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Tagesmail

Freitag, 21. Dezember 2012 – Unschuld des Werdens

Hello, Freunde der Apokalypse,

wenn religiös Unmusikalische (wie Habermas) für Religion eintreten, wenn ein heidnischer Kalender (Maja) die Apokalypse verkündet, muss Religion wahr sein. Die Zeugen aus dem anderen Lager sind die besten Zeugen, sie sind unvoreingenommen und unbestechlich.

So war‘s mit dem heidnischen Hauptmann von Kapernaum, der Jesus vorher noch nie gesehen hatte und doch zu ihm sagte: „Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht geheilt“. ( Neues Testament > Lukas 7,1 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/7/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/7/“>Luk. 7,1 ff) Wenn er als kleiner Hauptmann kommandiert, funktionieren seine Soldaten aufs Wort. Wenn erst ein großer Gott kommandiert, müssen selbst Naturgesetze klein beigeben. „Selbst in Israel habe ich solchen Glauben nicht gefunden,“ anerkennt der Himmlische Kommandant.

Die Majas dementieren zwar die westliche Untergangsinterpretation – auch ihre Vorfahren waren Zykliker –, doch das hindert Christen aller Länder nicht, zuhauf auf Berge zu klettern, sich in Höhlen, Atombunkern, selbst gebastelten Gebilden und Gehäusen zu verstecken. Wenn schon die Heiden den Weltuntergang verkünden, muss die Seele naturaliter christiana sein. Ginge es um den periodisch wiederkehrenden Armageddon-Einfall irgendeiner Sekte, jeder hätte sein Witzchen gerissen und Punkt.

Die Offenbarungsspezialisten müssen sich von unerleuchteten Heiden bestätigen lassen, dass sie richtig liegen. Die Gazetten und Kanäle freuen sich über das unerwartete Geschenk zur nachrichtenarmen Feiertagszeit und quasseln über alles, nur nicht über ihre christliche Apokalypse.

Wenn du Menschen suchst, die unter Garantie keine Ahnung über das christliche

Credo haben, frag bei ausgewiesenen Christen an. Die finden es schon empörend, etwas wissen zu sollen, was sie nie im Leben wissen müssen, um ihren ureigenen Glauben zu beweisen, den sie mit Verlaub immer noch am besten kennen. Jeder Christ bestimmt sola arrogantia über sein Christentum und hält sein Christentum für das Christentum.

Nichts gegen persönlichen Glauben, doch denselben ungeprüft für den christlichen Glauben zu halten, ist ebenso selbstherrlich wie jener Bauer, der behaupten würde, was Äpfel und Birnen seien, entscheide noch immer er.

Man kann Meinungen haben ohne Ende, ob aber Meinungen mit Tatschen übereinstimmen, müsste nach Adam Riese überprüft werden. Sonst wäre Klein-Napoleon in der psychiatrischen Anstalt per se Napoleon.

Auf keinem Gebiet der Neuzeit ist das selbstherrliche Ich von Augustin bis Fichte und Nietzsche so selbstherrlich wie auf dem Gebiet des persönlichen Glaubens. Ein objektives Christentum, das in Buchform vorliegt, eminente Wirkungen in Europa und in der Welt hinterlassen hat, existiert nicht mal in der Theorie. Da müsste mal einer kommen und behaupten, was bei Platon stünde, bestimme er noch immer selbst.

Schleiermacher ist der erfolgreichste Theologe aller Zeiten, der jeden vom Geiste Jesu Erfassten autorisierte, seine eigene Bibel zu schreiben. Persönliche Bibeln gibt’s inzwischen wie Sand am Meer – in Deutschland. In Amerika wäre das ein unvorstellbares Sakrileg. Dort lesen sie wortwörtlich ihre Bibeltexte und machen brav ihre wortwörtliche biblische Politik.

Die hochaufgeklärten, entmythologisierten, historisch-kritisch gewitzten, existentialisierten subjektivistischen Fürwahrhalter in Deutschland schämen sich der buckligen Christenverwandtschaft in Amerika, weil die mit ihrem Buchstabenglauben die ganze Innung blamieren.

Es durfte bei uns nicht laut gesagt werden, dass man Wiedergeborene wie Dabbelju für archaische Hinterwäldler hielt, die das Neue Testament nicht verstanden und ihre Holzhackerpolitik als heilige Kriege verkauften, welche man in Deutschland spätestens nach der Nazi-Theologie für überwunden hielt.

