmen?

 

Wer sagt denn, dass ein Politiker diese Formel übernehmen „muss“ ? Wie kommen Sie darauf? Vor allem aber: Wie können Sie sich anmaßen, die Formel eines „jüdischen Staates“ als „rassistisch“ zu bezeichnen? Haben Sie kein Schamgefühl? Ist das Ihre Lehre aus der deutschen Verfolgung der Juden? Welcher Staat war denn bereit, den von Ihren Eltern oder Großeltern verfolgten Juden Aufnahme zu bieten? Warum ist es ausgerechnet für Sie so schwer zu verstehen, dass der „jüdische Staat“ so lange eine Notwendigkeit ist, wie es in der Welt Antisemitismus gibt? Dass Israel nicht eine „rassistische Formel“, sondern eine antirassistische Zuflucht ist? Im Übrigen: Verstehen Sie jetzt, dass man angesichts Ihrer ignoranten Überheblichkeit schon auf den Gedanken kommen könnte, viele Deutsche hätten nichts aus ihrer Geschichte gelernt? Und dass man sich als Deutscher dafür schämt?

 

J) Wissen Sie nicht, dass die Forderung der Palästinenser, diese Formel nicht zu benutzen – um das Recht auf Rückkehr ihrer Flüchtlinge zu betonen – real nicht bedeutet, dass alle Flüchtlinge tatsächlich zurückkommen müssten? Sondern dass die Formel den Sinn hat, die Frage offenzuhalten, um darauf hinzuweisen, dass jenen ein historisches Unrecht geschehen ist?

 

Woher „wissen“ Sie denn das?  Sokrates immerhin sagte: ich weiß, dass ich nichts weiß. Erinnern Sie sich an diesen Spruch? Ist er für Sie maßgebend? Oder betreiben Sie unter seiner allzu weiten Toga vielleicht doch nur Besserwisserei?

 

 

Email 13. Februar 2012   –   von Sokratischer Marktplatz an Alan Posener

Lieber Alan Posener,

entschuldigen Sie bitte, dass wir jetzt erst dazu kommen, Ihre Email zu beantworten.

Einen Dialog zu führen, der alle Fragen mit Gegenfragen beantwortet, kann zwar lustig sein, führt aber ins presque rien.

 

A) „Wieso zitieren Sie als Atheisten die Bibel?“

 

Erstaunliche Frage, nirgendwo steht geschrieben, dass Atheisten die Bibel nicht zitieren dürfen. Brechts Lieblingsbuch war bekanntlich die Bibel, die auf seinem Nachttisch lag. Den Fragen nach der Freundschaft sind Sie ausgewichen.

 

C) Wieso stellen Sie „belastet“ in Anführungszeichen? Belastet Sie die Erinnerung an die Taten Ihrer Eltern oder Großeltern nicht emotional?

 

Die Anführungszeichen sollten die Belastung nicht in Frage stellen, sondern die rituell-staatliche Art, diese Belastung darzustellen. Die Taten unserer Eltern belasten unser Leben, seit wir von ihnen gehört haben. Seitdem „treibt uns das in allen Aspekten um“. Sollten Sie hin und wieder einen Blick auf unsere Tagesmails werfen, wird Ihnen das aufgefallen sein. Das Gefühl der Belastung ist ein kompliziertes Geflecht von vielen Emotionen, die sich nicht staatlich reglementieren lassen. Da wir den Staat in vieler Hinsicht als defizitär erleben, fällt es schwer, kritische Gefühle dem Staat gegenüber klinisch rein von jenen zu sondern, die der Erinnerung der Opfer – und jaja, der Täter gelten. Auch hier Widersprüchlichkeiten en masse, denn die Eltern waren nicht nur Täter, sondern auch Eltern. Wir als Kinder dieser Eltern sind gerade in dieser Hinsicht auch ihre Opfer. Herrn Pöttering haben wir nicht zu verteidigen. Für die Wahl des Zeitpunktes seiner Kritik muss er sich schon selbst rechtfertigen. Generell sind wir der Meinung: Pietät und Kritik schließen sich nicht aus.

 

D) Wer sagt denn, dass man um Erlaubnis fragen muss, bevor man Kritik übt?


Fast jedes Interview, das ein deutscher (nichtjüdischer) Moderator mit einem Juden führt, beginnt mit der Frage: Dürfen Deutsche den Staat Israel kritisieren? Noch nie haben wir eine andere Antwort gehört als: Natürlich dürfen Deutsche den Staat Israel kritisieren, … wenn es in sachlicher Art und Weise geschieht. Wir konstatieren: Frage um Erlaubnis. Erlaubnis gegeben. 

 

E) Weshalb folgern Sie aus „unglücklichen“ Formulierungen den Willen Pötterings, nicht aus der Geschichte lernen zu wollen? Weshalb unterstellen Sie mir das?

