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Donnerstag, 07. März 2013 – Planen und das Schicksal walten lassen

Hello, Freunde der Planung,

Planen heißt Führen. Planungsführer kennen die Ziele. Dazu die Methoden, um sie zu erreichen. Führer kennen die Zukunft, wissen, was Menschen bedürfen und wie man ihnen den Plan in „Herz und Gehirn“ einbrennt.

Es gibt Wirtschafts- und Menschenführer. Sie haben kein Zutrauen ins Wachsenlassen. Wachsen ist das organische Modell der chaotischen Natur, die keine klaren Ziele kennt. Sie lässt die Dinge kommen, wie sie grade kommen. Das wuchert borniert und krumm vor sich hin, bis die ganze Welt von der planlosen Natur überwuchert ist, die Planungsraupen kommen und den rechtwinkligen Geist der Ungebärdigen ins Fleisch schneiden müssen.

„In der Wüste bahnet den Weg des Herrn: machet in der Steppe eine grade Straße unserm Gott.“ Wenn der Geist die Natur vergewaltigt, dann nicht in krummen Linien des Esels. Sondern in scharfen Schnitten des Planen und Rechtwinkligen. „Jedes Tal soll sich heben, und jeder Berg und Hügel soll sich senken, und das Höckerige soll zur Ebene werden und die Höhen zum Talgrund, dass die Herrlichkeit des Herrn sich offenbare und alles Fleisch es sehe zumal; denn der Mund des Herrn hat es geredet.“ ( Altes Testament > Jesaja 40,3 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/40/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/jesaja/40/“>Jes. 40,3 ff)

Das ist der Unterschied zwischen göttlichem Planen („der Mund des Herrn hat es geredet“) und dem triebgesteuerten Ohngefähr der geistlosen Natur. Die Natur will nichts. Sie ist.

Die Römer wurden unumschränkte Herrscher in Europa, als sie rücksichtslos den

Wildwuchs der Urwälder brachen und überall, wo sie hinkamen, pfeilgrade und gepflasterte Militärstraßen anlegten. So überall auf der ganzen Welt, wo den Missionaren die Trucker der Riesenfirmen auf unendlich langen schnurgeraden Pisten folgen, um den Reichtum der neu erschlossenen Wildnis aufzubrechen und abzutransportieren. Die Kolonnen der unendlichen Lastwägen werden überflogen von Flugzeugen und Helikoptern, die auf schnurgeraden Landebahnen ankommen und abfliegen.

Das Göttliche ist scharf, schneidend und rechtwinklig an Leib und Seele, aus welchem Holz auch Nietzsches Übermenschen sind. „Über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele.“

Es geht ums Zeugen von Herrenkindern, die nicht in organischer Brunst, sondern im Willen gemacht werden, den Menschen der Zukunft über das erbärmliche Niveau der Menschen zu heben. Nicht fortzeugen sollt ihr euch, sondern hinaufzeugen. Nicht auf den Zufall sollt ihr es ankommen lassen, sondern auf euren naturbrechenden Willen, der aus Steinen Menschen schlagen kann. Alles, was Natur ist, ist krauser Zufall und muss durch einen überlegenen Willen gebrochen werden.

Wollt ihr schöne und intelligente Kinder, zeugt nicht per Zufall hässliche und kranke. Die Planung des biologischen Wunschkindes ist kein Traum mehr. Die Menschen rackern sich ab, aus sich selbst Wunschkandidaten der Evolution zu machen. Der gestraffte Leib, der kühne Blick, das unermüdlich planende Gehirn.

Der Schöpfer ist mit der Schönheitsoperation der natura lapsa, der sündigen Natur schon vorausgegangen. „Ich werde alle Berge zum Weg machen und alle Straßen werden erhöht sein.“

Die beste und schönste aller Schöpfungen war so heruntergekommen, dass sie nach dem Erstbezug durch Adam und Eva schon general-revisionsbedürftig war. An den Erstbeziehern konnte das nicht gelegen haben, die hatten ja noch nicht mal die Vorhänge an den Fenstern. Nein, das hätte der Große Architekt auf die eigene Kappe nehmen müssen. Dazu fehlt ihm bis zum heutigen Tage die Größe. Der allmächtige Planer macht keine Fehler – haben wir uns verstanden!? Da kann‘s ja nur an seiner Kopie gelegen haben, jener windigen Kreatur, die glaubt, alles besser zu wissen.

Die neue revidierte und korrigierte Natur ist eine planierte Natur. Berge sollen erniedrigt (der phallozentrische Herr ist eifersüchtig auf alles, was hochragend ist: auf hochragende Berge, Bäume und Türme), Täler und Straßen erhöht werden. Was passiert, wenn der Herr einzieht und die Begattung von Oben und Unten zum Ereignis wird?

