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Freitag, 30. November 2012 – Antikosmistische Blasphemie

Hello, Freunde Hollands,

47% von 198 untersuchten Ländern haben Gesetze, um Blasphemie zu bestrafen. Am meisten haben monotheistische Länder, am wenigsten die Asien-Pazifik-Region. Woraus man schließen kann, in welchen Regionen die toleranten und die intoleranten Religionen das Regiment führen.

In vielen europäischen Ländern gibt es Blasphemie-Paragrafen, doch zur Verurteilung kommt es selten. Nur in Griechenland, wo die orthodoxe Kirche Staatskirche ist, wird Gotteslästerung aktiv verfolgt. In muslimischen Staaten droht wegen Verunglimpfung der Religion die Todesstrafe. Holland will nun den Blasphemieparagrafen streichen.

Es geht auch umgekehrt. Wie die Kirche gegen die Welt hetzt, die sich ihren Glaubensvorstellungen nicht fügen will, zeigt das TAZ-Gespräch von Cigdem Akyol mit David Berger, der früher katholischer Priester war, sich als schwul bekannte und daraufhin aus dem kirchlichen Dienst entlassen wurde. Heute koordiniert er die Initiative „Stoppt kreuz.net“, eine anonym-klerikale Organisation im Netz, die gegen Schwule und die ganze ungläubige Welt hetzt.

Berger hält den Papst nicht nur für homophob, frauenfeindlich, sondern auch für regressiv antisemitisch. In der Karfreitagsfürbitte lässt er wieder für die perfiden Juden beten. „Kreuz.net zeigt, wie die katholische Kirche in zehn Jahren aussieht, wenn sie so weitermacht wie bisher,“ so Berger.

Je mächtiger die Religion, je antihumaner wird sie, das ist geradezu ein Naturgesetz. Blasphemie gegen die Welt ist bei uns nicht strafbar.

Was ist das Gegenstück zu Atheismus, wenn nicht Gott, sondern die Welt

 geleugnet und in die Hölle gewünscht wird? Hegel hatte den Begriff Akosmismus erfunden: Weltlosigkeit. Weltlos oder gottlos? Das ist hier die Frage.

Die Politik der Weltlosen, gewöhnlich Erlöserglauben genannt, unterlässt nichts, diese eine Welt, die uns trägt, im Verlauf der Heilsgeschichte durch gottwohlgefällige Technik und Wirtschaft überflüssig zu machen und zu pulverisieren, um einer neuen Erde Platz zu schaffen.

Antikosmistischer Glaube, der die Strukturen der Moderne bestimmt, benötigt keine bewussten, hergeplapperten Glaubensbekenntnisse, um sich in die Dinge der Welt einzumischen. Ist ein solcher Glaube zum verfestigten Kollektivhandeln geworden, glauben alle Menschen mit der Tat, unabhängig davon, ob sie Bekenntnisse ablegen oder nicht.

Die antikosmistischen – sprich naturfeindlichen – Strukturen der Moderne haben die christlichen Dogmen in realpolitische Automatismen und Strukturen verwandelt.

Ob wir Christen sind oder nicht, hängt von Bekenntnisformeln schon lange nicht mehr ab. Als Teilnehmer der Moderne sind wir zur Teilhabe an den christlichen Strukturen verurteilt. Jede Autofahrt, die durch CO2-Ausstoß die Naturzerstörung beschleunigt, ist ein antikosmistischer christlicher Glaubensakt.

Da können wir so atheistisch, agnostisch oder sonstwie unchristlich sein, wie wir wollen. Wir alle sind praktizierende christliche Naturfeinde, die durch selbsterschaffende Apokalypse die Wiederkunft des Messias beschleunigen sollen. Das Christentum hat die Welt erobert.

Von Anfang an war der Glaube keine Angelegenheit, die sich auf ein innerliches Fürwahrhalten reduzieren ließ. Das schwache kleine Kindlein in der Krippe war anonymer Pantokrator, Herrscher des Universums, der die Macht über die Welt den teuflischen Kräften abjagen wollte und dem es gelang, durch den Unsterblichkeitstest am Kreuz seine Omnipotenz zu beweisen.

