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Fortschritt

Hello, Freunde des Fortschritts,

Steve Jobs – nomen est omen – ist ein Held des Fortschritts, der viele Jobs vernichtet – und wenig neue schafft. Wenn immer mehr Menschen sich immer mehr neue Jobs aus den Fingern saugen müssen, weil sie ihre vertrauten Jobs durch stets neue Maschinen verlieren, reden wir von Fortschritt.

Altes wird gnadenlos vernichtet, Neues aus Nichts erschaffen. War das Alte schlecht, beschwerlich und menschenfeindlich, könnte das Neue gut, erleichternd und menschenfreundlich sein. Doch ist es so? Dann wäre das Voran- oder Fortschreiten ein philanthropischer Akt.

Ob der technische Fortschritt tatsächlich ein Fortschritt im Guten ist, könnte man nur beurteilen, wenn man Altes und Neues an einem einheitlichen Maßstab messen und beurteilen würde. Da Voranschreiten ein Geschehen in der Zeit ist, müsste der Maßstab zeiten-unabhängig, zeiten-übergreifend oder zeitlos sein.

Was aber, wenn die Vertreter des Neuen einen solchen Maßstab ablehnten, weil es in der Zeit nichts Zeitloses geben könne? Zeit selbst sei der Urprozess unaufhaltsamen Fortschreitens, das überzeitige Maßstäbe vernichte und Neues täglich aus Nichts gebäre, welches sich nur messen ließe am stets neu geschaffenen, eigenen Maßstab?

Das Neue erschaffe sein eigenes Maß? Dann könnten wir nicht beurteilen, ob das Neue wirklich menschlicher Fortschritt sei. Uns bliebe nur, den Erneuerern

Glauben zu schenken.

Ein Mensch, der sich für so unvergleichlich hielte, dass er allgemeine Maßstäbe zu seiner Bewertung ablehnte, müsste sich für Gott halten, der alle menschlichen Kriterien als Blasphemie verurteilte: Macht euch kein Bildnis, noch Gleichnis.

Doch halt, sollte blinder Glaube in der Geburtsstunde der Moderne nicht durch Fortschritt ersetzt werden, erkennbar an objektiv-sinnlicher Wahrnehmung und überprüfbar durch allgemeine empirische Erfahrung? (Empeiria ist Erfahrung)

Wollten Wissenschaft und Technik kirchlichen Glauben nicht ersetzen durch objektive Erkenntnis- und Überprüfungsmethoden, die allen Menschen zugänglich sind, unabhängig von Konfession, Herkunft und Kultur?

Wenn technischer Fortschritt nur Fortschrittsglauben wäre, könnte die Moderne nicht säkularisiert oder verweltlicht genannt werden: sie wäre Verwandlung des Glaubens in konkrete, sachhaltige Lebenswelt für alle. Der Glauben, der Berge versetzen kann, hätte Berge versetzt. Objektive Wissenschaft hätte subjektiven Glauben in objektive Realität verwandelt, die mit Herrschaftswissen die Welt eroberte.

Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, mussten fremde Kulturen die überlegene Sachlichkeit des Westens übernehmen, indem sie deren sachliche Hülle zusammen mit dem schwer erkennbaren theologischen Kern schlucken mussten. Methodisch ist westliches Herrschaftswissen objektiv, dem Endzweck nach gläubig-subjektiv.

Auch wenn andere Kulturen den Glauben des Westens ablehnen: übernehmen sie Technik und Wissenschaft als Machtmethoden, um sich des Westens zu erwehren, müssen sie das verborgene Ziel der Sachlichkeit – macht euch die Erde untertan – selbst dann übernehmen, wenn sie diesen Glauben verabscheuen.

Versteckt hinter Sachlichkeit, eroberte der abendländische Glaube den ganzen Planeten. Nicht-christliche Kulturen, die sich der raffiniert verpackten Despotie des Westens entziehen wollen, müssen Kern und Schale trennen und eine konfessionsunabhängige Technik entwickeln. Das trojanische Pferd ist die Technik, die allen Völkern Vorteile verspricht, doch im Bauch des Pferdes verstecken sich Mächte des Glaubens, die die Erde in ein apokalyptisches Inferno verwandeln sollen.

