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Freitag, 23. November 2012 – Christen-Pfropfen

Hello, Freunde des Deutschseins,

Deutschsein kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Die Alte Breslauer Burschenschaft wollte ein Mitglied ausschließen, dessen Eltern aus Hongkong kommen. Das Rechtsgutachten der reinrassigen Arier erinnerte selbst konservative Staatsrechtler an die Nürnberger Rassegesetze.

Ein Burschenschaftler hatte den von den Nazis hingerichteten Theologen Bonhoeffer als Landesverräter bezeichnet und dessen Verurteilung gerechtfertigt.

Wer solch eine Mitte der Gesellschaft hat, sollte sich über die Ränder nicht „entsetzen“.

Bonhoeffer war der einzige evangelische Theologe, der für seinen aktiven Widerstand gegen das NS-Regime kurz vor Ende des Krieges von den Schergen hingerichtet wurde. Da es in der Kirche, auch in der Bekennenden Kirche, keinen aktiven Widerstand gab, musste er sich politisch-militärischen Widerstandkreisen anschließen.

Den allgemeinen Arierparagrafen hatten die Kirchen keinen Widerstand entgegengesetzt. Der Bekennenden Kirche ging es lediglich um Widerstand gegen den Ariernachweis innerhalb der Kirche, Pastoren jüdischer Abstammung sollten weiterhin im Amt bleiben dürfen.

Gegen dieses elitäre Sonderrechtsdenken der Kirche kämpfte Bonhoeffer, stellte sich auf den Boden der Menschenrechte und verurteilte die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche als Häresie (Ketzerei).

Dass man unter bestimmten Bedingungen als Christ zu politischem Widerstand

verpflichtet sei, wurde von den meisten seiner theologischen Brüder mit Empörung zurückgewiesen. Das Eintreten für universelle Menschenrechte war für 99% aller Pastoren derart blasphemisch, dass Bonhoeffer mit seiner Haltung völlig isoliert war.

Heute wird Bonhoeffer von der Kirche als leuchtendes Beispiel für den weitläufigen Widerstand des protestantischen Klerus missbraucht. Früher gab es nur Verachtung der Menschenrechte durch lutherische Theologen, heute haben ihre Nachfahren die Menschenrechte eigenhändig entdeckt, entworfen und der Welt als Geschenk überreicht.

Dabei war auch Bonhoeffer vom uralten dogmatischen Antisemitismus der Kirchen beider Konfessionen nicht frei gewesen. Noch 1933 schrieb er: „Niemals ist in der Kirche Christi der Gedanke verloren gegangen, dass „das auserwählte Volk“, das den Erlöser der Welt ans Kreuz schlug, in langer Leidensgeschichte den Fluch seines Leidens tragen muss.“

Auch seine Kritik am Staat begründete er nicht mit dessen Verstoß gegen Menschlichkeit, sondern allein mit „Gefährdung der christlichen Verkündigung“: „Der Staat, der die christliche Verkündigung gefährdet, verneint sich selbst.“ Das waren kirchen-egoistische partikulare Gesichtspunkte. Erst später ging er – in Opposition zur absoluten Mehrheit des deutschen Protestantismus – zum Standpunkt der Menschenrechte über.

Die Bekennende Kirche verteidigte nur die Kirchenmitgliedschaft der Judenchristen gegen staatliche Eingriffe. Bonhoeffer hingegen erhob das Eintreten der Kirche für allgemeine Menschenrechte zur gesamtkirchlichen Pflicht und trat von Anfang an für das gesamte verfolgte Judentum ein.

Die damalige Christenheit beider Konfessionen überließ die nichtchristlichen Juden widerstandslos den Schergen. Wer sich als Jude nicht taufen ließ, hatte Pech gehabt. Einmal Jude, immer Jude. Ob getauft oder nicht. Selbst nach dem Krieg protestierten lutherische Pastoren gegen eine Straßenbenennung nach Bonhoeffer.

Bonhoeffer widersetzte sich mit allen Risiken den NS-Verbrechern und war die leuchtende Ausnahme unter den Theologen. Heute wird sein absolutes Ausnahmeverhalten von den Kirchen gefeiert, als hätten sie im Dritten Reich nur aus Bonhoeffern bestanden.

