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Donnerstag, 22. März 2012 – Aly und Broder

Hello, Freunde der Demokratie,

soll das ein Scherz sein? Dann wäre er von Übel. Indiskutabel, wenn es kein Scherz wäre. Ein Trend- und Zukunftsforscher erklärt, ohne mit der Wimper zu zucken, in der BZ: „Seien wir ehrlich. Die Demokratie ist gescheitert.“

Der Herr will die Monarchie nach Vorbild der englischen. Die englische ist eine konstitutionelle Monarchie, kein Gegenteil zur Demokratie. Solche Kleinigkeiten muss ein Trendforscher, der mit einer Engländerin verheiratet ist, nicht wissen. Das tarnt sich wie bitterböse Ironie und schaukelt sich frivol in gefährliches Gelände.

Dem prophetischen Clown passen die vielen Kapitalismuskritiker nicht, gleichzeitig wirft er den Deutschen vor, sie wollten sich alles von einer großen Lichtgestalt vorschreiben lassen. Die einen brauchen in Bronze gegossene Pastoren mit dem Rohrstock, die anderen in Evolution gegossene Wirtschaft.

Nicht Antisemitismus sei das Problem in Frankreich, sondern die mangelnde Integration der 5 Millionen Muslime. Seit drei Jahrzehnten verspricht der französische Staat große Pläne zur Sanierung der Vorstädte. Nichts geschieht.

Stattdessen heizt Sarko die Fremdenfeindlichkeit an, um den rechten Rand abzufischen. Nun kann er den großen Staatsmann spielen. Hollandes Vorsprung ist schon geschwunden. Die Mehrheit der Muslime verabscheut Terrorismus.

Auch Alfred Grosser sieht keinen überdimensional gefährlichen Judenhass am Werk. Die Kritik an Israel werde in seinem Land als Antisemitismus diffamiert. Prominente Stimmen in Israel fühlen sich

durch die Schreckenstat von Toulouse bestätigt, dass die ganze Welt Israel hasst und die Juden sich auf niemanden verlassen könnten.

Das Leid französischer Juden wird benutzt, um den Bellizismus des Landes voranzutreiben und zu legitimieren. Auch eine globale Verschwörungstheorie, wenn man glaubt und es nötig hat, sich von lauter feindlichen Gojimstaaten umzingelt zu fühlen.

Die Siedler und Ultras prägen immer mehr die Stimmung im Heiligen Land, schreibt Gideon Levy von Ha’aretz. Eine uralte Botschaft ist die Agenda ihrer aktuellen Politik: „Der Herr kommt, die Erde zu richten. Der Herr ward König – es zittern die Völker.“ Wenn die heidnischen Völker zittern, muss das auserwählte Volk vor den neidischen Völkern zittern: so zittert man sich gegenseitig hoch.

Europa wird von Konservativen bestimmt. Im Zentrum des eliten-freundlichen Blocks stehen Merkel und Sarko. Nun wollen Sozialisten und Sozialdemokraten den Zeitgeist wenden.

Doch die Truppe ist klein und sich gar nicht einig. Hollande will die Reichen mit 75% Steuern belegen, da zucken Gabriel & Co schon zurück. Sie wollen mit Mama Merkel wieder in eine Große Koalition, da gibt es kein Platz für Experimente. Wenn Hollande an die Macht käme, würde er das kapitalfreundliche Fiskalpaket revidieren.

Die Macht der Banken und der Finanzjongleure ist zwar in die Krise geraten, doch die Sozialisten sind außerstande, Vorteile daraus zu ziehen. Sie sind zu hasenfüßig und scheuen klare Worte und Taten.

In England ticken die Uhren ohnehin anders. Cameron will seine Oberschichtfreunde noch mehr entlasten und plant Steuersenkungen für Superreiche – natürlich zum Vorteil des ganzen Landes. Kommt die Flut, heben sich alle Boote. Kommt die Sintflut, überlebt nur die auserwählte Arche.

 

Henryk M. Broder hat vor Monaten Götz Alys Buch gelobt, nun lobt Götz Aly Broders neues Buch zurück: „Vergesst Auschwitz“.

