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Donnerstag, 28. Juni 2012 – Wahrheitsmonopol

Hello, Freunde der Integration,

viel zu spät sei die Eingliederung von Immigranten in Deutschland gekommen, dennoch sei sie besser als ihr Ruf, auf der alltäglichen Ebene gar erfolgreicher als in Frankreich und England, meint der renommierte Migrationsforscher Klaus Bade in der TAZ. Die Sarrazin-Debatte habe mit der Realität wenig zu tun gehabt.

Ein interessanter Befund. Danach wären die Deutschen in der Praxis besser als in der Theorie. Was unmittelbar einleuchtet, denn die Mischmoral der herrschenden Religion – das Böse im Dienst des Guten – hat die Majorität der Bevölkerung hinter sich gelassen. Die meisten sind einer Religion entwachsen, deren Janusgesicht sie instinktiv ablehnen, ohne ihre Ablehnung wahrzunehmen oder begründen zu können.

Ihre Kritik besteht im Ignorieren der Heiligen Texte. Die wenigen Fragmente, die sie für Zitate halten, haben sie humanistisch aufgepeppt, ohne die Fälschung „nach oben“ als Fälschung zu erkennen. Doch wer mit sich in Einklang leben will, muss Denken und Handeln in Übereinstimmung bringen. Solange noch zu viele dem Fremdenverächter Sarrazin zujubeln, solange ist die Anerkennung der Fremden als gleichberechtigte Bürger noch nicht verlässlich.

Viel zu spät hätten die Deutschen realisiert, dass sie in einem Einwanderungsland lebten.

Fremde Menschen wollen freiwillig zu uns kommen und mitten unter uns leben? Das schien den Deutschen

unvorstellbar. Aus zwei Gründen: einerseits waren sie noch immer beseelt von chauvinistischem Überlegenheitsdünkel – zu uns passt niemand, der nicht von deutscher Tüchtigkeit, Rasse und Bildung ist –, andererseits vom Unterlegenheitsdünkel einer gefallenen sündigen Nation: wer will mit uns Versagern und Verbrechern noch zu tun haben?

Die riesige Kluft in der Selbsteinschätzung, die mangelnde Selbstsicherheit dessen, was deutsch heißen soll, die zerrissene Identität, verhinderte die Fähigkeit zur Anerkennung der Fremden. Wer seiner unsicher ist, kann den Anderen nicht anerkennen.

Das zeigt sich in der gegenwärtigen Debatte um die Frage, ob Deutsche in der Europameisterschaft stolz auf ihre Edelkicker sein dürfen. Das Fernsehen bläht die Berichterstattung immer mehr in Richtung Selbstverherrlichung auf, anschließend bringen die TV-Saubermänner Beiträge über nationalistische Ausschreitungen der Hooligans.

Die „Waldi-Nachlese“ in ARD gerät zusehends zu einer dummstolzen, lärmenden Stimmung: Deutschland, Deutschland über alles. Man muss die erste Strophe der Nationalhymne gar nicht singen, man begießt und begröhlt sie.

Man könnte das Phänomen niederhängen: besser, man identifiziert sich mit einer Leder-, denn mit einer Kanonenkugel. Doch unterhalb des Krieges ist nicht automatisch Friede.

 

Die europäische Gründungseuphorie beginnt zu bröckeln. Vor allem mit Wirtschaft wollte man die Solidarität der früher verfeindeten Länder kitten, ohne zu bemerken, dass der gewollte Wettbewerb aller gegen alle nicht gerade geeignet ist, die Freundschaft unter den Völkern zu vertiefen.

Solange der Rubel rollte, weil Europa noch zu den führenden Wirtschaftskontinenten der Welt zählte, wuchs die verführerische Wir-Mentalität. Doch je mehr die bislang unterentwickelten Staaten aufholten und in mancher Hinsicht den alten Kontinent gar überholten, wurde aus dem bislang vorbildlichen Staatenverbund ein sich streitendes Pack, das sich schlägt, aber immer weniger verträgt.

