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Donnerstag, 13. Dezember 2012 – Gottlose

Hello, Freunde Europas,

was muss passiert sein, wenn Westerwelle in markiger Brille und mit markanten Worten Italien vor einem Fehlschritt warnt, wenn Börsen ins Zittern, Monti-Reformen ins Wanken kommen und das Selbstbewusstsein eines ganzen Kontinents in die Knie geht?

Ein priapisches Männlein mit Scheckbuch steht vor den Toren und grinst verrucht. Gegen Verruchtheit ist das moralische Alteuropa wehrlos. Als Westerwelle gesprochen hatte, entschlossen sich viele Italiener – die bis dahin noch gezögert hatten – das Männlein auf den römischen Thron zu heben. Grazie Guido, für deine Wahlkampfhilfe, Dein Silvio.

 

In Deutschland sorgen sich christliche Politiker um Christen in aller Welt, die von konkurrierenden Religionen bedroht werden. Um bedrohte Atheisten und Andersgläubige kümmern sie sich weniger.

Religionskritische Menschen werden in islamisch geprägten Ländern verfolgt. In Afghanistan, Iran, den Malediven, Mauretanien, Pakistan, Saudi-Arabien und Sudan droht ihnen die Todesstrafe.

Auch in den christlich geprägten Ländern Europas und in den USA würden Atheisten und Humanisten wie Aussätzige behandelt, heißt es im Bericht einer amerikanischen Atheistenvereinigung. In mindestens sieben US-Bundesstaaten werden Nicht-Gläubige vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen. In Arkansas ist es ihnen sogar gesetzlich verboten, vor Gericht als Zeuge auszusagen. Vermutlich, weil sie

vor Gott schwören müssen, die Wahrheit zu sagen.

Ohne Gott ist der Mensch nicht imstande, die Wahrheit zu sagen. Er ist Knecht des Teufels, des Vaters der Lüge. Besonders in jenen Demokratien, die sich in ihrem Vorwort auf einen unbekannten Gott beziehen, den viele hierzulande inwendig zu kennen glauben.

In Deutschland sind Atheisten schlimmer als Kinderschänder: sie sind Antisemiten der verruchtesten Art. In geschlossener Phalanx aller Gottgläubigen hat der Bundestag die gottlosen Horden abgewehrt und ein religiöses Gebot über das irreligiöse Gesetz erhoben. Nun ist Ruhe an der Front der jubilierenden Erlöser. Bis zum nächsten bellum sanctorum.

Die Geschichte des religiösen Abendlandes kennt viele Gefährdungen, keine waren schlimmer als die Wanderratten.

„Die radikale Rotte
Weiß nichts von einem Gotte.
Sie lassen nicht taufen ihre Brut,
Die Weiber sind Gemeindegut.
Der sinnliche Rattenhaufen,
Er will nur fressen und saufen,
Er denkt nicht, während er säuft und frißt,
Daß unsre Seele unsterblich ist.“

Dabei waren die Wanderratten noch harmlos. Sie wollten nur das Eigentum der Satten. Mit Knödelgründen und Rinderbraten wären sie schnell zu besänftigen gewesen.

Schlimmer sind die Gottlosen, die nicht eher ruhen, bis sie den blutigen Skalp eines Gottes als Trophäe an die Wand nageln können. Im Judentum, Christentum, im Islam gibt es keine verruchtere Horde als die Gottesleugner.

Brecht lag völlig daneben. Zuerst kommt nicht das Fressen. Zuerst kommt die Seelennahrung, im Abendland die exquisite Variante unsterblicher Seelennahrung. Zuerst kommt Seele, dann Gott, dann lang, lang nichts. Dann kommt wieder die Seele … da capo. „Nur Gott und die Seele will ich erkennen, sonst nichts“, das war ab Augustin die Reihenfolge der begehrlichen Güter, alles Irdische war Firlefanz.

Es ist der Stumpfsinn der Materialisten, dass sie die wahren Bedürfnisse des Menschen nicht erkennen. Ja, wenn die Menschheit über Generationen gesättigt wäre mit Knödeln und Rinderbraten, sich auch von Herzen lieben würde, dann, ja dann vielleicht hätte der Oblatengott keine Chance mehr.

