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Tagesmail

Dienstag, 03. Januar 2012 – Lügen haben heilige Beine

Hello, Freunde der Lügen,

also hello Deutsche. Deutsche lügen, dass sich die Balken biegen. Dabei dürfen sie gar nicht lügen, sie stehen unter Wahrheitszwang und halten sich für die Ehrlichsten und Offensten unter der Sonne.

Deutsch reden hieß in grauen Vorzeiten, was man heute Tacheles reden nennt. Wer heute deutsch redet, lügt scheibchenweise und sagt die Wahrheit nur, wenn er dazu gezwungen wird, wie der hannoveraner Siegfried aus Bellevue an der Seite der blonden Kriemhild.

Tacheles ist ein jiddisches Wort und bedeutet das Gegenteil von mauscheln. Da muss schon ein Gott kommen und das Lügen verbieten. Denn Heidenkinder lügen von Natur aus, sie sind geborene Lügner und Betrüger. Alle sind sie Teufelsbraten, der Teufel ist der Vater der Lüge. (Joh. 8,44)

Verbietet Gott überhaupt das Lügen? Du sollst nicht lügen, ist das wievielte Gebot des Dekalogs? Das elfte, das Gebot gibt es gar nicht. Im achten Gebot steht lediglich: du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Was Luther in seinem Kleinen Katechismus mit den Worten kommentiert: „Wir sollen Gott fürchten und lieben (in dieser Reihenfolge!), dass wir unsern Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren“.

Womit klar ist, dass all unsere tugendstrotzenden Gazetten in causa Bundespräsident nicht nur antilutherisch, sondern – hier tun sich Abgründe an Glaubensdefiziten auf – auch antibiblisch sind. Haben sie Maschmeyers besten Freund entschuldigt? Haben sie Gutes von ihm gesprochen? Alles zum Besten gekehrt?

Es ist nicht anders, sie lieben ihren Präsidenten nicht: die Weltmeister der Agape, die Paulus’ Hymne auf die Nächstenliebe als schönstes Liebeslied der Weltliteratur anbeten. „Die Liebe rechnet das Böse nicht an … sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ (1.Kor. 13,4 ff)

Aber nein, diese Medienbengel rechnen das Böse an. Sie ertragen nicht die geringsten Schwindeleien und Notlügen des hohen Amtsträgers, was sie, die Ämterlosen, von morgens bis abends selbst hemmungslos zu tun pflegen. Jeder Mensch lügt einmal pro Minute, wie findige Seelenkenner erforscht haben wollen: also immer, wenn er’s Maul aufmacht.

Nein, bei Wulff ertragen sie nichts, dulden nichts, auf Besserung hoffen sie schon lange nicht mehr. In Luthers blumiger Terminologie after-reden sie über ihn, was dem armen Christian nicht am Arsch vorbei gehen kann. Sie machen bösen Leumund wider ihn, entschuldigen ihn nicht, reden nichts Gutes über ihn, kehren nicht alles zum Besten. Ein verlogenes, hasserfülltes Medienpack: streng lutherisch gesprochen.

Wenn Liebe alle Fehler zudeckt, leben wir in einer lieblosen Republik. Sollte Deutschlands einziger Revoluzzer aus Wittenberg etwa demokratieuntauglich gewesen sein? Sollte Demokratie mit rechtgläubiger Nächstenliebe unverträglich sein?

Von wem ist noch mal der doktrinär-rechthaberische Satz: Ein unüberprüftes Leben ist nicht lebenswert? Ah, von Altstalinist Sokrates, wusst ich’s doch. Die Vierte Gewalt in einer rechtgläubigen Demokratie müsste schlechthin verboten werden, sie beruht auf hasserfülltem Entlarven liebloser Wahrheiten. Falsches Zeugnis reden wider seinen Nächsten ist ja nicht identisch mit kategorischem Lügenverbot.

Und warum immer nur der Nächste? Die Fernsten darf ich folgenlos beschummeln und bemauscheln? Gilt Nächstenliebe nicht für Fremde, Unbekannte, islamistische Terroristen, Neonazis und den Norweger Breivik? Oh doch, sie lieben sogar ihre Feinde, damit sie die griechischen Moralphilosophen in den Schatten stellen, als ob jene Kannibalismus vertreten hätten.

Damit ihnen die Feinde nicht ausgehen, die sie zu Tode lieben, müssen sie ständig für frischen Nachschub sorgen. Sind’s nicht Kalte Krieger und Kommunisten, sind’s Islamisten. Sind’s nicht Chinesen, Taliban und Terroristen, sind’s Sexisten, Sozialstaatbefürworter und europäische Ökologen. Sind’s nicht Loser, Faulenzer und Illegale, ist’s der verdammte Staat und das international verseuchte Washington.

Nebenbei: auch ihre Feinde, Schwachen und Bedürftigen lieben sie nicht um deretwillen, sondern nur, weil sie Jesus in ihnen erblicken. „Was ihr einem dieser Geringsten unter meinen Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan. Gehet hinweg, ihr Verfluchten ins ewige Feuer.“ (Matth. 25,39 ff) Wer solche messianischen Vorbilder in Liebe und Vergebung hat, darf sich über Religionskriege, Kapitalismus und Mr. Dabbelju nicht wundern.