Selbst Bonhoeffer hatte Probleme mit zeitlos-universellen Rechten. Bis er sich unter vielen inneren Kämpfen gegen Neues Testament > Römer 13 / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/13/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/13/“>Römer 13 durchrang, sie zur Grundlage seines politischen Handelns zu machen.

Sein folgender Satz war der theologische Kern der Deutschen Bewegung: „Die Kirche kann keine Prinzipien verkündigen, die immer wahr sind, sondern nur Gebote, die heute wahr sind. Denn was „immer“ wahr ist, ist gerade heute nicht wahr. Gott ist uns „immer“ gerade „heute“ Gott.“ Gott verändert seine Wahrheiten ununterbrochen.

Diesen Gott können wir als Erfinder der Postmoderne bezeichnen. Zeitlose Wahrheiten gibt es nicht. Gott erlässt ständig neue Offenbarungen, Wahrheit hängt ab von der Zeit. Wenn Gott das Sein ist, ist Sein eine abhängige Variable der Zeit. Wie die Indianer mit dem Ohr am Boden nahende Feindestruppen erlauschen, müssen die Gläubigen mit dem Ohr an der Zeit –„darum wachet“ – die ständig wechselnden Botschaften des Himmels erlauschen.

Gott und Kohl haben das Motto gemein: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?

Hegel wollte die zeitlosen Wahrheiten der Griechen mit den zeitlichen Wahrheiten des Christentums versöhnen, weshalb er die dialektische Fortschrittsspirale entwickelte. Die zeitlosen Wahrheiten müssen durchs Medium der Zeit. Erst müssen sie in Urelemente zerschnitten werden, sich durch Kampf, Streit und Widersprüche bewähren und zusammenfinden, bis sie am Ende der Zeiten wieder zeitlos gültig geworden sind. Ob diese Schreddermühle dann wieder von vorne anfängt? Diese Frage beantwortet Hegel nicht.

Die Stoiker kannten eine ähnliche Prozedur. Regelmäßig muss der Kosmos durch ein reinigendes Weltenfeuer, um wieder in ewigem Kreislauf von vorne zu beginnen. Der Kosmos ist ewig und dennoch in stetiger, kreisläufiger Bewegung. „So steht am Ende unserer Weltperiode die Rückkehr in den feurigen Urzustand, die Ekpyrosis, die aus der Vielfalt wieder die Einheit herstellt und zugleich eine Katharsis, eine Reinigung der Welt von allen Schlacken und Unvollkommenheiten bringt.“ (Max Pohlenz, Die Stoa)

Dieser Kreislauf hat sich schon unendlich oft wiederholt und viele Weltperioden durchlaufen. Der Kosmos bleibt nicht zeitlos munter und frisch, sondern unterliegt einem Alterungs- und Abnutzungsprozess, der regelmäßig im Weltenfeuer geläutert und verjüngt werden muss.

Bei den Christen hingegen ist alles einmalig und läuft dem unwiederholbaren Ende entgegen, dem ewigen Heil und der ewigen Verdammung. Der Kreislauf der Natur ist gesprengt, das dualistische Ende verharrt unbeweglich bis in alle Ewigkeit.

Der Glaube an die Verjüngungskräfte der Natur muss in jenen Epochen bei den Europäern gefährdet gewesen sein. Um wenigstens die Konkursmasse zu retten, erfinden die Bibelschriftsteller einen Creator, der das Ganze in letzter Minute wie durch ein Wunder retten soll.

Während die Stoiker die kreisläufige Natur durch eine periodische Runderneuerung bewahren, flüchten die Monotheisten in den Glauben an einen allmächtigen Zauberer. Kurz vor der Zeitenwende schwindet der Glaube an die Natur wie Schnee an der Sonne und beginnt der Glaube an den übernatürlichen Vater, der das Sein aus dem Nichts schafft und dort auch wieder verschwinden lässt.

