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Tagesmail

Freitag, 15. Februar 2013 – Faust und Hiob

Hello, Freunde der Erdenfresser,

die einen futtern ihren Heiland, die andern verspeisen die Erde. Der Heiland bot sich kannibalistisch an, er wollte von der Erde ablenken. Ab jetzt gibt’s ein neues Menü, das Menü des Geistes. Geophagen sind Erdenfresser. Nicht aus Hunger, sondern aus Mängelgründen essen Menschen bestimmte Erden. Tiere brauchen diverse Mineralien, um ihren Darm zu reinigen.

Ihr seid von der Erde, ich bin nicht von der Erde, sagt der Erlöser, um seine Jünger von den verdammten Kindern der Erde zu trennen. Und noch mal sage ich, bleibet der Erde treu, sagte Zarathustra. Bleibet? Werdet der Erde treu, wäre besser.

Wenn Menschen geerdet sind, heben sie nicht ab. Abheben tut der Auferstandene, der Himmelsfahrer. Heb nicht ab: mach‘s nicht wie der, der nicht von der Erde sein will. Erde dich: das ist Religionskritik. Die Menschheit ist nicht geerdet. Sie hebt ab und gibt der Erde einen Tritt. Seinen Gläubigen ruft der Papst zu: ent-weltlicht euch. Macht euch nicht gemein mit der Erde.

In Tokio kocht ein Küchenchef Erde und kredenzt sie als Suppe, Gratin und Sorbet. „Der Chefkoch verspricht nicht nur neue Geschmacksrichtungen, sondern auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit: Die Erde soll die Verdauung fördern und wertvolle Mineralstoffe enthalten.“ Menschen seien es einst gewohnt gewesen, Erde zu essen.

Faust wäre Erdenfresser geworden, wenn’s nach Mephisto gegangen wäre. „Staub soll er fressen, und mit Lust: Wie meine Muhme, die Schlange.“ Doch am Ende verliert der Teufel. Seinen Schützling, der ihn übers Ohr haut, zieht‘s hinan. Nach oben. Zu

den Müttern. Mit Verlaub, die Mütter sind nicht oben, mit Erlösung haben sie nichts zu tun. „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“: hier sank der dezidierte Nichtchrist auf die Knie und verriet die Mütter.

Goethe wird heute nicht mehr auseinander genommen, er ist unantasbares Bildungsgut geworden. Wenn die Deutschen sonst nichts zu bieten haben, haben sie wenigstens Bildung und Kultur in der toten Vitrine. Das darf nicht zerredet werden. Das Volk der Dichter und Henker hat keine Henker, aber auch keine Denker mehr.

Das Verspeisen der Erde kann ein Akt der Pietät sein. Es kann auch ein Akt der Destruktion sein. Wir saugen Erde ein und erbrechen sie bulimisch. Alles muss durch uns hindurch, wir aber wollen nichts behalten und verinnerlichen.

Zur Strafe muss sich der Teufel von Staub und Erde ernähren. Himmlische Speise wie Milch und Honig sind den Lieblingskindern vorbehalten. „Auf dem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang.“ „Um deinetwillen ist der Erdboden verflucht.“

Wie lebt‘s sich so, auf einer verfluchten Erde? Man muss sie so schnell wie möglich loswerden. Die überschwängliche Natur wird durch Fluch in eine karge und abweisende Natur verschandelt, die man nur mit Strafmaloche motivieren kann, den Menschen mit Ach und Krach zu ernähren. Von der schmerzhaften Geburt über mühselige Arbeit zwischen Dornen und Disteln bis zur Heimkehr in die verfluchte Erde. „Denn Erde bist du und zur Erde musst du zurück.“ Der ganze Planet eine Strafkolonie.

In der Kafka‘schen Strafkolonie werden Menschen maschinell gefoltert. In der wirklichen Welt werden Natur und Menschen gefoltert. In Tucholskys Rezension heißt es: „Der leitende Offizier erklärt dem fremden Reisenden genau die Konstruktion der Maschine und begleitet jede Zuckung des Gefolterten mit sachverständigen Bemerkungen. Aber er ist nicht roh oder grausam, er ist etwas viel Schlimmeres. Er ist amoralisch.“

Die Barbarei als gewöhnliche Pflicht nannte Hannah Arendt das banale Böse, womit sie viel Unfug angerichtet hat. Der Offizier macht seinen Job, Gefühlserregungen und Theorien mit Schwefelgestank sind nicht erforderlich. Man kann sagen, der Folterer war amoralisch. Wenn man nicht vergisst, dass Amoral auch eine Moral ist.