Die gesamte Deutungsproduktion deutscher Bibelausleger ist gequirlte Hochstapelei und Verfälschung durch Zeitgeistanpassung. Der Humanisierungslevel des ordinärsten Zeitgeistes liegt weit über dem der Heiligen Schrift. Also müssen spezialisierte Silbenstecher kommen, um das WORT wieder zum Inbegriff von Friede, Freude, Eierkuchen zu machen.

Man mache die Probe aufs Exempel und lege einem Jesusfan den Text vor: „Siehe, ich habe euch die Macht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten und Macht über alle Gewalt des Feindes und er wird euch keinen Schaden zufügen“, so wird er als Deutung des Textes das genaue Gegenteil dessen erzählen, was selbst ein Grundschüler entziffern kann.

Erstens ist alles allegorisch, zweitens nicht wörtlich, drittens nicht naturfeindlich und viertens und überhaupt muss man erst das neueste Buch des telegensten Theologen gelesen haben, bevor man überhaupt mitreden kann.

Schon Hegel hat sich über die hermeneutische Despotie der Gottesgelehrten erbost, die ihn abfertigten: Haben Sie schon mein neuestes Kompendium gelesen? Wenn nicht, sind Sie für mich kein Gesprächspartner.

Genau genommen wird in Deutschlands Schulen nur profanes Lesen gelehrt, vom sakralen Lesen sollten Laien die ungewaschenen Pfoten lassen. Die Katholische Kirche wollte nicht, dass die Bibel unters Volk kam. Das war viel zu gefährlich – für den Vatikan.

Luther zerrte das unbekannte Buch aus den klerikalen Katakomben, übersetzte es, indem er die deutsche Sprache erfand und wollte, dass jeder Christ, unabhängig von Priestern und sonstigen Zensierern, die alten Urkunden entzifferte.

Heute ist es schlimmer, als es je in katholischen Dunkelmännerzeiten gewesen ist. Einerseits kann jeder ungehemmt bestimmen, was Gott heute der Menschheit mitzuteilen habe, gleichzeitig hat er’s Maul zu halten, wenn seine Meinung mit neuesten Einfällen der Platzhirsche Gottes nicht übereinstimmen.

Bei diesem kollektiven Hokuspokus mischen die medialen Vermittler der geistlichen Vermittler immer vorne mit. Ein geistliches Zitat in edler Patina und der ganze anrüchige Schmurgel ist gerettet.

Ein Edelschreiber mit Anspruch hält sich von allen Sachkenntnissen dieser Welt gleichweit entfernt. In Redaktionsstuben macht man sich mit Expertenwissen nicht die Finger schmutzig. Sachkenntnis indoktriniert und macht nur Vorurteile.

Es ist noch immer wie bei Pindar. Was der Edle von Natur aus nicht in sich hat, ist näherer Wahrnehmung unwürdig. Experten sind das, was in Athen Banausen waren, die sich mit ihrer Arbeit Geld und Anerkennung verdienen mussten. Das haben unsre Genies oberhalb der Expertenebene nicht nötig. Sie setzen sich an den Schreibtisch mit einem blütenweißen Papier, es kann auch ein Laptop sein, und lassen sich was einfallen.

Fällt ihnen nach vielen Tassen Kaffee noch immer nichts ein, schreiben sie über das Thema: Kaffee allein hilft auch nicht. Es müsste schon ein wenig Cannabis dabei sein oder ein Eimer voller Kurzweil-Pillen, damit die Gehirnwindungen in die Gänge kommen.

Sachkenntnisse sind Erkenntnisse der Vergangenheit, also müsste man die Vergangenheit inspizieren, um herauszukriegen, was die Menschheit schon alles herausgekriegt hat – oder nicht. Wer dazulernen will, muss den Stand des Lernens zur Kenntnis genommen haben. Sonst wird das Rad des Heiligen Geistes immer wieder von vorne erfunden.

Doch mit Vergangenheit haben die Schreiber nichts zu tun, das haben sie schriftlich in ihrem Arbeitsvertrag: sie sind dem Tag verpflichtet. Wer Historie will, bitte die nächste Tür rechts – an der Uni.

