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Tagesmail

Dienstag, 18. Dezember 2012 – Meeresstille der Seele

Hello, Freunde der Alternativen,

in westlichen Demokratien wächst die Unzufriedenheit mit herrschenden Regierungen mit dem Argwohn, dass die Opposition auch nicht besser ist. Also wählt man wieder die alten Konkursverwalter, neuen Sprücheklopfern traut man noch weniger zu.

In Japan ist die Bevölkerung mit dem alten Atomkurs nicht einverstanden, dennoch werden die Verantwortlichen desselben wiedergewählt.

In Spanien hasst man die konservative Rajoy-Regierung, doch nicht minder die abgewrackten Sozialisten.

Die Franzosen schickten Sarko in die Wüste, doch seinem Nachfolger Hollande verzeihen sie nicht, dass er etwas ändern will.

Mit Merkel sind immer weniger Deutsche zufrieden, doch – so der lutherische Gott es will – wird ihr Herausforderer keine Chance haben.

Italien atmete auf, als der Faun von der Bühne verschwand, nun hat er eine Verlobte und mimt den Anständigen: schon zittert Europa wieder vor ihm.

a) Alles soll bleiben, wie es ist, nur soll alles besser werden.

b) Alles soll sich verändern, nur soll es bleiben, wie es ist.

Das sind die beiden Alternativen, die keine sind, zwischen denen die Menschen sich eingeklemmt und zerquetscht fühlen.

Japan verjagt seine Reformer, schreibt Martin Fritz (TAZ). Und Rainer Wandler (TAZ) überschreibt seinen Kommentar zur Lage in Spanien: „Demokratie? Wozu denn!“

Griechen sprachen von einem Dilemma, einer Ausweglosigkeit, einer Zwickmühle, einer Aporie. Fast alle frühplatonischen Dialoge enden ausweglos. Keine der beiden Thesen, die bei Platon miteinander ringen, erweisen sich als wahrheitsfähig, keine besiegt die andere.

Heute scheint es, als befinde der Mensch sich zwischen Skylla und Charybdis. Auf der einen Seite Tod, auf der andern Verderben. Das ist die negative Variante des Dilemmas, wo beide Alternativen fürchterlich sind.

Dann gibt es den Esel des Buridan, der sich zwischen zwei gleich weit entfernten Heuhaufen nicht entscheiden kann, welcher der leckerste ist, weshalb er verhungert.

In welcher Art des Dilemmas befinden wir uns? Befänden wir uns in der ersten: so lasset alle Hoffnung fahren. Es wäre das Ende der Menschheit.

Befänden wir uns in der zweiten, wäre das eine Form luxuriöser Übersättigung. Zwischen Kaviar und Trüffeln könnten wir uns nicht entscheiden. Hätten wir wirklich Hunger, würden wir nicht zögern, willkürlich an einer Seite zu beginnen und unsern leeren Wanst zu füllen.

Di-lemma heißt: zwei Vorschläge, zwei Optionen, zwei Wege. Das negative Dilemma ist ein religiöses: tut, was ihr wollt, ihr landet in der Hölle. Seid ihr unmoralisch, landet ihr in der Hölle. Seid ihr moralisch, landet ihr erst recht in der Hölle – denn ihr habt euch angemaßt, aus eigener Kraft der Hölle zu entkommen. Selbst tugendhafteste Heiden landen in der Hölle, ihre Tugenden sind goldene Laster.

Die Kehrseite des Dilemmas gibt es in der positiven Variante: egal, was du tust, du landest im Himmel – wenn du glaubst. Glaube und tu, was du willst und du wirst selig. Ob du links gehst oder rechts, tugendhaft bist oder untugendhaft: Gott liebt dich und lässt alle Dinge zum Besten wenden. „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen.“ ( Neues Testament > Römer 8,28 / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/8/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/8/“>Röm. 8,28) Liebe Gott und tu, was du willst, erklärt Augustin diese Stelle.

Das Gegenteil ist genauso klar: wenn du Gott nicht liebst, kannst du Mahatma Gandhi und Albert Schweitzer in einer Person sein, du hast keine Chance. Die Anarchoformel hat den Nagel auf den Kopf getroffen: Du hast keine Chance, aber nutze sie. Die Anarchoformel auf den Kopf gestellt, müsste im Jargon lauten: Du kannst dir jede Scheiße erlauben, immer wirst du Erfolg haben – wenn du den rechten Glauben hast. „Wer nicht glaubet, ist schon gerichtet.“ ( Neues Testament > Johannes 3,18 / http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/3/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/johannes/3/“>Joh. 3,18)

Das negative wie das positive Dilemma sind das Gegenteil von menschlicher Vernunft und Moral. Der Erfolg hängt allein von Gott ab. Mach deinen Frieden mit Gott, wäre die einzige Option, die übrig bliebe. Ob Gott selbst vernünftig ist oder nicht – das zu beurteilen, steht dir nicht zu. Der einzige „vernünftige“ Weg, der dir bleibt, ist deine Vernunft zu opfern (sacrificium intellectus) und alles deinem Gott zu überlassen. Er hat den größeren Kopf als du und kann in seiner Allmacht aus Bösem Gutes, aus Gutem Böses zaubern. Nichts ist IHM unmöglich.