Die neue lineare Zeit ist ein derangierter, kraftlos gewordener Kreislauf, der es nicht mehr schafft, sich wie die Schlange Uroboros in sich selbst zurückzukrümmen, um im vollendeten circulus deus das unzerstörbare Leben zu retten. Der christliche Gott ist kein circulus deus mehr, sondern kraftloser Herr über die anämische Linie, die in der Apokalypse ihren Bankrott anmelden muss.

Wenn fast die ganze Schöpfung vernichtet wird oder ins ewige Feuer wandert, muss man von Totalbankrott sprechen. Gott, der vor Kraft nicht laufen könnende start-up-Unternehmer, muss am Ende der Zeiten Konkurs anmelden, den er bombastisch zum Sieg umfunktioniert. Er schafft es nicht, die Welt zu erlösen und muss sich mit einigen auserwählten Hanseln begnügen. Das Feuer hat seine kathartische Kraft verloren und pervertiert zum Medium ewiger Rache und Strafe.

Ekpyrosis und Palingenesie (Wiederentstehung) waren die beiden Eckpfeiler der stoischen Weltenlehre, die sich an den Kreisläufen der Natur orientierte. Die Welt verhält sich nicht anders als die Natur in ihrem jährlichen Rhythmus der Jahreszeiten.

Nietzsche war der Einzige, der den Verlust der ewigen Wiederholung spürte und zu den Griechen zurückwollte. Vergeblich, ihm fehlte die ungeteilte Liebe zum Kosmos. Auch er schied, wie der von ihm abgelehnte himmlische Vater, zwischen Spreu und Weizen. Den Weizen wollte er immer wiederhaben, die Spreu sollte zum Teufel gehen.

Zuerst klingen seine Aussagen noch ganz griechisch. Im Größten wie im Kleinsten soll der Ring des Seins sich drehen:

„Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins.

Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet, Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins.

In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.“

Krumm ist nicht rund, hier sitzt schon der Wurm im Apfel. Doch es kommt noch deutlicher:

„Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten Menschen und den kleinsten Menschen: allzuähnlich einander, – allzumenschlich auch den Grössten noch!

Allzuklein der Grösste! – Das war mein Überdruss am Menschen! Und ewige Wiederkunft auch des Kleinsten! – Das war mein Überdruss an allem Dasein!

Nietzsche will nur die Wiederkehr des Gelungenen, Starken und Vollendeten. Das Kleine und Erbärmliche soll spurlos verschwinden. Seine Liebe zum Schicksal, amor fati, war keine Liebe zum Kosmos, wie er ist und sein will.

Wer so viel Überdruss am nackten Menschen hat, der glaubt noch immer an den Sündenfall, wo das Nackte zum Symbol des Sündigen geworden war: „Da gingen den beiden die Augen auf und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter (Jesus wird den Feigenbaum verfluchen, weil er es wagte, zur Unzeit keine Früchte zu tragen, Feige war Symbol des Weiblichen) zusammen und machten sich Schurze.“

Das war das Ende der nackten Wahrheit, es begann die Epoche der Schurzen-Heuchelei, der bekleideten Lüge und der geschminkten Ideologie.

Interessant übrigens, dass den beiden Ureltern erst nach dem Fall die Augen aufgehen. Sehen war bei den Griechen das Instrument der Erkenntnis. Theoria ist Schau. Schauen war das bevorzugte Sinnesinstrument der Griechen, die sich an der vollendeten Natur nicht satt sehen konnten. Sehen war Wahr-nehmen. Indem ich schaue, nehme ich an der Wahrheit der Natur teil. Erkennen ohne Sehen war unmöglich.

Im Mittelpunkt der Bibelschreiber stand das Hören. Gottes Offenbarungen erfolgten durch Stimmen von oben, die in Ge-hor-samkeit vernommen wurden. Gehorsam ist die Tugend des Hörens. Typisch das Bekehrungserlebnis des Paulus vor Damaskus: „Und er hörte eine Stimme Weil sie zwar die Stimme hörten, aber niemand sahen.“ ( Neues Testament > Apostelgeschichte 9,1 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/apostelgeschichte/9/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/apostelgeschichte/9/“>Apg. 9,1 ff)

Das war die Absage an das erkennende Sehen der Griechen. Wenn der Schöpfer ruft, muss man gehorchen. Hören ist die exklusive Verbindung zu einem Gott, der es ablehnt, abgebildet und gesehen zu werden. Mach dir kein Bildnis noch Gleichnis. Was konnte man in einer gefallenen Schöpfung schon sehen, außer einer missratenen, minderwertigen und sündigen Natur?