Von Anfang an war Jesu Rede kein saft- und kraftloses Geschwall, sondern machtgestütztes Schöpferwort. Den verloren gegangenen Besitz über die Schöpfung sollte der Sohn dem Vater im Kampf gegen Tod, Satan, Dämonen und Heiden zurückerobern. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Von Anfang war Jesu Predigt mit ohnmächtiger Menschenrede nicht vergleichbar.

„Und es begab sich, als Jesus diese Rede beendet hatte, entsetzte sich das Volk über seine Lehre. Denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten.“ ( Neues Testament > Matthäus 7,28 f / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/7/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/7/“>Matth. 7,28 f) Vollmacht wird auch mit Gewalt übersetzt. Er lehrte wie einer, der Gewalt hatte über Mensch und Natur. (exousia = Macht, Gewalt, Herrschaft, Befugnis, Vollmacht) „Nie hat ein Mensch so geredet, wie dieser Mensch redet.“ Neues Testament > Johannes 7,46 / http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/7/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/7/“>(Joh. 7,46). „Wie du ihm Macht über alles Fleisch gegeben hast.“ ( Neues Testament > Johannes 17,2 / http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/17/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/17/“>Joh. 17,2)

Macht über alles Fleisch ist Macht über die ganze Welt. Wer kann hier noch auf die Idee kommen, Glauben sei etwas Privates und Unpolitisches? Wer wagt es noch, von Missbrauch der Religion zu politischen Zwecken zu reden? Erlöserreligion ist Weltpolitik im Gewand einer Gotteserzählung. Der Erlöser ist Herr über die Welt, die er eine Weile an einen Konkurrenten verlor und die er sich mit einer demonstrativen Gewaltaktion zurückholte.

Die Welt beherrschen, heißt nicht, sie vor dem Untergang retten, die Schöpfung zu bewahren. Das ist klerikal-ökologische Phantasterei as usual. Vor der Ökologiebewegung kannte kein einziger Theologe das Gebot, die Schöpfung zu bewahren. Im Gegenteil galten Technik und Naturwissenschaft als herausragende Instrumente zur Vergewaltigung der Natur: Machet euch die Erde untertan.

Hans Lilje, einer der bedeutendsten lutherischen Bischöfe der Nachkriegszeit, hatte in seinem 1928 erschienenen Büchlein „Das technische Zeitalter“ die Sätze geschrieben, dass „nur vom Boden des christlichen Schöpferglaubens aus eine volle Bejahung der Technik möglich sei.“ Gewiss, es gebe gefährliche, ja tragische Elemente der Technik. Gleichwohl könnten die Gefahren durch den rechten Glauben gebannt werden:

„Das Schicksal unserer Kultur wird sich daran entscheiden, wie weit es gelingen wird, die innere Bejahung und Vergeistigung der Technik zu finden, die der christliche Schöpferglauben darreichen will. Entweder wir tun die Technik als Gottesdienst, als Dienst vor dem lebendigen Gott; oder sie wird uns zur Sklavenkette, deren drückende Last uns in eine in Lieblosigkeit erstarrte Zivilisation in den Tod treiben wird.“

Technik ist Ausdruck einer von „Gott gebotenen und geheiligten Herrscherstellung über die Welt“. Christen dürften sich nicht gegen die Technik stellen. Was auch gar nicht hülfe, denn: „so gehen die Räder der Zeit über den hinweg, der sich ihnen entgegenstemmt.“

Der rechte Glaube heiligt alle Technik, die eine fortgeschrittene Stufe der von Gott verhängten Arbeit ist, die nicht nur Freude bereiten kann, sondern Mühe, Entfremdung und Misere als Sünden-Arbeit. Im Schweiße deines Angesichts sollst du Technik entwickeln, mit ihrer Hilfe die Natur unterwerfen.

Der größte Techniker ist der Creator aus dem Nichts, der mit minimaler Energie – ja mit Nichts – maximale Ergebnisse erzielt. Aus Wenigem Vieles, aus Nichts Alles, das ist der Traum aller gottebenbildlichen Creatoren.