Im Heidentum war der hieros gamos – die heilige Hochzeit der Elemente – ein regelmäßiges Ritual. Bäuerlein und die dralle Bäuerin legten sich in die Furche und animierten die Natur zur lustvollen Imitation, auf dass Himmel und Erde sich vereinten und viele neue Kinderlein zeugten.

Doch ein solches Lustereignis als Übereinstimmung der Natur mit sich selbst geschieht in der von oben herabgesenkten Kartographierung der Natur zu Quadraten, rechten Winkeln, Zahlen und Figuren nicht. Den Brandmarkungs- und Tätowierungsapparat hatte Kafka in der Strafkolonie in Form einer Männermaschine entworfen, die man als vollkommene Schändungs- und Vergewaltigungsmaschine der Natur bezeichnen könnte.

„Aber«, unterbrach sich der Offizier, »ich schwätze, und sein Apparat steht hier vor uns. Er besteht, wie Sie sehen, aus drei Teilen. Es haben sich im Laufe der Zeit für jeden dieser Teile gewissermaßen volkstümliche Bezeichnungen ausgebildet. Der untere heißt das Bett, der obere heißt der Zeichner, und hier der mittlere, schwebende Teil heißt die Egge.“

Alles dreiteilig, wie Gott sich selbst in drei Götter zerlegt hat. Man könnte das Bett auch als Naturbasis bezeichnen, das uralte Lager der Brunst. Der Zeichner entwirft die Modelle im Himmel. An der scharfkantigen, rechtwinkligen Egge findet die materielle Begegnung und Fräsung statt, die Transsubstantiation der schnöden Materie in Leib und Blut des Herrn, von dem die Erwählten sich ernähren ewiglich.

Wir stehen vor der Wandlung von Natur in Geist. Der Prozess der Kulturierung und Vergeistigung der Natur ist ein Sakrament. Wenn das Männliche und das Weibliche in der Natur zusammenkommen, feiern alle Lebewesen heilige Hochzeit. Wenn sie in der Männerreligion zusammenkommen, wird das Weibliche gezeichnet und geschändet.

Wie auf dem Tahrirplatz wird das Weibliche von der Macht der Männer umzingelt, geschändet und weggeworfen. Dann warten sie auf den neuen Himmel oder die neue Erde. Oder die neue Vulva, die wieder geschändet und weggeworfen wird, bis es nichts Weibliches mehr gibt, das den Mut hätte, unabhängig vom Mann etwas zu sein.

Das geschieht in der naturlosen Vision vom Neuen Jerusalem. „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde sind verschwunden und das Meer ist nicht mehr.“ Das Meer ist das Weiblich-Feuchte, Element des Lebenhervorbringens aus der Fruchtblase der Natur. Aus dem Meer kommt alles Leben. Dann erst der Landgang.

Wenn die erste Natur – die schnöde, materielle – verschwunden sein wird, ist die uns vertraute Natur am Ende. Die vom Mann geplante Vision einer perfekten Natur wird keine Mängel an Not, Tod und Geschrei und Schmerz mehr aufweisen. „Und er wird alle Tränen abwischen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein und kein Geschrei noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.“

Das Erste ist vergangen: die längst erwartete finale Triumph-Fanfare des nachträglich hinzugekommenen Patriarchats über die weibliche Natur schallt über den Planten. Das Erste, das war das Weibliche. Und das Männliche war noch gar nicht da. Und wenn es da war, war es unbekannt. Niemand vermisste es. Niemand fragte im Kreis der Mütter: hat jemand das Männliche gesehen? Ist es uns abhanden gekommen? Wozu brauchten wir es überhaupt?

Alles Gewalttätige stammt von denen, die zu spät in die Geschichte eintreten und sofort alles übertrumpfen wollen. Die Zweiten wollen die Ersten sein. Der Sieg der Erlöser wird der Sieg der Zweiten über das Erste sein. Der Geist der Männer ist immer zu spät, zu gewollt, zu auftrumpfend, zu aufgeblasen, zu gewalttätig im Stil der Egge, die alles Erste brandmarken muss. Das Zweite putscht das Erste weg, Omega will Alpha werden. „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer überwindet, wird dies erben.“

Wer überwindet, heißt, nur wer das Erste mit Gewalt unterpflügt, wird alles ererben. Die Erwählten am Ende aller Tage kriegen alles, the winner takes it all. Alles. Die Verlierer erleben den zweiten Tod, den wirklichen Tod „in dem See, der von Feuer und Schwefel brennt und dies ist der zweite Tod.“ So, wie der Sieg des Zweiten über das Erste der absolute Sieg, so ist der zweite Tod der absolute Tod, Inbegriff des unentrinnbar höllischen Feuers.