Niemand ist jenseits der Moral. Wer amoralisch sein will, hat sich aus moralischen Gründen gegen die Moral entschieden. Dies ist seine Moral, die er für richtig hält, selbst wenn er anfänglich Bauchschmerzen hatte, weil sie seine kindliche Moral ins Gegenteil verkehrte.

Seit Katechismusunterricht und den ersten Bibelgeschichten kennt jeder Heranwachsende die Amoral und Bigotterie Gottes. Seine Kreaturen sollen moralisch sein. ER aber kann Menschen nach Belieben abschlachten und Natur stellvertretend für den Menschen bestrafen. Warum sollten Menschen eindeutig moralisch sein, wenn sie bei jeder Bibellektüre das Gegenteil dessen erleben, was sie selbst tun sollen?

Jesus, der Nächstenliebende, segnet den Weizen und verflucht das Unkraut. Wo bleibt die Liebe zum Unkraut? Der Zimmermannssohn ist amoralisch, seine Moral vieldeutig. Die Theologen haben den Begriff Antinomismus (= gegen das Gesetz) für das, was Tucholsky Amoral nennt. Tucholsky täuschte sich, als er die Amoral nicht mit Christentum in Verbindung bringen konnte. Antinomismus steht über jeder Moral und jenseits von Gut und Böse.

Nietzsches Formel war eine christliche, was er nicht sehen konnte. Wer auf Gottes Seite steht, wer in Christo ist, der ist an kein Gesetz mehr gebunden. An kein Moralgesetz, das eindeutig gebietet und verbietet. Die Wiedergeborenen haben die eindeutigen Gesetze hinter sich gebracht. Wer im Heiligen Geist ist, kann tun und lassen, was ihm sein unfehlbares Herz sagt. Er soll nicht töten? Im Prinzip schon. Doch wenn Gott es für nötig hält, muss er in Blut waten.

Alle Taten hängen von der rechten Motivation ab. Wer die besitzt, weil er in Gott ist, für den gelten keine Regeln mehr. Liebe – und tu, was du willst. Sündige tapfer – aber glaube. Nicht nur der Stellvertreter Gottes ist unfehlbar, jeder Christ ist es, wenn er eine neue Kreatur geworden ist.

Der leitende Offizier in der Strafkolonie ist ein Gläubiger, der für Nächstenliebe hält, was er täglich tut. Warum sollte er Skrupel haben? Arendt hatte falsche Vorstellungen von der Agape. Sie idealisierte Augustin und die christliche Liebe, wie viele gelehrte Juden das Christentum für das bessere Judentum hielten. Das banale Böse ist das Antinomische, das es auch im Judentum gibt, wie Gershom Sholem in seiner Biografie des jüdischen Messias Sabbatai Zwi beschrieb.

Erlösungsreligionen haben keine eindeutige Moral. Sie sind Herren der Moral. Nietzsche nennt die Menschen jenseits der Moral Übermenschen, rechtwinklig an Leib und Seele, zur „Sünde“ gar nicht mehr fähig. Was immer sie tun, es ist richtig, weil sie es tun. Nietzsches Idealmenschen sind identisch mit den perfekten Heiligen, die zu keiner Sünde mehr fähig sind. Das Gesetz ist für sie abgetan, sie sind das Gesetz.

Steht Gott unter dem Gesetz der Vernunft? Bewahre, sonst wäre er nicht allmächtig. Sein Wille steht über allem und ist unangreifbar (=Voluntarismus). Steht Gott unter dem Gesetz der Moral? Das sei ferne. Sonst wäre Gott nicht frei. Frei sein heißt für Voluntaristen und Antinomiker, jenseits der Vernunft und der Moral stehen. Wer weder an Vernunft noch an Moral gebunden ist, der ist ein Übermensch.

Nietzsche hat einige untergeordnete Seiten des Christentums kritisiert. Doch der Kern seines Willens zur Macht, sein Loblied auf die kühnen und kalten Übermenschen, die sich selbst Gesetz sind, ist die Erfüllung des Christentums. Man lese dazu das Buch „Der Übermensch“ von Ernst Benz, der die Lehre vom Übermenschen auf den johanneischen Vers gründet: „Ich habe euch noch viel zu sagen: aber ihr könnt es jetzt noch nicht ertragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommen wird, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.“ ( Neues Testament > Johannes 16,12 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/16/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/16/“>Joh. 16,12 ff)

Erst der Heilige Geist, der kommen wird, wird die ganze Wahrheit den Jüngern mitteilen und sogar den Auferstandenen an Erkenntnis überragen. Die wahren Jünger werden weiser und klüger sein als ihr Herr und Heiland. Das Zukünftige wird er ihnen vollständig enthüllen.

