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Erlöserfaschismus

Hello, Freunde der Hölle,

die es im christlichen Kulturkreis nicht geben kann. Denn anständige Christen fürchten und hassen die Hölle. In modernen Zeiten, in denen sich der christliche Glaube als menschenfreundlicher Humanismus tarnt, wird die Hölle von den Kirchen vorübergehend abgeschafft.

Hölle, fragte Ex-Bischof Huber lachend seinen katholischen Amtsbruder in einer Talk-Show mit dem Atheisten Dawkins: Hölle, was ist denn das? Haben Sie schon mal von einer Hölle gehört, Herr Kollege? Welch Zufall, dass im renommierten Theologenlexikon RGG der Artikel „Hölle“ durch Abwesenheit glänzt.

Die schreckliche, höllenlose Zeit ist vorbei. Papst Franziskus, der alle Menschen liebt, hat sich ihrer erbarmt und die Hölle rehabilitiert, damit er die Menschheit mit nimmerendenden Strafen vom Sündigen abschrecken und in die weiten Arme der Mutter Kirche treiben kann.

Was ist der Unterschied zwischen Mafia und der Kirche? Die Mafia benötigt brutale Gewalt, um auf Kosten ihrer Mitmenschen zu leben. Der Kirche genügt die Religion, mit der sie auf Kosten ihrer Gläubigen lebt. Mafiosi sind fromme Leute, nicht selten gehen sie täglich in die katholische Messe.

Freundlich und höflich, so der objektive SPIEGEL, hat der Papst die Mafia nun

offiziell mit der Hölle bedroht:

Freundlich und höflich, wie es seine Art ist, wandte sich Franziskus am Freitagabend bei einem Gottesdienst in der römischen Kirche von San Gregorio VII direkt an die „Männer und Frauen Mafiosi“ und bat sie auf Knien: „Ändert euer Leben, bekehrt euch, hört auf, Böses zu tun“. Denn sonst, „wenn ihr so weiter macht, endet ihr in der Hölle“. So drastisch hat es kein Katholiken-Oberhaupt je formuliert: Geld und Macht der Mafia sind „blutbefleckt“, nichts wert im anderen Leben. Wer jetzt nicht umkehrt, der ist ewig verloren, ohne Aussicht auf Vergebung.“ (Hans-Jürgen Schlamp im SPIEGEL)

In der Tat, freundlicher und höflicher könnte man mit den Qualen der Hölle nicht drohen.

Gottlob, die Hölle hat uns wieder. Welch Zufall, dass zur gleichen Zeit im Frankfurter Museum für Moderne Kunst 55 Künstler aus 20 afrikanischen Staaten die ganze Welt auf Himmel, Fegefeuer und Hölle verteilen dürfen. (Julia Voss in der FAZ)

Verwundert fragt man sich, warum nur afrikanische Künstler die Hölle ausstatten dürfen? Glauben die zurückgebliebenen Schwarzen noch an religiöse Wahngebilde, weil Bultmanns Entmythologisierung nur bis Gibraltar kam? Offensichtlich gilt noch immer Freuds Formel, dass Kinder, Naive, Frauen und Afrikaner aus dem gleichen unbewussten Menschenmaterial sind.

Sind Mythen der triebgesteuerten Seele der Wilden besonders angemessen? Im Gegensatz zu uns Weißen, die wir bei Himmel und Hölle überlegen lächeln, besonders wenn unsere Kinder aus der Schule kommen und voller Schrecken erklären, dass sie eines Tages in die Hölle wandern werden, wenn sie nicht brav ihr Abendgebet verrichten.

Noch schlimmer ist für die Kinder, dass ihre Eltern vom Teufel geholt werden könnten, weil sie sich gelegentlich über den Höllenspuk lustig machen. Ab diesem Moment sind die Kinder für ihr Leben gezeichnet. Selbst, wenn sie als Erwachsene von Himmel und Hölle abrücken, das mulmige Gefühl lässt sie nie mehr los, dass dies der verhängnisvollste Fehler ihres Lebens sein könnte.

Also verharren sie lebenslang in der Kirche, obgleich ihnen vieles missfällt. Man weiß nie, ob der menschliche Verstand nicht maßlos überschätzt wird. Von dieser hartnäckigen Rückversicherung lebt und webt das christliche Abendland.

Besonders in Deutschland sind Atheisten die beharrlichsten Verteidiger des Christentums. Wie Aufklärer Habermas sprach: religiös bin ich unmusikalisch, doch Demokratie braucht christliche Grundlagen, wenn sie nicht vor die Hunde gehen soll.