Historiker verbinden ihren Schmarrn nicht mit der Gegenwart – aus der Geschichte könne man nichts lernen – und Tagesschreiber verbinden ihre windigen Apercues nicht mit dem Schutt der Vergangenheit. Ihr Motto ist das Motto ihres apokryphen Herrn: Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich deines eigenen Kopfes.

Niemand, der seine Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist tauglich für das Reich der inflationären, von jeglichem Sinn gereinigten Wörter. Eben noch debattierten sie mit Hartz4-Angst in der Stimme über das mögliche Ende des Journalismus. Nun steht gottlob die Apokalypse vor der Tür. Die trifft alle oder keinen. Also wieder Entwarnung.

Gibt es eine restringiertere, sich eigenständig den Hals abschnürende Presse als die deutsche? Zum Thema Israel kriegen sie nichts zustande und haben Dauerwindeln an, dito bei Amerikanern und sonstigen gewichtigen Freunden. Doch bei Unterlegenen wie den Griechen werfen sie mit dem aparten Inhalt derselben Windeln.

Nicht mal, wenn zwei widersprechende Armutsberichte vorliegen, sind sie imstande, die Widersprüche aufzuhellen. Ihre Rede besteht aus dem zeitlosen Konjunktiv: es könnte, vielleicht, möglicherweise, oder auch nicht, bleibt abzuwarten, wider die totalitären Jaja- und Neinneinsager, die sich erkühnen, Meinungen zu äußern, die von ihnen nicht abgesegnet sind und über die obligatorische Pflicht zur Grauheit des Seins und der Zeit.

Frederick, Urmaus und Erfinder des verantwortungsvollen Schreibens, sammelt Wörter und Farben. Seine Epigonen, schon ziemlich zu eierlosen Mäuschen degeneriert, sammeln Grautöne wie das Fagott: Töne, die es gar nicht hott. Grau, grau ist nicht nur Theorie und so geht die Welt zugrunde.

Das ist die Lieblingsfarbe der Apokalyptiker, die mit Grau ihre Untergangsszenarien illuminieren, nachdem sie durch unermüdliches Abrubbeln aller vorhandenen Farben das Kolorit der Welt in Grau zermahlen, zermörsert und zerstampft haben. Da alle Tagesschreiber zu Recht in die Hölle kommen, werden sie binnen weniger Tage das höllische Feuer in einen gräulichen Aschenhaufen gedimmt haben.

Nicht nur, dass die Vergangenheit ignoriert wird – wir sprechen von der Krankheit der Imperfekt-Phobie, die schlimmer ist als Röteln unter Erwachsenen –, sie treibt auch hilflos, von allen Verbindungen mit der Gegenwart abgeschnitten, im Meer der Verleugnungen und Verdrängungen. Es ist die Rede vom ruhmlosen Ableben der Kausalität.

Gibt es keine Kausalitäten, mit denen Vergangenheit die Gegenwart prägt, können wir sie im Meer des Vergessens dümpeln lassen. Es sind dieselben Apologeten der Gehirnforschung, die den Menschen zur prädestinierten Maschine machen, die hier allen Kausalitäten die rote Karte zeigen.

Kausalität ist ein Schlag ins Gemächte der Postmoderne, die täglich von Neuerfindung zu Neuerfindung sackhüpfen muss. Da hindert der Ballast von gestern. Den Ballast durch Selbsterforschung zu untertunneln und allmählich abzutragen, ist mühsam und hindert die Postmoderne beim fröhlichen Creieren aus dem Nichts. Also müssen die Nabelschnüre der Zeiten par ordre du mufti perforiert werden.

Das Wahrheitsministerium von 1984 heißt in Wirklichkeit postmoderne Winderzeugungsmaschine und hat keine Mühe, Joschka Fischer neu zu erfinden: vom Bürgerschreck zum Dauerläufer, vom stirnrunzelnden Weltverantwortungsträger zum Absahner. Die ständigen Neuerfindungen gehorchen dem Gesetz der Creatio ex nihilo.

Das vollkommen Neue kann man nur aus dem Hut zaubern, wenn der Hut aus Nichts besteht. Sonst würde die Creation nach Hut ausschauen oder hut-mäßig sein. Völlig ausgeschlossen. Das Neue muss unbefleckt von allem Irdischen sein. Das geht nur über Nichts. Die Vergangenheit, der alte Hut, muss im Nebel von Avalon verschwunden sein, damit wir uns jeden Tag im Spiegel – nicht mehr erkennen. Das geht nur, wenn die Causa vom Nihil verschlungen ist. Zwischen dem Gewesenen und dem Heutigen muss Nichts sein, sonst wären wir Attrappen der Vergangenheit.

