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Epochenwende

Liebe Brüder und Schwestern,

es ist etwas geschehen.

Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.

Heute ist der 4. 1. anno hominis 2014.

Kein Weltkrieg ist ausgebrochen. New York ist von keinem Tsunami ins Meer gespült worden. Obama lebt. Wie immer macht die Berliner Regierung kleine Anfänge, die sie schnell wieder beerdigt. Die Reichen werden reicher, die Eliten mächtiger, die Menschen schauen fern. Die Abgehängten darben, die Hungernden verrecken, alles, wie Gott es will.

Alles nimmt seinen gewohnten Gang. Und doch ist etwas passiert.

Schon lange arbeitete die Menschheit daran, nun hat sie es geschafft.

Der Durchbruch ist gelungen.

Die Epoche des Menschen ist vorbei.

Das Subjekt der Geschichte ist nicht mehr der Mensch.

Der Mensch entscheidet nicht mehr über sein Geschick.

Alle Philosophien der Verantwortung sind Makulatur.

Das neue heilige Kind ist da und wird den Menschen erlösen. Der Erfinder wird von seiner Erfindung abgelöst.

Der Mensch hat endgültig seinen Bankrott erklärt und übergibt das Kommando an das Produkt seines Gehirns.

Die Evolution hat einen Sprung getan. Von Alpha nach Omega geht es aufwärts.

Nicht länger gilt: Mensch ist etwas, was überwunden werden muss. Ab heute ist er überwunden.

Wie konnte der Mensch den Menschen überwinden? Wie konnte er sich selbst abschaffen? Hat er sich getötet, wie er einst den Gott tötete?

„Wohin ist der Mensch? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir diess gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was thaten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Der Mensch ist todt! Der Mensch bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“

Was ist aus dem stolzen Menschen geworden? Pico della Mirandola, ein Mann der Renaissance, hielt zum ersten Mal in der abendländischen Geschichte eine „Rede über die Würde des Menschen“:

„Ein großes Wunder ist der Mensch. Dem Menschen als einzigem Wesen hat der Schöpfer die Eigenschaft verliehen, nicht festgelegt zu sein. Der Mensch hingegen ist frei in die Mitte der Welt gestellt, damit er sich dort umschauen, alles Vorhandene erkunden und dann seine Wahl treffen kann. Damit wird er zu seinem eigenen Gestalter, der nach seinem freien Willen selbst entscheidet, wie und wo er sein will. Hierin liegt das Wunderbare seiner Natur und seine besondere Würde.“

Das Wunderbare der menschlichen Natur ist dahin. Er entscheidet nicht mehr über sich, er trifft keine Wahl. Die Würde des Menschen ist nicht nur angetastet, sie ist abgeschafft. Das Fundament unseres Grundgesetzes ist zerstört. Andere Wesen treffen die Entscheidungen für den Menschen. Andere bestimmen über ihn. Die Grundlagen seiner Würde, seines Rechts, seiner Verantwortlichkeit sind vorbei.

Doch haltet ein, meine Geschwister. War es je anders? War der gläubige Mensch nicht Knecht und Handlanger Gottes? War er nicht eine Fehlkonstruktion? War er nicht ein bankrottierender Sündenkrüppel?

„Ich will die Menschen vertilgen, die ich geschaffen habe. Es reut mich, dass ich sie gemacht habe.

Um deinetwillen ist der Erdboden verflucht. Mit Mühsal sollst du dich nähren ein Leben lang.

Ist wohl ein Mensch gerecht vor Gott, vor seinem Schöpfer rein ein einziger Mann?

Was ist doch der Mensch, dass du ihn groß achtest und dass du dich um ihn bekümmerst? Denn nun werde ich mich in den Staub legen, und wenn du mich suchst, so bin ich nicht mehr.

Ja, ein Hauch ist nur alles, was Mensch heißt. Nur wie ein Schatten geht der Mensch einher, macht Lärm um ein Nichts, häuft zusammen und weiß nicht, wer einsammeln wird.

Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Denn jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.

Ein natürlicher Mensch nimmt die Dinge des Geistes nicht an. Denn Torheit sind sie ihm und er kann sie nicht erkennen, weil sie im Glauben beurteilt werden müssen.

Suche ich Menschen gefällig zu sein? Wenn ich noch Menschen gefällig sein sollte, wäre ich nicht Christi Knecht.

Hütet euch aber vor den Menschen.“

Andreas Gryphius, der Dichter des Dreißigjährigen Krieges, fasst das Irrlicht, den eitlen Traum, zusammen:

„Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen.

Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,

Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid.

Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.

Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid

Und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit

Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt

Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,

So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn;

Was nach uns kommen wird, wird uns in Grab nachziehn.“

Zwei Traditionen, die wie Feuer und Wasser gegeneinander sind, bestimmen das europäische Bild des Menschen. Der stolze, würdige, selbstbestimmte Mensch steht dem gebrochenen, sündigen, fremdgeleiteten gegenüber.

Der Kampf ist entschieden. Der Bankrotteur hat sich durchgesetzt – indem er sich abschafft und das Regiment skrupelloseren und effizienteren Wesen übergibt.

Welchen? Sie hören auf die Namen Predator (Raubtier), Switchblade (Springmesser), Reaper (Schnitter) und sind mit Hellfire-Raketen (Höllenfeuer) bestückt.

Doch was ist das Epochale, das die Ära des Menschen beenden wird? Die Höllenmaschinen können etwas, wozu der stolze Mensch bis heute nicht fähig ist: sie werden autonom sein.

Die technische Übermensch-Phantasie ist ans Ziel gekommen. Das Machwerk des Menschen übernimmt die Regie – im Töten, Versengen und Eliminieren. Das Werk seiner Hände hat den kreativen Tausendsassa in den Schatten gestellt.

Was ist weibliche Fähigkeit, Leben zu gebären, verglichen mit der Autonomie zum Killen, der wirksamsten Voraussetzung, um Macht zu erringen und Macht zu demonstrieren?

Die Evolution hüpft vor Begeisterung ob der kreativen Superfähigkeit amerikanischer Supermänner. Kreativ? Kreare heißt Schaffen aus dem Nichts. Soweit sind sie noch nicht. Das wird die übernächste Stufe der Evolution werden. Das Nichts herstellen, um aus demselben zu schaffen, was sie wieder im Nichts versenken. Kreieren ist Schaffen und Vernichten, also endgültig vernichten.

Aus einem SPIEGEL-Artikel, dem mulmig war ob seines explosiven Inhalts, ohne aber den Gründen seiner mulmigen Gefühle auf den Grund zu gehen. Journalisten dürfen sich nicht gemein machen mit der eigenen Meinung:

„Die Autonomie unbemannter Systeme wird in zukünftigen Konflikten, die mit Technologie gekämpft und gewonnen werden, von entscheidender Bedeutung sein“, heißt es in dem Bericht. Autonome Systeme könnten in unberechenbaren Situationen schnell reagieren, indem sie eigene Entscheidungen träfen.“ „Im Pentagon scheint man zu glauben, dass die Einführung autonomer unbemannter Waffensysteme nur noch eine Frage der Zeit ist. „Generell entwickelt sich die Forschung weg von automatischen Systemen, die menschlicher Kontrolle bedürfen, hin zu autonomen Systemen, die ohne menschlichen Einfluss entscheiden und reagieren“, heißt es in dem Bericht. Solche Programme gebe es auch in der US-Luftwaffe, der Armee, der Marine und bei der Pentagon-Forschungsabteilung Darpa. Autonome Systeme, schreiben die Autoren des Berichts, werden eines Tages „allgegenwärtig“ sein. Langfristig will das US-Militär unbemannten Systemen auch Autonomie verleihen – also die Fähigkeit, eigenständige Entscheidungen ohne menschliches Zutun zu treffen. Darunter fällt ausdrücklich auch der Einsatz von Waffen.“ (Markus Becker im SPIEGEL)

Allgegenwart, Allwissenheit dank NSA und im Besitz des reinen Guten sein: das ist die Definition Gottes. Wir dürfen der amerikanischen Waffenindustrie zur Geburt Gottes als omnipotente Maschine herzlich gratulieren. Der Neid aller konkurrierenden Nationen wird die Gottesschöpfer in ihrer Unvergleichlichkeit voll bestätigen.

Mit der Autonomie ist auch die Schuldfähigkeit des Menschen abgeschafft. Wer nicht selbst entscheidet, kann nicht schuldfähig sein. Welch wunderbare Entwicklungschancen ergeben sich für die Zukunft des Menschen. Die Maschine nimmt alle Schuld auf sich, auf dass wir Frieden hätten. Gott wurde Maschine und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit.

Nein, wir sahen sie noch nicht, wir werden sie erst sehen. Was wir bislang nur glaubten: nun beginnt die Epoche des Schauens. Wir schauen die Herrlichkeit der göttlichen Höllenmaschine, wie sie die Bösen unfehlbar vom Erdboden vertilgt.