Während bestallte Akademiker wie Wolfgang Benz „arteigene“ unlesbare Schwarten über das Thema Antisemitismus absonderten, seien Broders Texte „pointiert, spitz und mit Vergnügen geschrieben.“

Ihnen fehle der verschwiemelte Bierernst der Uni-Experten, die immerzu von „Vorurteilen gegen Jüdinnen und Juden“ schrieben, im Grunde aber nur ihre üppigen Professorenstellen auf Kosten von Verkäuferinnen, Polizisten und Fließbandarbeitern sichern wollten.

Broder verhelfe seinen Lesern zum Lachen, zum befreienden Lachen über sich selbst, während der wehleidige Benz über „Rufmordkampagnen“ weine, die gegen ihn losgetreten würden. Ach Gottele.

Mit Aly und Broder wird’s luschtig in der düsteren Auschwitzbaracke. Broder erinnert in jeder Talkshow an seine großen Vorbilder Charly Chaplin und Mel Brooks, die das Phänomen Hitler mit beißender Satire auf die Schippe genommen hätten.

Stalin, so Broder, sei wenigstens ein Schlächter von Format gewesen, Hitler nur ein erbärmliches Würstchen. In der Hitler-Biografie von Werner Maser ist zu lesen, der eingebürgerte Österreicher habe nicht mal richtig lesen und schreiben können; sein Stil sei mangelhaft, seine Bildung lückenhaft und wahllos gewesen. Wenn die Deutschen einem debilen Würstchen aufgesessen sind, was verrät das über ihre Verführbarkeit?

Jetzt kommt eine neue Epoche der Vergangenheitsaufarbeitung. Nicht mehr beklommener Tiefsinn und aufgesetzte Pietät, ab jetzt wird gescherzt. Beim nächsten Auschwitz-Gedenktag wird das Duo Broder & Aly sich die besten Hitlerwitze und Holocaustpointen zuwerfen.

Was sei der verborgene und verdrängte Kern des deutschen „Erinnerungswahns“? Anders als in Kaisers Zeiten dürften die Deutschen nicht mehr von einer Judenfrage sprechen, also versteckten sie ihren Judenhass hinter „Israelkritik“ und „Solidarität mit den Palästinensern“. Im Grunde ginge es dabei nur um Schuldübertragung und -reduktion.

Eine interessante These, die plausibel erscheint. Die Deutschen haben viel Schuld auf sich geladen. Doch wer will sich sein ganzes Leben mit Schuld und schlechtem Gewissen vermiesen?

Welch Parallelismus der Ereignisse. In der Finanzwelt geht es um exorbitante Schulden, alle Völker dieser Welt leben über ihre Verhältnisse. Nun schlägt die Stunde des Schuldabtragens, man will unbelastet einer glitzernden Zukunft entgegen gehen.

Gehen Sie zurück zum Anfang, beginnen sie unbelastet von vorne. Popper spricht von der Mentalität der weißen Leinwand. Jede faschistische Diktatur erhebt den Anspruch, schuldenlos und vergangenheitsbefreit von vorne zu beginnen, vom Punkte Null der Unschuld und moralischer Jungfräulichkeit.

Die Lasten der Vergangenheit drücken heute immer mehr, ähnlich dem Christus auf den Schultern des Heiligen Christopherus. Wer nicht mehr den Kopf drehen kann und starr nach vorne schauen muss, für den ist Retro nur noch ein Mühlstein am Hals.

Zeit für einen Neuanfang von Grund auf. „Gedenket nicht mehr der früheren Dinge, und des Vergangenen achtet nicht. Siehe, nun schaffe ich Neues.“ ( Altes Testament > Jesaja 43,18 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/43/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/43/“>Jes. 43,18 f)

Das Christentum gilt noch immer als Religion des Erinnerns an die großen Taten des Herrn, als Religion der Geschichte. Doch es geht allein um Rühmung und Preisung der Triumphe, die Schattenseiten von Schöpfer und Geschöpf sollen vertuscht werden – wenn sie aufrichtiger Reue anheim gefallen sind.

