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Tagesmail

Freitag, 17. Februar 2012 – Vagina-Monologe

Hello, Freunde der Immunität,

dem Orban-Regime könnte es bald an den Kragen gehen. EU-Parlamentarier erwägen, Ungarn die Stimmrechte in den EU-Gremien zu entziehen, sollte Orban seine umstrittenen Gesetzesvorhaben, etwa zur Einschränkung der Pressefreiheit, nicht zurücknehmen.

Das Amt sei verschmutzt, schreibt Brigitte Fehrle über die Ermittlung des Staatsanwalts wegen Anfangverdachts gegen unsere Nummer Eins. Niemand habe versucht, uns von diesem Bundespräsidenten zu erlösen. „Die Folgen dieser Verschmutzung von Hirn und Herz werden wir alle noch lang spüren“.

Liebe Brigitte: auf dem Teppich bleiben. Wenn Ämter verschmutzt werden könnten, wären sie schon längst unbrauchbar. Dann könnten wir, dann müssten wir sie schon lange weggeworfen haben und von vorne, von einem jungfräulichen Punkte Null an, neu beginnen. Mit einer weißen, garantiert porentief gereinigten Leinwand.

Das ist der uralte platonisch-christliche Traum von Diktatoren, Faschisten und Er-Lösern. Nicht aber von selbstbewussten Problemlösern. Von einem Hallodri-Demokraten müssen wir nicht erlöst werden. Es genügt, ihn

in die Wüste zu schicken. Pardon, ins Klinkerhäuschen. Diesen Vorgang nennt man Demokratie. Solange er funktioniert, funktioniert Demokratie. Was sie bei uns ganz offensichtlich tut. Darauf einen Ouzo.

Dieses faschistoide Grundgefühl der kumulativen Verschmutzung. Jeden Tag eine neue Schicht, den klebrigen Dreck kriegt man im Alltag nicht mehr weg. Das demokratische Leben ist nicht fähig, sich regelmäßig kathartisch zu säubern. Das ist die religiös kontaminierte Grundstimmung, welche Erlösungsreligionen nötig macht.

Und erlöse uns von unserer täglichen Schuld und unserem anschwellenden Unflat. Das ist selbstgeißelndes Mittelalter, direkt unter modernistischem Asphalt.

Früher der wöchentliche Gang zu den Priestern, die uns den innerlichen Schmutz abschabten. „Wie Müll der Welt sind wir geworden, ein Abschaum aller bis jetzt.“ (Heute haben wir keine regelmäßige, mit jenseitigem Siegel versehene Waschanlage für unsere malträtierte Seele. Geschieht einer priestervergessenen Gesellschaft Recht, wenn sie in ihrer Gülle zu ersticken droht.

Wir brauchen, was in Tugendkatalogen – selbst von Säkularen – mit leichter Hand verfemt wird: Selbst-Gerechtigkeit. Gerechtigkeit, die wir uns kraft weiser Vernunft selbst attestieren.

Habe Mut, deine Schuld mit eigenen Augen wahrzunehmen, sie dir selbst zu vergeben, weil du verstanden hast, wie sie zustande gekommen ist und du sie künftig vermeiden kannst. Was du wirklich verstanden hast, steht nicht mehr unter Wiederholungszwang.

Solange das Fehlverhalten sich wiederholt, hast du es noch nicht verstanden. Selbstreinigung durch Lernen, das war die Botschaft eines gewissen hässlichen Satyrs, der für seine selbstgerechte Haltung (nachzulesen in seiner Verteidigungsrede) vor ganz Athen den Giftbecher akzeptierte.

Lernen war nicht äußerliches Reinschaufeln bei innerer Trostlosigkeit und Vergeblichkeit, sondern wirkliches Verändern, Haltmachen, Umwenden und menschenfreundlich werden. Jener Vorgang der Metanoia (des Umdenkens), den Evangelisten abschrieben, zu einem passiven Akt übermächtiger Offenbarungen erniedrigten und in einen religiösen Bußakt verfälschten.

