Kategorien
Tagesmail

Freitag, 20. Januar 2012 – IQ-Test

Hello, Freunde der Konfitüre,

okay, der Mann muss weg. Er lässt sich von einem Konfitüre-Hersteller einladen! Wieder so ein piefiges Klinkerhüttenniveau. Wenn‘s doch wenigstens ein Drei-Sterne-Elite-Koch auf der Basis ökologischer Heimatprodukte gewesen wäre.

Helmut Karasek, einstiger Literaturnebenpapst unter Reich-Ranicki, bewunderte im Literarischen Quartett die Verherrlichung des Bösen bei Marquis de Sade. Natürlich bedeutet das nicht, er würde das reale Böse in Wulffs Konfitürenabhängigkeit nicht pflichtgemäß verabscheuen.

Dabei zeigt das junge Paar in Bellevue auch bezaubernde Seiten. Von einem Autohändler lässt sich der Präsident aller Bürger ein Bobbycar für seinen Sohn schenken. Zeugt es nicht von staatsmännischer Souveränität, das Vehikel allen Kindern der Bellevue-Besucher zur Verfügung zu stellen?

In Amerika geht’s nur um Sex, wenn man Kandidaten destruieren will, in Deutschland geht’s um Abstauben und Schnorren. Heißt das im Umkehrschluss, Puritaner dürfen nach Belieben das heilige Eigentum verletzen, müssen aber in causa Sex sauber bleiben –  bei den Deutschen umgekehrt? 

Das wäre der alte Streit zwischen sexgefährdeten Händlern des perfiden Albion und eigentumsgefährdeten Helden des sittlich hochstehenden Germaniens. Man könnte auch sagen, die

Angelsachsen nehmen’s nicht so genau mit dem Eigentum anderer Leute, kein Wunder, dass in Amerika der zügellose Kapitalismus zur Religion wurde.

In Deutschland nehmen’s die Lutheraner nicht so genau mit dem Begehren des Nächsten Weibes, kein Wunder, dass die hiesige, äußerst kritische Presse, beim Fremdgehen der Eliten dezent wegguckt und Beate Uhse zu einer Filmheldin avancieren konnte. Vielleicht deshalb, weil die medialen Kuschler beim fröhlichen Dreier persönlich Hand anlegten? Igitt, welch schmutzige Phantasie eines neidgeplagten Piefkes.

Doch echt: vorgestern veröffentliche die saubere SZ ein Foto mit einem lachenden Trio, gefährlich nahe auf derselben Couch sitzend. Eine lockere Angie mit zwei heiter-entspannten Herren aus der Chefredaktionsetage.

Bettgeschichten sind tabu für die generöse Bonn- und heutige Berlinpresse. Kredit- und Konfitürengeschichten aber nicht. In Amerika umgekehrt. Ethnologen und Völkerpsychologen, übernehmen Sie!

Wir leben in der tabulosesten Zeit der deutschen Geschichte, schrieb Broder neulich. Ausnahmsweise irrt er. Auch er konnte noch nicht alle Tabus der Schmuddelrepublik aufdecken. Jetzt breche ich ein ungeheures Tabu, liebe Geschwister, das viele Neu-Gierige kennen, wenn sie denn googeln. Also alle.

Wer keusch in Worten und Werken bleiben will, lese jetzt nicht weiter, er könnte Schaden nehmen an seiner jungfräulichen Seele. (Wer’s nicht glauben will, google unter Bett-Ina Wulff) Meine These: die  Moraltrompeter der Hofberichterstatter schießen auf den Kredit, meinen aber was ganz anderes, das sie jedoch nicht aussprechen dürfen, um sich nicht in ihrer eigenen Tabufessel zu erdrosseln.

Kann es denn sein – meinen sie hinter vorgehaltener Hand –, dass unsere Vorbildfigur in zweiter Ehe mit einer früheren Edelh… verheiratet ist? (Auch ich kann das abscheuliche Wort nur unter innerem Erbrechen als Hieroglyphe an die Wand  werfen!!) Schauten wir bislang nicht mit wohlverdienter Verachtung auf Bunga-Bunga-Präsidenten degenerierter Latin-Lover-Nationen? Und jetzt das?