Vergangenheit ist die Epoche der aufsummierten Schuld, die jeden Einzelnen, jedes Kollektiv, zu ersticken droht, wenn es keine Rituale der Säuberung, der Entsühnung, der innerlichen und äußeren Taufe, eines Bads der Wiedergeburt gibt.

In „primitiven“ Kulturen gab es regelmäßige Rituale der Erneuerung, durch Feiern, tagelange Orgien, rauschartige Zustände, symbolische Rückkehr in den Schoss der Mutter Natur, wo noch alle eins waren und der „Sündenfall“ der Vereinzelung noch nicht stattgefunden hatte.

Wie immer hat die Väterreligion diese Reinigungsriten imitiert, entwendet und auf den Kopf gestellt. Den sündigen Schoss der Mutter ersetzt der Vater durch einen keimfreien geistigen Gnadenakt, bei der die Taufe nur ein symbolisches Wässerchen ist. „Ich will ihrer Sünden nicht mehr gedenken.“

Das klingt nicht nach Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten oder dem einstmals beliebtesten Wort für jede Holocaustfeier: In der Erinnerung liegt das Geheimnis der Versöhnung.

Gott verspricht, sich nicht mehr zu erinnern, wenn der Gläubige Buße tut und sich dem Willen des Höchsten unterwirft. Wie Er dieses operative Vergessen vereinbart mit der endgültigen Abrechnung am Ende aller Tage, wo die Bücher aufgetan werden, bleibt Sein Geheimnis. Auf jeden Fall wird nach Tilgung des Vergangenen das Neue beginnen.

Und woran erkennen wir das Neue? Gott wird seine Fehler von einst korrigieren, wird sein Gesetz nicht mehr in die Hände einer autoritären Kaste legen, sondern jedem Einzelnen ins Herz gravieren: „Ich will mein Gesetze in ihren Sinn legen und sie ihnen ins Herz schreiben, und ich will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. Und nicht werden sie jeder seinen Mitbürger und jeder seinen Bruder lehren mit den Worten: Erkenne den Herrn. Denn alle werden mich kennen vom Kleinsten bis zum Größten unter ihnen. Denn ich werde gegen ihre Ungerechtigkeiten gnädig sein und ihrer Sünden nicht mehr gedenken.“ ( Neues Testament > Hebräer 8,10 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/hebraeer/8/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/hebraeer/8/“>Hebr. 8,10 ff – Übrigens ein Zitat aus Altes Testament > Jeremia 31,33 f / http://www.way2god.org/de/bibel/jeremia/31/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jeremia/31/“>Jer. 31,33)

Gott vergibt sich selbst seinen anfänglichen Pfusch, dass er sein Gesetz nicht von Anfang an den Menschen ins Herz gelegt habe.

Das ganze Drama der Heils- und Unheilsgeschichte hätten wir uns sparen können. Die Bibel als Protokoll derselben wäre nie geschrieben worden. Eine Geschichte hätte es nicht gegeben. Die Menschheit wäre im matriarchalen Stadium der ewigen Wiederholung des Gleichen verblieben. Das ganze Elend des Menschen im ewigen Hin und Her zwischen Gottesnähe und -entfernung: überflüssig.

Die gesamte Geschichte nichts als Kollateralschaden einer göttlichen Fehlleistung. Im Gegensatz zu Calvin und Luther halten die Katholiken – unter aristotelischem Einfluss – am freien Willen des Menschen fest. Gott habe dem Menschen die Chance gegeben, sich zwischen Gut und Böse zu entscheiden.

Da müssen Jeremias und der Verfasser des Hebräerbriefes etwas nicht verstanden haben, sonst hätten sie die Freiheit des Willens nicht als Folge göttlicher Fehlbarkeit und Schuld deuten dürfen. Denn wenn das Gesetz von Anfang an dem Menschen ins Herz geschrieben worden wäre, hätte er sich nicht mehr dagegen entscheiden können – und wollen.

Gott gesteht so nebenbei seine riesige Fehlentscheidung, verhält sich ansonsten wie jeder echte Vater: er spricht von der Schuld der andern. Seine Schuld tilgt er, indem er die Schuld der andern in den Mittelpunkt rückt und sie ihnen großzügig vergibt.

