Kategorien
Tagesmail

Donnerstag, 29. März 2012 – Luther am Hindukusch

Hello, Freunde des Botox,

der jetzige Verteidigungsminister ist besten hugenottischen Adels (allerdings nur der Ossilinie; die Ossiprotestanten haben die Republik voll im Griff, so ungerecht kann’s in der Geschichte zugehen), kein Schlawiner wie sein süddeutscher Vorgänger, der bereits in biblischer Jugend von 12 ein Bierzelt rednerisch in Wallung bringen konnte.

Gläubig sind sie beide, der eine ist lutherisch, der andere katholisch. Ungläubige im Kabinett gibt’s keine mehr, und wenn doch, wird es niemand BILD-Wagner verraten.

Der Lutheraner muss nun den bajuwarischen Saustall ausmisten. Dies tut er ehernen, ja, versteinerten preußischen Angesichts.

Die Bajuwaren sind ein sehr lebenslustiges Völkchen, die sich – da kennen sie nichts – den Katholizismus als Katalysator ihrer unverwüstlichen Freude am Da- und Sosein untertan gemacht haben. Müsste ich katholisch werden, dann nur als bayrischer Zitterspieler.

Wer jemals vom Schicksal begünstigt war, eine Zeit lang zwischen duftendem Heu, dunklem Tann und den prächtigsten Bauerngärten der Welt zu leben, dem wäre niemals der dunkle Verdacht gekommen, der seltsame Mann in der Soutane im lichtdurchfluteten barocken Kirchlein wäre ein Einspruch gegen die Lust an der Freud.

Kein Wunder, dass nordisch-blutleere Pastorensöhnchen, kaum hatten sie

wandernd die Donau überquert, reihenweise dem ganzheitlichen Charme der Bayern, vor allem der drallen Bäuerinnen daselbst, anheimfielen, dem grämlichen Königsberger Aufklärer Ade sagten, die Epoche der Romantik ausriefen und sogleich den ersten unanständigen Roman der deutschen Literaturgeschichte mit dem lasziven Titel „Lucinde“ veröffentlichten.

Zukunftsforscher, die gerne neue Epochen ausrufen und die Zeiten zeitlos im Umbruch erleben (Wir leben in Zeiten des Umbruchs: so beginnt jeder zweite Radiovortrag in SWR2, einem Kultursender vom Feinsten), jedoch das Handicap haben, hamburgerisch zu sprechen, sollten öfter mal durch den Allgäu nach Oberammergau pilgern und sich, aber ganz langsam, der Metropole nähern, die heute leider durch eine gewisse Bussigesellschaft einer quasiprotestantischen Zweckrationalität prostituierend zugeführt wurde.

Dann kämen sie auf garantiert nagelneue Gedanken und könnten alle ausstehenden Epochen der Geschichte bis zur Wiederkunft des Herrn aus den frohlockenden Jodlern und Juchzern hochrechnen.

Herr Stoiber ist kein echter Bayer, sondern gefühlter Preuße, den es, er weiß bis heute nicht wie und warum, irgendwie ins Bayrische verschlagen hat. Der trägt sein Lodenjankerl zugeknöpft wie ein protestantischer Jüngling, der zur Konfirmation das erste Abendmahl erhält.

Auch dem grämlichen Herrn Ratzinger sagt man zu Unrecht nach, dass er Bayer sei, der kommt irgendwo aus Oberbayern, was schon fast im protestantischen Norden liegt.

Was ist der Unterschied zwischen einem protestantischen und einem katholischen Verteidigungsminister: im irrtumslosen Licht der Dogmengeschichte?

Wenn letzterer sündigt, und das soll bei ihm öfter vorkommen, geht er samstags demütig zur Ohrenbeichte und kommt geistlich runderneuert und stolz wie ein Pfau zurück, denn er konnte all seine Sünd und Schand seinem Beichtvater übergeben, der sie nach Rom telegraphiert, wo sie unfehlbar entsorgt werden.

Da hat es der Hugenotte wesentlich schwerer im Leben. Luther, in seinem unnennbar heiligen Zorn gegen den papistischen Antichristen, hat bekanntlich alle Vermittler zwischen Diesseits und Jenseits abgeschafft. Seitdem ist jeder Protestant unmittelbar zu Gott, was nicht für jeden einfach zu ertragen ist, nicht mal für den Herrn, sein Name sei gepriesen.

Woraus wir entnehmen, dass der protestantische Gott etwas Bürgerliches, vielleicht sogar Proletarisches, an sich haben muss, dass jeder, ohne Voranmeldung und Lakaien, einfach mal so bei ihm vorbeischauen kann. Man klingelt, der Hausherr öffnet selbst und schon sitzt man ihm bei einer Tasse Tee gegenüber.