Der Begriff creatio ex nihilo ist ein junger Begriff, erst kurz vor der Zeitenwende entstanden – als expliziter Gegenbegriff gegen das griechische Nichts ohne Ursache (nihil fit sine causa). Das ex nihilo entstammt einer Zeit, in der „griechische Spekulation schon das jüdische und dann das christliche Vorstellen direkt und durch Entgegensetzung beeinflusste.“ (Dilthey)

Seit der Besetzung des Heiligen Landes durch Alexander gab‘s Auseinandersetzung zwischen dem Vernünftigen und dem Heiligen, dem Griechischen und der beginnenden jüdisch-christlichen Symbiose. Was dem Heidentum entstammte, musste erst umgewertet werden, damit es Offenbarung werden konnte.

Das war die erste Umkehrung aller Werte. Was hier weiß war, musste dort schwarz sein. Was hier Natur, war dort übernatürlicher Gott. Was hier von der Natur hervorgebracht wurde, brachte dort der jenseitige Schöpfer aus Nichts hervor. Mutter Natur gegen himmlischen Vater. Weib gegen Mann.

Bis heute geht der Kampf der Erlöser gegen die Kosmisten, die alles der Natur verdanken.

Die Geschichte des Abendlands hat ständig versucht, die beiden Welten miteinander zu versöhnen. Hauptversöhner waren Thomas von Aquin und Hegel. Beide Harmonisierungsversuche sind gescheitert. Die Nachkommen des Thomas schieden sich in unverträgliche Philosophenschulen und Konfessionen wie Luthertum und Papismus. Hegels Schule zerbrach in Links- und Rechtshegelianer.

Momentan befinden wir uns wieder in einer blutleeren Harmonisierungsphase zwischen Vernunft und Glaube, die jedoch schon wieder auseinanderzubrechen droht.

Begonnen hatte es vor der Zeitenwende mit Entweder-Oder. Zwar gab es schon immer elitäre Schichten, die sich mit dem Fremdem vertraut machten. Doch solche Brückenbauer galten den Fundamentalisten von jeher als Verräter des eigenen Volks und des eigenen unfehlbaren Glaubens. Für die unbesiegbaren Ultrafrommen galt: „Den Pharisäern und Schriftgelehrten galt der Hellenismus als teuflischer Gegner.“ (Carl Schneider, Geistesgeschichte der christlichen Antike)

Der Grieche lebte in der Natur, die immer bestand und immer bestehen wird. Während in der biblischen Tradition die Natur zu einer gemachten, ja minderwertigen degradiert wird. Ein Mann erkühnte sich, das Weibliche aus Nichts gezaubert zu haben.

Der griechische Kosmos war für alle Lebewesen da, während der Schöpfer die Welt um Israels willen – später um der Christen willen – geschaffen hatte:

„Um Israels willen hat Gott die Welt geschaffen, und Israel wird sie dann dienstbar sein, wenn Israel das Gesetz erfüllt.“

Tut es das nicht, straft Gott mit Geschichts- und Naturkatastrophen. „Aus dieser Erkenntnis aber erwuchs eine fast unbeschränkte Leidensfähigkeit der Juden“. Andererseits galt aber auch: „Der Grieche leidet schwer unter dem Hässlichen der Welt, dem Juden ist das kein Problem.“ (Schneider)

Während den Juden die künstlerische Nachbildung des Göttlichen verboten war, begannen die Griechen durch Kunst die Welt zu ästhetisieren und das Natürliche in das perfekte Schöne zu verwandeln. Dies ist erstaunlich, denn der Kosmos war für sie Inbegriff des Vollkommenen und Schönen. Möglicherweise war es nur der Mensch, der solch hohen Ansprüchen nicht genügte.

Die Schaffung der Natur um des Menschen willen, nein, um des auserwählten Menschen willen, wurde zum Kern des heute herrschenden Anthropozentrismus: der Mensch steht im Mittelpunkt der Welt, ist die Krone der Schöpfung; alle anderen Geschöpfe haben um seinetwillen dazusein und ihm zu dienen. Nur um seinetwillen sind sie geschaffen worden.