Das Dilemma der nichtchristlichen Welt: a) Würde sie die westliche Herrschaftstechnik aus ökologischen Gründen ablehnen, hätte sie keine Chancen, der Dominanz des Westens zu entgehen. b) Lehnt sie diese nicht ab, wird sie zur unfreiwilligen Handlangerin des westlichen Glaubensprozesses, der die irdische Welt in selbsterfüllender Prophezeiung in Trümmer legen will.

„So hat Steve Jobs die Welt verändert“, predigt sein Nachfolger Tim Cook den Absolventen der George Washington Universität und der ganzen Welt. (BILD)

Die prophetische Mimik Cooks – siehe Foto – ähnelt der jedes durchschnittlich amerikanischen Massenpredigers (wie Billy Graham) aufs I-Tüpfelchen. Amerika missioniert die Welt nicht mehr mit Jesus, sondern mit Technik und Jobs – die Jesus verborgen in sich tragen.

Wie hat Jobs die Welt verändert?

Erste Antwort: indem er die Welt verändert hat. Man wiederhole nur oft genug die Zauberformel, bis sie ihr magisches Werk erfüllt hat.

„Jobs Vision war, Geräte zu schaffen, die leicht benutzbar sind, Werkzeuge, die Menschen ermöglichen, ihre Träume zu verwirklichen, fuhr er fort: «Ich saß plötzlich gegenüber diesem Typen in seinen Vierzigern, der mir über seine Vision erzählt, die Welt zu verändern.»“

Welche Träume, welche Vision?

Zweite Antwort: „Gutes zu tun und erfolgreich zu sein, würden einander nicht ausschließen“. So habe das Mantra Jobs gelautet.

Was ist gut?

Dritte Antwort: Die Arbeit zu verändern. Heißt verändern, Arbeit erleichtern?

„Wenn wir großartige Produkte herstellen, können wir ebenfalls Positives in der Welt bewegen.“

Eine gläubige Hülse wird mit der nächsten beantwortet. (Rhetoriker sprechen von leerer Redundanz. A wird definiert durch A). Welche Produkte sind großartig, welche positiv? Noch immer keine Antwort. BILD, im Bann überidentischer Amerika-Idolatrie, verkündet den Ruhm des Steve Jobs in alle Welt.

Allmählich wird’s konkreter: „Cook nannte als Bespiel, wie Apples iPads, Macs und iPhones Menschen zusammenbringen zur Kommunikation mit Freunden und Familie. Oder wie Blinden eine neue Welt erschlossen wurde.“

Blinde sehend zu machen, ist eine wahrhaft nützliche Tat. Jobs Vorbild Jesus benötigte zu diesem Zweck nur seinen heiligen Speichel. Jobs braucht ein ganzes Universum.

„Da er solches gesagt, spützte er auf die Erde und machte einen Kot aus dem Speichel und schmierte den Kot auf des Blinden Augen und sprach zu ihm: Gehe hin zu dem Teich Siloah (das ist verdolmetscht: gesandt) und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend.“

Benötigt man zur Kommunikation mit Freunden komplizierte, teure Maschinen? Genügten bislang nicht Briefe, Telefonieren, Besuche und gemeinsame Treffen? Sind persönliche Gespräche nicht sinnvoller als technische Ferngespräche? Man sieht und erlebt den Gesprächspartner als lebendes Wesen, kann seine Körpersprache und emotionalen Reaktionen wahrnehmen. Kinder wollen keine weit entfernten Eltern, sie wollen ihre Lieben sehen, spüren, mit ihnen spielen, raufen, sich trösten lassen. Nur zur Not akzeptieren sie maschinelle Hilfen. Liebende desgleichen, auch wenn sie sich an professionelle Fernbeziehungen gewöhnt haben.

Solche Zauberwerkzeuge seien auch nützlich zur „Enthüllung von Unrecht wie Polizei-Brutalität.“ Er meint wohl, zum Beweis von polizeilicher Brutalität vor Gericht. Enthüllen kann man solche auch durch persönliche Anzeigen. Erforderlich wären dazu freilich mutige Kämpfer für Menschenrechte. Oder aufrechte Citoyens, die sich kein Unrecht gefallen lassen. Solche erhält man durch eine demokratische Erziehung und durch Ermunterung, sich nichts gefallen zu lassen.