Nichts geschieht ohne Ursache, die Grundlage des abendländischen Verstehens und Erklärens ist mutiert in den Satz: Weg mit der Ursache, damit Nichts sei. Das Nichts ist zur nichtigen Quelle der Gegenwart geworden, jenen Vätern gleich, die Kinder zeugen, um sich bei Nacht und Nebel abzuseilen.

Der Mensch bekennt sich nicht zur Vaterschaft der Gegenwart. Was er früher trieb, soll in den Kellern des Wahrheitsministeriums annihiliert werden, damit niemand für die Folgekosten des sündigen Vergnügens aufkommen muss. Das nennt man Freiheit in Verantwortung, wenn es nichts mehr gibt, wofür wir noch Verantwortung übernehmen müssen. Wir haben doch gar nichts getan. Und wenn doch, ist das Getane in den nihilistischen Mauselöchern der Vergangenheit verschwunden.

Geschieht ein Unglück, ein Attentat, ein Amoklauf in der Gegenwart, tuckern die Kausalitätsvernichtungsmaschinen. Da sind selbst die Popen ehrlicher, die, bevor es andere tun, die Frage stellen: Wie konnte Gott das zulassen? Liebe Hörerinnen und Hörer, ich habe keine Antwort.

Gut, dass Sie gefragt und sich selbst geantwortet haben, Herr Pastor, sonst hätten wir vermutet, Sie wüssten es, weil Sie im Schoße Abrahams sitzen.

Im Sog der Hirten-Hinterlist gehen auch betroffenheitstrunkene Tages-Schreiber in die Offensive und fragen in dicken Lettern (je dicker die Letter, je betroffener der Autor): Warum, weshalb, wieso und wenn ja, warum nicht lieber in Afghanistan, wo die Ware Mensch noch erschwinglicher ist?

Dass Verstehen auf Methoden beruht, ist nervösen Intuitionisten ein schlimmerer Gräuel als Verhütungsmittel für den Vatikan. Mit welcher Methode wollen wir verstehen? Ein Methodenbewusstsein existiert nicht bei den Flagellanten des Feuilletons. Sie sind frei schaffende Künstler, Freelancer des Geistes, keiner irdischen Werkzeuge bedürftig, jederzeit bereit, mit dem Blitz ihrer immateriellen Gedanken die Realität bis zum Schlund zu erhellen – oder nicht. Freunde, wir sind im schwarzen Loch der vierten Dimension angelangt.

Schon mal vom Bösen gehört? Jaja, wir, die wir glauben, so aufgeklärt zu sein, alles im Griff zu haben, alles machen zu können, wir müssen uns eingestehen, dass uns das Numinose, Unerklärbare und Geheimnisvolle umfängt. Wir befinden uns im Asyl der Ignoranz, dem ridikülen Bösen. Je weniger wir erklären können, je weniger sind wir in der Lage, das nächste Böse zu verhindern.

Ob in Vergangenheit oder in Zukunft: wir waren unschuldig, sind es und werden es immer sein. Wir konnten das Elend nicht verhindern, weil es unvermutet vom Himmel herunterprasselte oder von der Hölle heraufdünstete. Gott lässt hageln und donnern über Gute und Böse. Dass es auch uns gelegentlich treffen muss, ist Zufall und Verhängnis. Zufall macht sich wieder breit, nachdem solange eherne Gesetze galten.

Verstehen und Erklären kann man nur, wenn die Fäden des Seins intakt sind. Das Frühere erklärt das Spätere? Völlig undenkbar. Unbemerkt von der Öffentlichkeit ist die gesamte Psychoanalyse aus dem Glitzerladen der Postmoderne entfernt worden. Keine unglückliche Kindheitsstory mehr. Die Erwachsenen wollen an ihrem verkorksten Nachwuchs nicht mehr schuldig sein.

Mea culpa, mea maxima culpa? Schon etwas von der Unschuld des Werdens gehört? Die Schuld von 2000 Jahren dringt den Missionierten im Abendland derart aus allen Poren, dass sie bei Schuld und Schulden Schreikrämpfe kriegen.