Selbstdenken, selbst entscheiden, selbst verstehen, sich selbst kritisieren, sich selbst verändern, sich selbst schuldig und gerecht sprechen, das war die Entdeckung der Philosophie.

Selbst heißt nicht alleine. Zum Philosophieren braucht man selbst-bewusste Freunde, eine selbst-bestimmende Demokratie, einen auto-nomen Marktplatz. Freundschaft ist das Salz der Demokratie. Mit immunisierter Selbst-herrlichkeit unverträglich.

 

Jetzt mal alle Grünschnäbel weghören. Es geht um des Weibes zweitbestes Körperteil (nach dem Kopf natürlich). Neun weibliche Abgeordnete wollen am 6. März das Theaterstück „Die Vagina-Monologe“ der amerikanischen Autorin Eva Ensler im EU-Parlament aufführen. „Wenn deine Vagina sprechen könnte, was würde sie sagen?“

Geschildert werden eine Vergewaltigung in Bosnien, der erste Lesben-Sex einer 16-Jährigen. In einer andern Passage sollen die Teilnehmer ihre Vagina mit eigenen Händen erkunden. Orgasmusgestöhne und Entsetzensschreie in einem parlamentarischen Raum? Da kriegen männliche Abgeordnete weiche Knie, die ihre Kolleginnen auffordern, in ein Theater umzusiedeln.

Die Veranstaltung will am V-Day auf die omnipräsente Vergewaltigung der Frau in aller Welt aufmerksam machen. Das ist bitter notwendig, noch notwendiger der Hinweis auf die Angst der Männer vor der überlegenen Lustfähigkeit der Frauen, weswegen die abendländische Ehe erfunden wurde, um die orgiastische Überlegenheit der Gehilfin zu disziplinieren.

Typisch die Brecht’sche Assoziation von Lustorgan und Ungeheuer: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das (Scheusal) kroch.“ Womit das biblische Dogma von einem sozialistischen Dichter bestätigt und erneuert wurde: das Böse ist die Erfindung der Frau. Kein Wunder, dass die Autorin den Vornamen Eva trägt.

Die Abwertung der Frau war die Abwertung ihres Lustorgans zur verhexten Kloake. Da übertrafen sich weiberhassende Kirchenväter, die den erbsündigen Menschen zwischen „Schiss und Piss“ geboren sein ließen. (Inter faeces et urinam nascimur).

Urmutter aller Schöße war Eva, die Gegenspielerin des Schöpfers, die sich ihr Wissenwollen nicht verbieten ließ und gegen männliche Duftmarken und Willkürverbote rebellierte und dafür mit Unterjochung unter den Mann und schmerzhafter Schwangerschaft lebenslänglich bestraft wurde.

Für Paulus war die Ehe eine Noteinrichtung zur Verhinderung von Unkeuschheit. „Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren“. Womit das Verbot des Heiratens für katholische Priester eindeutig als anti-paulinischer Ungehorsam entlarvt ist.

Es gäbe bei weitem nicht so viele Kinderschändereien, wenn brünstige Gottesdiener nicht zur Notgeilheit verurteilt wären. Aus Angst vor göttlichen Strafen, aus Furcht vor der männerverschlingenden Vagina dentata (der beißfesten Vagina) müssen ohnmächtige abhängige Jugendliche dran glauben.

Jene neue Übersetzung der Bibel, („Die Bibel in gerechter Sprache“) die alles dran setzt, die Unterlegenheit der Frau ins Gegenteil zu verkehren, ist lächerlich und töricht. Sie hindert die halb-emanzipierten Frauen daran, das Problem Religion mit aller notwendigen Entschiedenheit auf die Hörner zu nehmen.

Daran krankt die Emanzipation der Frau bis heute. Alice Schwarzer greift zwar das muslimische Kopftuchtragen an – ohne übrigens zu realisieren, dass dieses Ritual für viele Musliminnen eine paradoxe Methode ist, sich von der Unterdrückung zu lösen –, doch den religiösen Moloch ignoriert sie.