Der Gott gibt sich ihnen selbst zu Speis und Trank, wohlwissend, dass sie von seinen Menüandeutungen nicht satt werden. Dann müssen sie sich auf die Natur stürzen und sie so rattenkahl auffressen, dass ihnen nichts mehr anderes übrig bleibt, als sich in Seine Große Hand zu flüchten.

Solange Menschen hungrig und unglücklich sind, solange werden sie sich lieber an göttliche Instantbefriedigung halten – auch wenn sie illusorisch ist – als zu glauben, dass eines fernen Tages das irdische Schlaraffenland ausbrechen wird.

Gott ist das illusorische Jetzt, Hier und Sofort. Keine Vertröstung auf ein globales Dorf, wo jeder jeden füttern wird. Gott ist immer ansprechbar, überall anwesend, er sieht dich, hört dich, manche Leute behaupten gar, sie hätten ihn schon reden hören. Seine Botschaften liegen als Drucksachen jedem vor und beim Lesen kann man sich gesättigter fühlen als beim Spanferkelschlemmen.

Wenn endliche Bedürfnisse nicht gesättigt werden, rächen sie sich und werden unendlich. Das deutet auf einen unendlichen Gott und einen nie endenden Kapitalismus, der keine Bedürfnisse sättigt, sondern, indem er sie sättigt, sie noch hungriger macht. Wären Bedürfnisse endlich und mit endlichen Mitteln zu sättigen, gäb’s keinen Kapitalismus.

Mit Endlichkeiten lässt sich der Kapitalismus erst gar nicht ein. Wessen Seele unsterblich sein will, der hat den Kapitalismus schon von ferne gesichtet. Erst im Unendlichen kommen Seele und Kapitalismus auf ihre Kosten.

Im Griechischen gab‘s keine Unendlichkeit, da war alles rund. Im Althebräischen nicht anders, da starben Patriarchen alt und lebenssatt. Heute sterben fast alle Zeitgenossen lebenshungrig und in der Angst, das wichtigste versäumt zu haben. Wer Angst hat vor dem Tod, hat sein Leben nicht gelebt.

Als die gesättigten Kreisläufe zerbrachen und in Linien zerfielen, erschien die Zeit, die sich als lineare Geschichte präsentierte. Der Gott der Linie stellte sich als Gott der Zeiten vor, der war, ist und sein wird. Wenn aber das Seinwird nie eintritt, kommt kein Bedürfnis mehr zur Sättigung. Sättigung findet immer in der Zukunft statt, die kein Mensch je erleben wird.

Die Zukunft wird zum Reservoir aller Bedürfnisbefriedigungen, die nie stattfinden werden. Es gibt eine Korrelation zwischen dem Maß brünstiger Zukunftserwartung und dem Maß unstillbarer Bedürfnisse. Sage mir, wie begierig du in die Zukunft schaust und ich sage dir, wie unbefriedigt du bist.

Wenn Zukunft das Ziel des Lebens ist, wird das Ziel unerreichbar. Dann ist Unterwegssein alles. Von Supermarkt zu Supermarkt, von der Mietwohnung zum Häuschen zur Villa zur Villa auf Marbella und wenn du in Zukunft nicht gestorben sein wirst, wirst du nach oben aufsteigen, bis Onkel Schröder dich entdeckt, dir gratulieren und den Ehrenbambi des besten Aufsteigers überreichen wird.

Doch wie in Kafkas Kaiserlicher Botschaft wird das nie passieren. Sonst wär das Leben nichts Unendliches, sondern Endliches. „Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst dir die Befriedung deines Lebens, wenn der Abend kommt. Aber niemals, niemals kann es geschehen.“

Die Gottlosen sind deshalb so gefährlich, weil sie auf Sättigung bestehen. Lieber hungern sie Generationen lang, als sich von virtueller Instantbefriedigung abspeisen zu lassen.

Doch da machen sie sich die Mächtigsten zu Feinden, die es auf dieser Welt gibt. Die Sprecher Gottes und die Sprecher des Kapitalismus, die jede endliche Befriedigung abweisen und solche Ketzereien sofort den Gerichten Gottes übergeben, die den Endlichen zeigen, dass sie endlich sind und die kurzen Prozess mit ihnen machen.