Woher die Schuld der Menschen kommen soll, ist schleierhaft, denn sie war die unerlässliche Folge väterlicher Unfähigkeit. Der Mensch muss für die Schuld des Vaters büßen, indem er alles auf seine Schultern lädt und zu Kreuze kriecht.

Jeder Hundebesitzer kennt diesen Vorgang, wenn er seinem Liebling versehentlich auf die Pfoten tritt und die arme Kreatur angewinselt kommt – um sich bei seinem Herrn für dessen Unachtsamkeit zu entschuldigen.

Im paradiesischen Zustand gibt es niemanden mehr, der sich dem Gesetz Gottes widersetzt, denn es ist ihm innerlich geworden. Lehrer, die ihm das Gesetz per Rohrstock oder Religionsunterricht einbläuen, braucht’s nicht mehr. Jeder ist sein eigener Lehrer, weil Gott der wahre Oberlehrer ist und allen alles höchstpersönlich beigebracht hat.

Ende des Lernens, Ende aller Offenbarungen. Wir brauchen keine Lehrer und Priester mehr, denn Er hat uns alle persönlich von Natur aus belehrt. Von Natur aus natürlich nicht, denn Natur ist minderwertig, höchstens könnte man sagen: von der neuen Natur aus, die sich im Paradies von Grund auf erneuert hat.

Da passt es vorzüglich, dass der Herr seinen Jüngern vorhält: „Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen, denn einer ist euer Lehrer, Christus.“ ( Neues Testament > Matthäus 23,10 / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/23/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/23/“>Matth. 23,10)

Wir sehen, alle irdischen Strukturen der Natur und der Menschenwelt werden ausgelöscht und in höhere Strukturen verwandelt. Blutsverwandte Familie? Nichts: ab jetzt nur noch Geschwister im Herrn. Irdische Lehrer? Nichts: nur noch der eine Lehrer, der schon mit zwölf Jahren die Weisen im Tempel beeindruckte. Orgiastische Selbstreinigung? Nichts: nur noch Reinigung und Vergebung von oben. Irdisch-zyklische Zeit der ewigen Wiederholung des Gleichen? Nichts: die lineare Zeit der Heilsgeschichte. Die irdische Mutter Natur? Nichts: der Vater von oben.

Was gleichzeitig bedeutet, dass auch natürliche Väter ausgedient haben und durch Besseres ersetzt werden. „Nennt auch niemand auf Erden euren Vater; denn einer ist euer Vater, der himmlische.“ ( Neues Testament > Matthäus 23,9 / http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/23/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/matthaeus/23/“>Matth. 23,9) Womit, liebe Mitscherlichs, auch klar sein müsste, wo die vaterlose Gesellschaft begonnen hat: mit der offiziellen Vaterschaft von Oben.

Präzis müsste man sagen: die ganze Natur und Menschenwelt wird abgeräumt zugunsten einer fiktiven Überwelt, die sich vampyrisch über die natürliche Unterwelt hergemacht hat und sie mit Haut und Haaren verschlingt.

Es ist wie bei Alien-Filmen aus dem frommen Hollywood – dessen ganzes Ideenreservoir der Schrift entstammt, was kein Filmkritiker von Format sehen darf –, wo feindliche Fremde aus einer andern Welt sich gekonnt in irdische Personen verwandeln, sodass es fast niemandem gelingt, zwischen echten und falschen Menschen zu unterscheiden.

Die Väterreligion ist eine nützliche Erfindung. Sie macht dem schuldbewussten Menschen das Angebot, die Lasten der Vergangenheit abzuwerfen und von vorne zu beginnen.

Deutsche, greift zu, nur so könnt ihr eure historischen Schulden loswerden. Werdet wieder fromm, kehrt zurück unters Kreuz, sonst seid ihr in der Gefahr, aus lauter unbearbeitetem Schuldbewusstsein – zu Antisemiten zu werden oder sonstige Fehl- und Übersprunghandlungen zu begehen.

