Kategorien
Tagesmail

Dienstag, 21. Februar 2012 – Augsteins Garten

Hello, Freunde der Amerikaner,

die jungen Amerikaner seien viel liberaler als die republikanischen Kandidatengreise, die Schwulenehen, Abtreibungen und am liebsten das Böse an sich verbieten wollten. 70% aller Jüngeren befürworteten die Homoehe. Auch die Evangelikalen, die bislang bedingungslos die Republikaner unterstützten, sollen deren Reichenkurs allmählich kritischer sehen. 15% der Bevölkerung gebe an, keiner Glaubensgemeinschaft zuzugehören. Doppelt so viel als noch 1990.

Der religiös verengte Wahlkampf der Obamagegner würde die Realität „längst nicht mehr abbilden“, schreibt ein deutscher Journalist, der schon lange in den USA lebt.

Zweimal hat Israel erfolgreich die Atomanlagen ihrer Gegner durch einen gezielten Luftschlag zerstört. Einmal im Irak, einmal in Syrien. Doch im Iran könnten sie scheitern, weil dort die Fabrikationshallen tief unter Granitschichten versteckt sind.

Das könnte die militaristischen Kapazitäten der israelischen Luftwaffe bei weitem überfordern. Behaupten amerikanische Experten. Ohnehin scheint es einen ziemlichen Dissens zwischen Jerusalem und Washington über die Notwendigkeit und Gefährlichkeit eines solchen Schlages zu geben. Sollte Ehud Barak dennoch den Angriff befehlen, wird er

davon ausgehen, dass die USA im Zweifel dennoch eingreifen würden, um den engsten Verbündeten nicht im Stich zu lassen.

Wenn ein junger Vater länger als zwei Monate zu Betreuungszwecken des Kindes zu Hause bleibt, gilt er als Exot. Die Betriebe setzen immer mehr auf strikte Präsenz. Teil- und Gleitzeit werden immer weniger in Anspruch genommen. Im Zweifelsfall muss doch die Frau zu Hause bleiben. Das ist also die Vereinbarkeit von Mutterdasein und Beruf.

In Indonesien wächst der zivile Widerstand gegen Gewalt im Namen der Religion. Indonesien war für seine religiöse Toleranz bekannt, als sich ab 1998 eine starke Bewegung für die Politisierung von Religion und religiös motivierter Gewalt bildete. Nun scheint sich das Land wieder auf seine friedlichen Traditionen zurückzubesinnen.

Umgekehrte Tendenz bei Putin, der in den nächsten Jahren für 575 Milliarden Dollar die russische Armee aufrüsten will. Begründung: es gebe Versuche, in unmittelbarer Nachbarschaft Russlands Kriege zu schüren. Russland könne sich nicht länger nur auf diplomatische und wirtschaftliche Mittel verlassen, um internationale Probleme zu lösen. Nur Wahlkampfgetöse?

Der ZEIT-Artikel „Christlich auch nach Dienstschluss“ war ursprünglich überschrieben mit dem Titel: „Scharia auf katholisch“. Nun wurde der Titel – auf wessen Betreiben? – entschärft.

Die Kirchen haben 1,3 Millionen Arbeitnehmer, die nach klerikalem Sonderrecht behandelt werden dürfen. Das sind Privilegien der Kirchen, die aus der Weimarer Verfassung von 1919 in das Grundgesetz übernommen wurden. Sie sichern die „Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt“, wie Karlsruhe wiederholt festgestellt hat.

Wer sich scheiden lässt, wer Ehebruch begeht, zur Nacht nicht betet oder sich sonstwie kirchlicher Gewalt widersetzt, hat schlechte Karten. Es gibt nicht nur die Drei traditionellen Gewalten in der Demokratie plus die vierte mediale, sondern die fünfte klerikale Sondergewalt.

Kein Wunder, dass muslimische Schariaverehrer auch was vom allgemeinen Gewalthappen abhaben wollen. Selbst christliche Innenminister setzen sich für die Zulassung der Scharia ein – um die Sonderrechte des Klerus zu betonieren. Gleiches Recht für alle, die ungleiches Recht propagieren.

Es ist nicht nur der Neoliberalismus, der die Gesellschaft zerpflügt. Oder sollte man sagen: auch die Wirtschaft ist nur eine Religion, die ihre Scharia exekutiert?

 

Jakob Augstein ist Herausgeber des FREITAG, Kolumnist im SPIEGEL („Im Zweifel links“) und – Hobbygärtner. Nun hat er ein Buch über seine Passion geschrieben, die FAZ hat es besprochen und als politisches Buch gerühmt: „Die Tage des Gärtners“.

