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Tagesmail

Die Libertären

Hello, Freunde der Emanzipation,

in der größten Zeitung des Landes beerdigt Deutschlands kernigster Seelenhirte die Emanzipation der Frau – und keine Frau bemerkt es.

Den meisten Männern spricht der Pastor aus der Seele. Fast die Gesamtheit aller Männer – 92% – ist der Meinung: es ist genug mit der Gleichberechtigung, für 28% unter ihnen ist es sogar mehr als genug. Mehr als Zweidrittel der jungen Männer (72%) halten daran fest, die Ernährer der Familie zu sein.

„Nix mit Rollentausch, mit Kochen und Kindererziehung“, so der Pastor.

Haben die Suffragetten etwa „übertrieben“ und die Männer „überfordert“?

Männer nehmen in den Arm,
Männer geben Geborgenheit,
Männer weinen heimlich,
Männer brauchen viel Zärtlichkeit. Männer sind so verletzlich,
Männer sind auf dieser Welt einfach unersätzlich.

Männer können alles, nur nicht kochen, putzen, Kinder erziehen, sie in die Welt begleiten, am Sandkasten unter Frauen sitzen, die durch sie hindurch schauen und denken: haben die keinen ordentlichen Job, wenn sie hier auf Hausmänner machen?

Wo denkt ihr hin? Natürlich geht es nicht um Macht, wenn Männer ihre dominante Rolle mit Klauen und Zähnen verteidigen. Männer sind einfach überfordert, meint mitleidig der

männliche Hüter der Gläubigen.

„Viele fühlen sich einfach überfordert, eine neue Rolle einzunehmen. Dabei sollte man ihnen helfen, statt Quoten zu verordnen.“

Echten Männern kann man mit ordinären Gesetzen nicht kommen, sie wollen aus Überzeugung handeln. Das Getue der Weiber, Gott sei‘s geklagt, überzeugt sie eben nicht.

Der Pastor steht über den Parteien, er versteht sogar die Frauen: „Frauen werden zu Recht erst Ruhe geben, bis es eine Selbstverständlichkeit ist, dass sie genauso Chef werden können und für gleiche Arbeit gleichen Lohn bekommen wie Männer.“

Von Kindern ist nicht die Rede, die Verträglichkeit von Erziehung und Maloche wird gar nicht erwähnt. Für einen echten Gottesmann geht das zu weit.

„Ihr Frauen, gehorcht euren Männern wie ihr dem männlichen Erlöser gehorchen sollt. Denn der Mann ist das Gehirn der Frau, wie auch der männliche Erlöser Herrscher der Kirche ist. Wie nun die Kirche dem männlichen Erlöser untertan ist, so sollen auch die Frauen den Männern in allen Dingen untertan sein.“

Ein Supermann, der könnte, was eine Frau kann, der „müsste noch erfunden und erzogen werden“. Vermutlich von den Frauen, die an dem Männerelend selbst dran schuld sein müssen. Hätten sie ihre Männer doch richtig erzogen.

An einem bunten Herbsttag wurde das Projekt Emanzipation von einem Gottesmann zu Grabe getragen. Und niemand bemerkte es. Wie denn auch? Die Begräbnisrede des gottähnlichen Mannes klang wie eine Lobrede:

„Der Supermann, der Job, Frau und Kinder ohne Murren unter einen Hut bekommt, muss erst noch erfunden und erzogen werden. Darin sind die Frauen eben doch das starke Geschlecht.“

Wie könnte das starke Geschlecht das schwache sein? Unliebsame Konkurrenten werden weggelobt. Aufmüpfige Frauen werden zurückgelobt: zu Kindern, Küche und Kirche.

Ist schon jemandem aufgefallen, dass die Küche zum Hauptprogramm der Öffentlich-Rechtlichen geworden ist? Chefs der Küche sind Männer. Warum spricht niemand von dauererigierten Pfauen am Herd?

„Solange man dich lobt, glaube nur immer, dass du noch nicht auf deiner eignen Bahn, sondern auf der eines andern bist.“ Sagt Nietzsche, der Mann, der mit der Peitsche zu den Weibern ging. Besser als die Peitsche eines degenerierten Pastorensohnes ist das Peitschenlob eines furchtlosen Pastoren, der seine Schäfchen in- und auswendig kennt.

In aller Öffentlichkeit wird die Emanzipation der Frau zu Grabe gelobt. Hauptsache, es sitzen zweieinhalb elitäre Damen in Vorstandssesseln. Wenn schon die starke Frau an der Emanzipation scheitert, wie könnte der schwache Mann starke Frauen ertragen?