Götz Aly und Broder scheinen sich einig, dass die Deutschen ihre eigene Schuld loswerden wollen, indem sie sie abladen bei ihren ehemaligen Opfern: schaut, die Opfer sind auch nicht besser als wir Täter. Wie die mit ihren palästinensischen Opfern umgehen, das ist ein Skandal.

Freud würde von Projektion, Verdrängung und Verleugnung sprechen. Da sollten wir den beiden dankbar sein, dass sie einen Punkt angesprochen haben, der im rituellen Oberflächengedenken fast immer unter den Tisch fällt. Doch bei näherem Hinsehen, ergeben sich noch ein paar kleine Fragen.

1. Von welcher Schuld sprechen wir? Der Schuld der Täter, die – seit Demjanjuks Tod – fast alle ausgestorben sind?

2. Der Schuld der Kinder der Täter? Nur die könnten Broder & Aly gemeint haben. Wie oft wird gesagt, dass die jungen Deutschen keine Schuld mehr tragen. Warum sollten sie dann eine Schuld abwälzen oder reduzieren wollen?

3. Sind Kinder der Täter noch immer schuldig? Gewissermaßen stellvertretend? Obgleich sie kein Blut mehr an ihren Händen haben, angeblich die zweitbesten Freunde der Juden geworden sind und ohne zu zögern U-Boote und sonstige Kleinigkeiten in ein krisengeschütteltes Gebiet liefern und damit gegen ihre eigenen Statuten verstoßen?

4. Kann es sein, dass die Kinder für ihre Väter und Mütter büßen müssen, weil die Schuld nach der biblischen Norm behandelt wird: „Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen.“ ( Altes Testament > 2. Mose 20,5 / http://www.way2god.org/de/bibel/2_mose/20/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/2_mose/20/“>2.Mos. 20,5)

Dann wäre eine göttlich verhängte Sippenhaft das geheime Movens der jüdisch-deutschen Spannungen? Und Broder & Co wären die Hohenpriester, die diese Sippenhaftung überwachten und einforderten? Ihre Botschaft lautete: Glaubt ja nicht, Deutsche, dass ihr mit der Schuld eurer Väter fertig seid. Noch immer seid ihr besudelt, und zwar solange, bis wir euch sagen, dass ihr es nicht mehr seid. Frühestens in zwei, drei Generationen. Einige Schuldexperten sprechen sogar von ewigen Zeiten und nie erlöschender Schuld.

5. Dann gäbe es keinerlei Hoffnung für die Sündenkrüppel, jemals das Bad der Wiedergeburt zu erleben und von vorne zu beginnen? Was ja nicht identisch mit Vergessen und Verdrängen sein müsste!

Merkwürdig, dass diese Fragen in der deutschen Öffentlichkeit bei keinem rituellen Gedenken gestellt werden. Sie bleiben tabu. Mit dem – gewollten? – Effekt, dass junge Deutsche noch immer mit gesenktem Kopf die politische Bühne betreten und Juden sich permanent genötigt fühlen, die unaufhörliche Schuld der Täterkinder anzumahnen.

Keine gute Voraussetzung für eine wahrhafte „Versöhnung“. Oder, wem das zu viel ist, für gegenseitiges Verstehen und für eine emotionale Spannungsreduktion.

Broder & Co haben recht, wenn sie unermüdlich darauf aufmerksam machen, dass diese unerledigten Fragen das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden in allen Facetten kontaminieren und selbst die berechtigte Kritik am Staat Israel verzerren und verfälschen können. Aber nicht automatisch müssen.

Solange die Deutschen atmosphärische Christen bleiben, werden sie keine Möglichkeit haben, ihrer großen, übergroßen Schuld anders zu entkommen, als durch Bußgang nach Canossa und endlosem Kotau vor Priestern und israelischen Politikern, die den Holocaust für aktuelle Zwecke dienlich machen.

Sollten sie aber selbstbewusste Wesen werden, müssten sie sich überlegen, ob es eine vernünftige Form der Ent-Schuldung gibt, ohne die Schuld ihrer Väter zu leugnen. Erst dann wären sie in der Lage, eine Beziehung auf gleicher Augenhöhe mit den Kindern der Opfer aufzubauen. Das wäre ein wirklicher Neuanfang.