Hegel wollte den griechischen Kreis und die christliche Linie zur Synthese zwingen. Ob er es geschafft hatte, beantwortete er nicht, indem er den erreichten Endzustand des Weltgeistes in Preußen – offen ließ. War Preußen das definitiv letzte Wort der Geschichte? Hybris, lass nach. Oder sollte, wie in der Stoa, nach einem kosmischen Läuterungs-Kladderadatsch alles wieder von vorne beginnen? Hegel schweigt und zeigt sich gänzlich abgeneigt, unsere vorwitzigen Fragen zu beantworten.

Kein Wunder, dass auch seinem äußerst selbstbewussten Schüler die Puste ausging, das Reich der Freiheit „auszupinseln“ (wie Adorno, der Feind aller Paradiese zu sagen pflegte). Auch Popper, Adornos Gegner in den meisten Dingen, ließ sich von dieser finalen Lustangst anstecken und hielt jede Utopie für den Versuch, den Himmel auf die Erde zu holen, um eine Hölle einzurichten. Unisono mit seinem großen Freund Hayek.

Fast alle gegenwärtigen Ideologien sind sich seitdem einig, dass die Menschheit nicht an ein humanes Ziel kommen darf. Der Weg ist alles, das zur Ruhe kommen nicht. Wenn der Weg alles ist, gibt’s nur sinnlose Bewegung an sich – im Rattenrennen, und wir sind im Neoliberalismus angekommen.

War Hegel nun ein Zeit- oder ein Ewigkeitsdenker? Sein dialektisches System sieht auf den ersten Blick ausgewogen aus. Die Spirale steht für wechselnde Zeit, doch Anfang und Ende der Spirale beginnen und enden in Zeitlosigkeit.

Doch es gibt eine verräterische Stelle, wo der Schwabe das Gleichgewicht verliert und auf die Seite der Zeit fällt. „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“

Gilt diese Identität der Vernunft mit dem Sein für jeden Moment der Zeit? Dann bedürfte es keiner Fortschrittsspirale, die erst am Ende wirklich und vernünftig wäre. Weil zu jedem Zeitpunkt die Wirklichkeit vollendet vernünftig ist, wehrt sich Hegel gegen das ständige Herumkritteln und Verbessern der Wirklichkeit durch blauäugige Gutmenschen, die mit ihrem penetranten Herumdoktern alles nur verschlimmern.

Warum aber schreibt er mittendrin völlig unmotiviert: Hic Rhodus, hic salta, das er selber übersetzt: Hier ist die Rose, hier tanze? Warum gerade Hier, warum gerade Jetzt, wenn doch alle Hiers und Jetzts gleich vernünftig und wirklich sind?

Die Rose ist die lutherische Rose im Kreuz, Symbol der „Versöhnung der vernünftigen Einsicht mit der Wirklichkeit“. Soll das ein Scherz sein? Die Rose soll mit dem Schandholz zur Versöhnung kommen? Das wäre, als ob das schöne Mädchen sich mit Gerippe Tod paaren müsste.

Hegel hat dem Griechentum das Christentum als überlegene Freiheit vor die Nase gesetzt. Doch an der Rhodusstelle sehen wir, was er wirklich fühlte und meinte. Das pralle nackte Mädchen, Inbegriff des griechischen Schönen, soll den Tod am Kreuz – erlösen. Das weibliche Leben ist dem männlichen Tod am Kreuz überlegen.