Hier gründet der amerikanischen Zukunftsoptimismus, der sich im Neoliberalismus die ganze Welt erobert hat. Das christliche Credo hat in der Maske der Ökonomie die Welt überwunden. Den Christen erkennt man schon lange nicht mehr am Herplappern gestanzter Formeln, sondern am Tun – des Überwindens der Welt. Alles, was die Erde schändet, geschieht im Auftrag des Befehls: macht euch die Erde untertan. „Das ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube.“ ( Neues Testament > 1. Johannes 5,4 / http://www.way2god.org/de/bibel/1_johannes/5/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_johannes/5/“>1 Neues Testament > 1. Johannes 5,4 / http://www.way2god.org/de/bibel/1_johannes/5/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_johannes/5/“>.Joh. 5,4)

Kehren wir den Satz um, erhalten wir: alles ist Glaube, was die Welt überwunden hat. So folgerichtig der nächste Vers: „Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?“ Es gibt also einen anonymen Glauben. Das ist einer, der gar nicht weiß – und nicht wissen muss –, dass er glaubt. Er glaubt nicht mit Worten, sondern mit Taten. Der echte Jünger muss nicht Ja sagen, er muss Ja tun.

Sind die kirchenkritischen Massen auch christentumskritisch? Das dualistische Christentum haben sie schon lange in hohem Maß humanistisch überwunden – aber sie wissen es nicht. Denn was in heiligen Schriften geschrieben steht, ignorieren sie hartnäckig. Dunkel befürchten sie, wenn sie die biblischen Geschichten mit Bewusstsein lesen würden, müssten sie auf der Stelle Reißaus nehmen. Sie brauchen die Anbindung an eine mächtige Institution, an Väter, an denen sie sich streitig abarbeiten können.

Wie wäre sonst erklärlich, dass sie alles dran setzen, störrische Greise zu ihrem humanen Weltbild zu bekehren und die Kirche an die Lebenswelt der Moderne heranzuführen? Wissen sie nicht, dass die Welt sich der Überwelt anzupassen hat und nicht umgekehrt? Sie wissen es nicht und wollen es nicht wissen. Sie sagen nicht Jaja und nicht Neinnein. Aus biblischer Sicht sind sie Laue, die der Herr aus seinem Munde speien wird. Genau davor haben sie Angst. Also müssen sie abhängig bleiben von Lob- und Segenssprüchen jener, die sie selbst nicht anerkennen können.

Die meisten Menschen sind ich-schwache Humanisten, die sich nicht trauen, ihre überlegene Menschlichkeit auf ihre eigene Vernunft zu gründen. Sie bedienen sich nicht des eigenen Verstandes. Machen wir ein Experiment und verdonnern eine Handvoll repräsentativer Christen zu einer Dauerlesung der heiligen Schrift. Trauten sie ihrem eigenen Verstand, würden sie mit Entsetzen den schrecklichsten Texten der Weltliteratur entfliehen.

Werden sie gelegentlich mit Texten konfrontiert wie den folgenden: „Wenn jemand ein anderes Evangelium predigen würde als das, was wir gepredigt haben, so sei er verflucht!“, sind sie überzeugt, das dürfe man nicht wörtlich nehmen. Das müsse einen geheimen Sinn haben, den sie nicht kennen – die Greise in Rom werden ihn mit Bestimmtheit kennen und ins Moderne übersetzen können.

Das machen die mit links, indem sie schlicht und einfach den „Fundamentalismus des Wörtlichen“ vom Tisch fegen und ihre zeitgemäßen Kommentare in die alten Texte hineinprojizieren. Das ist der Grund der deutschen Leseschwäche. Natürlich können die meisten Buchstaben entziffern. Da man ihnen aber von Kindesbeinen an eingebleut hat, ohne väterliche Sehhilfen die Bibel nicht zu verstehen, haben sie ihre Verunsicherung auf alle profanen Texte übertragen.

Das Volk des Buches kann keine Bücher lesen. Legt man ihnen heikle Texte ihrer Autoritäten vor, bemühen sie Hölle und Himmel, um aus anstößigen Stellen etwas Reputables zu machen. Immer müssen sie ihre Priester und Pfarrer verteidigen, auch wenn jene noch so viel Unsinn verzapfen. Sie wollen nicht glauben, dass jene dem nackten Text der Schrift nicht vertrauen.

