Tagesmail vom 18.11.2024
Die ERDE und wir. XXXI,
Ist es die Tugend, die uns vorwärts bringt?
Nicht bei Trump, der dem abendländischen Motto folgt: Tugend ist Dummheit, Untugend bringt Erfolg.
Dieses Motto ist uralt und reicht zurück bis ins Alte Testament:
Wen Gott liebt, den züchtigt er.
Liebt er ihn, weil er tugendhaft ist? Oder liebt er ihn, weil er ihn liebt – moralische Begründungen abgelehnt?
Wenn Gott ihn liebt, weil er das Gesetz beachtet – also moralisch ist –, müsste er ihn bestrafen, weil jener vorbildlich ist.
Das stürzt all unsere Moralvorstellungen auf den Kopf.
Bei Trump hingegen fragen die Amerikaner erstaunt: dieser Hallodri darf alles und wird dennoch gewählt?
Ja, zum Teufel, wissen denn die Frommen Amerikas nicht, was in ihren Heiligen Büchern steht?
Sie wissen es und wissen es dennoch nicht: sie überprüfen es nicht mit strenger Logik.
Logik ist heidnisch, stammt von den hellenischen Besiegern ihres Landes (hier: Seleukiden) und darf keinen Einfluss auf ihre Religion haben.
Wäre Logik das Prüfungsmittel der Offenbarung, wäre sie wichtiger als das Wort Gottes, welches gilt, weil es von Oben kommt. Wer weitere Begründungen fordert, ist ein Gottloser, der den Schöpfer für unwichtiger hält als die Logik der Heiden.
Wen Gott nicht liebt, den belohnt er mit irdischem Erfolg. Das wäre die logische Folgerung aus dem Wort: Wen Gott liebt, den züchtigt er.
Was gilt in Amerika? Ein Durcheinander von logischer und heiliger Wichtigkeit. Noch heute streiten sie sich, ob ihre Demokratie vom christlichen Glauben der ersten Eroberer abstammt oder vom Denken der griechischen Heiden.
Das sind zwei Wellen, die ständig miteinander kämpfen: einmal ist der griechische Geist dominant, einmal der religiöse.
Zurzeit regiert wieder die Frömmigkeit das politische Geschehen. Was bedeutet: widerspricht sich das geoffenbarte Wort, widerspricht sich auch die Politik – und niemand kümmert es.
Bei Roosevelt dominierte das armenfürsorgliche Moment der Schrift, dann kam Reagan und etablierte das Gegenteil: mit Hilfe der Neoliberalen propagierte er erneut den Reichtum als Signum der Erwähltheit.
Ab dem Beginn der Moderne wird der Streit zwischen Logik und Wort Gottes immer heftiger. Ja, noch heute bewegt er die Geister, ohne dass diese es wüssten.
Besonders dringlich wurde der Streit, weil die machthungrigen Imperialisten Europas wissen mussten, mit welchen Methoden sie die Welt am wirksamsten erobern konnten. Sollten sie noch mehr beten – oder bessere Gewehre und Kanonen entwickeln?
Beim Beten hat Logik nichts zu suchen, beim Entwickeln von Tötungsmaschinen kein Beten.
Trumps Energieminister hält nichts von der Wissenschaft des Klimas, für ihn gibt es keine Klimaverschärfung. Also geht es für ihn weiter wie gehabt: mit Gas, Kohle und Erdöl. Das bringt einen Haufen Geld; wer diese Methoden aus lächerlich-wissenschaftlichen Gründen ablehnt, ist ein Zerstörer der ökonomischen Überlegenheit des Westens.
Was Wissenschaftsverächter ignorieren, ist die unvermeidliche Zerstörung der Natur und des Menschen. Das aber interessiert sie nicht, weil sie überzeugt sind, im Falle eines Falles in rundum geschützten Bunkern weit oben im Gebirge oder in Musk’schen Mars-Raketen zu entkommen.
Wer dazu nicht in der Lage ist, entlarvt sich als armer Schlucker und hat mit dem weiteren Verlauf der Geschichte nichts mehr zu tun. Die Geschichte des Menschen ist nichts weiter als eine Bestätigung der prophezeiten Heilsgeschichte.
Die Leugner der Klimawissenschaft haben keine wissenschaftlichen Begründungen – die es noch vor kurzem gegeben haben soll. Doch dies kümmert sie nicht, denn weitaus wichtiger als Naturwissenschaft ist für sie der ökonomische Erfolg mit Gas, Erdöl und Kohle. Keine weiteren Debatten.
Das ist nicht nur in Amerika so, sondern auch bei deutschen Neoliberalen, die mit unbewegten Gesichtern die neuesten Zahlen der Naturzerstörung – ignorieren. Was sie – auch ohne quantitative Beweise – besser wissen, wissen sie am besten, Punktum.
Möglicherweise stecken hinter dieser wortlosen Dummheit noch immer Reste des Glaubens, vielleicht auch nur maßlose Geldgier und dümmliche Arroganz, die es nicht mehr für nötig halten, mit dem Plebs herumzudebattieren.
Unter Joe Biden ging es den unteren Schichten der Amerikaner immer schlechter, obgleich der „gütige Opa“ stets neue Versprechungen machte. Jetzt reicht es uns, sagten sich die Bewohner des mächtigsten Reiches der Welt. Entweder geht’s jetzt rapide aufwärts oder wir verlassen das leere Gerede der „Demokraten“ und wenden uns dem Republikaner zu, der so viel Gaudi machen kann, wie er will, Hauptsache, es tut sich was. Wir haben alles satt, was wir bislang gehört und gesehen haben.