Adam Smiths Unsichtbare Hand, die die Egoismen innerhalb einer Nation ausgleichen sollte, war offensichtlich eine innenpolitische Einrichtung, um nicht zu sagen, eine außenpolitische Fata Morgana.

Die europäische Moderne begann in England und wurde von Francis Bacon begründet. Die Menschheit sei von drei Arten von Ehrbegierden beherrscht: der Begierde, seine Macht im Vaterland zu vermehren, der Begierde, die Macht des Vaterlands über das menschliche Geschlecht zu erweitern und der Begierde, die Macht des Menschengeschlechts über die Gesamtheit der Natur zu erweitern. Diese zügellose Machtbegierde wurde von Adam Smiths stoischer Philosophie zwar gezügelt, aber nicht ausgerottet.

Die drei Begierden haben sich im heutigen Neoliberalismus zur vollen Kenntlichkeit entfaltet. Die Nachkriegseuropäer waren viel zu naiv und friedenssüchtig, um die inhärenten Fallen des Kapitalismus zu entdecken. Ohnehin wollte Deutschland nicht mehr den Fehler der 1789-versus-1914-Ideologie wiederholen und eine Front gegen den angelsächsischen Wirtschaftscalvinismus aufbauen.

Da die Deutschen nur Entweder-Oder können und aus einer Reaktionsbildung in die nächste fallen, hatten sie keine Chance, die Geister zu prüfen, das Beste – die englische Demokratie – zu übernehmen, und das Schlechte, den ökonomischen Darwinismus, auszusortieren.

Da man uns anfänglich einen sozial abgefederten Kapitalismus erlaubte, konnten die Warnblinkanlagen gar nicht zur Geltung kommen. Nach der desaströsen Weltkriegs-Niederlage erlebte Deutschland einen märchenhaften Wiederaufstieg – auch dank des Fußballs – in Wohlstand und Ansehen. Noch in den letzten Jahren war es das beliebteste Land der Welt. Eine unvorstellbare Rehabilitierung der einstigen Sünder & Schlächternation.

Doch nun beginnt erst die unverstellte Realität. Deutschland ist wirtschaftlich stark und muss „Führung“ übernehmen. Das ginge aber nur, wie neulich ein Amerikaner bei Plasberg sagte, wenn wir bereit wären, uns unbeliebt zu machen. Die Rolle einer ungeliebten bis gehassten Führungsmacht würden die Amerikaner zur Genüge kennen.

Er vergass nur, dass die Amerikaner in Nachkriegsdeutschland die beliebteste Nation waren. Macht kann auch man anders zeigen als durch Treten gegen Ohnmächtige.

Wie weiter mit Europa? Der Historiker Walter Laqueur untersucht die Lage des Kontinents nur unter dem Blickwinkel des Machtgerangels um die ersten planetarischen Plätze. Robert Misik glaubt an die Idee Europa.

 

62% der TAZ-Leser halten das Kölner Urteil gegen Zwangsbeschneidung bei Kindern für richtig.

Alle abrahamitischen Religionen sind einhellig empört gegen das Urteil. Die christlichen Kirchen können sich gönnerhaft-uneigennützig geben, wenn sie Religionsfeindschaft wittern, haben sie doch die fleischliche Beschneidung durch die geistige abgelöst:

„Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist und nicht das ist Beschneidung, die äußerlich am Fleische geschieht, sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und das ist Beschneidung, die am Herzen geschieht, im Geiste, nicht nach dem Buchstaben. Ein solcher hat sein Lob nicht von Menschen, sondern von Gott.“ ( Neues Testament > Römer 2,28 f / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/2/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/2/“>Röm. 2,28 f). „Die Beschneidung ist nichts und die Vorhaut ist nichts, sondern das Halten der Gebote Gottes ist alles.“ ( Neues Testament > 1. Korinther 7,18 f / http://www.way2god.org/de/bibel/1_korinther/7/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/1_korinther/7/“>1.Kor. 7,18 f)

Hier sehen wir den Wettbewerb zwischen orthodoxen Juden und der neuen Christensekte am deutlichsten. Nach Paulus sind die Neuen die wahren Alten, sie sind die eigentlichen Juden. Denn sie haben am besten verstanden, was der Sinn der Beschneidung war: eine neue Ethik, das Halten der göttlichen Gebote.