Das Feyerabend-Motto – aus pubertärem Trotz gegen die glasklare Vernunft seines Lehrers Popper entstanden: Anything goes – wäre demnach ein flapsiger Ausdruck für blindes Gottvertrauen oder für verantwortungslose Gleichgültigkeit.

Große Männer erkennt man daran, dass ihre ehrgeizzerfressenen Schüler, die ihrem Schatten entrinnen wollen, dies sachlich aber nicht schaffen, zu absurden Übersprunghandlungen neigen. Platon stellte das sokratische Freiheitsethos mit einer faschistischen Utopie auf den Kopf. Die romantischen Schüler Kants widerriefen die Aufklärung und kehrten zum Glauben zurück.

Eine Übersprunghandlung, eine reactio, ist nicht in allen Dingen das unverträgliche Gegenteil zur actio. Beispiel Robespierre. Einerseits hasst er die göttliche Offenbarung und wendet sich abrupt zur Vernunft. Doch seine Vernunft ist noch katholischer, als er sich eingestehen kann und bringt alle Gegner seiner Vernunft genauso aufs Schafott wie einst die unfehlbare und intolerante Inquisition.

Im Denken und Fühlen Robespierres gibt’s zwei gegenläufige Überlagerungen. Einerseits eine scharfe Loslösung vom Credo zur Raison, andererseits bestimmt das Credo die Raison noch immer aus dem vergifteten Untergrund.

In einer Generation kann man, auch bei schärfster Anstrengung des Gehirns, die jahrhundertealte indoktrinierte Gefühlswelt des Bauchs nicht überwinden.

Bei Marx nicht anders. Einerseits hielt er die Feuerbach‘sche Religionskritik für abgeschlossen, andererseits war er von der Heilsgeschichte der Religion noch so erfüllt, dass sein Marxismus zu einer neuen wirtschaftlichen Heilsgeschichte wurde.

Vor solchen gar nicht linearen und in sich verwickelten actio-reactio-Bewegungen auf verschiedenen Ebenen des Denkens und Fühlens stehen die Deutschen wie Hornochsen vor dem Scheunentor. Kein Mensch ist ein ausgeklügelt Buch, sondern ein Wesen in seinem Widerspruch. Psychologisch ist dieser Satz mehr oder weniger immer richtig.

Wer vernünftig sein will, muss ständig an seinen unvernünftigen Widersprüchen – den unbewussten Resten seiner intakten Vergangenheit – durch Selbstkritik und Selbstbesinnung arbeiten. Hier gilt für jedermann und jedefrau: niemand ist perfekt. Niemand wird sagen können: eines Morgens erwachte ich und fand mich vernünftig. Wir alle sind Sünder und ermangeln des Ruhms vor der Vernunft. Unser unvernünftiges Es, Ich oder Über-Ich kann uns ständig in die Suppe spucken.

(Keine Instanz unserer inneren Persönlichkeit ist per se vernünftig oder unvernünftig. Triebe können intuitiv klarer sein als unser ach so rationales Bewusstsein. Unser Über-Ich ist ein grauenvolles Durcheinander von göttlichen Geboten, emanzipatorischen Antigeboten, autonomen Vernunftdevisen und allen möglichen Mixturen aus Pro und Contra.)

Dies ist keine Lobrede auf trübe Skepsis oder auf einen ausgebrannten und zynischen Nihilismus. Popper berief sich immer auf den unwandelbaren Satz des Xenophanes: „Nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles Verborgene gezeigt, sondern allmählich finden sie suchend das Bessere.“ Wobei der Vorsokratiker es noch nicht mit absoluten Vernunftfeinden wie dem christlichen Credo zu tun hatte, dessen Gott alle irdische Vernunft in die Hölle schickt.

