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Die ERDE und wir. XXXVI

Tagesmail vom 06.12.2024

Die ERDE und wir. XXXVI,

„In alledem sehe ich eine ernstliche Gefahr, die Gefahr einer kosmischen Pietätlosigkeit. Zu den Mitteln der Philosophie gehört der Begriff der Wahrheit, und zwar jener Wahrheit, die auf weitgehend außerhalb des menschlichen Herrschaftsbereichs liegenden Fakten beruht. Wenn dem Stolz nicht mehr auf diese Weise Einhalt geboten wird, dann ist ein weiterer Schritt getan auf dem Wege zu einer bestimmten Form von Wahnsinn – zum Machtrausch, der mit Fichte in die Philosophie eindrang und zu dem moderne Menschen neigen. Nach meiner Überzeugung liegt in diesem Rausch die größte Gefahr unserer Zeit, und jede Philosophie, die – wenn auch unabsichtlich – dazu beiträgt, verstärkt die drohende Gefahr einer ungeheuren sozialen Katastrophe.“ (B. Russell, Philosophie des Abendlandes)

Unsere erfolgreich fortgeschrittene Zeit ist diese Zeit der Pietätlosigkeit in der Gefahr einer ungeheuren sozialen Katastrophe.

Das hochheilige Paar des Westens, das sich erneut zum gemeinsamen Welt-Gebet in den USA getroffen hat: hat dieses Paar ein einziges Wörtchen über diese ungeheure soziale Katastrophe verschwendet? Haben sie wahrgenommen, was sie selbst unterstützt haben? Haben sie der Gefahr vorgebeugt? Was für eine Frage! Philosophie ist für sie Schall und Rauch.

Nein, die Physikerin verabscheut alles Geschwätz, das man nicht messen und berechnen kann und das sie deshalb nicht versteht; der verführerische Rhetor verabscheut alles, was die Massen nicht in Entzückung versetzt.

Als beide noch an der Macht waren, hatten sie einen Russen verachtet, der sich ihrem Machtkreis anschließen wollte. Der junge Putin – damals noch im Dunstkreis Gorbatschows – spürte noch den Geist dessen Satzes: „Von Lissabon bis Wladiwostok“.

Je älter Putin wurde, je mehr musste er sich sagen: der Westen will mich nicht auf seiner Seite, er verachtet uns als Land der asiatischen Bösen. Nach langem Grübeln entschloss er sich, das uralte, aber zerbrochene russische Reich wieder zusammenzubringen und dem Westen gleichberechtigt gegenüber zu stellen. Zuerst holte er sich die Krim, jetzt ist die Ukraine dran.

Die mächtigste Frau der Welt bemerkte damals, dass er log – weil er es selber gestand –, als er die Krim überfiel. Lügen denn nicht alle männlichen Politiker, und was ist mit den Frauen? Beherrschen sie nicht auch alle Tricks, um Wahrheit anzudeuten – durch Verachtung der Wahrheit?

Bertrand Russell hatte Recht, heute ist die Zeit der Wahrheit endgültig vorbei. Fast alle Denker, Gazettenschreiber, Lehrer und Politiker amüsieren sich über die hohen Werte der Vergangenheit und bestimmen höchstselbst über ihre subjektiven Werte, die sich niemandem beugen müssen.

Gleichzeitig jammern sie über die Unzuverlässigkeit ihrer Mitmenschen, die es nur noch nach Wohlstand gelüstet, – und wenn dabei die Wahrheit unterginge – und das Böse als höchster Wert des Universums die Welt verwüstete.

Die deutsche Partei der Machtbegierigen – oder Libertären – heißt FDP. Noch beim Absaufen gurgeln sie die Namen Musk und Milei, als seien jene ihre Engel des Himmels.

Jetzt, wo Amerika beginnt, sich mit infernalischem Klamauk von allem solide Demokratischen abzusondern, wäre es dringend notwendig, internationale Konferenzen über „Wahrheit, universelle Rechte, Würde des Menschen und der Nationen, Freundschaft mit der Natur“ zu veranstalten.

Wenn aber selbst Klimakonferenzen scheitern, wie könnten dann globale Dispute über Wahrheit und Freiheit der Völker erfolgreich sein?