Wo einst Gut und Böse, Schuld, Buße und Vergebung regierten, herrscht bei sehr freien Künstlern des Geistes die Unschuld des Werdens. Wo immer Entrüstung herrscht und der Drang, Schuldige zu finden, da ist „das Dasein um seine Unschuld gebracht“.

Wenn immer wir geneigt sind, uns schuldig zu nennen, müssen wir uns die alten Häute der Schlange abstreifen und den Sündenfall überwinden, um uns die Unschuld des Werdens zu beweisen: „War es nicht, um mir selber das Gefühl der Unverantwortlichkeit zu schaffen – mich außerhalb jedes Lobs und Tadels, unabhängig von allem Ehedem und Heute hinzustellen, um auf meine Art meinem Ziele nachzulaufen?“

Und woran erkenne ich meine neu erworbene Unschuld? An der Freiheit, „sich nicht mehr vor sich selber zu schämen.“

Und wozu befähigt mich die neue Unschuld des Werdens? „Erst die Unschuld des Werdens gibt uns den größten Mut und die größte Freiheit.“ Den größten Mut, jenseits von Moral die Menschheit nach meinem Dafürhalten zusammenzuschlagen und die größte Freiheit, jegliche Verantwortung den Opfern in die Schuhe zu schieben.

Die göttliche Verdammungsmoral hat den christlichen Westen derart bis in die Grundmauern destruiert, dass er in reactio jede autonome Verantwortung, jede rationale Schuld, jede kausale Untersuchung, jeden Versuch des Erklärens in blankem Hass verwirft. Seelischer Schuldenschnitt für immer – das liegt in der Luft. Zurückgezahlt wird nicht mehr. Waren wir bislang an allem schuld, sind wir ab jetzt an allem unschuldig.

Nun verstehen wir den Hass auf die Kausalität. Es ist der Hass auf das unzerreißbare Sündenband bis ins dritte und tausendste Glied, das uns verfolgt, wo immer wir gehen und stehen. Zerreißt die ererbte Sünde, zerreißt die Kausalität.

Ursache und Wirkung sind nichts als Sündenfall und unauslöschliche Sünde. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Unschuld des Werdens zu zelebrieren: durch absolute Notwendigkeit oder durch absolute Freiheit jenseits von Gut und Böse. Ist alles notwendig, hatte ich keinen freien Willen: „Alles ist Notwendigkeit – alles ist Unschuld.“ Oder ich bin absolut frei, dann von aller Philistermoral.

Wer sein Tun mit unbeschränkter Freiheit in Verbindung bringen kann – wie die Tycoons in den USA –, der ist an keinem Übel der Gesellschaft schuldig. Er folgte nur seinem Gott der unbeschränkten Freiheit. Wer unter die Räder kommt, ist selber schuld daran. Hatte er nicht dieselbe Freiheit wie der Tycoon?

Gibt es weder Kausalität noch Vergangenheit, kann ich meine Zukunft aus dem Nichts erschaffen. Wo keine Vergangenheit, da ist nur Nichts. Meinem Schaffen der Zukunft steht nichts mehr im Wege. Der Mensch ist auf dem Gipfel seiner Gottebenbildlichkeit angekommen: dem Schaffen aus dem Nichts. Mit dem Schaffen aus dem Nichts ist „das eigentliche Sein erreicht“. „Nur im Schaffen gibt es Freiheit. Das einzige Glück liegt im Schaffen.“

Nietzsche hat das Wesen des Kapitalismus perfekt ins Philosophische übersetzt. Die Deutschen waren immer Kritiker des Kapitalismus? Sie waren Kritiker des bornierten Kapitalismus aus Albion. In Wirklichkeit hatten sie einen überlegenen, einen grundsätzlicheren Kapitalismus, den sie in Schaffen und Vernichten in die Tat umsetzten.

Freies Schaffen erkennt man an der Freiheit zum unschuldigen Vernichten. Schaffen aus Nichts ist berauschendes Vernichten ins Nichts. „Wenig begreift das Volk das Große, das ist: das Schaffende. Aber Sinn hat es für alle Aufführer und Schauspieler großer Sachen.“

Aufführer und Schauspieler des Großen und Schaffenden sind Magnaten und Politiker. Die Medien stellen die Bühne und applaudieren, selbst wenn sie buhen. Das Volk schaut beklommen und fasziniert. Nicht mehr lange.