Der katholische Gott ähnelt mehr dem unnahbaren Kaiser bei Kafka. Da kommt man vor lauter Vermittlern und Zwischeninstanzen nie ans Ziel, und ob die sukzessive Linie vom Dorfpriester über unendliche Stufen bis nach Rom und weiter tatsächlich funktioniert, kann man aus der germanischen Provinz nur schwer überblicken.

 

„Ist es schwer, junge Menschen in den Krieg zu schicken“, fragt BILD scheinheilig, denn für sie müsste es doch ganz leicht sein, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich fern am Hindukusch Heldenmeriten zu verdienen, fremdgläubige Menschen zu Allah zu schicken, damit es unterdrückten Frauen nach zehn Jahren Krieg genau so mies ergeht wie einst unter den Taliban.

Da muss der oberste Krieger der Republik demütig bekennen, dass er schwer an der Last der Verantwortung trägt. Mit Luther würde er sagen – es bedürfte einer Monografie von sagen wir mindestens 699 Seiten, um den noblen Konjunktiv der Deutschen mit dem Indikativ ihrer ungeschönten Realität zu konfrontieren: er würde sagen, obgleich er’s doch grade sagt. Wenn ihn jemand fragen würde, obgleich ihn grade jemand fragt. Um die Monografie in einem Satz zusammenzufassen: die Deutschen leben gern in der Musil‘schen Möglichkeitsform, bei ihnen ist alles möglich, am wenigsten die Wirklichkeitsform –, dass jede Anwendung von Gewalt und erst recht das Befehlen von Gewalt schuldig mache.

Wir bemerken im Vorübergehen die kleine Eitelkeit der Demütigen, dass der Befragte als Befehlshaber weitaus mehr Schuld auf sich lädt als der bloße Rambo, der bei Patrouille aus Notwehr verdächtige Turbanträger durchsieben muss.

Wer mehr Schuld auf seinen schwachen Schultern tragen kann, ist im Himmelreich der Erste und Beste, womit wir auch gleich wissen, woher Clement seine Sprüche über die Erstbesten bezieht. Ja, heilix Blechle, Mensch de Maiziere, (die Zusammenstellung von Mensch mit einem Adelsträger passt weitaus weniger als „Mensch Gauck“, die mediale Lieblingsüberschrift nach erfolgter Inthronisation des neuen Bundespräsidenten), also Mensch Thomas, altes Haus: wie hältst du das nur aus?

Antwort in korrektem Beamtendeutsch unter Anwendung des uneigentlichen Man: „Damit muss man fertig werden.“ Noch heute gilt ein Paragraf des preußischen Landfriedensrechts, wonach alle Beamten, gleich auf welcher Stufe, über sich in Man-Form zu sprechen haben. Erst ab Minister ist das individuelle Ich gestattet. Nur die Nummer Eins darf abwechselnd Ich und Wir sagen. Laut Heidegger ist das uneigentliche Man der Modus der Zerstreutheit. Das würde er nicht mehr wiederholen, wenn er den Verteidigungsminister kennengelernt hätte.

Schon beginnt der ordinäre BILD-Leser sympathetisch mitzuzittern, dass er seinen gewählten und ungewählten Eliten so viel Schuld zumutet, zumal ohne Beichtvater – und dies bei mangelhafter Bezahlung.

Industriekapitäne verdienen mehr als das Zehnfache von Angie, weshalb ein Winterkorn niemals den Posten der Kanzlerin übernähme, schon gar nicht als Mann.

Doch gemach, lieber BILD-Leser, wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt vom Ende des Tunnels ein Lichtlein her: „Aber auf die Schuld können Gnade und Versöhnung erfolgen“. Gewalt zur Verhinderung von Gewalt sei nämlich gerechtfertigt.

Da sehen wir den erfahrenen Lutheraner mit der angemessenen Wortwahl. Niemals würde der Thomas sagen: Gewalt ist schon okay, wenn diese Urbevölkerung sich erdreistet, ohne westliche Beglückungstruppen leben zu wollen und dabei unsere armen Boys in die Luft sprengen will. Das ist undankbar, das tut man nicht, denn wir meinen‘s nur gut mit den Eingeborenen.

Nein, er sagt: Gewalt ist gerechtfertigt. Jeder BILD-Leser kennt Röm. 3,28: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch durch den Glauben gerechtgesprochen werde ohne Werke des Glaubens.“

Wer gerechtgesprochen ist, ist gerechtfertigt allein durch den Glauben. Welchen Glauben? Dass der Krieg in Afghanistan ein gerechter Krieg sei. Womit der Minister uns Wählern by the way mitgeteilt hat, dass die Gewaltanwendung vor Gott gerechtfertigt, also glaubensmäßig schon okay ist.

Ob sie aber aus der Sicht des Wählers okay ist – ist uninteressant. Minister heißt Diener auf Deutsch und so sehen wir, wessen Diener der Minister sein will. Nicht Diener der Kanaille, des ordinären Pöbels, sondern Minister Dei.