Tiefliegende Defekte der nationalen Politik sollen durch bloße Maschinen kompensiert werden? Bilder von Unrechtstaten kann man wohl anfertigen, dennoch braucht es Zivilcourage, um seine Beweise im Gericht vor den Augen der mächtigen Schuldigen vorzulegen. Werden die Angeklagten (wie etwa bei Prozessen gegen die Mafia) nicht auf die Idee kommen, sich an den mutigen Zeugen zu rächen? Aller technische Fortschritt wäre für die Katz, wenn es keine moralisch-politischen Fortschritte in Schulen und in der Öffentlichkeit gäbe.

Vierte Antwort: „Laut Cook sollten Firmen nicht die Vision verlieren, das Leben aller verbessern zu wollen. Jobs hätte ihm eingetrichtert: «Eine Firma, die Werten folgt, kann wirklich die Welt verändern.»

Redundante Redundanz. Eine Vision haben, heißt, das Leben aller zu verbessern; das Leben aller zu verbessern, heißt, Visionen haben. Visionen haben heißt, Werten zu folgen. Werten zu folgen, heißt, die Welt verändern wollen. Ist verändern identisch mit verbessern? Im Herrschaftsbereich des modernen Fortschrittsglaubens: ja. Welchen Werten aber soll man folgen?

Fünfte Antwort: „Er mahnte, moralische Werte als Kompass zu verwenden. «Eure Werte sind wichtig, sie sind euer Nordstern», sagte Cook mit ernstem Tonfall: «Sonst ist es bloß ein Job, und das Leben ist zu kurz dafür» Vor allem: Es gäbe Probleme zu lösen und Unrecht zu beenden.“

„Eure Werte“ sind die Werte aller Zuhörer. Sind diese gleich viel wert? Was ist, wenn potentielle Terroristen oder Kriminelle im Publikum säßen, die Maschinen als Werkzeuge des Verbrechens erbeuten wollten? Woher kennt Prediger Cook die Werte seiner Zuhörer? Setzt er voraus, dass amerikanische Elite-Absolventen nur wertvolle Werte besitzen? Nationale christliche Werte? Die man nicht erwähnen muss, weil sie sich von selbst verstehen?

Das Christentum ist ein Sammelsurium verschiedenster Werte. Die obersten Leitwerte aber sind antinomische. Wenn sie vom Heiligen Geist erfüllt sind, stehen Fromme über allen Werten. Gutes und Böses ist für Erleuchtete identisch.

Unrecht zu beenden ist wunderbar. Sind die besten Mittel, Unrecht zu beenden, nicht die Rechtsorgane eines intakten Rechtsstaates? Ist das beste Mittel, Unrecht prophylaktisch zu vermeiden, nicht die Erziehung zur Mündigkeit? Wären Maschinen die Zauberlehrlinge des Rechts: müssten wir nicht längst in einem paradiesischen Rechtsstaat leben angesichts unendlicher Maschinen, die uns bereits umgeben?

Gab es nicht bei jeder Erfindungswelle neuer Maschinen die akkurat selben Verheißungen auf ein endgültiges irdisches Paradies? Obwohl die neuen Maschinen selbstdenkende Intelligenzmaschinen sein sollen: ist ihr Gebrauch nicht von Menschen abhängig, die sie bedienen müssen? Werden gute Menschen sie nicht zu guten, schlechte zu schlechten Zwecken benutzen? Sind sie nicht noch immer abhängig von alten Menschen? Wer aber erzieht die Menschen zum Besseren, damit sie ihre Maschinen zu guten Zwecken und nicht zu bösen anhalten?

Hieß es nicht: Werkzeuge seien neutral? Ihre Benutzung hinge davon ab, wer sie zu bedienen versteht? Kann man mit Intelligenzmaschinen nicht die Welt ausspähen, Flugzeuge zum Absturz bringen, sich in fremde Systeme hacken, um sie zu beschädigen? Erweckt Mr. Cook nicht den Eindruck, seine Maschinen seien – unabhängig von ihren Besitzern – automatisch gut?

Gab es nicht oft genug in der Geschichte den Wahn, Maschinen könnten stellvertretend für Menschen handeln? Und immer wurde der Wahn von der Erlösung durch Maschinen grausam enttäuscht? Bedeuteten neue Maschinen nicht neue Macht? Bedeutete neue Macht nicht neue Unmenschlichkeit? Wissen blinde Fortschrittspropheten nichts von der Geschichte der Technik? Nichts von der unrühmlichen Geschichte technischer Verheißungen und Verwüstungen? Nichts von der automatischen Umwandlung ach so toller Maschinen in abschreckende Waffensysteme? Je toller die Maschine, je verheerender die Waffe, die aus ihr wird?