Das gesamte Glaubensgebäude der Moderne fiele in sich zusammen, wenn die Endlichen sich einmal durchsetzen würden. Da gäb‘s keine Dynamik, keine Zukunft, kein Erneuerungsgetue, kein ewig lineares Werden, keine wachsende Konjunktur, keine Zukunftsforscher, sondern immer nur Gegenwart und gesättigte Befriedigung im Kreis herum, widibum. Da gäb es nur Heimat auf Erden und keine Stadt im Jenseits, die wir suchen müssen. Das Jenseits ist von Agenten des Kapitalismus erfunden worden als Chiffre für das Niemals.

Gottlose haben nichts gegen Götter, da wären sie ja bescheuert. Götter sind niedliche Tierchen und wenn man gut zu ihnen ist, sind sie sogar nützlich. Jeder Baum und Strauch ein Gott, ist das nicht sinnvoller als Hobbit-Filme mit Zwergen, Elfen und Orks?

Wenn die Welt göttlich wäre, würden die Menschen sie göttlich hegen und pflegen. Nein, durch Götter wird Natur nicht besser, sie ist schon vollkommen. Götter wären nur ein pädagogisches Mittel, die Natur ansprechbarer zu machen.

Gottlose haben nur was gegen Götter, wenn die sich zu wichtig nehmen und beginnen, herumzukommandieren und etwas Besseres sein zu wollen als alle Lebewesen zusammen. Ja, wichtiger als die Natur. Dann ist Schluss mit lustig. Solch aufgeblasene Heinis können wir nicht brauchen. Denen müssen wir die Luft ablassen, damit sie zur Kenntlichkeit schrumpfen und wieder freundlich zu schnurren beginnen.

Jeder Gott, der wichtiger und mächtiger sein will als der Mensch, muss auf der Agora Rede und Antwort stehen wegen seiner lächerlichen Angeberei. Man weiß, dass Machogötter unendlich schlecht sind im Argumentieren. Deshalb donnern und blitzen sie gern vom Himmel, um die Menschen prophylaktisch mit Getöse zu beeindrucken, ja, zum Verstummen zu bringen.

Im Grunde drücken sie sich nur vor der messerscharfen Vernunft der Menschen. Also höhnen sie im Greisenchor – Göttinnen machen bei diesem Himmel- und Höllengeschwurbel nicht mit – gegen die Vernunft der Sterblichen. Vernunft sei Torheit, sie übernehme sich, mische sich in Dinge ein, die zu hoch für sie seien, so gröhlen und schimpfen sie gegen das Beste der Menschen.

Aus dem einzigen Grund, weil sie gegen den menschlichen Verstand nicht ankommen. Das kleinste Kind legt mit seinen Kinderfragen einen aufgeblasenen Götterwicht auf die Matte.

Vernunft, so sagen ihre Verächter, sei unverschämt und wolle, dass alles nach ihrer Pfeife tanze. Natürlich will sie das, denn sie will, was alle Lebewesen selber wollen, wenn sie es nur dürften. Vernunft ist die geschwisterliche Stimme aller natürlicher Wesen, denn Mutter Natur ist pure Vernunft.

Dummkopf! Natürlich gehören Gefühle zur Vernunft. Sollte Natur keine natürlichen Gefühle für ihre Geschöpfe aufbringen? Dann wäre sie zu einem männlichen Gott degeneriert. Sind nicht alle Männer emotionale Krüppel? Stimmt, das stimmt wirklich. Man schaue nur den emotional verkrüppelten Schöpfer aller Dinge an. Wie der mit seinen eigenen Kindern umgeht, sie erst in die Welt setzt und dann die meisten zur Minna macht, das könnte kein neunschwänziger Teufel erfinden.

Und dies alles – welch genialer PR-Trick – unter dem Vorwand der Liebe. Dabei will er nur selbst von allen geliebt werden. Kein vernünftiges Wesen im Universum liebt ihn. Er ist ganz allein, weil er’s mit niemandem aushalten kann. Alle Leute hat er mit seiner krankhaften Eifersucht vertrieben.