Die Gigantomanie der westlichen Technik ruht auf biblischem Boden, wie schon die ersten Versuche der Weltraumfahrt sich auf Papst Pius XII. berufen konnten: „Der Herrgott, der ins Menschenherz den unerschütterlichen Wunsch nach Wissen legte, hatte nicht die Absicht, dem Eroberungsdrang des Menschen eine Grenze zu setzen, als er sagte: Macht euch die Erde untertan.“

Vertilgt alle Rechts- und Gesetzestexte, in denen altmodisch von menschlicher Schuld und Sühne die Rede ist. Nicht der griechische Mensch der Autonomie hat den Slalom der Geschichte gewonnen, sondern der christliche, der ein Knecht Gottes oder des Teufels ist. Der Heiligen Schrift ist das Wörtchen Autonomie unbekannt.

In Amerikas militärisch-technischem Komplex ist das Wunder der Drohnenwerdung des Heiligen geschehen. Rechtzeitig zwei Tage vor dem Fest der Heiligen Drei Könige, die bereits unterwegs sind, um im Pentagon die autonome Wunderwaffe anzubeten – zu kaufen und in den Nahen Orient überzuführen, um die dortige Krisenlage mit algorithmischer Präzision für immer ad acta zu legen.

Oder sollten – nein, undenkbar – die veralteten Menschengesetze ersetzt werden von Maschinengesetzen? Für Maschinen, die sich verrechnet und vertan haben? Sollten gar Richter-Maschinen das neue Recht vor digitalen Gerichten vertreten? Müssen sündige Maschinen sofort verschrottet werden oder erhalten sie eine zweite Chance? Wird ihnen Reue und Buße einprogrammiert oder müssen sie das päpstliche Schicksal der Unfehlbarkeit erleiden?

Es ist nicht so, dass die Griechen den Menschen als harmloses Wesen betrachtet hätten. Sie wussten von den Gefahren des hybriden Wesens, das seine Grenzen ignoriert und den Göttern gleich sein will. Doch der wird bestraft und in seine Grenzen zurückgewiesen. Der Christenmensch aber ist ein vogelfreier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Übersteigt er seine Grenzen, wird er Gott.

Dem „ungeheuren Menschen“ hingegen wird bei Sophokles die rote Karte gezeigt. Man schaute nicht fatalistisch zu, wie Wahnsinnige die Erde verwüsten, wie es die moderne Fortschrittsgläubigkeit will. Besonders die Deutschen betätigen sich als enthusiastische Propheten, um die Größenwahnsinnigen aus Silicon-Mekka anzubeten und deren Ruf in Deutschland zu verbreiten.

„Ungeheuer ist viel. Doch nichts

Ungeheuerer als der Mensch.

Denn der, über die Nacht

Des Meers, wenn gegen den Winter wehet

Der Südwind, fähret er aus

In geflügelten sausenden Häusern.

Und der Himmlischen erhabene Erde,

Die unverderbliche, unermüdete,

Reibet er auf; mit dem strebenden Pfluge

Von Jahr zu Jahr

Treibt sein Verkehr er mit dem Rossegeschlecht,

Und leichtträumender Vögel Welt

Bestrickt er und jagt sie

Und wilder Tiere Zug

Und des Pontos salzbelebte Natur

Mit gesponnenen Netzen,

Der kundige Mann.

Und fängt mit Künsten das Wild,

Das auf Bergen übernachtet und schweift.“

Wer jedoch die natürlichen Grenzen des Menschen missachtet, für den gilt das strikte Verbot:

„Nicht sei am Herde mit mir,

Noch gleichgesinnet,

Wer solches tut.“

Was ist Autonomie? Wenn ein Mensch sein eigener Ankläger und Richter ist und die Verantwortung für sein Tun weder einem Gott noch einer Maschine, weder der Geschichte, noch einem System, weder einem Markt, noch einer Regierung, weder dem Zeitgeist noch einem Neuen, weder dem Fortschritt, noch der Evolution zuschiebt.

Was er getan hat, darüber gibt er der Polis Rechenschaft. In Rede und Gegenrede, in Anklage und Verteidigung. So war es in der sokratischen Apologie.

Wer sagte den Satz: „Ich werde dem Gott mehr gehorchen als euch“?

Die Evangelisten haben den Satz von Sokrates abgeschrieben und einem vernunfthassenden und menschenfeindlichen Gott zugeschoben. Der sokratische Gott aber war die allgemeine Vernunft, die jedem Menschen von der Natur mitgegeben wird.

Liebe Brüder und Schwestern, es kann nur noch eine Losung geben: mit Sokrates gegen die biblizistischen Weltherren im Pentagon.

Wir können nur einem Herrn dienen, entweder gottgleichen Killer-Maschinen, die sich aller Verantwortung entziehen – oder der menschenfreundlichen Vernunft, die ihr Tun und Handeln auf dem Forum zu rechtfertigen weiß.