Ein englischer Bestseller-Autor darf wahrheitsgemäß zitiert werden. Über Putin schreibt er:

„Ich glaube, dass er sich seit dieser Zeit, den Achtzigerjahren, wesentlich verändert hat. In gewisser Weise fühlte er sich später vom Westen provoziert, etwa vom US-Präsidenten Barack Obama, der Russland einst als Regionalmacht verspottet hat. Das hat den russischen Chauvinismus nur verstärkt. Ich finde, der Westen hat das Verhältnis mit Russland in gewissen Phasen sträflich vernachlässigt. Es hätte niemals so weit kommen müssen. Auch wenn ich Putin überhaupt nicht in Schutz nehmen will. Er ist ein schrecklicher, sehr gefährlicher Tyrann, einer, der rücksichtslos alle internationalen Regeln und Gesetze bricht und Morde selbst in Großbritannien in Auftrag gegeben hat. Doch der Weg dorthin war nicht automatisch vorgezeichnet.“ (Sueddeutsche.de)

Was von Fremden geschrieben werden darf, darf in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen werden. Wer Putin verstehen will, ist selbst ein Verbrecher. Was aber wäre die oberste Klugheit einer kosmopolitischen Politik? Verständnis derer, die anders denken und handeln als man selber.

Jetzt muss es mal gesagt werden: auch böse Menschen sind Opfer, die von ihrem Opferstatus gezwungen werden, noch Böseres zu tun. Man muss sie verstehen, um weiteren verderblichen Taten vorzubeugen. Verstehen heißt nicht verzeihen.

Doch hierzulande beginnt das Böse schon mit dem Verstehen wollen des Bösen.

Wäre es Robert Harris gelungen, sein menschliches Verständnis des Bösen als Grundlage der Weltpolitik einzuschleusen, hätten wir heute keinen drohenden dritten Weltkrieg.

Robert Harris wird hierzulande abgedruckt, doch seine Meinung wird als Bosheit und antiwestliche Verschwörung verflucht. Zum Teufel mit der Wahrheit, sie soll uns gestohlen bleiben.

Die neue Truppe um Trump – das wird sie nicht mehr interessieren – ist ein verspäteter Aufguss von Nietzsches Lehre „Jenseits von Gut und Böse“.

„Der Wille zur Wahrheit, der uns noch zu manchem Wagnisse verführen wird, jene berühmte Wahrhaftigkeit, von der alle Philosophen bisher mit Ehrerbietung geredet haben: was für Fragen hat dieser Wille zur Wahrheit uns schon vorgelegt! Welche wunderlichen schlimmen fragwürdigen Fragen! […] Wir fragten nach dem Werthe dieses Willens. Gesetzt, wir wollen Wahrheit: warum nicht lieber Unwahrheit? Und Ungewissheit? Selbst Unwissenheit?“ Die Unwahrheit als Lebensbedingung zugestehn: das heisst freilich auf eine gefährliche Weise den gewohnten Werthgefühlen Widerstand leisten; und eine Philosophie, die das wagt, stellt sich damit allein schon jenseits von Gut und Böse. Es sind schöne glitzernde klirrende festliche Worte: Redlichkeit, Liebe zur Wahrheit, Liebe zur Weisheit, Aufopferung für die Erkenntnis, Heroismus des Wahrhaftigen, – es ist Etwas daran, das Einem den Stolz schwellen macht. Aber wir Einsiedler und Murmelthiere, wir haben uns längst in aller Heimlichkeit eines Einsiedler-Gewissens überredet, dass auch dieser würdige Wort-Prunk zu dem alten Lügen-Putz, -Plunder und -Goldstaub der unbewussten menschlichen Eitelkeit gehört, und dass auch unter solcher schmeichlerischen Farbe und Übermalung der schreckliche Grundtext homo natura wieder heraus erkannt werden muss.“ (Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse)

Wandeln die Trump-Horden in deutschen Spuren? Nicht in den Spuren graecophiler Humanisten, sondern als Nachkommen zertrümmerter Klassiker, die in Nietzsche ihren triumphierenden Beerdiger fanden.

Auf Nietzsche ist man in Deutschland heute noch stolz. Endlich ein Denker, der die Menschen nicht mit Gedankensülze einbalsamiert und ruhig stellt, sondern in den Abyssus taucht, um ihr Böses ans Licht zu bringen.

Trump würde mit der Zunge schnalzen, wenn er von dem deutschen Pfarrerssohn lesen könnte, wie er eine „internationale Herrscherrasse“ anstrebt, deren Angehörige die Herren dieser Erde sein sollen:

„Eine neue ungeheure, auf der härtesten Selbst-Gesetzgebung aufgebaute Aristokratie, in der dem Willen philosophischer Gewaltmenschen und Künstler-Tyrannen Dauer über Jahrtausende gegeben wird.“