Und wenn seine Geschöpfe sich gegenseitig lieben sollen, klingt das geradezu pervers: „Wenn dein Feind hungert, so speise ihn; wenn er dürstet, so tränke ihn; denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ Dies soll das Beste sein, mit dem die Guten das Böse überwinden wollen: den andern anzünden? Hallo, was schreist du denn? Ein Erwählter hat mich geliebt, ich brenne von oben bis unten.

Gottlose wollen keine mächtigen Priester, keine mächtigen Götter, keine Macht überhaupt. Sie wollen, dass Menschen sich selbst entscheiden, wie sie ihr Leben zubringen. Das verzeiht ihnen keine irdische Macht, die sich daran gewöhnt hat, Menschen einzuschüchtern, ihnen Angst zu machen, sie mit unsinnigen Jenseitsversprechungen zu bestechen und sie nach Belieben herumzukommandieren.

Gottlose träumen von einer macht-befreiten Welt. Und wie sagen unsre amerikanischen Freunde immer? Lebe deinen Traum.

Selbst die Griechen hatten anfänglich Probleme mit Gottlosen. Die athenische Polis – damals noch enorm rückständig – hatte was gegen Menschen, die keine oder andere Götter hatten, als die Stadt es allen vorgeschrieben hatte. Als Platon sein perfektes Gemeinwesen erfand, waren private oder keine Götter strikt verboten. Wer dagegen verstieß, sollte mit dem Tod, in besonders schweren Fällen sogar mit mehrfachem Tod bestraft werden (Gesetze 908 ff). Denn gottlose Gesellen werden allzu leicht zu Tyrannen, Volksführern, Feldherren, Stiftern staatsgefährlicher Privatmysterien, ja, zu frei denkenden Menschen, die Platon Sophisten nennt.

Da diese Freigeister in Wortgefechten kaum zu schlagen sind, werden sie schnell frech und glauben, sich mit ihrer Besserwisserei alles rausnehmen zu können. Diesen boshaften Gesellen sollte schnellstmöglich das Hand- und Maulwerk gelegt werden. Damit sie nicht glauben, sie dürften, „wenn sie im Wortgefecht einmal die Oberhand gewinnen, es sich herausnehmen, nach Belieben alles zu tun, was ihnen ihre Gottlosigkeit gerade in den Sinn gibt, mag es nun viel oder wenig, so oder so beschaffen sein.“ (907)

Da gab es den Sophisten Protagoras, der dreist behauptete, von Göttern keine Ahnung zu haben. „Was die Götter angeht, so ist es mir unmöglich, zu wissen, ob sie existieren oder nicht, noch, was ihre Gestalt sei. Die Kräfte, die mich hindern, es zu wissen, sind zahlreich, und auch die Frage ist verworren und das menschliche Leben kurz.“ Das war schon kein geringer Affront gegen die Staatsgötter. Doch Protagoras war nur reisender Wanderlehrer, bei Gefahr konnte er schnell Leine ziehen.

Viel schlimmer war‘s mit dem Rattenfänger Sokrates, der die Polis über alles liebte und keinen einzigen Gedanken daran verschwendete, sie aus welchen Gründen auch immer zu verlassen. Der hetzte die jungen Leute auf mit Kritik an den Autoritäten, sodass die ganze Stadt in Aufruhr kam. Auch hatte man ihn in Verdacht, nicht pflichtgemäß an die uralten Götter zu glauben, sich sogar neue nach Belieben zu erfinden.

Das musste bei denkschwachen Hütern der Tradition ins Auge gehen. Und es ging ins Auge. Er wurde angeklagt und zum Tode verurteilt. Solche Gottlosen konnte sich nicht mal eine Demokratie leisten. Woraus wir lernen, dass nicht alle Demokratien das Gelbe vom Ei sein können.

Das wissen die Deutschen ohnehin, hat doch eine ihrer früheren Demokratien in freier Wahl einen Totengräber der Demokratie gewählt – der die Abschaffung der Demokratie in klaren Worten angekündigt hatte. Man könnte von einem freiwilligen Suizid der deutschen Demokratie sprechen.