Kein ökologisches Buch von Rang, das diesen Anthropozentrismus nicht als die Generalursache der Naturzerstörung durch den Menschen bezeichnete.

Ohne Abschied vom religiösen homo deus wird die Natur für menschliche Zwecke nicht gerettet werden können. Wir brauchen eine radikale Wende: die Natur muss wieder in den Mittelpunkt von allem gestellt werden. Nennen wir die Rehabilitierung der Mutter Natur Kosmozentrismus.

Nur nebenbei: die Erstarkung der Religion hängt auch mit der Blutleere des heutigen Atheismus zusammen. Sie benennen sich nicht nach dem, woran ihr Herz hängt, sondern in Reaktionsbildung gegen die Gottgläubigen: die Gott-losen. Standardfrage: Woran glauben Sie als Atheist? Standardantwort: An nichts.

Das gedankenlose Gerede vom Nichts macht die Alternativen zum religiösen Alles nicht gerade anziehend. Der deutsche Atheismus steckt noch immer in der spätpubertierenden Nein-Phase. Viele Kirchenflüchter würden sich nicht mehr spirituelle Christen nennen, wenn sie sinnvolle Alternativen hätten.

Im Land der klassischen Gräcomanie wissen die Deutschen von Hellas nichts mehr. Mit leeren Gottesbeweisen oder –widerlegungen, mit naturwissenschaftlichem Getue können sie nichts anfangen. Solange die Religionskritiker sich nur mit Njet definieren, werden sie Schwierigkeiten haben, aus ihrer starren Nische herauszukommen.

Der logische Gegenbegriff gegen Theismus wäre Naturalismus. Doch dieser Begriff ist von Künstlern besetzt. Sprechen wir vorläufig von Kosmismus, worunter wir den Glauben an den vollendeten Kosmos verstehen wollen. Er ist das Gegenstück zum Glauben an einen übernatürlichen Chimärengott, der sich aller Attribute der Natur bemächtigt hat, um Natur als minderwertig und überflüssig zu eliminieren.

Natürlich geht nichts ohne Glauben, einem hoffenden oder fürchtenden Projizieren unserer Wünsche und Ängste in die Zukunft. Alle Eltern glauben an das gelingende Leben ihrer Kinder, hoffen auf ein beschwerdefreies Alter. Humane Menschen glauben an die Zukunft einer friedfertigen Menschheit.

Ohne Glauben ist kein Leben möglich. Wer nichts Zuversichliches glauben kann, glaubt automatisch ans Gegenteil, an den Untergang des Abendlandes oder der Welt.

Die Schöpfung aus dem Nichts war die religiöse Kampfansage an das durchgängige griechische Kausalprinzip, dass nichts ohne Ursache entstehen kann – mit Ausnahme der Natur, die schon immer war, ist und sein wird.

Bei Demokrit ist alles Geschehen bis in die alltäglichsten Vorgänge eine ununterbrochene Kette von Ursachen und Wirkungen. Kausalität ist die Voraussetzung jeder Erkenntnis. Erkennen kann man nur, wenn man Ursachen mit Wirkungen verknüpfen kann. Die Einführung der lückenlosen Kausalität war die ideelle Basis der abendländischen Naturwissenschaft.

Allerdings legten die Griechen nur die gedanklichen Fundamente der Naturwissenschaft. Die Entwicklung einer technisch verwendbaren Naturwissenschaft schlossen sie aus, maßlose Eingriffe ins Naturgeschehen waren den Kosmosverehrern nicht möglich.

Wenn alles kausal festgelegt, somit natürlich ist, kann es keine Göttereingriffe mehr geben. Kausalität und übernatürliche Intervention schließen sich aus. Auch bei Demokrit ist die Natur nur durch sich selbst bestimmt. Sollte es Götter geben – was nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann – müssen sie außerhalb der Welt für sich leben. Das erinnert an die Götter des angeblichen Atheisten Epikur, dessen Götter weit entfernt in den Tiefen des Alls für sich hausen und ins Weltgetriebe weder eingreifen wollen noch können.