Das Christentum ist keine Religion mit unerreichbarer Messlatte, die von schwachen Sündenkrüppeln immer nur gerissen wird. Sie predigt, was sie tut und tut, was sie predigt. Mit sich und ihrem fluchenden Gott ist sie im Reinen.

Es gibt Naivlinge, besonders unter Linken und Gottlosen, die mit Hilfe des Dekalogs die politische Praxis christlicher Parteien aushebeln wollen. Wäre das Gebot: Du sollst nicht töten, nicht das Ende aller Kriegstreiberei, die Abschaffung westlicher Armeen und der Beginn eines bedingungslosen Pazifismus?

Papperlapapp. Das Gebot heißt nur: Du sollst niemanden töten – außer jene, deren Tod für Staat und Eliten von Vorteil ist und deren Ermordung von oben angeordnet wurde. Beim Lügen dasselbe. Wenn es überhaupt ein biblisches Gebot ist, gilt Wahrheitspflicht nur für Glaubensgenossen und Verbündete. Wer dem gegenwärtigen und kommenden Reich Gottes schadet, darf selbstredend angekohlt werden.

Alles, was dem Heiligen nützt, darf mit sämtlichen Mitteln der Moral oder Unmoral unterstützt werden. (Antinomie) Dem Reinen ist alles rein. Sündige tapfer, aber glaube. Das Motiv machts. Der rechtgläubige gute Baum bringt gute Früchte. Die Tugenden der Heiden hingegen sind goldene Laster.

Wenn schon Platon die heilige Lüge im Dienst des perfekten Staates erlaubt, warum sollte die Petitesse dem perfekten Christentum verboten sein? „Weder Manu, noch Platon, noch Konfuzius, noch die jüdischen und christlichen Lehrer haben je an ihrem Recht zur Lüge gezweifelt. Sie haben an ganz anderen Rechten nicht gezweifelt.“ (Nietzsche) Ihnen allen fehle die Heilige Lüge nicht, schreibt der wahrheitsliebende Antichrist in seinem „Antichrist“. Die priesterliche Art Mensch der Zukunft – der Übermensch – „glaubt an ihre Überlegenheit, sie will sie auch in der Tat: die Ursache der heiligen Lüge ist der Wille zur Macht.“

Wenn’s den Glaubenshelden dient, ist Lügen erlaubt, bis die Schwarte kracht. Siehe 1.Mos. 12,10 ff, wo Abraham seine Sara zur Schwester umdefiniert, damit er selbst mit dem Leben davonkommt. Siehe 1.Mos. 27, wo Jakob mit professionell ausgeführten Tricksereien und Mummereien sich den Segen des Vaters erschleicht.

Zum guten Schluss darf der wunderbar über Wahrhaftigkeit dozierende Augustin nicht außen vorbleiben. Dem Vater aller Kirchenväter ginge es bei „Wahrheit und Lüge nicht um Wahrheit und Falschheit der Dinge selbst, sondern um einen Spruch der Seele“, schrieb ein theologisches Lexikon. Buber kommentierte das so: Die Seele „spricht sich selber der Wahrheit oder Lüge zu.“ Mit anderen Worten, was Lüge oder Wahrheit ist, entscheidet von Fall zu Fall der gottebenbildliche Gläubige in selbstherrlicher Willkür. Das gilt unisono für alle drei Erlöserreligionen. Der entsprechende islamische Begriff heißt Taqiyya.

Wie bin ich nur auf die Lüge gekommen? Ach ja, Ulrike Herrmann verzweifelt an der Wahrheitsfähigkeit der Deutschen. Es gebe gar kein Vollbeschäftigungswunder, wie die Regierung dem leichtgläubigen Publikum vorgaukelt. Es gebe nur statistische Tricks und Mauscheleien. Keine Rede, dass mehr gearbeitet worden wäre: im Jahre 2000 seien 57,7 Milliarden Arbeitsstunden absolviert worden, im Jahre 2010 nur 57, 43. Diese Arbeitsmenge wurde lediglich auf mehr Schultern verteilt, die von der schrumpfenden und unterbezahlten Tätigkeit nicht mehr leben können und staatlich-überwachter Fürsorge anheim fallen.

Liebe Ulrike, du bist zu hart zu den Deutschen. Sie lieben die Wahrheit, sie ertragen sie nur nicht. Was ist der psychische Kompromiss aus Lügenverbot und Wahrheitsunverträglichkeit? Grenzenlose Torheit und Blinde-Kuh-Spielen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Die Deutschen wissen gar nicht, was draußen in der Welt abläuft. Sie spielen Häschen in der Grube.

Wenn du alle Deutschen im Allgemeinen und deine Leser im Besonderen liebst, rechne ihnen das bisschen Lügen nicht zu. Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Dulde und ertrage. Die Hoffnung stirbt bis zuletzt.