Erneut ist die Frauenbewegung in einer raffinierten Männerfalle verendet. Frauen, senkt die Häupter. Gegen schlaue Männer im Himmel und auf Erden kommt ihr nicht an. Lasset euch an der Gnade der Herren genügen. Und tröstet euch mit der Auskunft, dass die Schwachen die eigentlichen Starken sind.

„Die Kraft erreicht ihre Vollendung in Schwachheit. So rühmt euch nun, ihr Frauen, eurer Schwachheit und sprechet im Chor: Wir haben Gefallen an Schwachheiten, an Misshandlungen, an Nöten, an Verfolgungen und Ängsten. Denn wenn wir schwach sind, sind wir stark. Paulus wusste, wie man Frauen karessieren muss, um sie bei der Stange zu halten. Wer Gefallen findet an Misshandlungen, Nöten, Verfolgungen und Ängsten, der wird sie auch herstellen.

Pastor Peter Hahne weiß, wie man starke Frauen loben muss, damit sie in Schwachheit verstummen. (BILD)

 

Bis Weihnachten und weit drüber hinaus ist für öffentliche Unterhaltung gesorgt. Die Presse hat die Parteien um langwierige, mühsame und dramatische Verhandlungspirouetten gebeten. Die Parteien haben freudig zugesagt, sind doch Politspielchen im Sandkasten ihre Lieblingsbeschäftigung.

Geht es um internationale Abkommen über Frieden in der Welt, über die Rettung des Klimas? Es geht um Wichtigeres, nämlich um die Frage: wer mit wem? Willst du mit mir gehen, singen sie rundum im Kreis der Heiratswilligen.

Vorsondieren, Sondieren, Vorplänkeln, Plänkeln, vorsichtige Erstgespräche, ernsthafte Ernstgespräche, überraschendes Stagnieren und erneutes Vorglühen. Dramatischer Durchbruch auf der Zielgeraden. Kurz vor Einigung plötzlich drohendes Gesamtscheitern. Lähmung des Landes – endliche Erlösung durch herbeigesehnte Große Vereinigung.

Ein Volk, eine Einheit, eine Politik. Ein bisschen Wortbruch als Pfeffer und Salz inbegriffen, inklusive großzügig vorauseilender Vergebung. Nein, Wortbruch ist für das verständnisvolle Publikum doch kein Wortbruch.

Das Volk ist intelligent geworden, gewitzter als die gesamte Politikerrotte. Sie durchschauen die Mätzchen der Matadore, wenn diese sagen: Uns geht’s nicht um Posten, uns geht’s um die Sache. So etwa Hannelore Kraft, die starke Frau der SPD. Da schlägt das Volk bei Freud nach und liest: wer zu oft Nein sagt, sagt Ja. Also geht’s um Posten.

Wenn ein gewisser Kandidat – wie hieß der noch mal? – sein zukünftiges Kabinett vorstellt, dann weiß das Volk: außer Spesen nichts gewesen. Ein linker Wiesehügel sollte Arbeitsminister werden? Volk, was meinst du? Mumpitz, sagt das aufgeweckte Volk. Kommt Zeit, kommt Andrea Nahles.

Das Volk ist wie eine langmütige Mutter zu ihren Rangen im vergnüglichen Rangeln. Nur nicht alles so ernst nehmen, sagt das Volk. Die Mächtigen können vor Kraft nicht laufen? Locker bleiben und innig in sich hineingrinsen. Thema für den nächsten Abituraufsatz: Wer ist mütterlicher und verständnisvoller – Angela oder das Volk?

Volk, was hältst du von dem im Dunkel der Geschichte abhanden gekommenen Kandidaten?

Volk: Hano, prima Performer! Nach Stotterbeginn kraftvoll in die Gänge gekommen. Hat seine Grenzen ausgelotet, hin und wieder mit Gesten vulgär überschritten. Gegen diesen Wolkenstürmer ist Messner im Himalaja ein Waisenknabe. Nein, natürlich hatte das Ganze mit Politik nichts zu tun. Da wollte einer aus seinem Bürgerlichen Trott ausbrechen. Schwatzen vor Bankern gegen lumpige Honorare war langweilig. Er brauchte eine neue „Challenge“, wie man heute neudeutsch „kommuniziert“. Exzellenter Selbstdarsteller, gecoacht vom Event-Consulting SPD & Co.