Wer sucht, der findet das Bessere? Jeder kennt den Satz des Neuen Testaments, der das Lebensmotto des Xenophanes ins Biblische übersetzte: Wer sucht, der findet, klopfet an, so wird euch aufgetan, wer bittet, empfängt. Der Sinn ist klar: Heiden suchen, finden aber nichts, denn sie suchen mit irdischem und sündigem Verstand. Wer aber den Vater bittet – an den er glauben muss –, der findet und kommt mit Garantie ans Ziel.

Die Ungläubigen sind ständig unterwegs auf der Suche nach Wahrheit und Sinnerfüllung des Lebens. Sie müssen scheitern, solange sie ihren eigenen Kräften vertrauen. Machen sie aber eine Metanoia (Umkehr) in ihrem Leben und kehren als verlorene Söhne bussfertig zum Vater zurück, so werden sie alles in Hülle und Fülle empfangen.

Nein, diese illusionäre Belohnungsgarantie gibt es für die autonome Vernunft nicht. Was wir uns nicht selbst erarbeiten, beschert uns weder der Himmel, noch verhindert es die Hölle. Dennoch gibt es keinen Grund, die Lernfähigkeit des Menschen grundsätzlich zu verneinen. Wer den Menschen zu einer irreparablen Fehlkonstruktion erklärt, ist ebenso ein dämonischer Schwärmer wie jener ein phantastischer, der den Garten Eden für eine todsichere Beute des Menschen hält.

Was wir im Guten wie im Bösen erreichen, wissen wir nicht. Ignoranz aber legitimiert niemanden, über die Gattung Mensch schon heute den Stab zu brechen. Wie man das Leben des Einzelnen nicht vor seinem Tode rühmen oder beklagen soll, so auch nicht die kollektive Biografie des homo sapiens.

Erst wenn die Menschheit endgültig verschwunden sein wird, können Aliens von anderen Sternen aus archäologischen Überresten das Gesamtbild des Menschen rekonstruieren und die Fragen beantworten: Haben diese seltsame Wesen sich selbst abgeschafft? Oder waren es – wie bei den Dinos – vulkanische oder asteroide Ursachen, die ihrem irdischen Dasein ein Ende setzten? Und wenn ersteres, was waren die Gründe ihrer Lebensunfähigkeit?

Solange der Mensch werkelt, tut und macht, gibt es viele emotionale Gründe, an ihm zu zweifeln, aber keinen einzigen legitimen Grund, an ihm zu ver-zweifeln. Solange der Mensch lebt, kann er lernen und an sich arbeiten. Das soll er auch tun, das ist seine gottverdammte Pflicht.

Seine Pflicht auch dann, wenn ihn ein Gott mit Verdammung bedroht. Gegen göttliche Verdammungen und Belohnungen müssen wir uns eine dicke Haut wachsen lassen. Immun werden gegen heilige Versprechungen, seien sie himmlischer oder höllischer Art, das ist die unheilige, aber kategorische Pflicht der lebenden Generationen. Erst wenn der Mensch das Lernen einstellt, hat er sich aufgegeben.

Wem diese Botschaft zu vage ist, der mag den bombastischen Versprechungen der Erlöser folgen. Sollte er zum Zweck seiner autistischen Seligkeit so nebenbei einen Großteil der Natur und die gesamte Menschheit auslöschen müssen, komme er uns hinterher nicht, wir hätten ihn nicht gewarnt.

Fegen wir das religiöse Dilemma in seiner verfluchenden wie in seiner segnenden Form vom Tisch. Die trostlose Verdammung und die illusionäre Fremderrettung des Menschen sollten wir den Archiven der Menschheit anvertrauen und eines Tages unseren Kindeskindern erzählen, dass der Mensch in grauer Vorzeit sein ganzes Schicksal erhofften, erfundenen und befürchteten Mächten übergeben hatte, anstatt selbst seine Ärmel aufzukrempeln und seine Gehirnwindungen zu benutzen. Ganz erstaunt werden die Kinder fragen, ob diese Geschichte genau so erfunden wurde wie die Märchen von Rumpelstilzchen, Froschkönig und Aschenputtel.

Ob der Mensch lernfähig ist, erkennt man an der Geschichte seiner Lernfähigkeit. Trotz vieler Irrungen, Wirrungen, Tragödien, Katastrophen und Massakern hat die Menschheit unendlich viel gelernt.

Wenn in China ein Kind acht- und lieblos überfahren, in Amerika Schulkinder getötet werden, in Haiti ein Erdbeben ausgebrochen ist, in Asien der Tsunami viele Menschen in den Tod gerissen hat und in Afrika Menschen vor Hunger sterben, so gehen diese Meldungen blitzschnell rund um die Welt und Hilfsaktionen werden in die Wege geleitet. Im globalen Dorf bleibt nichts mehr unbemerkt und unkommentiert.