In unserem unheilbaren Misstrauen gegen alle Ossiprotestanten sind wir erneut in unserem Verdacht bestätigt worden, dass wir in einem leicht gemäßigten Papocäsarismus leben. Man könnte auch schlicht von einem wilhelminischen Bündnis von Thron & Altar sprechen.

Doch die Schlusspointe fehlt noch. Die ist inzwischen zu einer Art Zwangshandlung bei deutschen Intellektuellen, Politikern und Edelschreibern geworden. Man könnte von einer überraschenden Endvolte sprechen oder dem obligaten SPIEGEL-Doch.

Kein Eingangstext zum Anreiz für den Leser ohne das hochkritisch-dialektische Doch. Beispiel: „Der Leistungsdruck steigt, die Kluft zwischen den sozialen Schichten vertieft sich. Doch jeder geht damit sehr unterschiedlich um.“

Wieso denn doch? Erwartet nicht jeder logisch denkende Mensch an dieser Stelle ein schlichtes Also? Wenn die Kluft zwischen den Menschen sich vertieft, macht da nicht jeder, was er will, unsolidarisch und rivalisierend bis aufs Messer?

Oder meinte der Alt-68er-Schreiber, die Klüfte zwischen den Schichten vertiefen sich, aber nicht zwischen denen, die abgehängt werden und die sich ergo klassenkampfmäßig zusammenschließen – müssten, es jedoch nicht tun? So kaputt seien nämlich diese verwahrlosten Prekären?

Das wär doch nun wirklich nicht nötig gewesen, ein so stolzes Fremdwort wie Prekär für eine so missliche Sache auszugeben! Laut Wiki stammt Prekär von precarium = ein bittweise, auf Widerruf gewährtes Besitzverhältnis. Herrlich, wie die alten Römer so punktgenau unsere Hartz4-Bittsteller vorausahnten und auf den Begriff brachten.

Prekäre sind Leute mit einem Besitzverhältnis, das sie erbitten müssen und auf Widerruf gnädig gewährt oder ungnädig aberkannt kriegen. Wenn sie nach Bitte auch Danke sagen können. Danke, Väterchen Staat, dass du uns nicht zur unerträglichen Freiheit in Verantwortung zwingst, sondern wir in selbstverschuldeter Knechtschaft auf deine Kosten gemästet werden dürfen.

Von welcher Volte spreche ich? Hat der strenge Minister im ersten Teil seiner Antwort ziemlich schwarz gemalt, mit viel heiliger Schuld, die man ertragen und durchstehen müsse, kommt nun die finale Entwarnung. Man könnte sogar von einem glatten Widerspruch sprechen, was der Minister vermutlich für keinen sinnvollen Einwand hielte. Denn der gläubige Mensch sei keine logische Maschine, auch kein ausgeklügelt Buch, sondern ein Mensch in seinem Widerspruch.

Die soldatische Situation draußen im Feld sei nämlich „im Grunde“ auch gut. Existentielle Situationen – Situationen, wo es um die blanke Existenz geht – würden den Menschen prägen.

So sollten wir froh sein, dass wir in Deutschland auch einige geprägte Menschen haben, die ihre Kainszeichen dadurch erhielten, dass sie dem Tode ins Auge schauten und mit posttraumatischen Störungen, Sucht- und Suizidanfälligkeit unauslöschlich gezeichnet sind. Messner würde an dieser Stelle sagen: an ihre Grenzen gegangen, ja dieselben überwunden hätten.

Solch grundlegende Grenzerfahrungen kann niemand bei behäbigem Frieden im Hotel Mama erleben. So sind wir froh, nach langer Abwesenheit den deutschen Helden begrüßen zu dürfen, der dem bornierten Krämer wesenhaft überlegen ist.

Schon äußerlich ist er dem glattgesichtigen Spießer vorzuziehen. Denn prägende Erfahrungen erkennt man daran, dass sie Falten im Gesicht hinterlassen. Und Falten sind gut, die kann man tragen, „man muss sie nicht mit Botox wegspritzen.

So müssen wir das erschütternde Fazit unserer röntgenologisch-hermeneutischen Analyse ziehen, dass der bekennende Lutheraner den angeblich gerechten Krieg gegen die Muselmanen nur benutzt – um seine Aversion gegen die prosperierende Schönheitschirurgie und die schändliche weibliche Eitelkeit auszuleben, die es vorzieht, prägungs- und inhaltslos ein unheldenhaftes Leben zu führen. Anstatt sich männlich mit Schuld und Versöhnung im Felde herumzuschlagen.

Struck, Vorvorgänger des Ministers, hatte Recht mit seiner Erneuerung des mittelalterlichen Schlachtrufs Deus lo volt (Gott will es), den man ins Neoprotestantische übersetzen könnte: Luther wird am Hindukusch verteidigt. Ohn’ alle Werke friedensstiftender Vernunft.