Ein schwerer Geburtsfehler der Bewegung, seit ihre Mentorin Simone de Beauvoir, Begründerin der Frauenbewegung in der Nachkriegszeit, in ihrem Buch „Das zweite Geschlecht“ die Religion mit links behandelte und das Ziel der voll emanzipierten Frau in ihrer Mannwerdung sah. Bei Simone gründete die Bewunderung des Mannes in der lebenslänglichen Idolisierung ihres Gefährten Jean Paul Sartre.

Weder hat die Bewegung sich die Erkenntnisse Bachofens über das frühe Matriarchat wirklich angeeignet (siehe die Bücher von Heide Göttner-Abendroth), noch die heutigen Ergebnisse der Matriarchatsforschung energisch verteidigt und für den alltäglichen Kampf nutzbar gemacht.

Noch immer können männliche Gelehrte wie der Berliner Rechtshistoriker Uwe Wesel das Matriarchat mit Hohn und Spott als Phantasmagorie abtun.

Ähnlich den Grünen, die ihre zwiespältige Herkunft verdrängen und sich an ihrer Tradition nicht kreativ abarbeiten können, bleibt die Frauenbewegung unhistorisch, unphilosophisch und lässt sich auf oberflächliche Tagesziele reduzieren.

Wie etwa die weibliche Quote in Betriebsvorständen oder die dogmatisch-frauenfeindliche Verträglichkeit von Muttersein und Berufstätigkeit. Durfte sie früher nicht berufstätig sein, muss sie es heute, um ihre Reputation in mehrfacher Belastung nachzuweisen.

Man höre und staune: das höchste Ziel der Frau in der Gegenwart ist, die untertänige Position des Mannes in einer natur- und menschenfeindlichen Ökonomie als das Nonplusultra ihrer Entwicklung zu betrachten.

Die jungen Mütter, die dennoch das Opfer des Zuhausbleibens im Interesse ihrer Kinder freiwillig auf sich nehmen, warten den Rest ihres Lebens vergrämt und vergeblich auf die Dankbarkeit ihrer Familie.

Um die jungen Frauen in die Arbeitswelt zu verlocken – weil man exotische Arbeitskräfte vermeiden will –, hat man ihnen ihr Mutterdasein zu Hause als ein isoliertes, unmündiges und nichtswürdiges Dasein madig zu machen versucht. Wer jemals Mütter am Spielplatz beobachten konnte, muss feststellen, dass die hinterlistige Strategie voll ins Schwarze traf.

Dass man sich als Mütter kollektiv zusammenschließen könnte, um Politik zu machen, Kitas vor Ort zu inspizieren, die oft desolate Kinderpolitik der jeweiligen Gemeinderäte zu überprüfen, den Männern insgesamt auf die Hacken zu treten, auf diese naheliegenden Ideen dürfen sie nicht kommen.

Politische Gespräche am Sandplatz sind tabu. Nicht mal das Private als kollektiv-weibliches Problem in einer männlich beherrschten Welt darf angesprochen werden. Vagina-Monologe an der Rutschbahn wären ein Grund, die lästerlichen Damen für immer zu stigmatisieren.

Die Emanzipation der Frau ist in die babylonische Gefangenschaft der Industriebosse geraten. Erneut hat sie sich ihre politische Kompetenz abschwatzen lassen – gegen das Trinkgeld einer zweiten, untergeordneten Maloche. Wer nicht die Anerkennung der Männer im Berufsleben erhielt, darf sich nicht für gleichwertig halten.

Beide Eltern lassen sich psychisch im Dienst der Tycoons ausbrennen und besitzen keine Energie mehr, um ihre Kinder in wachsamer Fürsorglichkeit zu begleiten. Die Familien werden auf dem Altar des Profits zerlegt.

Die bislang – gewiss nicht idyllische – aber immer noch sicherste Nische des Aufgehobenseins wird im Dienst für den kannibalistischen Chef zunehmend paralysiert. Rund um die Uhr, das Wochenende nicht ausgeschlossen, hat man dem mammonistischen Verwertungsprozess zur Verfügung zu stehen.