Silicon Valley ist die technische Fortsetzung aller bisherigen religiösen Illusionsmaschinerien – ohne den geringsten Anflug von Selbstkritik. Ohne das geringste Bewusstsein von den Gefahren einer stellvertretenden Verbesserung des Menschen durch tote Maschinen. Amerika befindet sich auf dem Gipfel der gottähnlichen Omnipotenz:

„Einimpfen wollte Cook den Absolventen auch ein weiteres Leitmotiv von Jobs: «Nichts ist unmöglich.»

Sollte das Leitmotiv des Steve Jobs zum Motto der Welt werden, würde die Menschheit an ihrer Gottähnlichkeit krepieren. Menschliche Gebrechen sollen nicht auf menschliche Weise – also durch Denken, politisches Handeln, Verstehen, Menschen als gleichwertige Wesen akzeptieren – kuriert werden. Sondern stellvertretend durch tote Maschinen, die man hochjubelt zu unsterblichen Wesen, die alle Menschen an Moral und Intelligenz übertreffen.

Maschinen handeln Pro Nobis. Das christliche Stellvertreterprinzip hat die Stufe der technischen Superlative erreicht. In der Rettung seiner Geschöpfe hatte der Schöpfer versagt. Also erfand er einen Sohn aus Nichts, der stellvertretend Für IHN die Sündenkrüppel erlösen sollte. Der Gottessohn starb Pro Nobis. Um unsere Schuld stellvertretend zu tilgen und unsere Bosheit fleckenlos zu beseitigen.

Was Jesus für seinen Vater war, ist die Maschine für den Menschen. Sie kann alles, wozu der Mensch partout nicht fähig ist. Die Maschine ist Jesus in zweiter Potenz oder der maschinengewordene Erlöser.

Hier sehen wir, wie die Erlösungsphantasien der Hippie-Anfänge zur Anbetungsindustrie allmächtiger Maschinen werden konnten.

Sokrates wollte ein Stachel im Fleisch der Athener sein, um sie zu ermutigen, humane Wesen zu werden. Seinem Schüler Platon ging alles zu langsam. Also erfand er die urfaschistische Erlösungsmaschinerie des perfekten Staates, der mit Gewalt die Menschen zur Vollkommenheit zwingen wollte.

Die Hippiebewegung begann mit pädagogischen, gruppentherapeutischen und politischen Methoden. Als den ehrgeizigen Jüngelchen alles zu langsam ging, wandten sie sich ab von subjektiven geistigen Methoden und stürzten sich auf objektive Algorithmen. Beim Programmieren und Konstruieren kann der Mensch bleiben, wie er ist. Seine Jesus-Automaten tun alles Für Ihn.

„Gott beweist aber seine Liebe gegen uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ „Der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.“

Ehedem war es der Geist, der unserer Schwachheit aufhalf. Nun ist der Geist zur Maschine mutiert, die all unsere Schwächen kompensiert und heilt.

In der Stoa gab es Fortschritt nur im Erlernen der Tugend. Zenon beobachtete die Stadien des moralischen Fortschritts mit scharfen Augen. In der modernen Aufklärung gabelte sich die Idee des Fortschritts. Für wenige blieb Fortschritt ein moralischer Auftrag. Condorcet „vertrat die Ansicht, dass der Mensch von Natur aus gut und zur Vervollkommnung seiner intellektuellen und moralischen Anlagen fähig sei“. Doch für die meisten Aufklärer wurde Fortschritt zum technischen Allheilmittel, dem nichts unmöglich sei und das Paradies auf Erden zurückgewinnen könne.

Norbert Wiener nannte die ersten Intelligenzmaschinen Automaten, die Menschen ersetzen und überbieten sollten. Manche sprachen auch von Verantwortungsautomaten. Automaten sind Maschinen, die alles selbst können. Der Mensch soll überflüssig werden.

Von dieser Vision sind die genialsten Computer der Gegenwart noch himmelweit entfernt. Noch ist der Mensch absolut notwendig, um seine Intelligenzmaschinen selbst zu bedienen. Solange er noch unersetzlich ist, werden Maschinen tun müssen, was fehlbare Menschen von ihnen verlangen – und also Fehler produzieren. Der Traum vom automatischen Automaten wird sich als Alptraum erweisen.