Mehr als alle zeitgenössischen Romane zusammen lege das Buch Zeugnis davon ab, „wie wir heute leben, was wir hoffen und woran wir scheitern.“

Der Gärtner aus Liebe stehe für den Mann im allgemeinen und den Vater im besonderen. „Er übernimmt Verantwortung, plant, überwindet den Geiz und geht Risiken ein“. Er könne sich hinter niemandem verstecken, das Frühjahr bringe seine Leistungen und Fehler ans Licht.

Das Buch verspreche keine Erlösung und nehme eine in Deutschland „sehr seltene, ja radikale“ Position ein. Kein idyllischer Einklang mit der Natur, im Gegenteil: die Natur muss beherrscht werden. Den Naturzustand gebe es nicht, ein natürliches Leben sei lebensbedrohlich.

Der Garten sei reines Kunstprodukt, dies erst mache seine Schönheit aus. Ohne das Auge des wissenden Menschen bleibe der Berg ein toter Fels.

Die Grundhaltung des Buches sei ein radikaler Anthropozentrismus (= der Mensch steht im Mittelpunkt), im Zentrum stehe die Arbeit. Nichts ist gegeben, nichts kommt von alleine. Ohne Risiko, ohne Blutvergießen gehe nichts. Beim Holzhacken zum Beispiel.

Das Buch sei auch ein Zeugnis der Ratlosigkeit, des Zwangs zum permanenten Neubeginn, zur Selbsterfindung. Insofern ein botanischer Bildungsroman, die Entwicklung des inneren Gärtners, des Mann- und Vaterseins.

Nein, der Garten diene nicht der Selbstversorgung, es gehe nicht um eigenes Gemüse, eigene Kräuter. Er sei auch nicht, wie in den älteren Gedichten Brechts, ein Ort des Trostes und des Rückzugs. Er ist Sinnbild für die vita activa.

Wenn wir unser Land und Europa haben wollen, wie es uns gefällt, „können wir uns Trägheit und Sparsamkeit“ nicht leisten. Am Ende werde es so sein, „dass Sie es selbst tun müssen. Stellen Sie sich nicht so an.“

Wohl dem, der in einem Berliner Vorort einen Garten hat, er kann ihn mit einem Jägerzaun als Bedingung aller Kultur umzingeln. Womit gleich die Besitzverhältnisse geklärt und alle kommunistischen Träume der 68er ad acta gelegt wären. Schließlich ist Augstein nur im Zweifel links.

Was Eigentumsverhältnisse betrifft, ist er ganz ohne Zweifel rechts. Oder rechts in der Mitte. Stimmt eigentlich, auch die Linken sind keine Kommunisten mehr. Also große Koalition. In Freiburg gibt es Reste einer kommunistischen Gesinnung zu bestaunen, wenigstens für den Fall, dass man seiner verstaubten Bücher oder sonstiger Utensilien überdrüssig ist: man stellt den mehr oder weniger gut erhaltenen Schrott auf das Mäuerlein des Vorgartens, zusammen mit dem Schild: zum Mitnehmen.

Nach Rousseau und Marx begann der Sündenfall der Menschheit, als der erste Geizkragen einen Zaun um seinen Garten zog und den Rest der Menschheit aus seinem neu erfundenen Privatbezirk ausschloss.

Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen: Das gehört mir, und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: «Hütet euch, dem Begründer Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört».“  (Jean-Jacques Rousseau: „Diskurs über die Ungleichheit“)

Womit wir bereits an der entscheidenden Weggabelung angekommen wären: für Rousseau ist der umzäunte Garten der Anfang vom Ende. Der Beginn der künstlichen Absonderung von der Natur ist der Beginn des Niedergangs.

Für Augstein hingegen ist der mit einem Jägerzaun umgebene Garten Knet- und Spielmaterial der naturbeherrschenden Kultur, der Arbeit, des Risikos, der Selbsterfindung, des Zwangs zum permanenten Neubeginn, der Leistung, des Frusts, auch der Vergeblichkeit, kein Ort der Trägheit und Sparsamkeit. Also des harten Malochens und der Verschwendung.

Alle modischen Accessoires der herrschenden Kulturkapriolen werden Kraut und Rüben implantiert. Der FAZ-Rezensent nennt die Betrachtungsweise Augsteins eine „sehr seltene, ja radikale Position.“ Sie ist so radikal und selten wie die hierzulande selten anzutreffende christliche Konfession. Das kann natürlich kein deutscher Intellektueller wissen, der Tag und Nacht an seiner antiquarischen Schreibmaschine sitzen muss, um naturferne Kultur zu produzieren.