So adrett die jungen Mütter sind, so geistesabwesend und innerlich apathisch sind sie. Nur noch übertroffen von ihren kinderwagenschiebenden Männern, die sich gesenkten Auges ins Arbeits- und Hobbyleben abseilen, um wenigstens an der Familienfront ihre Ruhe zu haben.

Noch immer gilt: „Der Mann stammt ja nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann. Denn der Mann wurde nicht um der Frau willen erschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen.“ Heute zu ergänzen: um der männlichen Ökonomie willen. „Denn ein Mann soll das Haupt nicht verhüllen, da er Abbild und Abglanz Gottes ist, die Frau aber ist Abglanz des Mannes.“ () Wie der Mann die Imitation des obersten Mannes im Himmel, so ist die Frau die Imitation ihres gottgleichen Ernährers.

Wie vollständig anders die Lage der Frau im Matriarchat, das keine ausgestorbene Legende, sondern in vielen Gegenden der Welt praktische Realität ist!

Nicht Adam, sondern Eva war die Intellektuelle, die Rebellische und Selbstbewusste. Nicht nur sexuell war die Frau dem Männlein überlegen.

In den meisten Mythologien gibt es Geschichten, „in denen die Menschheit (!!) mindestens einmal durch die Zurschaustellung der Vulva gerettet wurde. Es gab den festen Glauben, dass Frauen, indem sie ihre Röcke heben, Tote erwecken und sogar den Teufel besiegen konnten. Das weibliche Genitale war ein heiliger und heiligender Ort.“ Worüber Mithu Sanyal ein mitreißendes Buch „Vulva, die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“ geschrieben hat.

Im Christentum wurden Tod und Teufel vom Gottessohn besiegt, der an die Stelle der weiblichen Vulva getreten ist. Der gesamte Dreitage-Mythos des sterbenden und wiederauferstehenden Christus ist eine dreiste Kopie der Ishtar-Legende. „Ishtar steht nackt vor sich selbst, und als sie sich anblickt, stirbt sie, inkarniert als Todesgöttin – als tote Göttin –, um nach drei Tagen wieder aufzuerstehen.“

Alle heilenden Kompetenzen der Frau werden von einem unsichtbaren Vater und seinem gemarterten Sohn in Beschlag genommen. Man stelle sich vor, in Bayern würde man an jeder Weggabelung keinen blutigen Mann, sondern die verlockende Baubo sehen, eine griechische Göttin, über die geschrieben steht: „Sprachs und raffte empor die Gewänder und zeigte die ganze Bildung des Leibes und schämte sich nicht.“

Im ausgehenden Mittelalter wurden die Hexen verbrannt, weil sie der spirituellen Despotie diverser Männer, die in Frauenkutten herumliefen, am längsten widerstanden. Sie kannten sich aus in natürlicher Pharmakologie und wussten, wie man Kinder zur Welt bringt. Im germanischen Mittelalter gab es noch selbständige Meisterinnen und Bäuerinnen.

Erst die beginnende Neuzeit führte zur systematischen Erniedrigung der Frau und ihrer Abschiebung ins politik- und weltlose KKK-Dasein. Die jungen Mädchen wurden vollständig entmündigt. Bekamen sie zum ersten Mal ihre Tage, gerieten sie in Todesängste, weil sie glaubten, verbluten zu müssen.

Heute sind die biologischen Kenntnisse vorhanden, doch die psycho-ökonomischen sind dem Diskurs entzogen. Die Frauenbewegung ist in einer Sackgasse.

Im 4000 Jahre alten Inanna-Mythus lehnt die Göttin an einem Apfelbaum, jauchzt über „ihre schön anzusehende Vulva und beglückwünscht sich zu ihrer Schönheit“. Heute müssen junge Mädchen zum Schönheitschirurgen, weil sie fürchten, die Männer könnten ihre Vagina für hässlich halten.

Die Menschheit steht wieder am Abgrund, weil Frauen und Männer sich omnipotenten männlichen Erlöserreligionen untergeordnet haben. Liebe Frauen, lupft eure Röckchen, zeigt eure verborgenen Schatzkästlein – damit wir wieder heil werden.