Trotz alledem hat sich ein fragiles Weltgewissen entwickelt. In der UNO haben sich die Völker zusammengeschlossen, wie Kant es nur hatte träumen können. Es gibt noch unendlich viel zu tun und zu lernen, doch unendlich viel haben wir bereits gelernt. Kein Mensch von Verstand will zurück in die Zeit, wo jedes europäische Land gegen den Nachbarn nur deshalb Krieg führte, weil blutsverwandte Könige Appetit auf einen Familienzwist hatten.

In der chinesischen und griechischen Philosophie, der indischen Weisheit, der Naturverbundenheit südamerikanischer Indianer, der überschießenden Lebensfreude der Afrikaner, den kostbaren Überlebenserfahrungen aller Stämme, Völker und Nationen haben wir Potentiale der Klugheit, denen wir noch nicht gerecht geworden sind. Die Lerngeschichte der Menschheit haben wir noch gar nicht entdeckt.

Im Gegenteil, aus religiöser Hochnäsigkeit und Verachtung wird die geballte Intelligenz der Menschheit unter den Teppich gekehrt. Die westliche Zivilisation glaubte das gottverliehene Recht zu besitzen, mit ihren maschinellen und ökonomischen Golems die Erfahrungen der heidnischen Welt negieren und planieren zu können.

Der Vorrang des Westens geht dem Ende entgegen. Eine gute Nachricht für die globale Menschheit, die sich nur im Geiste der Gleichheit und Zusammengehörigkeit verbinden kann. Wer wissen will, was die Menschheit schon geleistet hat, sollte finden wollen, was er zu suchen vorgibt und nicht gleich im verächtlichen Sinn den Bankrott der Menschheit ausrufen.

Der Glaube an die Menschheit ist der politische Faktor Nummer eins aller Überlebensfähigkeit. Denn jeder Glaube ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wer den Menschen zum irreparablen Sündenkrüppel erklärt, ist einem Amokläufer gegen die ganze Menschheit gleich.

Glauben ist nicht blindes und blauäugiges Vertrauen, sondern kritisches und selbstkritisches Miteinanderarbeiten. Um die Schätze des menschlichen Lernens zu heben, müssen wir sie in der Vergangenheit ausgraben, um sie in der Gegenwart zu neuem Leben zu erwecken. Wenn wir sie nicht in Lebenslust und –energie verwandeln, werden sie uns als Last auf den Schultern hängen und uns jede freudige Zukunft verleiden.

Den Esel des Buridan können wir ignorieren. Wer vor lauter Angeboten sich nicht mehr entscheiden kann, sollte abspecken und wieder seine elementaren Bedürfnisse entdecken. Wer mehr zu fressen hat, als er kotzen kann, hat zu viel zum Fressen. Esel sind so dumm nicht, wie ein naturfeindlicher Scholast sie zeichnet. Luxusprobleme sind Dummheitsprobleme, die man dadurch überwindet, dass man seine wahren und endlichen Bedürfnisse entdeckt und keine Bedürfnisse nach Bedürfnissen aus dem Nichts kreiert.

Das ist das Ende der westlichen Moderne, das Ende des Kapitalismus, der die Menschheit nicht ernähren, sondern durch Überfluss ersticken wollte. Man könnte von der Foltermethode des Luxus-boarding sprechen. Der versprochene Wohlstand ist längst zum Wehestand geworden.

Das Wohl ist ein bestimmtes Maß. Wer es missachtet, verwandelt es ins Gegenteil. Die westliche Moderne hat die Unendlichkeit als Maß des endlichen Menschen eingeführt und will nicht wahrhaben, dass Maßlosigkeit der Feind des guten und vergnüglichen Lebens ist.

Alle irdischen Linien sind endlich und treffen sich im Kreis. Nur überirdische Linien sind unendlich und beginnen, uns zu strangulieren. Hier irrte Adam Smith, der seiner neuen Ökonomie die Aufgabe stellte, „wie man Wohlstand und Reichtum des Volkes und des Staates erhöhen kann.“ Wenn ein Volk darbt und Not leidet, dann muss das Wehe zum Wohl erhöht werden. Wenn aber ein Volk im Wohle ist, bedeutet jede Erhöhung eine Kippbewegung ins luxurierende Wehe.

Wer nach unten oder oben das Maß des Wohls verfehlt, erzeugt Elend in Mangel oder in Überfluss. Wenn Reichtum Verletzung des Maßes ist, kann es keine Freiheit mehr sein. Freiheit ist keine persönliche, sondern eine soziale Tugend. Entweder macht Freiheit alle frei oder niemanden. Wenn Freiheit zur Eitelkeit weniger wurde, ist sie zur Knechtschaft geworden.