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, erleben wir eine kollektive Heuchel-Ersatzhandlung unserer Vierten Macht. Schmierige kleine Vorteile sind für die Pressemeute ohne Belang. Staubt sie doch selbst professionell auf allen Ebenen ab, wie Götz Aly wissenschaftlich nachwies. Nein, es geht um das zweitälteste Gewerbe der Welt, dem die blonde Schönheit an des Präsidenten Seite – als sie jung war und das Geld brauchte – einst angehören sollte. Wäre das nicht so, als hätte Wulff die nette Dolly Buster an den Altar geführt? Hier muss jede Toleranz ein Ende haben. Dem wollüstigen Treiben im Palais muss eine unmissverständliche Grenze gesetzt werden.

Wir akzeptieren inzwischen alle Untaten der westlichen Soldateska in Afghanistan, Geheimflüge des FBI mit Folterkandidaten quer über unser Land, das faschistische Guantanamo unserer besten Freunde und die Menschenrechtsverletzungen unserer zweitbesten in Israel: all das sind Peanuts gegenüber einer Edelhure auf dem Königinnenthron. Solch einen Skandal kann sich eine wirtschaftlich boomende, moralisch dennoch sauber gebliebene, Konjunkturlok nicht leisten.

Wehret den Anfängen. Wenn Diedaoben schon sexuell herumschmuddeln, dann nur unter den diskreten Augen einer Presse, die das Privileg des voyeuristischen Schlüssellochs mit niemandem teilen will. Wie lautet ein Schlüsselsatz in SWR-Debatten, wenn’s um Gerüchtebildungen geht? „Namen wollen wir hier doch nicht nennen“.

Bei Habermas nannte man das Herrschaftsinteresse durch Wissen-ist-Macht. Das moralisch ungefestigte Volk darf nicht in Anfechtungen geraten. Für die schlüpfrige Kategorie haben wir schließlich unsere halbseidenen VIPs in BILD. An dieser Ventilfunktion soll der Pöbel sich genügen lassen. Wie lautete der letzte Satz Oswalt Kolles auf dem Sterbebett? „Mehr Licht – beim Sex.“

Allmählich kommt ein Hauch medialer Selbstkritik auf. „Selbstkritik ist im Journalismus fast so selten wie in der Politik“, meint die FR/BZ. Irrtum, es gibt sie gar nicht. Ulrich Jörges, STERN-Ritter ohne Furcht und Tadel, dengelt tatsächlich nicht nur BILD. Welche Edelgazetten haben sich als Steigbügelhalter der tröpfchenweise verabreichten Mailbox-Informationen angedient? Schirrmacher-FAZ und Prantl-SZ.

Auch der SPIEGEL seilt sich behände von Blome ab, nachdem Chef Mascolo in einer Talk-Show in unverbrüchlicher Solidarität neben demselben saß.

In Frankreich geht man mit Affären anders um. Da will die lüsterne Presse sogar wissen, ob die treue Gattin an der Seite des DSK den sexuellen Nimmersatt noch immer liebe. Ist das kein Anschlag der Mittler auf die Liebes- und Gefühlsfreiheit des privaten Citoyen? Wo bleibt der geharnischte Protest des Jakob Augstein gegenüber seinen verwahrlosten französischen Kollegen?

Jetzt wird’s ernst, wir kommen zur rasse- oder gottgegebenen Intelligenz. Sarrazin verwies vor Tagen auf das neue Buch des ZEIT-Wissenschaftsjournalisten Dieter E. Zimmer: „Ist Intelligenz erblich?“, als ob es die Bestätigung seiner eigenen fremdenschmähenden Parolen sei.