Jetzt kommt‘s erst zur Preisvergabe des Wettbewerbs um Sein oder Nichtsein. Die alte Natur ist besiegt. Am Horizont erscheint im Blitzlichtgewitter die neue Favoritin, die Braut, das Weib des Lammes. Da wäre selbst Heidi Klum zerschmolzen ob der göttlichen Schönheit, die sich hier offenbarte. Alles aus Gold und Edelstein.

Doch das Wichtigste: alles ist quantifizierbar. Die Schönheit ist bemessbar, mit Messrohr, Winkel. Das goldene Rohr – was wird das wohl sein? – ist der Urmeter der neuen männlichen Schöpfung. Novalis lag falsch, Zahlen und Figuren als Symbole des Unheiligen zu betrachten. Sie werden die Urbestandteile der Neuen Schöpfung sein. „Und der mit mir redete, hatte als Messstab ein goldenes Rohr, um die Stadt und ihre Tore und ihre Mauer zu messen.“

Es sollte objektiv nachgewiesen werden, dass das Erste so unkonturiert und sumpfmäßig war, dass man es mit Metermaß und goldenem Rohr nicht nachmessen konnte. Dann kommen Quadrate, Breite und Höhe, alles genau abgezirkelt, nichts dem Zufall überlassen. Der Plan des Mannes ist perfekt. Die Natur hat kein Einspruchsrecht mehr, wenn der Zeichner seinen Plan ins Gekröse des Bettes mit Hilfe der Egge eingeflämmt hat.

Hat der himmlische Drei-D-Scanner die neue Kreation aus Sumpf und Dreck ins Unverwesliche gehoben – wie wird sie aussehen? „Die Stadt bedarf nicht der Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen. Denn der Lichtglanz Gottes erleuchtete sie und ihre Leuchte ist das Lamm. Dort wird es keine Nacht mehr geben – und man wird die Herrlichkeit und die Pracht der Völker in sie bringen.“

Der gesamte Reichtum der Welt wird im Zentrum des Erlöserglaubens aufeinandergetürmt. Wahrhaft ein Indiz für die Verherrlichung der Armut der bei den Hirten, die in ihren goldenen Schlössern residieren.

Am Ende will der Glaube seinen nachmessbaren Lohn. Armut auf Erden? War nur die Schmerzensarbeit im Jammertal, die man vorausleisten musste, um sich seinen himmlischen Mindestlohn abzuholen. Das geschah im neuen Jerusalem, dem Inbegriff der neuen Schönheit für die Endsieger der Geschichte.

Was geschah mit der Ersten, der überwundenen realen Natur? Auch darüber bleiben wir nicht im Unklaren: „Horch, es spricht. Rufe! Und ich sprach: was soll ich rufen? Alles Fleisch ist ja Gras und all seine Pracht wie die Blume des Feldes. Das Gras verdorrt, die Blume welkt, wenn der Hauch des Herrn drüber weht. Ja, Gras ist das Volk. Das Gras verdorrt und die Blume welkt.“

Warum spricht hier niemand von himmlischem Anti-Populismus? Das Volk ist Gras und verdorrt, nur die Erwählten werden bei Gott in Ewigkeit bleiben. Ins Feuer mit dem minderwertigen Populus. Die Electi, die Erwählten werden das Absurde schauen, das unermesslich reiche Ziel der Geschichte, woran sie bislang nur geglaubt.

Das ist die Planung des Mannes, um den Wettlauf der Geschichte als Erfolgreichste für sich zu gewinnen. Das Geheimnis der männlichen Endzeitplanung besteht im – Nichtplanen. Er übergibt alles den höheren Mächten eines Vaters, mit denen er verbündet ist. So vermessen ist er nicht, dass er das Komplexe – das auch er nicht versteht, aber anbetet – glaubt, als Heilsplan selbständig auf Erden zu vollstrecken. Da müssen größere Kräfte ran, die die dreieinige Egge in Bewegung setzen, um die finale Zeichnung ins sündige Fleisch zu schneiden. Der Mann plant nichts. Er entfacht nur rasende Wirbel an Scheinenergie.