Deutsch sein heißt, aus Fairnessgründen christlich sein, denn Mutter Kirche gibt sich gern als geprügelte Magd Gottes. Was sollte man sonst sein, wenn nicht christlich? Kein braver Inländer würde sich humanistisch nennen, ohne schamrot zu werden.

In aufgeklärten Zeiten, in denen die Kirchen am schwächsten sind, pflegen sie ihre wenig vorzeigbaren dogmatischen Teile im Keller zu verstecken. Es ist immer das Zeichen wiedergewonnener Macht und Stärke, wenn Himmel und Hölle frisch manikürt ins Leben zurückkehren dürfen. Jetzt ist es wieder soweit.

Es ist nicht nur der Islam, der eine faschistische Grundstruktur hat – wie Hamed Abdel-Samad in seinem neuen Buch „Der islamische Faschismus“ behauptet, dabei aber die christliche Lehre ausnimmt, weil Jesus nicht alt genug geworden sei, um ein Feldherr in Gottes Namen zu werden. (Hannah Lühmann in der FAZ)

Offensichtlich fürchtet der von der Scharia mit dem Tode bedrohte Publizist, auch von der christlichen Nächstenliebe heimgesucht zu werden. Anders lässt sich sein Einknicken vor der christlichen und jüdischen Höllenpädagogik nicht erklären.

Alle Erlöserreligionen sind im Ursprung von faschistischer Qualität. Durch eine allmächtige Instanz soll der freie Mensch gebrochen werden – nur zu seinem Besten. Erlösungsreligion ist Zwangsbeglückung. Der Mensch in seiner defekten Struktur weiß nicht, wie er sein Heil in Zeit und Ewigkeit schaffen kann. Ein übermächtiger Erlöser muss für ihn eintreten, sein sündiges Ich eliminieren und das Erlöser-Ich an dessen Stelle setzen.

Der erlöste Mensch ist eine neue Kreatur, seine alte Biografie muss gelöscht werden. Totalitäre Regimes haben diese Praxis übernommen. Sie schleifen und konditionieren den homo novus, der jede Erinnerung an den alten Menschen auslöschen muss.

Das absolute Gegenmodell ist der sokratische Mensch, der erst in Erinnerung an seine unentfaltete Originalnatur sein Selbstbewusstsein erringen kann. Der weise und lernende Mensch ist die Frucht der Erinnerung an die natürliche Potenz des Menschen, der alle Fähigkeiten zum Ganz- und Glücklichsein in sich trägt.

Auf fremde Offenbarungen ist er nicht angewiesen, seine Selbstbestimmung ist unverträglich mit jeder Außenleitung und Außenbeglückung. Seine Autonomie beruht auf der Autarkie seiner potentiellen Vollendung.

Was nicht bedeutet, dass er auf andere Menschen nicht angewiesen wäre. Erst im Dialog, im liebenden Streit, wird ihm bewusst, was er bislang nicht erkennen konnte. Die präzisen Fragen des Dialogpartners entbinden seine verschütteten Einsichten und bringen den uralten Menschen als neuen zum Vorschein.

Der andere Mensch wird zum Gehilfen und Geburtshelfer seiner Selbstwerdung. Der neue Mensch hat den alten Menschen nicht vergessen. Der neue und der alte Mensch werden eins.

Im Gegensatz zum neuen Menschen der Religion, der jede Erinnerung an das Alte auslöschen muss: „Gedenket nicht mehr der früheren Dinge und des Vergangenen achtet nicht. Siehe, nun schaffe ich Neues.“

Christliche Kulturen sind Feinde ihrer Erinnerung. Sie schauen nicht zurück, sondern blicken unentwegt nach vorne in die Zukunft. Historiker christlicher Kulturen sind Archivare toter Zahlen, keine Meister der Anamnese. Ihr Zurückblicken lehrt sie nichts. Aus der Geschichte lernen sie nichts.

Das Vergangene ist für sie kein Reservoir lebendiger Gedanken, keine Erinnerung an die Weisheiten der Früheren. Sie sehen nur tote Fossilien, seelenlos antiquierte Bücher und hohle Jahreszahlen. Geschichte ist für sie ein labyrinthisches Gebeinhaus mit Bergen an Gerippen und Myriaden Leichen.

Der Christ schaut stets nach vorne – ins transzendente Reich Gottes, das da kommen soll. Wenn er zurückschaut in die Geschichte der Menschen, muss er zur Salzsäule erstarren. Der Mensch ist nicht auf den Menschen angelegt, sondern auf ein fiktives messianisches Wesen am Ende der Geschichte.