Was in der Tat so ist, denn jene betreiben dasselbe Geschäft der kreativen Zerstörung wie die Ökonomen. Sie nennen es Schriftdeutung oder Hermeneutik. Wie unrentable Betriebe geschlossen werden, um neue an ihre Stelle zu setzen, so müssen „unrentable Texte“ umgepolt werden, damit die bisherigen Schandflecke der Schrift übertüncht werden können.

Das Ausradieren der Neger aus Jugendbüchern beruht auf demselben Prinzip. Was uns nicht mehr passt, muss ungeschehen gemacht werden. Nicht durch plumpe Täuschungen, sondern durch erhöhten Aufwand an interpretativer Phantasie. Wer am besten tricksen und täuschen kann, ist der beste Hermeneutiker.

Dies alles steht in fester Tradition der Frohen Botschaft. Wer den Heiligen Geist verinnerlicht, hat Jesus überwunden. Muss sich nicht mehr sklavisch an Texte halten, sondern kann sie selber schreiben. Leider stehen die meisten nicht zu dem, was sie in bester antiautoritärer Manier mit den Heiligen Texten anstellen. Sie schreiben alles neu, tun aber, als seinen die alten Texte unverändert.

Was Schrift ist, bestimmen noch immer sie selbst – bis der nächste Schriftgelehrte um die Ecke biegt und sie zu einer neuen Deutung ruft. Plötzlich werden aus kühnen Humanisten kleine Kinder, die in die Hosen machen, wenn Papa nach Hause kommt. Der Stand der Dinge wird sich erst ändern, wenn alle Söhne und Töchter nicht mehr zum gütigen Vater im Himmel kriechen, um ihre Anerkennung von oben zu erhalten.

Die Defizite an Selbstbewusstsein könnten erst ausgeglichen werden, wenn die Menschen sich selbst anerkennen. In welchem Maß die Menschen Hüter der Offenbarung als anerkennende Autoritäten benötigen, in dem Maße bleiben sie sich etwas schuldig. Wären Menschen geschwisterlich, könnten sie auf falsche Väter verzichten.

In der Freud‘schen Urhorde schlossen sich die Brüder zusammen, um den Vater zu töten und die Mutter für sich zurückzugewinnen. Wenn Mutter für Erde steht, hat der Mythos einen Sinn. Noch sinnvoller wäre es, wenn Mütter sich zusammenrotteten, sich dem Kapitalismus nicht unterordneten und die Männer zum Teufel jagten, um ihre Kinder für sich zurückzugewinnen.

Die Kinder der Mütter haben keine Lebenschance auf Erden, solange die männliche Verfluchung der Erde nicht gestoppt wird. Freud war ein Mann, die Sehnsucht der Kinder nach der Mutter belegte er mit dem Inzestverbot. Mit Mutter Erde das erotische Fest der Wiedervereinigung zu feiern, wäre die Überwindung der männlichen Verfluchung der Erde. Ohne Überwindung des ökologischen Inzestverbots wird der gottgleiche Mann auch in Zukunft Mütter und Kinder trennen und beherrschen.

Christen dürfen ihren Sinn nicht auf die Erde richten. „Richtet euren Sinn auf das, was droben ist und nicht auf das, was auf Erden ist.“ ( Neues Testament > Kolosser 3,2 / http://www.way2god.org/de/bibel/kolosser/3/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/kolosser/3/“>Kol. 3,2) „So hoch der Himmel über der Erde ist, so viel sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken höher als eure Gedanken.“ Selbst kritischste Kirchenkritiker sind überzeugt, dass die Gedanken der Priester ihre eigenen um ein Vielfaches überragen.

Hiob hat das Aufbegehren deutscher Kirchenrebellen um Jahrtausende vorweg genommen. Erst wollte er mit dem himmlischen Greis rechten. Als jener energisch sein Imponier- und Drohwort sprach, kuschte er und kroch zu Kreuze:

„Darum habe ich geredet in Unverstand, Dinge, die zu wunderbar für mich, die ich nicht begriff. Darum widerrufe ich und bereue in Staub und Asche.“ Staub ist Erde. Wer sich mit Erde bedeckt, zeigt vor dem Himmel seine Reue.

Hätte Hiob Kant studiert, wäre die Chose anders ausgegangen. Zwischen Gottesfighter Hiob – dem Vorbild des Goethe“schen Faust – und Kant liegen mehr als 2000 Jahre. Da haben die Deutschen noch viel Zeit, um den Königsberger einzuholen. Luja sog i.