Götter sind nach Demokrit die Produkte von Träumen oder personelle Bezeichnungen für gewisse Naturaspekte aus dem Gefühl tiefer Dankbarkeit und Verehrung. Interessant, dass Demokrit schon vor Entstehung des Christentums die Möglichkeit himmlischer Belohnungen oder höllischer Strafen kategorisch ausschloss:

„Die Vorstellungen von Höllenstrafen sind nur der Reflex eines schlechten Gewissens, das die im Leben nicht erfolgte Vergeltung des Bösen in einem eingebildeten Jenseits erwartet. Von allem solchen die Seele beunruhigendem Aberglauben (deisidaimonia) muss man sich frei machen.“

So schrieb einer der schärfsten und klarsten Denker der Griechen, dessen Bücher leider in hohem Maße verloren gegangen sind. Vermutlich deshalb, weil sie im Mittelalter von fanatischen Mönchen dem Feuer übergeben wurden (das gleiche Schicksal traf mit Sicherheit Epikurs Bücher). Soviel zur kulturbewahrenden und bildungsfreundlichen Funktion der Mönche und der Kirche, die nur an Platon und Aristoteles interessiert waren, weil die beiden als Vorläufer des Christentums dem Klerus nützliche Dienste tun konnten.

Das folgende Zitat von Demokrit zeugt vom Selbstbewusstsein menschlicher Fähigkeit, die nicht mal die moderne Aufklärung erreicht hatte, geschweige unsere engel- und götterbeschienene Gegenwart:

„Die Menschen erbitten sich von den Göttern in Gebeten Gesundheit, sind sich aber nicht bewusst, dass sie die Kraft dazu in sich selbst tragen. Wenn sie infolge ihrer Begierden durch Unmäßigkeit das Gegenteil davon bewirken, so werden sie selbst Verräter an ihrer Gesundheit.“

Auf welches Niveau wir heute abgesunken sind, können wir beim Vergleich der modernen Hirnforschung mit Demokrit erkennen. Aus der Kausalität der Gehirnströme schließen die medizinischen Großphilosophen auf die Unfreiheit der Gehirnträger. Der Mensch ist Sklave seiner physiologischen Vorgänge.

Demokrit hatte nicht das geringste Problem, durchgängige Naturkausalität mit der Freiheit der Menschen zu verbinden. Dieselbe Position hatten die modernen Aufklärer, die zugleich Vertreter der Kausalität und eines unbändigen freien Willens waren. Ob diese beiden Dinge zusammenpassen, hatten Kant und Fichte erklärt, darüber entscheide nicht die überforderte Theorie, sondern die Praxis.

Hätten die unfreien Gehirnforscher Recht, wären die Ergebnisse ihrer Wissenschaft die Produkte ihrer Synapsen, sie selbst nichts als automatische Protokollanten ihrer Vorderlappen. Just so sah das theologische Modell der Offenbarung aus. Menschen werden von Gott ferngelenkt, der seine Erkenntnisse biblischen Schriftstellern ins Buch diktiert.

Das Abendland ist eine Riesenlache frei herumschwimmender Widersprüche zwischen griechischen und christlichen Elementen. Auch in der Frage Kausalität und Freiheit.

Die Schöpfung aus dem Nichts war ein Willensakt des absolut freien Schöpfers, der keiner Kausalität untertan war. Sein akausaler Wille griff von oben ins kausale Geschehen der Natur ein, was man Wunder zu nennen pflegt, was ohne Verletzung natürlicher Abläufe nicht denkbar war. Entweder war Gott zur naturfernen Passivität verurteilt oder zur naturverletzenden Intervention. Ein Drittes gab es nicht.

(Nur nebenbei: der amerikanische Neoliberalismus traktiert den Staat als Nachfolger Gottes, dessen Interventionen nur die eigengesetzlichen Wirtschaftsvorgänge störe und unterminiere, also soll er sich raushalten. Ein unbewusster Widerstand gegen Gott, der nicht wissen darf, wogegen er eigentlich opponiert; die Mächtigen wollen nicht, dass ihnen jemand ins naturgesetzliche Profitgeschäft reinpfuscht.)