Das wäre die Wahrheit Hegels gewesen, doch ach, sein christliches Über-Ich obsiegte über sein griechisches Es. Hegel nimmt Partei für die Zeit, obgleich er die Zeit gar nicht gegen die Zeitlosigkeit hätte ausspielen müssen: „Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit, so ist auch die Philosophie ihre Zeit in Gedanken erfasst. Es ist ebenso töricht, zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, ein Individuum überspringe seine Zeit, springe über Rhodus hinaus.“

Nun kommen jene Sätze, die für alle Anti-Utopiker das Evangelium sind: „Geht seine Theorie in der Tat drüber hinaus, baut es sich eine Welt, wie sie sein soll, so existiert sie wohl, aber nur in seinem Meinen – einem weichen Elemente, dem sich alles Beliebige einbilden lässt.“ (Alle Zitate aus der Vorrede zur Rechtsphilosophie).

Das ist der Fels des antiuniversellen deutschen Sonderwegs. Das deutsche Hier und Jetzt ist ein anderes als das der Nachbarn. Wenn es keine zeitlosen Wahrheiten gibt, gibt’s auch keine zeitlos gültigen Rechte. Jeder kann in seinem völkischen Sondertümpel den konkreten Dreck aufwirbeln, der sich an diesem heiligen Offenbarungsort über Jahrhunderte hinweg angesammelt hat.

Womit wir wieder bei Bonhoeffer angekommen wären, dessen Gott auch im Hier und Jetzt seine wechselnden Botschaften hinterlässt. Nie weiß man, was er will, weil er ständig das Losungswort ändert. Das Losungswort des Dritten Reiches aber war Hitler. Also mussten die Gottessucher den Führer anbeten, weil er das letzte Wort des Himmels für diesen Augenblick, für diese Zeit war.

Im selben Zeit-Geist war Heideggers führervernarrte Rektoratsrede verfasst. Jawoll, mein Führer: du göttlicher Bote des Hier und Jetzt. Rufe, wir hören dich und folgen deiner Stimme.

Bonhoeffers judenfreundliche Taten standen in Gegensatz zu seinem traditionellen theologischen Antisemitismus. Fast 2000 Jahre lange waren die Christen davon überzeugt, dass nicht mehr die Juden, sondern sie die Auserwählten Gottes waren. Gott habe das Heil den Kindern Israels genommen und den neuen Kindern, den Christen, übergeben. Christ sein – oder Judesein, Entweder – Oder: ein Drittes gab es nicht.

Christsein war per se ein judenfeindlicher Akt, wenn auch von Gott gewollt. „Infolge ihrer Verfehlung ist das Heil zu den Heiden gekommen, um sie zur Nacheiferung zu reizen.“ ( Neues Testament > Römer 11,1 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/11/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/11/“>Röm. 11,1 ff)

Erst in der Nachkriegszeit bemerkten die Theologen, dass Paulus selber Jude war und sein Volk keineswegs endgültig verloren gab. „Hat Gott sein Volk verstoßen? Das sei ferne.“

Infolge ihres Unglaubens seien die Juden zwar aus dem Olivenbaum ausgebrochen und die wilden Zweige der Christen dem edlen Baum eingepfropft worden. Aber nur zur zeitlichen Strafe, damit die Juden wieder zur Besinnung kämen. „Denn wenn du aus dem von Natur wilden Ölbaum (= die christlichen Gojim) herausgeschnitten und gegen die Natur (!!) dem edlen Ölbaum eingepfropft worden bist, wie viel mehr werden diese, die natürlichen Zweige (= die Juden), ihrem eignen Ölbaum eingepfropft werden.“

Heute haben alle Kirchen ihre früheren Antisemitismus-Deutungen des Paulustextes revidiert und ins Gegenteil verkehrt. Wie durch ein Wunder ist das Heil den Juden nicht mehr genommen, sondern den Christen zusätzlich gegeben. Das ehedem knappe Heils-Gut hat sich vermehrt, sodass Juden und Christen brüderlich vereint vom himmlischen Manna leben können. Das ist die gegenwärtige Situation voller Friede, Freude, Eierkuchen.

Doch wehe, wenn ich an das Ende sehe. Wie immer, ist die Harmonie zwischen intoleranten Heilslehren erschlichen, denn sie ist mit einem brisanten Wenn verbunden: „Aber auch jene werden, wenn sie nicht im Unglauben verharren, eingepfropft werden; denn Gott hat die Macht, sie wieder einzupfropfen.“

Wenn die Juden sich zum Christentum bekehren, wird Gott sie gnädigerweise in den ursprünglichen Heilsstand zurückversetzen.