Der irdische Mensch erkennt sich in der irdischen Geschichte des Menschen. Der überirdische erkennt sich im Spiegel des überirdischen Erlösers, der sein Kommen stets ankündigt und verheißt, doch seine Verheißung bis heute nicht wahr gemacht hat. Wie kann er das Wesen des Menschen zurückspiegeln, wenn er sich nie blicken lässt?

Jeder Mensch, der den Menschen als unfähig betrachtet, sein Geschick auf Erden zu gestalten und die Unfähigkeit als Vorwand benutzt, ihn zu seinem Glück zu zwingen, der ist Faschist.

Faschismus hat keine bösen Absichten, er glaubt, dem Menschen Gutes zu tun. Niemand auf der Welt will seinem Mitmenschen ursprünglich Böses antun. Der Mensch ist das gut sein wollende Tier. Das Böse ist das fehlgeleitete Gute, das es nicht erträgt, dass jeder Mensch selbst weiß, was gut und förderlich ist für ihn.

Eltern werden faschistoid, wenn sie ihre Kinder in verzweifelter Ohnmacht zu ihrem Glück zwingen wollen. Anstatt sie zu ermuntern, ihre eigenen Glücksvorstellungen zu entwickeln. Erlöser sind verzweifelte Eltern- und Autoritätsfiguren, die ihre Schutzbefohlenen mit aller Macht ins Paradies tragen wollen.

Sie wollen nicht das Böse, sie wollen das Allerbeste. Doch von ihrem Allerbesten sind sie so gefangen und geblendet, dass sie ihren Kindern, Untertanen, Gefolgsleuten nicht die Freiheit lassen, ihr Glück selbst zu definieren und auf individuellem Weg zu suchen. So wird aus dem Wollen des Guten das Vollbringen des Bösen.

Das Böse zu dämonisieren, wie die Deutschen es gern tun, beweist nur, dass sie ihre böse Vergangenheit nie verstanden haben. Sie suchen nach abgefeimten Bösewichtern, Frankenstein-Ungeheuern und Teufelsfiguren mit Schwefelgestank. Das ist nicht nur dümmer, als die Polizei erlaubt, es ist brandgefährlich. Denn es zeigt, dass die Wiederholungsgefahr des Bösen nicht im Geringsten gebannt ist.

Wer noch an das angeborene Böse oder an den Diabolus glaubt, der ist noch in faschistischer Theologie befangen. Das Böse entwickelt sich in Biografien, die gebrochen und verstümmelt werden. Das ungelebte Leben muss sich rächen, indem es andere am glücklichen Leben hindert – und sich paradoxerweise einbildet, das Glück der anderen zu befördern.

Niemand erträgt es, den anderen nur zu zerstören. Er benötigt die Illusion, das Gute und Gerechte auf Erden zu verwirklichen. Das Böse ist die Attrappe des Guten, das an das Gute der Anderen nicht glauben kann und sie zu seinem Guten zwingen muss.

Nationalsozialisten waren keine Zyniker, sie waren besessene Gläubige. Faschisten sind unfähig, ihre Motivation anders wahrzunehmen als unter dem Aspekt ihres fanatischen Willens, der Menschheit Heil und Segen zu bringen. Hitler und Stalin fühlten sich als Wohltäter und Heilsbringer ihres Volkes, ja der ganzen Menschheit. Die Ausrottung der Juden war für sie keine böse Tat, sondern ein notwendiger Dienst am Glück der Erwählten.

Das Böse ist keine satanische Erfindung und keine Strafe Gottes. Es ist die Wirkung angebbarer und erforschbarer Ursachen. Es entsteht unter gewissen Bedingungen und fühlt sich gezwungen, die Folgerungen aus diesen Bedingungen zu ziehen. Diese Folgerungen nicht zu ziehen, steht ihm nicht mehr frei. Sein freier Wille wurde frühzeitig zerstört.

Ein freier Wille ist die Fähigkeit, das Gute, das man erfahren hat, als Gutes weiterzugeben. Das Böse steht unter dem Zwang, das Böse weiterzugeben, das ihm angetan wurde. Wer unter dem Zwang des Bösen steht, kann keinen freien Willen haben.

Faschisten, Verbrecher und Kriminelle besitzen keinen freien Willen. Ein Strafrecht, das Böses aus freiem Willen ableitet, ist nicht weniger böse als die Täter, die es bestrafen muss, weil sie Gutes hätten tun können, aber aus unergründlich dämonischen Gründen das Böse wählten.