Die alten Juden wollten durch äußerliche Rituale Lob von Menschen, die neuen Juden wollen nur Lob von Gott. Diese Verinnerlichung der Religion wird im Satz zusammengefasst: der Buchstabe des Gesetzes tötet, der Geist macht lebendig.

Das Christentum ist eine jüdische Selbstkritik, die das Judentum durch Verinnerlichung und Vergeistigung reformieren wollte. Keine Rede, dass es sich anfänglich als judenfeindliche Bewegung verstand. Erst, als das alte Judentum die Erneuerer abzulehnen begann, erst, als es die Harmonisierungsversuche des Paulus – eines Tages werden wir zusammenkommen, wenn ihr zur Besinnung kommt und das wahre geistige Judentum erkennt – ablehnte, folgte der ersten abrahamitischen Religion durch Exklusion die zweite.

Christen wissen zumeist nicht, dass auch sie beschnitten sind, wenn auch nur im Geiste. Das Zeichen des Bundes mit Gott soll man nicht an einem körperlichen „Brandmal“ erkennen, sondern am Verhalten. Durch ein bis dahin noch nie gesehenes moralisches Verhalten sollten die Gojim beeindruckt und gewonnen werden.

Kein untypischer Karriereverlauf einer Religion von archaischen Blutopfern und körperlichen Stigmata zu einer vergeistigten Moralisierung. Das Judentum kannte viele Reformer im Verlaufe seiner Existenz. Es waren vor allem die Propheten, die ihr Volk in schärfster Weise vor religiöser Veräußerlichung warnten und zum Eigentlichen riefen:

„Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer? spricht der Herr. Satt habe ich die Brandopfer von Widdern und das Fett der Mastkälber und das Blut der Stiere und Lämmer und Böcke mag ich nicht Eure Neumonde und Feste hasst meine Seele; sie sind mir zur Last geworden, ich bins müde, sie zu ertragen“, schreibt Jesaja seinem Volk ins Stammbuch. ( Altes Testament > Jesaja 1,10 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/1/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/1/“>Jes. 1,10 ff) Jesus war für die Juden nur einer unter vielen Propheten.

Was soll an die Stelle der Äußerlichkeiten treten? „Tut hinweg eure bösen Taten, Höret auf, Böses zu tun, lernet Gutes tun! Trachtet nach dem Recht, weiset in Schranken den Gewalttätigen; helfet der Waise zum Recht, führet die Sache der Witwe.“ ( Altes Testament > Jesaja 1,16 f / http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/1/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/1/“>Jes. 1,16 f)

Wenn wir Feuerbach folgen und Religion als Erzeugnis des Menschen betrachten, haben die Juden ihren Gott in einem langen Prozess zur Moral erzogen.

Die Orthodoxen sehen das umgekehrt: Gott erzieht die Kinder Israels zum verinnerlichten Geist.

Den prophetischen Ermahnern ging‘s meistens schlecht, viele sträubten sich gegen den Auftrag von oben, weil sie Isolierung und Ablehnung durch das Volk fürchteten.

Jahwe hatte sich von einem ordinären Stammesgott zu einer geistigen Instanz entwickelt, die Macht über die ganze Welt forderte. Hand in Hand mit der Vergeistigung ging die Expansion zu einem monopolistischen Weltherrschergott einher.

Es war jene Zeit, in der in Griechenland der alte Mythus auch einer strengen Überprüfung unterzogen wurde. Die ehebrecherischen und gelagefreudigen Homer-Götter wurden immer mehr als lächerliche Zumutung empfunden.

Xenophanes könnte man als antiken Feuerbach ansehen. Götter müssen Erfindungen der Menschen sein, man sieht ihnen an, wer sie erschaffen hat. „Wenn die Pferde Götter hätten, sähen sie wie Pferde aus. Schwarz, stumpfnasig: so stellt die Götter sich der Äthiope vor, aber blauäugig und blond malt sich der Thraker die seinen.“

Popper nennt Xenophanes den ersten kritischen Rationalisten, denn Wahrheit war für ihn ein langsamer und mühsamer Prozess: „Nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles Verborgene gezeigt, sondern allmählich finden sie suchend das Bessere.“ Der erste Halbsatz war metaphorisch gemeint, Wahrheit als Offenbarung war für die neuen Philosophen unvorstellbar.