Das Bedürfnis technisch genialer, aber sozial unterernährter Konstrukteure, „Menschenfunktionen durch Automaten nachzuahmen, zu steigern und zu überbieten“, trieb die Naturwissenschaftler zur „Utopie einer künstlichen Menschenerschaffung.“ Die Visionen eines Ray Kurzweil von einem künstlich erschaffenen, unsterblichen Menschen sind hier vorweggenommen.

Es waren die Schüler des Francis Bacon, die in der Londoner Royal Society die philosophischen Grundlagen des heutigen Fortschrittsglaubens legten. Nutzen durch Wissenschaft, das war das Programm Bacons gewesen.

Bischof Thomas Sprat versprach in einer Programmschrift von 1667 „die Mehrung menschlicher Macht und unsterblichen Ruhm durch eine ununterbrochene Reihe von Erfindern. Vor der Menschheit liege grenzenloser Fortschritt, der „ohne Berücksichtigung von Fragen der Theologie, Moral, Metaphysik und Politik“ nach der Herrschaft über die „unterentwickelten Völker“ greifen würde.

Das bisherige, auf Predigen beschränkte Missionsprinzip sollte ersetzt werden durch Technik, die sich aller Fragen der Politik und der Moral entledigen würde. Vervollkommnung durch Moral und Einsicht sollte durch wissenschaftliche Fortschritte überwunden werden. Der unendliche Fortschritt der Menschheit wurde dem unendlichen Fortschritt des Wissens übergeben. „Die wahre Physik erhebt sich zu einer Art Theologie“, formulierte Fontenelle in seinen „Gesprächen über die Vielzahl der Welten.“

Für Bacon war Wissenschaft die technische Fähigkeit, die Folgen des Sündenfalls zu überwinden und einen neuen Garten Eden aus menschlicher Kraft zu erschaffen. Ein ungeheures Machtgefühl verbreitete sich unter den ersten großen Naturwissenschaftlern. Wenn Wissenschaft spricht, verwandeln sich Erde und Himmel, schrieb Galileo Galilei.

An die Stelle der Kirche war die Forschung getreten. Nur geistlich inspirierte Forscher waren in der Lage, der Natur jene Geheimnisse zu entreißen, die eine eschatologische Erfüllung auf Erden verhießen. Das Christentum verwandelte sich aus einem moralisch folgenlosen Bekenntnisglauben in eine wirksame Wissenschaftsreligion, die die Welt überwinden sollte.

Der gläubige Mensch wurde zum Arbeiter im Weinberg Gottes, der sich in einen gottgleichen Schöpfer verwandelte. Moral war überwunden. Technik sollte vollbringen, was der Mensch niemals leisten konnte. Der Mensch wurde Gott und sandte seinen Sohn, die neue Maschine, auf Erden, um den Schwächen des Menschen aufzuhelfen. Die Maschine wurde zum Pro Nobis der lernunfähigen, sündenverkrüppelten Menschheit.

Auch Marx gehörte zu den Anbetern der Newton‘schen Wissenschaftsreligion, die zum eisernen Bestand des naturvernichtenden Kapitalismus wurde.

In der „Vergöttlichungsevolution“ durch grenzenloses Wissen und perfekte Technik sah Ernest Renan das Pauluswort erfüllt: „damit Gott alles in allem sei.“ Wenn die „ungeheuerliche Gewalt“ der Wissenschaft auch menschliche Opfer erfordere, wenn sie „die alte Erde zu Mörtel zerriebe, um neue Welten aus ihr zu bauen, sei für Renan der Sinn der Menschheit erfüllt, „die Allmacht Gottes zu organisieren.“

In Silicon Valley, der technisch-religiösen Machtzentrale der Menschheit, wird niemand diese Zeilen des Franzosen Renan kennen. Amerika will von seinen europäischen Wurzeln nichts wissen. Ex nihilo will es sich in allen Dingen selbst erfunden haben.

Merkwürdig nur, dass die Anbeter der Algorithmen alles unternehmen, um die alte Erde zu Mörtel zu zerreiben und neue Welten aus ihr zu erbauen. Wenn Silicon Valley rechnet und programmiert, verwandelt sich die Erde in einen neuen Himmel.

Oder nicht.