Da die Abendländer Freiheit und Kausalität nicht zusammenkriegen, outsourcen sie Freiheit an ihren himmlischen Vater, während Unfreiheit an die minderwertige Natur abgeschoben wird. Das Natürliche ist unfrei, das Freie widernatürlich.

So leben wir zwischen Pest und Cholera. Unsere Freiheit halten wir für allmächtig, aber untauglich, die Kausalitäten so zu lenken, dass Natur nicht zuschanden wird. Die Natur halten wir für defekt und ohnmächtig, aber allergisch gegen Willkür-Eingriffe des Menschen.

So überschätzen wir unsere Freiheit, halten sie gleichwohl für unfähig, unsere Geschicke vernünftig zu lenken. Und unterschätzen die Natur, die wir gleichwohl für so unbezwingbar halten, dass wir gar nicht erst probieren, mit ihr in Einklang zu kommen.

Erst wenn wir lernen, dass Kausalität der Natur die Freiheit des Menschen nicht ausschließt, könnten wir aus vernünftiger Freiheit der Natur geben, was der Natur und dem Menschen geben, was des Menschen ist.

Vernunft wäre die Einheit aus natürlicher Kausalität und menschlicher Freiheit. Im vernünftigen Gespräch mit der Natur könnten wir ihr unsere Bedürfnisse mitteilen. Und sie könnte uns sagen, ob sie unsere Bedürfnisse für sinnvoll hält und in welchem Maße sie dieselben sättigen kann.

Der Schöpfungsakt war willkürlicher Willensakt und naturkausal unverträglich, das bestätigt auch Dilthey: Das Schöpfungsdogma besage, „dass in der Weltentstehung kein Natur-, sondern ein Willensvorgang vorliege“. Was bedeutet, das beherrschende „Verhältnis der Notwendigkeit zwischen Ursache und Wirkung sei hier aufgehoben.“

Es ist ein dialektischer Scherz. Vor lauter Omnipotenzgetue ist der Mensch unfähig, sich mit der Natur ins Einvernehmen zu setzen, dass sie uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten geben kann, was wir benötigen, ohne dass wir sie nachhaltig beschädigen müssten.

Seit Einführung des Christentums handelt das Abendland blasphemisch gegen die Natur, indem ein allmächtig scheinender Wicht ihr permanent die Haut abzieht. Die Agenten dieses kollektiven Antikosmismus lenken die Aufmerksamkeit auf angebliche Blasphemie gegen einen Gott, der sich nur einem erleuchteten Glauben zu erkennen gibt. Während die Natur, für alle irdischen Sinne in gleichem Maße erkenn- und wahrnehmbar, sich Beschimpfungen und Verleumdungen gefallen lassen muss, als könne sie ohne den Erlöser-Menschen nicht existieren.

„Denn die Sehnsucht des Geschaffenen wartet auf das Offenbarwerden der Herrlichkeit der Söhne Gottes. Denn der Nichtigkeit wurde das Geschaffene unterworfen … auf die Hoffnung hin, dass auch das Geschaffene selbst befreit werden wird von der Knechtschaft des Verderbens.“ ( Neues Testament > Römer 8,19 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/8/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/8/“>Röm. 8,19 ff)

Kein Mensch wird die Natur erlösen, schon gar nicht nach der Devise: wir töten, was wir lieben. Die Natur ist nicht erlösungsbedürftig. Sie wartet auf unsere kosmische Vernunft, nicht auf unsere Heilandsqualitäten.

Der Erlöser denkt gar nicht daran, Welt und Schöpfung zu bewahren. „Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, welche du mir gegeben hast.“ Nicht für den Kosmos bittet er, sondern für seine wenigen Schäfchen. Wenn jemand den Kosmos liebhat, ist die Liebe zum Vater nicht in ihm. Denn alles, was im Kosmos ist, stammt nicht vom Vater. Und der Kosmos vergeht und seine Lust; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.

Kosmos und Reich Gottes sind nicht kompatibel.