Erleuchtung gibt es nur in der Form selbsterarbeiteter Erkenntnis. An einen Gott konnte man durchaus noch glauben, doch weder war er Schöpfer noch Steuermann der Geschichte oder Erlöser der Menschheit, sondern ein abstraktes Vernunftprinzip, die mentale Inkarnation des Kosmos.

Der frühe Rationalismus der europäischen Moderne kannte denselben Gott der Vernunft. Ähnlichkeiten mit dem biblischen Gott waren rein zufällig und nicht im Sinne der Verfasser.

Der Gott in der Präambel der deutschen Verfassung ist für Martin Mosebach selbstverständlich der biblische, als ob es sonst keine anderen Götter in der europäischen Geschichte gegeben hätte.

Auch Voltaire war noch Deist, sein Gott war identisch mit der Raison. Aufklärung muss nicht identisch sein mit Atheismus oder Agnostizismus, jener Haltung, die sich aus diesen Fragen heraushält. Selbst Lustmolch Epikur hatte die Götter nicht abgeschafft, sondern nur in Pension geschickt. Gott als Lenker der Geschichte allerdings, das war mit moralischer Mündigkeit nicht verträglich.

Der Prozess der Vergeistigung des Göttlichen führte im antiken Palästina zur Scheidung von Judentum und Christentum. Derselbe Prozess bei den Griechen zur Philosophie.

Das christliche Credo und die hellenische Weltweisheit waren Ergebnisse desselben Prozesses des Erwachens und Nachdenkens über das Eine, was not tat. Und das Eine war: weg von äußerlichen Ritualen, hin zu einer neuen Glaubwürdigkeit durch neue Moral. Bei den Griechen weg von lächerlichen Mythen und Gottesgeschichten, hin zur eigenen Vernunft.

Doch das Christentum blieb auf halber Strecke stehen und fiel zurück. Anstatt die neue Gesinnung durch eine erneuerte Moral unter Beweis zu stellen, die von der ganzen Welt hätte bestaunt werden können, regredierten sie in eine neue Form des Rituals: des Glaubens und skurrilen Fürwahrhaltens.

Während in Hellas die Vernunft erwachte, gingen die Evangelisten und Kirchenväter auf Gegenkurs. Je absurder die Glaubensinhalte, desto glaubwürdiger waren sie. Credo, quia absurdum. Ein neues Ritual hatte das alte abgelöst, doch es war noch – aberwitziger als das alte.

Wenn der Glaube sich darin erkennt, dass er umso glaubwürdiger ist, je abwegiger und antivernünftiger er denkt: wie konnten die Europäer auf die Idee einer Verträglichkeit oder Harmonisierung beider inkompatibler Prinzipien kommen?

Immer wieder, von Thomas von Aquin bis Hegel, mühten sich abendländische Denker an der Synthetisierung von Offenbarung und Weltweisheit.

Immer wieder zerbrach die hirnrissige Konstruktion, versank in Sack und Asche und produzierte viel politisches Unheil unter den europäischen Staaten. Denn all ihre Streitigkeiten und Kriege beruhen auf nichts anderem als auf konkurrierenden Deutungen heiliger Sätze.

Beispiel Agape. Ist wahre Nächstenliebe a) Wohlstand oder Armut (englische Deutung gegen deutsche), b) Wohlstand für alle oder c) Wohlstand für einige mit unvermeidbarer Armut für viele, d) Wohlstand für die eigene Nation, der Rest der Welt muss in die Röhre gucken oder e) Wohlstand für die ganze Menschheit?

Ist Nächstenliebe nur ein familiäres Prinzip, für globale Weltwirtschaft untauglich (Hayek) – oder aber ein weltbeglückendes Politprogramm? Ist Nächstenliebe identisch mit sexueller Monogamie oder ein generelles Lustgebot mit der ganzen Gemeinde – wie frühchristliche Sekten die Agape nicht nur geistig verstanden und in frommen Orgien zelebrierten?