So dachten mittelalterliche Inquisitoren. So denken inquisitorisch kontaminierte Juristen der Gegenwart, die psychologisches Wissen als Gefasel ablehnen und sich den Menschen so konstruieren, dass ihre Strafwut auf ihre Kosten kommt.

Unsere Demokratie wird stagnieren, wenn sie ihr von Strafzwängen beherrschtes Demütigungsrecht – das noch immer auf dem Menschenbild des Sündenkrüppels ruht – nicht aufgibt und übergeht zum Recht der humanen Konsequenz, das dem Bösen in sicherem Umfeld die Chance gibt, seinen freien Willen wieder zu entdecken.

Jede Religion, die den Menschen erlösen will, indem sie ihn mit Seligkeit belohnt und mit ewiger Höllenglut bestraft, ist ein Prototyp des Faschismus. Sie ignoriert die „Selbsterlösungsfähigkeit“ des Menschen – das ist seine Lern- und Erkenntnisfähigkeit –, mit der er selbst herausfinden kann, was zu seinem Besten ist.

Jeder Mensch ist erkenntnis- und glücksfähig. Er braucht Helfer und liebende Mitstreiter, aber niemanden, der seine Glückskompetenz verächtlich macht. Die Autonomie des Menschen ist seine eigene Denk- und Glücksfähigkeit.

Kants berühmter Satz vom Selberdenken ging nicht weit genug, weil er dem Glück misstraute und Moral mit Glück nicht zu vereinen wusste. Kant war so allergisch gegen göttliches Lohnen und Strafen dass er jedes Glück als Lohn für moralisches Tun verwarf. Nicht nur himmlischer Lohn und höllische Strafe: jede Form von Lohn und Strafe mussten aus der Moral entfernt werden, damit der Mensch ungehindert seine eigene Moral entwerfen konnte.

Kants Zeitgenosse Adam Smith war allergisch gegen kirchlichen Heuchel-Altruismus. Also wählte er den rationalen Egoismus, der zum sozialen Kitt einer aufgeklärten Gesellschaft werden sollte.

Kant war allergisch gegen die Verunreinigung der Moral durch jede Form außengelenkter Lohn und Strafe. Also plädierte er für eine Moral, die Glück als Lohn ehrbaren Tuns nicht zuließ. Der selbstbestimmte Mensch wählt seine Moral um der Moral willen. Das ist sein Stolz und seine Autonomie.

Heute könnten wir Kants berühmten Satz komplettieren: Mensch, habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen und dein eigenes Glück zu erproben. Sei versichert, dein Glück wird nicht auf Kosten des Glückes deines Nachbarn gehen. Die Natur ist nicht so knausrig, dass sie den Einen auf Kosten des Anderen bevorzugen muss. Vernunft ist die Fähigkeit jedes Einzelnen, sein Glück mit dem Glück der Anderen in Einklang zu bringen.

Die wüsten Ammenmärchen vom Überleben der Stärksten auf Kosten der Schwachen müssen endgültig auf den Schutt der Geschichte. Der Mensch ist keine Bestie, wie es aus den Tempeln der Erlöser plärrt. Wer menschenfeindlichen Parolen glaubt, der handelt nach ihnen. Also darf ihnen nicht geglaubt werden.

Es waren Erlöserreligionen, die die Einen gegen die Anderen ausspielten. Die Guten gegen die Bösen, die Erwählten gegen die Verworfenen. Die Aufteilung der Menschen in himmlische und höllische Geschöpfe muss ein Ende haben.

Erlöserreligionen wollen nicht die Menschheit, sondern nur EINPROZENT der Menschheit erlösen. Den Rest verwerfen sie. Wer will Kinder zeugen, von denen er fürchten muss, dass sie zu den 99% der Verlorenen gehören? Kein Kind, das ungefragt das Licht der Welt erblickt, hat es verdient, zum Bösesein gezwungen zu werden.

Das muss die Route der künftigen Menschheit sein: vom EINPROZENT zum Hundert-PROZENT. Der Dualismus der Erlöser muss zum Monismus der geeinten Menschheit werden. Der Faschismus der Zwangsbeglücker zum Glauben an den Menschen, der sein kollektives Schicksal auf Erden in freudiger Heiterkeit bewältigen kann.

Die Weltprobleme werden immer dringlicher und gigantischer. An der Lösung der Probleme haben Erlöserreligionen kein Interesse. Wen sollten sie erlösen, wenn der Mensch seine Probleme selber löste?