Auf diesen kollektiven Bekehrungsakt der Juden warten inzwischen vor allem die amerikanischen Biblizisten, deren israelfreundliche Politik eine taktische Vorausinvestition auf die baldige Konversion der Juden ist.

Doch die Zeit drängt. Zwei Drittel aller Amerikaner glauben, dass sie noch die Ankunft des Herrn erleben werden. Voraussetzung der Parusie wäre aber die Beendigung des Unglaubens der verstockten Juden und ihre Hinwendung zum christlichen Messias. Doch was, wenn dieses Ereignis nicht eintritt? Und es sieht nicht im Geringsten danach aus. Dann werden die Juden schuld daran sein, wenn sich die Ankunft des Messias bis an den Sankt Nimmerleinstag verzögern wird. Die Folgen sind nicht auszudenken.

Mit anderen Worten: die amerikanischen Biblizisten haben den Juden eine Falle gestellt. Sie sind nicht deren unverbrüchlichen Freunde, sondern betrachten sie als Mittel zum heilsgeschichtlichen Zweck.

Schon Luther hatte als junger Reformator von einer heiligen Koalition mit den Juden gegen den Papismus geträumt. Als jene sich seinen Illusionen verweigerten, entwickelte der Wittenberger einen glühenden Hass ob seiner verschmähten Liebe. Dieser Vorgang könnte sich in Gottes eigenem Land wiederholen.

Die Deutschen sind auch nicht faul und haben den Juden parallel eine bewährte Falle gestellt. Im Streit um die Beschneidung wollen sie die Juden nicht bestrafen, wenn sie den uralten Ritus des Alten Testaments nicht aufgeben wollen. Aber schuldig sollen sie werden.

In der Summa Angelica des Angelus von Chamisso findet sich der entlarvende Satz: „Jude sein ist ein Verbrechen, das jedoch von den Christen nicht bestraft werden darf.“ (Léon Poliakov, Geschichte des Antisemitismus, Bd.V) Der Jude ist schuldig, doch er soll nicht bestraft werden, so begann der juristisch kodifizierte Antisemitismus im Mittelalter, als Juden das verbotene Geschäft mit dem Wucher übernehmen sollten, damit das Abendland reich wie Arabien werde.

 

Über den Häuptern der Juden ist ein Schwert aufgehängt. Sie müssen immer schuldiger werden und eines unbestimmten Tages wird das Schwert auf sie niedergehen.

Deshalb zum Schluss Heribert Prantls zustimmender Kommentar zum jetzigen Entwurf des Beschneidungsgesetzes:

Wenn Abraham die Beschneidung befohlen hat, muss das deutsche Recht sie auch geflissentlich befolgen. Selbst wenn dies archaisch wäre: „Das deutsche Strafrecht ist kein Mittel zur Judenmission und Strafe kein Mittel der spirituellen Aufklärung.“

Ob archaisch oder nicht, die Frage lautet: hat das Archaische recht? Judenmission kann der säkulare Rechtsstaat den Konkurrenzreligionen überlassen. Ein Rechtsstaat wirbt nur für Demokratie und wacht über das universelle Recht, das kein zweites Mal mehr zur Beute von Sonderwegdeutschen werden darf. Oder von zeitlich willkürlichen Rechtsveränderungen auf Geheiß göttlicher Offenbarungen.

Das demokratische Recht wurde in vielen Jahrhunderten gegen den erbitterten Widerstand des Klerus in den europäischen Ländern eingeführt. Der aufrechte Jurist Prantl offenbart seine religiöse Weichstelle. Ruft Gott, hat bei ihm das universelle Recht sein Recht verloren.

Aus Wiedergutmachungsgründen ist Prantl bereit, das Fundament des Rechtsstaates aufzugeben: vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Ginge es um muslimische oder andere Fälle, würden wir einen eisenharten Juristen erleben.

Die Lehre aus dem Holocaust ist aber nicht: weicht das Gesetz auf und schaut beim Recht durch die Finger. Sondern im Gegenteil.

Aus der Biografie Bonhoeffers hat Prantl nichts gelernt.