Ökonomen sind gefährliche Einfaltspinsel unendlicher Linearität. Wirtschaft hat Bedürfnisse zu stillen, nicht, sie in ständiger Unruhe und ängstlicher Nervosität neu zu erfinden. In reichen Ländern haben wir alles, was wir brauchen. Mehr brauchen wir nur, wenn wir uns mit Überfluss erdrosseln wollen.

In amerikanischen Städten gibt’s riesige Speicherhallen, in denen der Luxusschrott übersättigter Menschen vor sich hin modert. Wir produzieren nur noch für ausgelagerte Katakomben des Wehestands. An Weihnachten wissen wir nicht mehr, was wir schenken können. Eine Gesellschaft, die sich mit Schenken keine Freude mehr macht, ist in Maßlosigkeit erstarrt.

Wenn alles möglich ist, ist bald nichts mehr möglich. Wer alles für gleich wichtig und notwendig hält, muss auch das Widrige und Schädliche befürworten. Alles ist möglich: das ist keine Devise der Vernunft, die das Nützliche und Menschliche fördert, das Gegenteil mit Argumenten und demokratischen Methoden bekämpft. Was nützlich und erwünscht ist, muss von der Menschheit gemeinsam ermittelt werden.

Kein Mensch hat unvergleichliche und endlose Bedürfnisse. Jedes Individuum ist einmalig, aber vergleichlich. Wir ähneln uns alle, denn alle haben wir das gleiche Bedürfnis, gesättigt zu werden an Leib und Seele, wozu wohlwollende Anerkennung und gegenseitige Sympathien gehören.

Es müsste keine rationalen Dilemmata in der Politik geben. Die Natur setzt uns nicht zwischen Skylla und Charybdis. Wir sind es, die wir uns eine Religion leisten, die uns das Glück auf Erden mit Unglücksprognosen verbietet. Das Glück auf Erden werdet ihr in Ewigkeit büßen; büßt lieber eine kurze Spanne in der Welt und ihr werdet das unendliche Glück erfahren, so verlockt uns der Sirenengesang des Jenseits.

Was büßten wir denn ein, wenn wir eine bedürfnisorientierte Wirtschaft einrichten und der maßlosen Wirtschaft die rote Karte zeigen würden? Wir büßten einen naturfeindlichen Fortschritt ein, den wir ohnehin auf den Müll der Geschichte werfen müssten. Wir brauchen keine endlosen Innovationen, unsere Maschinenheere tanzen uns schon auf der Nase herum.

Was büßten wir ein, wenn unsere Wettbewerbsfähigkeit durch Abbau des Sozialen nicht mehr erhöht würde? Wir wüssten nicht, wer der Potenteste beim Produzieren überflüssiger Dinge ist. Doch wir wüssten, wer die Solidarischsten unter den Nationen sind, deren Menschlichkeit wir preisen dürften.

Wir müssten auf einen Wettbewerb verzichten, der uns immer mehr in einen neuen Bürgerkrieg treibt. Wir müssten auf Macht durch Reichtum verzichten, die uns unter den Ohnmächtigen ohnehin verhasst macht. Wir müssten verzichten, weiterhin die Natur auszubeuten und das Klima zu verschlechtern, was uns ohnehin nur endlose Flüchtlingsströme und erbitterte Kämpfe um die letzten lebensfreundlichen Inseln auf dem Planeten bringen wird.

Doch wenn wir unser Dasein ändern und in Einklang mit uns und der Natur leben, wenn wir die lebensvergiftenden Dilemmata ad acta legen würden, dann erlebten wir nur die Freuden der Natur, alle Nachteile wären spurlos verschwinden. Die Natur hat kein Doppelgesicht, dass sie uns bestrafen müsste, damit es uns nicht zu wohl wird in unserer Haut.

Wer sieht noch wo ein schauriges Dilemma? Die Natur gibt uns alle Möglichkeiten, auf Erden ein freies und freudiges Leben zu führen – ohne dass wir es mit Barbarismen bezahlen müssten. Der Preis für ein humanes Leben ist nicht Inhumanität. Das schöne Leben muss nicht mit einem hässlichen beglichen werden. Die Existenz auf Erden ist kein klügelndes Soll und Haben.

Es ist religiöse Fehlinformation, für ein erfülltes Dasein müssten wir stets schmerzliche Kosten zahlen. Die Vernunft zeigt uns den Weg, auf Erden zu leben, als ob wir in Meeresstille der Seele unendlich lang leben könnten. Solange die Natur es nur zuließe.