Christliche Heilige will Nietzsche durch seinen „vornehmen Menschen“ ersetzen. Der „vornehme Mensch wird grausam sein und gelegentlich etwas begehen können, was gemeinhin als Verbrechen angesehen wird. Am Beispiel des Kriegers wird er lernen, den Tod im Zusammenhang mit den Zielen zu sehen, für die er kämpft; er wird es lernen, viele zu opfern und seine Sache so ernst zu nehmen, dass er Menschenleben nicht schont, er wird vor Gewaltanwendung und List nicht zurückschrecken. Er ist sich bewusst, welche Rolle die Grausamkeit spielt: „Fast alles, was wir „höhere Kultur“ nennen, beruht auf Vergeistigung und Vertiefung der Grausamkeit.“ Der „vornehme Mensch“ ist der verkörperte Wille zur Macht.“

Nietzsche lehnt die christliche Liebe ab, weil er sie für ein Ergebnis der Furcht hält: Ich habe Angst, mein Nächster könnte mir etwas zuleide tun, und darum versichere ich ihm, dass ich ihn liebe.“

Und was sagt er über Frauen und ihre weibliche Tugend?

„Du gehst zu den Frauen? Vergiss die Peitsche nicht.“

Ist die gegenwärtig aufkommende Frauenfeindschaft nicht auch eine Frucht des amerikanischen Nietzscheanismus? Auf jeden Fall, alles, was schwächer scheint, muss unter die Räder.

Dazu gehören auch die Kinder. Überall muss der Staat sparen, vor allem bei den Kindern, auf keinen Fall bei den Reichen. Wenn sie depressiv oder gewalttätig werden, tut man ganz besorgt bei den Behörden – die im Normalfall nichts mit ihnen zu tun haben wollen.

Nietzsche ist der Philosoph der ab Januar beginnenden, neuen Weltpolitik mit der Peitsche:

„Ich schätze die Macht eines Willens danach, wie viel von Widerstand, Schmerz, Tortur er aushält; ich rechne nicht dem Dasein seinen bösen und schmerzhaften Charakter zum Vorwurf an, sondern bin der Hoffnung, dass es einst böser und schmerzhafter sein wird als bisher.“

Im Mitleid sieht Nietzsche eine Schwäche, die es zu bekämpfen gilt. Es geht darum. „jene ungeheure Energie der Größe zu gewinnen, um durch Züchtung und andererseits durch Vernichtung von Millionen Mißratener den zukünftigen Menschen zu gestalten und nicht zu Grunde zu gehen an dem Leid, das man schafft und dessengleichen noch nie da war.“

Also auf, Genossen und Genossinnen, auf zur unbefleckten Zukunftsgier der Superreichen und Supermächtigen. Unterlasst nichts, um die Menschen mit zierlichen Maschinen zu orten, wo immer sie sind.

Wer sich mit chinesischen Menschen unterhält, weiß, wie es ist, wenn eine allmächtige Staatsstruktur stets genau weiß, wo sich alle Untertanen befinden. Den chinesischen Traum träumen auch die Musks und Zuckerbergs.

Und was tun wir? Wir träumen von der unfassbaren Zukunft einer durchtechnisierten Erde, die wir uns als paradiesischen Garten ausmalen. Das versprechen auch jene Wissenschaftler mit den digitalen Gehirnstrukturen, die die Zukunft dank ihres Genies voraussehen. Nur seltsam, genau wissen sie es auch nicht:

„Im zitierten Interview wird Aspect gefragt, ob seine eigenen nobelpreiswürdigen Arbeiten auf dem Feld der Quantenphysik das Zeug dazu hätten, die Welt zu verändern. Der Physiker antwortete: »Man wird ein paar Jahrzehnte warten müssen, um das wissen zu können.« Logisch.“ (SPIEGEL.de)

Gibt es denn noch Menschen, die diese Entwicklung der nicht mehr liebenden, aber hassenden Christen verabscheuen?

Wir feiern Weihnachten, das muss genügen. Denn – wir sind die Besten. Das hat die Evolutionszentrale des Universums – dicht hinter dem Mars – durchsickern lassen.

Auf die Kinderfrage: warum gibt es mich, soll der Erzieher laut linker TAZ sagen:

„Immer wieder entstehen so durch Zufälle oder kleine Fehler neue Wesen. Viele kommen nicht so gut zurecht. Einige aber sind echte Verbesserungen und setzen sich durch.Die bisher besten Entwicklungen, das sind die heute lebenden Tiere. Eines davon heißt Mensch. Genau deshalb gibt es dich – du gehörst ganz einfach zu den Besten!“ Der Mensch ist der Beste? (TAZ.de)

Ihr habt’s gehört. Wir sind die Besten. Die Besten können nur Gewalt, Macht und Raub. Also ran an den Speck.

Fortsetzung folgt.