Laut TAZ hat Zimmer Sarrazin kritisiert, obgleich auch er an der Vererbung von Intelligenz festhält. Dem Ex-Senator wirft der Hamburger Gentleman vor, mit „muslimischen und jüdischen Genen“ das Thema skandalisiert zu haben.

Die TAZ wiederum attackiert Zimmer, sich um eine eigene klare Stellungnahme herumgedrückt zu haben. Mit der seltsamen Begründung, in diesen brisanten Fragen sei es für einen Deutschen noch immer gefährlich, eine klare Meinung abzugeben.

Hurra, wir leben in einer tabulosen Zeit und haben unsere schmähliche Vergangenheit grandios bewältigt. Das ist zeitlose ZEIT-Seriosität: immer die Biedermänner spielen, dabei geschickt den Schwanz einziehen.

Also Freunde, strengt euch an und nicht gemurrt.

1. Hat Sarrazin, aus Zimmers Sicht, die wissenschaftliche Debatte richtig dargestellt?

2. Hat er sie gar in bester Popper’scher Manier zu falsifizieren versucht?

3. Hat er die richtigen politischen Konsequenzen aus den Hypothesen gezogen?

4. Wenn Ja, hätte er nichts skandalisiert, sondern „mutig ein heißes Eisen“ aufgegriffen.

5. Wenn Nein, hätte er nur sich skandalisiert, denn er hätte sich als Dummkopf erwiesen.

Was also wirft Zimmer der Skandalnudel vor? Hier lässt uns der TAZ-Artikel ratlos zurück.

Keine Edelfeder ist in der Lage – oder sie will und darf es nicht, um das Publikum nicht mit Pedantereien zu „langweilen“ –, einen Stoff methodisch sauber darzustellen und dem Publikum zu vermitteln. Die Grunddevise der Edelschreiber hat Ulrich Greiner von der ZEIT unmissverständlich formuliert. Ist der Stoff noch so unwahrscheinlich, mythen- und zauberhaft – wie die Weihnachtsgeschichte –, macht nichts: Hauptsache, sie ist gut erzählt.

Tagesschreiber müssen nix wissen, Hauptsache, sie können schreiben. Das gute Schreiben oder die Macht des Wortes kompensiert jede Ignoranz und fehlende Sachkompetenz. Auf keinen Fall oberlehrerhaft wirken. Der Leser muss für doof gehalten werden, als könne er zwei klare Sätze nicht hintereinander denken.

Sagt Zimmer: Sarrazin habe zwar wissenschaftlich Recht, nur mit brisanten politischen Folgerungen hätte er sich zurückhalten sollen? Dann hätte er ein salami-taktisches Verhältnis zur Wahrheit, was seine Kollegen bekanntlich Wulff vorwerfen.

Hier erkennen wir die patriarchale Arroganz der Wissenseliten. Nicht alles, was wir wissen, können wir ungefiltert dem Plebs weitergeben. Der kann mit ungeschminkter Wahrheit nicht umgehen. Wir müssen pädagogisch sieben und uns überlegen: wie sagen wir‘s unserem Kind? Bei solch aristokratischer Hybris darf man sich ob des knorrigen Luthertums bei Sarrazin nicht wundern. Er will Wahrheit reden, und wenn die Welt dabei unterginge.

Den Rest können wir kurz halten. Ist Intelligenz genetisch vererbbar? Antwort Zimmer & Sarrazin: mindestens zu 75%. Blieben also 25% zur freien Gestaltung durch das Milieu. Bei Eysenck, dem früheren Matador der Intelligenzforschung, war die Quote noch 80% zu 20%. Das Milieu gewinnt rasant an Boden. Eysenck scheute sich nicht, klare rassistische Folgerungen zu ziehen, die besonders in den USA bei den Linken auf scharfe Kritik stießen. Mit Hilfe von Zahlen, die er von seinem Kollegen Cyril Burt übernahm, stand für den nach London emigrierten Forscher fest: die Schwarzen sind dümmer als die Weißen. Hurra für die weiße Herrenrasse. Dummerweise stellten sich die Burt-Daten später als Fälschungen heraus.