Jakobs Garten ist kein Garten Eden im unschuldigen Urzustand, wovon Rousseau träumte, sondern minderwertiges Stück Natur, das ohne Bearbeitung des Menschen „schwarze Schlacke“ wäre. Nichts ist gegeben, nichts kommt von allein. Der Mensch im Schweiße seines Angesichts – bei Jakob im Blute seines gehackten Oberschenkels – muss für alles selber sorgen und Arbeit als verdiente Strafe ableisten. Und dies ohne Garantie. Bei Krüppelgewächsen stimmt nicht mal die FDP-Devise: Leistung muss sich wieder lohnen. Allzuoft lohnt sie sich nicht, dank ekliger Prozessionsraupen, nackter Schnecken und sonstiger grässlicher Inventionen einer uns hassenden Mutter Natur.

Die Erfahrungen mit den Urmüttern bestimmen unsere Qualitäten als Gärtner aus Liebe oder Hass. Deutsche Mütter waren bis gestern harte Versorgungsmütter. Die Männer verlustierten sich im Krieg als Helden, die Frauen mussten an der Heimatfront die – für moderne Emanzen geradezu ideale – Aufgabe der Vereinbarkeit von Erzieherin, Ernährerin, Lehrerin, Fabrikarbeiterin und Kindergebärerin in kalter, verbissener Energie bewältigen.

Deutsche Mütter hatten nichts Weiches an sich, das konnten sie sich nicht leisten. Ihre Gesichter waren ausgemergelt und knochig, was sie taten, war funktionell und uneinfühlsam. Wer fürs Äußerste zu sorgen hat, muss sich Gefühle verbieten, die sich erst bei einer gewissen materiellen Sicherheit einstellen.

Ihre lebenserhaltenden Maßnahmen liefen auf Hochtouren, ihre gezeigten Gefühle der Zärtlichkeit und bekundeter Anteilnahme beschränkten sich auf ein Minimum. Mit ihrer Lebensenergie mussten sie sparsam und rationell umgehen. Überschwängliche Gefühle hätten sie binnen kurzem ausgelaugt.

Sie taten alles, was in ihrer Macht stand, um ihre hungrigen Bälger über die Runden zu bringen. Doch als in der Nachkriegszeit der Wohlstand begann, fühlten die Kinder den Mangel an Gefühlen und begannen, sie rebellisch einzufordern.

Wie wir die Mütter erlebten im Zwiespalt abweisender und sorgender Charaktereigenschaften, so erleben wir den Garten. In allen Kulturen steht das Weib für Natur im Allgemeinen, der Garten für die individuelle Mutter. Zeige mir nicht dein 08/15-Wohnzimmer, zeige mir dein Gärtchen und ich sage Dir, welche Mutter dich prägte.

Eva, die Urmutter aller Menschen, war schuld daran, dass der Garten Eden verloren ging. Das stellt alle historischen Erkenntnisse auf den Kopf, denn das Matriarchat hatte die Urgärten, die Bepflanzung und Bebauung der Natur im Rhythmus der Jahreszeiten begonnen.

Die männerbestimmten Horden blieben Hirten und Nomaden und attackierten die ersten Gartenkulturen an den wasserreichen Rändern der Flüsse, die ihnen wie Paradiese vorkamen, die sie vor Neid zerstören oder habgierig in Besitz nehmen mussten, indem sie die stolzen und überlegenen Frauen unterjochten.

Die männlich dominierten Hochkulturen konnten ihren Lauf nehmen. Die Gärten der Semiramis wurden Urmuster domestizierter Naturbearbeitung im Rahmen männlicher Machtpolitik.

Kultur und Macht entfernten sich immer mehr von der Natur, um sie zu ersetzen oder zu verbessern, wie der Mann die unterlegene Frau zu seiner Höhe hinauferziehen wollte.

Der Garten galt als Synthese aus einem für immer verloren gegangenen weiblichen Naturparadies und einer zukünftigen Männervision, die durch Technik und Erfindungskraft das Paradies auf höherer und besserer Ebene wiederherstellen sollte.

Das Weib war naiver, intuitiver Beginn, der Mann bewusste und zielgerichtete Vollendung am Ende aller Tage. Das Weib stand für zyklische Zeit, der Zeit einer sich ewig wiederholenden Natur; der Mann für linearen Fortschritt, der mit Hilfe eines ständig Neuen das perfekte Ziel der Geschichte installieren sollte.