Wie heute geplant wird – nicht nur in Stuttgart 21 – zeigt der harmlose Artikel von Katja Riedel in der SZ über die Messestadt Riem, die einstmals zum sozialdemokratischen Vorzeigeviertel hätte werden sollen. Doch das Gegenteil entstand, ein menschenfeindliches Ghetto. (Katja Riedel in der SZ)

Inzwischen spricht man von einem hoch belasteten Stadtteil, in dem niemand mehr wohnen will. Was sind die Gründe der Fehlplanung?

a) Es „mangelt an einer passenden Infrastruktur: Es gibt keinen Kinderarzt, keine städtische Kita und außer einer Hauptschule keine weiterführende Schule.“

b) Kinder aus Problemfamilien sollten besonders betreut werden. Doch es fehlen dazu städtische Kindergärten.

Gab es zu viele billige Sozialwohnungen im Vergleich zu gut betuchten Wohnungen? Niemand weiß es, man hat einfach drauf los gebaut. Es wird schon gut gehen. Doch der massenhafte soziale Wohnungsbau zog – wie unerwartet – massenhafte Probleme nach sich.

c) Eine Sozialreferentin entdeckte, dass „Probleme sich nicht von selbst lösen“.

d) Hinzu kommt, dass im Viertel besonders viele psychische Kranke und behinderte Menschen lebten, für die es kaum Hilfen gebe. Es gebe weder Fachärzte noch Betreuung.

e) Zudem gebe es kaum Cafes und sonstige urbane Bestandteile, die die Attraktivität des Viertels erhöhten.

Man hat nichts geplant, alles Wissenswerte über Stadtentwicklung, die Erkenntnisse des gesunden Menschenverstandes in den Wind geschlagen, dreist und blind drauf los gebaut. Als das erwartbare Ergebnis eintrat, war man erstaunt ob der unerwartbaren Katastrophe. „Probleme lösen sich nicht von selbst“, so die Expertin, die erwartet haben muss, dass Probleme sich von selbst lösen. Man muss dem Zufall doch eine Chance geben.

Was ist die gleiche Struktur in allen Planungen von Riehm, Stuttgart 21, Berliner Flughafenbau bis zur Planungsunfähigkeit der gesamten Weltwirtschaft? Der Mensch soll planen und aktiv seine Zukunft gestalten – doch in allen Punkten das Planen höheren Mächten überlassen. Denn zur Planung seines Schicksals ist er unfähig. Der Mensch denkt, Gott lenkt. Der Mensch denkt, der Markt lenkt.

Warum konnte es keine Planwirtschaft geben? Weil der Mensch überfordert ist, solche gigantischen Pläne zu entwerfen, zu berechnen und durchzuführen, die zu einem solchen Unternehmen erforderlich gewesen wären. Hier kann nur eine göttliche Planwirtschaft helfen: der Markt, der nichts anderes ist als das unausgelastete Gehirn des Schöpfers.

Wenn der Mensch mit seiner kläglichen Vernunft versagt, tritt stellvertretend die Religion an seine Stelle, behauptet Hayek. Religion ist ein unbedingter Bestandteil des Neoliberalismus. Selbst, wenn wir dies oder jenes an ihr ablehnen würden, „ändere das nichts daran, dass wir der Religion die Erhaltung von Handlungsweisen verdanken, die mehr damit zu tun hatten, dem Menschen ein Überleben in großer Zahl zu ermöglichen, als das meiste, was mit Hilfe der Vernunft erlangt wurde.“ (Die verhängnisvolle Anmaßung des Sozialismus).

Der moderne Mensch soll ständig seine Zukunft planen. Risiken eingehen. Investieren. Den Planeten umkreisen. Menschen motivieren. Natur eliminieren. Vergeblich: er kann sein Schicksal nicht machen und in die eigenen Hände nehmen.

Wenn man etwas tun muss, was man nicht kann, bleibt nur Religion. Die Religion überbrückt die Kluft zwischen hektischer Planungsshow und passivem Energiezauber. Herr, ich plane, hilf meiner Planlosigkeit. Das ist der geheime Regierungsseufzer der gläubigen Pastorentochter aus Berlin – und der Majorität aller Deutschen.

Schon vor Jahrzehnten hatte der protestantische Religionsphilosoph Georg Picht dem Menschen die autonome Verfügung über Vernunft und Freiheit abgesprochen. Freiheit und Vernunft könnten schlichtweg nicht produziert und geplant werden. „Wo der Mensch im Denken seiner Autonomie gewiss zu sein glaubt, stößt er an die absolute Grenze seiner Autonomie. Über seine Vernunft und seine Freiheit vermag der Mensch nicht zu verfügen“. (Planung, Prognose und Utopie).

Das schrieb Picht ein Jahr vor der Studentenrevolution. Die Aufmüpfigen machten aus der Unfähigkeit des frommen Abendländers die griffige Formel: Du hast keine Chance – aber nutze sie.