 

Nachdem Sie Pötterings „unglückliche“ Formulierung zitiert haben, stellen Sie mehrere Fragen, die nur darauf abzielen, die Fähigkeit der Deutschen, aus der Geschichte zu lernen, in Frage zu stellen. Es ist Ihr gutes Recht, das so zu sehen. Auch wir bezweifeln, dass Deutschland das Land der vorbildlichen Vergangenheitsbewältiger ist. Allerdings erscheinen uns Ihre Fragen seltsam abstrakt und wahrnehmungslos.

 

F) Wieso maßen Sie sich an, mir vorzuschreiben, worüber ich meine Kolumne schreibe? 

 

Wenn wir Sie fragen, warum Sie zu Richard von Weizsäcker keine Stellung beziehen, schreiben wir Ihnen nicht vor, worüber Sie Ihre Kolumnen schreiben sollen.

 

G) Welche Lehre ziehen Sie denn aus dem Holocaust in Bezug auf den jüdischen Staat?

 

Es war ein großes Glück und eine riesige Leistung der zionistischen Bewegung, in mühsamer Arbeit den Staat Israel errichtet zu haben. Auch wenn man sagen muss, dass die Palästinenser unter der Staatsgründung bis heute leiden müssen. Selbstverständlich muss Deutschland sich an die Seite Israels stellen, was nicht bedeutet, sich jeweiligen Regierungen zu unterstellen. Wir stimmen Uri Avnery und anderen selbstkritischen Israelis zu, die das Verhalten von Merkel, Westerwelle & Co als unwürdig und schädlich für den Staat Israel empfinden.

 

I) Wie können Sie sich anmaßen, die Formel eines „jüdischen Staates“ als „rassistisch“ zu bezeichnen?

 

Wenn „Jude“ eine biologische Rasse bedeutet (Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat), dann ist ein „jüdischer“ Staat ein rassistischer Staat. Wenn Jude eine Religion bedeutet, die mit einer Rasse fast identisch ist, dann ist er ein religiös-rassistischer Staat. Wenn Israel das sein will, ist das seine Entscheidung. Dann darf es sich aber nicht wundern, dass der Rest der Welt von einem rassistischen Land spricht. Ob das die israelische Gesellschaft tangiert oder nicht, ist wiederum ihre Angelegenheit. Wir lesen immer, dass Israel sich rühmt, die einzige demokratische „Villa im Dschungel“ zu sein. Sie werden nicht leugnen, dass arabische Israelis Staatsbürger zweiter Klasse in Israel sind. Übrigens gibt es genügend israelische Stimmen, die unsere Meinung teilen und die Ihrige aufs Schärfste kritisieren. Nicht der jüdische Staat ist eine absolute Notwendigkeit für alle Juden in der Welt, sondern der israelisch-demokratische Staat. Soviel wir wissen, gibt es auf der ganzen Welt keine einzige echte Demokratie, die sich nach einer Rasse oder einer Religion benennt. Was würden Sie sagen, wenn Deutschland sich entschlösse, sich als germanisch-arisch zu definieren?

 

J) Woher wissen Sie …?

 

Als Popperianer wissen Sie, dass die Herkunft eines Wissens belanglos ist. Egal, wo Meinungen und Thesen herkommen, wichtig ist allein, dass sie überprüfbar sind. Es wird Sie erstaunen, wir lesen nicht nur die WELT, sondern auch andere Publikationen.

Es ist eine der üblichen Fehlinterpretationen, Sokrates für Ignoranz in Anspruch zu nehmen. Für moralische Fragen trifft das ohnehin nicht zu, sonst hätte er für seine Position nicht den Schierlingsbecher riskiert. Für theoretische allerdings auch nicht, sonst hätte es keine frühplatonischen Dialoge geben können, in denen der Versuch unternommen wird, zuerst das eingebildete Wissen abzuräumen, um auf eine gemeinsame Überzeugung zu rekurrieren, von der aus man die Kette der Argumentationen in einem neu durchdachten logischen Sinn aufbauen kann. Das ist die sogenannte sokratische Mäeutik, auf deutsch: Hebammenkunst.

Platon machte aus dieser mäeutischen Methode seine Wiedererinnerungslehre. Unsterbliche Seelen haben im Reich der Ideen ein vollständiges Wissen, das sie, beim Übertritt ins materielle Leben, in hohem Maße verlieren. Durch anamnestische Denkarbeit kann es den Menschen gelingen, dieses verlorengegangene Wissen peu à peu wieder zurückzuerobern. Doch das sind „metaphysische“ Fragen, in unserem strittigen Punkte ging es um eine empirische Fragestellung, hier gelten andere Kriterien.

 

Herzliche Grüße

Fritz Gebhardt + Renate Auer