Die zyklische Zeit ist die Zeit der Naturreligionen, der griechischen Philosophie; die lineare ist Zeit der Geschichte, die die wenigen ins Heil, die meisten ins ewige Unheil führen wird.

Der Zaun ist Erfindung des Mannes, er macht sich zum Besitzer und Herrn der Natur: macht euch die Erde untertan. Moderne Theologen verleugnen inzwischen diesen entlarvenden Satz. Lieber reden sie vom „Bebauen und Bewahren“ (Auch damit ist eine zum Verfall neigende Natur den höheren patriarchalischen Fähigkeiten selbsternannter Bewahrer ausgeliefert. Als ob nicht umgekehrt die Natur sich selbst am besten bewahrte – wenn man sie denn nicht mit Gewalt zerstören würde.

Der Zaun wird später zur Mauer der Stadt, die die Erwählten im Innern der Metropole von den Verworfenen da draußen in der bösen Natur trennt. Zäune und Mauern definieren den Besitz, was mein ist, ist nicht dein.

Das Ego wird zum Gegner des Wir. Für sein Heil muss jeder selbst sorgen, in erbitterter Rivalität mit allen anderen Egos, mühselig zusammengehalten durch den neuen Moloch, den gewaltstrotzenden Staat der Männer.

In Jakob Augsteins Gartenphilosophie erleben wir die Regression einer saturierten Mitleids-Linken auf alle Positionen des verlorengegangenen Gartens Eden, der mit List und Tücke, unter Schweiß und Gefahr, zum Gegenstand der Liebhaberei gemacht wird, die das Objekt ihrer Begierde dadurch ehrt, dass sie es existentiell gar nicht mehr benötigt: der Garten wird zum Luxusprodukt, zur fernen Geliebten, die man anbetet, mit der man aber nicht das prosaische Leben teilen kann.

Augstein hat die unerreichbare blaue Blume in die Ökozeit übertragen, der er ressentimenthaft die Leviten lesen will. Ja, wir suchen die Einheit mit der Natur, allein: sie ist ein trügerischer Traum. Was uns sündigen Kreaturen bleibt, sind Anstrengung und Frustration.

Locke hatte die arrogante Meinung vertreten, 99% des Naturertrages sei menschlicher Arbeit zu verdanken, nur 1% der unabhängigen Natur. Diese Quote scheint Augstein aus dem Herzen gesprochen zu sein.

Das ist die Kriegserklärung des Edelgärtners an die sentimentale Ökobewegung, die in Selbsthass die menschliche Kultur verwerfe und die Natur idolisiere. Einheit mit der Natur? Lasst fahren dahin, ihr folgt einer infantilen Fata Morgana.

Kein Zweifel, dass Augstein die Natur lieben will, von ihr zurück geliebt werden will. Doch der Graben zwischen Mensch und Erde, Geist und toter Natur ist viel zu tief.

Alle Erkenntnisse der Ökobewegung: dass nicht der Mensch, sondern die Natur mit allen gleichberechtigten Wesen im Mittelpunkt des Universums stehen müsse, wischt Augstein mit der Expertenpose eines Gartendominators vom Tisch.

Gott schuf die Welt um des Menschen willen, den Menschen um seinetwillen. Der Mensch ist nicht Teil der Natur, sonder steht ihr in transzendenter Hoheitspose gegenüber. Die Natur wird zur Staffage degradiert, zur provisorischen Hängebrücke in die Zukunft, die man hinter sich zerstört, wenn man glaubt, angekommen zu sein. Doch die Zukunft ist wie die Ankunft des Messias, sie kommt nie an, sie verzieht bis an den Sankt Nimmerleinstag.

Was bleibt? Ohne das betrachtende Auge des Menschen „bleibt der Berg ein toter Fels“. Es ist das durchdringende Auge des gottgleichen Menschen, der die tote Mutter Natur durch seinen omnipotenten Genieblick nach Belieben zum Leben erwecken kann – oder aber durch Wegschauen zum Tode verurteilt: das gegenwärtige Schauspiel der planetarischen Verwüstung.

Der Mensch braucht die Natur, die Natur braucht den Menschen nicht? Nach Augsteins missglückter, anti-ökologischer Liebeserklärung an die schäbigen Reste des Gartens Eden wissen wir es besser. Der Garten braucht Jakob, Jakob den Garten nicht unbedingt. Der frauenlose Robinson Crusoe seines Berliner Ziergartens hat auch noch den FREITAG, den er nach Belieben hegen, pflegen und beherrschen kann. Weh uns Besitzlosen, die wir nicht mal eine Staude von einer Hecke unterscheiden können.