Politische Macht? Wollte der nie. Das wäre ja Verantwortung übernehmen. Nein, betrogen hat er das Volk nie. Von Anfang an sagte er in jedes Mikrofon: Regieren um jeden Preis nicht mit mir.

Unterhaltungswert? Nur mit Pep Guardiola zu vergleichen. Schon seine neue sexy Taktik auf jedem Marktplatz: Kreisen um sich als Kreisen um die Stange, das war Treten auf der Stelle in selbstberauschender Scheinbewegung.

Volk, vielen Dank für das erhellende Interview.

Den meisterhaften Windbeutel soll das SPD-Politbüro für die nächste Kampagne schon vorgebucht haben. Durch Wahlkampf soll das seriöse Politbüro nicht frühzeitig abgenutzt und verschlissen werden. Generell sollen Shownummern in Zukunft an professionelle Wahlkampfdarsteller outgesourct werden.

Bewerbungen nimmt jeder Ortsvorsitzender schon jetzt entgegen. Erwünscht ist die kurze und saloppe Beantwortung der Frage: Wie lege ich die Rolle des Kanzlerkandidaten an, ohne Gefahr zu laufen, das Amt zu übernehmen?

(Der boulevardesque Charakter der Politik macht vor linken Kommentatoren nicht halt. Sie paradieren auf Podien bürgerlicher Restaurants, wo sie das leckere Mahl des Publikums mit exquisiten Meinungen über den Wahlausgang begleiten und würzen. Demokratie kostet Eintritt. Eine Debatte wird zur amüsanten Sättigungsbeilage. Zumindest für Gutbetuchte, deren Linkssein herablassenden Patriarchengesten ähnelt. Für Hartz4-Interessenten sind 12 Euro pro Mann und Maus unerschwinglich.

Im Berliner Tipi kam ein Moderator vom RBB hinzu, der sich einen Jux aus der Veranstaltung machte. Offensichtlich werden die Öffentlich-Rechtlichen vom Volk noch immer nicht genug subventioniert, um eine kapitalismusfreie demokratische Debatte zu veranstalten.)

Verglichen mit weltbewegenden deutschen Pantomimen gibt’s aus der Weltpolitik nur Petitessen zu vermelden. Amerika wird zum failed state. Na und? Das Klima steigt und steigt. Na und? Englands Umweltminister begrüßt die Entwicklung. Endlich wird’s wärmer auf der Insel, in Schottland können Ananas angebaut werden. Der Whisky wird runder und würziger. (Ralf Sotscheck in der TAZ)

Dem Schriftsteller Trojanow wird die Einreise in die USA verwehrt. Na und? Hätte er doch keine Manifeste gegen die staatserhaltende NSA unterschrieben. Merkel sagte kein einziges Wort gegen die totalitäre Aktion. Intern soll sie vor sich hingemurmelt haben: Was gehen mich Schriftsteller an? Die Rechte eines eingemeindeten Bulgaren soll ich schützen? Warum geht er nicht nach Drüben, äh, nach Drunten, um sich an seine Heimatregierung zu wenden? (Christopher Pramstaller in der ZEIT)

Es geschieht so gut wie nie, dass in Tagesgazetten etwas erklärt wird. Erklären heißt, den Tag übersteigen, die Vergangenheit erkunden. Das aber soll die Sache von Historikern sein. Journalisten beobachten Fakten und schreiben sensible Reportagen über schlimme Dinge, wofür sie tolle Preise kassieren. Fakten erklären übersteigt ihr Metier.

Fakt ist, dass die USA zu einem bankrottierenden Staat werden. Die zwei Parteien befinden sich in gegenseitiger Totalblockade. Man könnte von Glaubenskriegen sprechen. Die von Anfang an dem Glauben aufgestülpte Demokratie wird in rigorosem Selbstzorn abgestreift. Gottes Land geht in sich und reinigt sich von heidnischen Einflüssen.

Natürlich reden sie nicht von Demokratie, wenn sie die Regierungszentrale im Weißen Haus zerlegen wollen. Sie reden vom Staat. Der Staat ist für Christen jenes sündige System, das in sich zusammenfallen wird, wenn der Herr um die Ecke kommt, um die Seinen nach Hause zu holen.

Gebet dem Kaiser, was des Kaisers, soll eine Toleranzformel der Heiligen gegen Staat sein. Eine weitere Generallüge unter vielen Generalmythen des christlichen Westens. Der römische Kaiser war kein Demokrat und Demokratie eine heidnische Erfindung, die abfallen wird, wenn alles ans Licht kommt.