Auch heute sprechen viele von Selbstbestimmung der Religionen: von Selbstbestimmung der Demokratie spricht niemand. Die ganze Öffentlichkeit schwallt vom Glauben an den Glauben: vom Glauben an die Demokratie redet niemand. Sie umgeben sich mit heiligen Worten, die unwiderleglich sein sollen.

Das war in Athen kein bisschen anders. Wie erklärt sich Sokrates den Hass der Stadt auf einen unbedeutenden Stadtstreicher, der nichts als Worte machen konnte? Die Jugendlichen würden ein Vergnügen daran finden, „zuzuhören, wenn ich die Menschen ins Gebet nehme. Oft machen sie es mir nach und probieren an anderen ihre Überführungskunst. So kommt es denn, dass die von ihnen Überführten gegen mich voller Zorn sind, statt gegen sich selber und von einem gewissen Sokrates reden, einem gottlosen Menschen und Verführer der Jugend.“

Schon wieder ein Gottloser, der die Frechheit aufbringt, das Geschwafel der Religion nach Strich und Faden auseinanderzunehmen. „Denn den wahren Grund ihres Hasses einzugestehen, das bringen sie nicht über sich: sie wollen nicht gestehen, dass sie durch Sokrates bloßgestellt werden als Leute, die vorgeben, etwa zu wissen, in der Tat aber nichts wissen.“ Ein schreckliches Schicksal, von Nobodys und jungen Naseweisen als Schwätzer enttarnt zu werden.

Wie aber kann man von jemandem argumentativ vorgeführt werden, der doch immer behauptete, zu wissen, dass er nichts wisse? Überraschung: wer dies weiß, weiß außerordentlich mehr als diejenigen, die alles zu wissen glauben.

Sokrates wusste, dass das meiste Wissen aus traditionellen Luftblasen bestand, die er mit Scharfsinn zum Platzen brachte. Da war kein bisschen Demut im Spiel, das war eine jederzeit überprüfbare Arroganz, die keinem Streit aus dem Wege ging.

Nein, über Götter und ein Leben nach dem Tode, darüber wusste er nichts. Doch er wusste, dass kein Mensch darüber etwas wissen konnte. Also wusste er mehr als die Frommen, die etwas behaupteten, was niemand wissen konnte. „Denn den Tod fürchten, meine Mitbürger, was ist das anderes als sich dünken weise zu sein ohne es doch zu sein? Es heißt nämlich so viel, wie sich einbilden zu wissen, was man nicht weiß. Denn es weiß niemand vom Tode, ob er nicht vielleicht sogar das allergrößte Glück für die Menschen ist, und doch fürchtet man sich vor ihm, als wüsste man ganz genau, dass er das größte Übel sei.“

In diesem entscheidenden Punkt wusste Sokrates, dass er mehr wusste als die so genannten Gläubigen, die etwas zu wissen behaupteten, was sie niemals wissen konnten. „Und wenn ich wirklich sagen darf, ich sei in irgend etwas weiser als ein anderer, so wäre das eben darin, dass ich, nicht ausreichend bekannt mit den Dingen im Hades, mir auch nicht einbilde, ein Wissen davon zu besitzen. Gesetzeswidrig handeln aber und dem Bessern – er sei nun Gott oder Mensch – den Gehorsam zu verweigern, das weiß ich, ist nichtswürdig und schändlich.“

Ähnlichkeiten mit einem gegenwärtigen Streit zwischen Religion und Gesetz wären rein zufällig und nicht beabsichtigt oder: auch heute würde Sokrates als unbedingter Anhänger des Gesetzes den Kürzeren ziehen. Selbst als das Gesetz ihn selber traf, wollte er keine Ausnahme machen und ging unschuldig in den Tod.

Heute käme Sokrates immerhin mit dem Leben davon. Doch sein Ruf als Anhänger einer „totalitären, immer Recht haben wollenden“ Vernunft wäre dahin.

Selbst in Demokratien haben Gottlose noch immer das Maul zu halten. Denn sie bestehen darauf, dass Religion in rechtmäßigen Staaten keine Sonderrechte genießt und sich dem Gesetze unterzuordnen hat. Die Ultraisierung, Koranisierung und Jesuanisierung des Staates is going on.