75% und 25% klingen wie Zahlen aus dem chemischen Labor, wo Berliner Schrippen auf Fettgehalt untersucht wurden. Doch von solch absoluten Zahlen der Naturwissenschaften sind Daten der Geisteswissenschaftler so weit entfernt wie subjektive Schätzungen von objektiven Messungen.

Schon die Definition von Intelligenz schwankt von Forscher zu Forscher. Würden Urwaldindios IQ-Messungen vornehmen, würden urwaldkompatible Verhaltensweisen als intelligent ausgezeichnet, ganz andere als in Bayern oder in Sibirien. Intelligenz ist ein kulturabhängiges Konstrukt. Fast schon eine Glaubensfrage.

Es gibt keine Absolutheitsskalen, es gibt nur subjektiv vergebene Ränge. So wenig man sagen kann, Schönheitskönigin X sei um 20% schöner als die zweitschönste Kollegin Y, so wenig lassen sich Rangskalen mit üblichen Rechenarten berechnen. Wer diese Tücken statistischer Grundwahrheiten nicht kennt, dennoch unumstößliche soziale Wahrheiten verkündet, ist ein Scharlatan.

Alle IQ-Forscher, die sich naturwissenschaftlich objektiv geben – einschließlich der Herren Zimmer und Sarrazin – sind Scharlatane. Ihre Daten auf den Müll.

Klar wollen die Mächtigen Macht, Reichtum, Gewitztheit und Verschlagenheit vererben, damit ihr Clan von Generation zu Generation mächtiger werde, die Kennedys überrunde und ins Weiße Haus einziehe. Also wollen sie auch ihre kostbare Intelligenz vererben. Genetisch.

Doch sind Gene überhaupt „vererbungsfähig“? Vergiss es. Gene sind fast leere Blätter. Wer‘s nicht glaubt, sollte mal bei Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard vorsprechen. Die Gene müssen von jedem Individuum in hohem Maße selbst beschriftet werden.

Hätte man im Hochmittelalter IQ-Tests gemacht, hätten hochkulturierte Araber die in tiefen Wäldern hausenden Germanen in den Schatten gestellt. Wären Gene immobile Erbträger, wären die Deutschen heute noch so groß wie Götz von Berlichingen: nicht größer als 1,50 Meter.

Wie passt die Vererbungsstory zum stetigen Fortschrittsglauben der Moderne? Werden wir nun intelligenter als unsere Vorfahren oder nicht? Last, but least: wie passen 25% Intelligenzfreiheit zur 100%ig determinierten Gehirnforschung?

Doch vor allem: selbst wenn die IQ-Forschung hieb- und stichfest wäre, warum müssen Intelligentere mehr verdienen, mehr wert sein in einer Demokratie, wo jeder Bürger gleichberechtigt und gleichwertig ist? Wo jeder Mensch in seiner Individualität willkommen ist und gebraucht wird? Wo jedes Menschen Würde gleich und unantastbar sein soll?

Warum gibt es keine Moral-Tests oder Sozialkompetenz-Tests? Müssten solidarische, empathische Menschen nicht wichtiger sein für eine kalte, auseinanderdriftende Gesellschaft als gefühllose Intelligenzmaschinen?

Weiß noch jemand, dass Nazis hochgebildete Bach- und Mozartliebhaber waren? Weiß noch jemand, dass die Bösewichter in jedem Film IQ-Giganten sind? Weiß noch jemand, dass unsere hochgenialen Techniker und Naturwissenschaftler uns mit ihren Intelligenzprodukten täglich dem Abgrund näher bringen? Weiß noch jemand, dass die Griechen deshalb so intelligent waren, weil sie lernen konnten? Weiß noch jemand, dass einer der klügsten Menschen Europas von sich sagte: Ich weiß, dass ich nichts weiß?

Sokrates hätte jeden Intelligenz-Fragebogen derart auseinandergenommen, dass jeder Tester geheult oder ihm den Schädel eingeschlagen hätte.