Adam Smith’ Abneigung gegen klerikalen Altruismus kann man nicht verstehen, wenn man seinen „ehrlichen und nüchternen“ Egoismus nicht als die neue und vernünftige Form des Altruismus versteht. Wer für sich selbst am besten sorgt, sorgt auch am besten für seinen Nachbarn. Er nützt ihm am meisten und schädigt ihn durch soziales Almosengeben am wenigsten.

Der Mechanismus „Herrschen durch Leiden, Macht durch Elend“ sollte ein für alle Mal der Geschichte angehören. Die Letzten sollten nicht mehr die Ersten sein, nur weil sie die Letzten waren. Die Untüchtigen sollten nicht mehr Herren sein, nur weil sie klerikale Parasiten waren. Die Demütigen sollten nicht mehr die Welt beherrschen, nur weil sie hochmütige Kanzelprediger waren. Moral sollte wieder eindeutig sein und keine dialektischen Spielchen nach dem Motto: Gott ist in den Schwachen mächtig.

Unter den Attacken der griechischen Vernunft hatte sich die Moral der Religiösen erneut weiterentwickelt. Leider ohne Dankbarkeit der Frommen an der richtigen Stelle. Im Gegenteil: die humanistische Moral der Demokratie und der Menschenrechte wird der heidnischen Vernunft unter dem Sessel weggeklaut und als Erzeugnis des Heiligen Geistes präsentiert.

Bis vor kurzem noch waren beide christlichen Kirchen darin einig, die „westlichen“ Werte wie die ewigen Rechte des Menschen in Bausch und Bogen zu verurteilen.

Die Deutsche Bewegung war eine theologische. Menschen wie Gauck, Mosebach, ja fast die gesamte deutsche Intelligenz, (Großhistoriker wie Winkler inklusive) lügen sich kollektiv in die Tasche. Doch nicht nur sich, sondern auch der Gesellschaft, die zu träge und apathisch gemacht worden ist, um diese dreisten Fälschungen mit Empörung zurückzuweisen.

Heute stünde eine ganz neue Reform der Religion an, um nicht länger in historischem Blendwerk, geistlichem Wirrwarr und moralischer Beliebigkeit – die bei rechtem Glauben stets abgesegnet wird – in Erstarrung zu verfallen. Sie müsste sich selbst abschaffen und mit wehenden Fahnen zur Vernunft übergehen.

Wenn das Judentum sich durch das Kölner Urteil in seiner Identität angegriffen fühlt, weil archaische Rituale verboten werden, wäre ungewollt die Frage beantwortet, was Judentum sei: Religion oder Rasse? Es sei denn, atheistische Zionisten erhöben ihre Stimme zum Protest gegen ihre protestierenden Landsleute. Solche Stimmen soll es geben, behauptete der Rechtsgelehrte Holm Putzke in einer gestrigen Radiodebatte.

Die Argumente gegen das Urteil lassen sich auf folgende reduzieren: 1) Das Ritual der Beschneidung ist uralt. 2) Es ist hochbedeutend zur religiösen Selbstfindung. 3) Es war schon immer so und bisher gab‘s noch keine negative Beurteilung durch anmaßende Richter.

Alle drei Argumente ließen sich nach Belieben erweitern auf die uralten Tatsachen des Opferns (ursprünglich sogar des Opferns von Menschen), des Ketzerverbrennens, inquisitorischen Folterns und sonstiger Lieblichkeiten im Namen unfehlbarer Religionen.

Michel Friedman schreckt nicht davor zurück, dem Gericht die philosophische wie juristische Kompetenz zu entziehen. „Es gibt nicht die eine Wahrheit, sondern Wahrnehmungen von verschiedenen Wahrheiten. Dies gilt vor allem, wenn es um rechtsphilosophische Fragen geht.“

Sagt der versierte Medienmann in Verteidigung einer Religion, die – das Monopol der einen und unverbrüchlichen Wahrheit für sich reklamiert.