Der Fortschritt der Heilsgeschichte besteht im allmählichen Zurückdrängen und Vernichten des weltlichen Staates. Demokratie ist aber kein autoritärer Staat, sondern eine selbstbestimmte Regierung des Volkes. Wer in einer Demokratie den Staat angreift, um ihn dem Erdboden gleichzumachen, zerstört die Demokratie.

Biblische Amerikaner lehnen den Staat ab. Republikaner hassen ihn. Am meisten hassen ihn die Libertären. Sie sind der harte Kern der Tea Party. Obamas staatliches Gesundheitssystem wollen sie atomisieren.

Was sind Libertäre? Liberale, denen die Liberalen nicht staatsfeindlich genug sind. Die Extremsten unter ihnen wollen den Staat nicht nur aus allen politischen Aktionen entfernen: sie wollen ihn eliminieren. Dabei berufen sie sich auf das griechische Naturrecht.

Welches? Es gibt zwei griechische Naturrechte. Das der Starken und das der Schwachen. Solches Wissen hat kein kritischer Journalist nötig. Es handelt sich um das Naturrecht der Starken, das in der Neuzeit von Nietzsche in die Herrenideologie des Übermenschen gegossen wurde. (David Böcking im SPIEGEL)

In der Natur herrschen die Starken über die Schwachen, also soll auch in politischen Gemeinwesen der Starke den Schwachen unterdrücken. Erstaunlich, dass der amerikanische Neoliberalismus den Begriff Darwinismus verschmäht und sich plötzlich mit griechischen Federn schmückt.

Wenn jeder gegen jeden antreten soll, ist ein Staat überflüssig, um die Schwachen zu schützen. Das würde den Fight verfälschen. Unter Geiern soll es ehrlich zugehen. (Verzeihung, liebenswerte Geier.)

Zu den Urhebern der Libertären kann man Nietzsches Vorbild Max Stirner zählen. Sein „Solipsismus“ (woher das Wörtchen Solo kommt) ist die philosophische Einstellung, dass im Mittelpunkt der Welt das heilige Ich steht. Dann kommt lange nichts, danach wieder das Ich. Stirners berühmtester Spruch: „Mir geht nichts über mich“. Dieser sympathische Superegoismus ist das Herzstück des heute die Welt beherrschenden Neoliberalismus.

Einer seiner Urväter war der Lehrer Hayeks, der Österreicher Ludwig von Mises, der den Vorzug des Kapitalismus darin sah, dass man sich mit Geld alles kaufen könne – selbst Liebe –, deshalb auf freie, aber unberechenbare menschliche Zuwendung nicht mehr angewiesen sei.

Die amerikanische Schriftstellerin Ayn Rand übertrug die Ideen von Mises’ in überaus erfolgreiche Romane, die die Creme de la Creme der amerikanischen Reichen und Starken – darunter Alan Greenspan – außerordentlich beeinflussten. Hier ein begeisterter Lesebrief von Ludwig von Mises an Ayn Rand.

Libertäre wollen, dass der Staat sich aus aller Wirtschaft raushält, damit sich das Gesetz der Stärke ohne moralischen Schnickschnack durchsetzen kann. Nur die Armee soll im Ausland für Ordnung sorgen, wenn die heilige amerikanische Wirtschaft von der Welt nicht respektiert wird.

Das griechische Naturrecht der Starken – das immerhin eine adlige Oberschichtsloyalität kannte – wird vom paulinischen Heilsegoismus übertroffen und radikalisiert. Paulus kämpft nicht irgendwie um den Kranz des Glaubens. Bei ihm kann nur einer gewinnen.

„Wisset ihr nicht, dass die, welche in der Rennbahn laufen, zwar alle laufen, aber nur einer den Preis erlangt? Laufet so, dass ihr ihn erlangt.“ (1. Kor. 9,24)

Amerika wird von zwei Schulen gespalten. Die eine will – wie lange noch? – ein wenig an der demokratischen Fassade festhalten. Die andere will zurück zum asozialsten Religionssystem, das die Weltgeschichte kennt: zum solipsistischen Paulinismus. „Ich kämpfe so wie einer, der nicht in die Luft schlägt.“

Die Libertären schlagen nicht in die Luft, sondern gegen den Staat – um die amerikanische Demokratie niederzustrecken.