Schnitt, Disruption, Zeitenwende! Machen wir uns klar, dass wir der Apokalypse entgegen gehen. In der Apokalypse werden schreckliche Zeiten für die Verworfenen kommen und himmlische für die Erwählten des Himmels, zu denen ganz Silicon Valley gehört.
Woher kommt diese eigenartige Himmelspädagogik, dass die Folgsamen erst mal gezüchtigt werden müssen? Damit soll der Kritik begegnet werden, dass die Erwählten ohne jede Prüfung erwählt worden seien. Unbegründet werden sie erwählt, dann erst werden sie nachträglich überprüft:
„Es dient zu eurer Erziehung, wenn ihr dulden müsst. Wie mit Kindern geht Gott mit euch um. Denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt? 8 Seid ihr aber ohne Züchtigung, die doch alle erfahren haben, so seid ihr Ausgestoßene und nicht Kinder. 9 Wenn unsre leiblichen Väter uns gezüchtigt haben und wir sie doch geachtet haben, sollten wir uns dann nicht viel mehr unterordnen dem Vater der Geister[1], damit wir leben? 10 Denn jene haben uns gezüchtigt wenige Tage nach ihrem Gutdünken, dieser aber tut es zu unserm Besten, auf dass wir an seiner Heiligkeit Anteil erlangen. 11 Jede Züchtigung aber, wenn sie da ist, scheint uns nicht Freude, sondern Schmerz zu sein; danach aber bringt sie als Frucht denen, die dadurch geübt sind, Frieden und Gerechtigkeit. 12 Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie 13 und tut sichere Schritte mit euren Füßen, dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.“
In der griechischen Ethik gab es nur die Bestätigung eines humanen Verhaltes durch gelungene Beziehungen und soziale Empathie. Eines weiteren Überprüfens durch den pädagogischen Prügel bedurfte es nicht. Sei friedlich zu deinen Nachbarn, dann wirst du Frieden haben.
In der religiösen Ethik war es komplizierter.
„So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, 16 und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.“
Die Tage sind böse, also schnell, schnell, damit man die Frucht seines Wirkens einfahren kann. Hier entsteht die Hetze der Moderne. Das Leben ist nichts für Faulenzer und Flaneure, sondern für diejenigen, die wissen, dass die Zeit immer knapper wird: niemand weiß, wann der Herr vor der Tür stehen wird, es könnte schon im nächsten Moment sein.
Die übervollen Terminkalender der Modernen sind dem Wissen geschuldet: die Zeit rast und niemand weiß genau, wann der Herr vor der Tür stehen wird.
Das Leben auf Erden ist keine Wohltat, sondern ein rasender Wettlauf mit allen Konkurrenten.
Im Streit um die Schuldenbremse wird völlig übersehen, wie Geld entsteht. Max Weber hat es vollendet beschrieben:
„Bedenke, dass die Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat neben dem noch fünf Schillinge ausgegeben oder vielmehr weggeworfen. Bedenke, dass Kredit Geld ist. Lässt jemand sein Geld, nachdem es zahlbar ist, bei mir stehen, so schenkt er mir die Interessen oder so viel, als ich während dieser Zeit damit anfangen kann. Dies beläuft sich auf eine beträchtliche Summe, wenn ein Mann guten und großen Kredit hat und guten Gebrauch davon macht. Bedenke, dass Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist. Geld kann Geld erzeugen und die Sprösslinge können noch mehr erzeugen und so fort. Wer ein Mutterschwein tötet, vernichtet dessen ganze Nachkommenschaft bis ins tausendste Glied. Wer ein Fünfschillingstück umbringt, mordet alles, was damit hätte produziert werden können: ganze Kolonnen von Pfunden Sterling.
Es ist Benjamin Franklin, der in diesen Sätzen zu uns predigt. Eine Gesinnung, wie sie in den zitierten Ausführungen Benjamin Franklins zum Ausdruck kam und den Beifall eines ganzen Volkes fand, wäre im Altertum wie im Mittelalter ebenso als Ausdruck des schmutzigsten Geists und einer schlechthin würdelosen Gesinnung proskribiert worden, wie dies noch heute von allen denjenigen sozialen Gruppen regelmäßig geschieht, welche in die spezifisch moderne kapitalistische Wirtschaft am wenigsten verflochten oder ihr am wenigsten angepasst sind.“ (Die protestantische Ethik)
Zeit ist Geld, das ist die Grundlage christlicher Konkurrenz. Konkurrenz ist das Gift der Moderne. Man kann noch so viel verdienen: wer mehr verdient, hat gewonnen und deinen Verdienst zur Makulatur zermörsert.
Die krankmachende Hetze der Moderne vernichtet jede Nächstenliebe:
„Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. 30 Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“
Durch die Definition der Heilszeit als Zinsbringer ist das Christentum an Geldgier nicht mehr zu übertreffen.
Nicht die Tugend bringt uns vorwärts, sondern die heilige Konkurrenz. Wer von Moral spricht, muss seine Rede präzisieren. Denn Moral ist alles: die schlechte und die gute, die humane und die inhumane.
Das absurdeste ist das deutsche Spektakel, die Moral zu zertrümmern – mit moralischem Übereifer.
Die Trump’sche Truppe der Moralvernichter – nicht zu vergessen die Döpfner’schen BILD-Kohorten – sind die moralischsten aller Moralvernichter.
Die moderne Ethik wird nicht mit logischen Mitteln überprüft. Deshalb wird nicht bemerkt, dass moralische Erneuerungsbewegungen nach kurzer Zeit ermüden und vor lauter Langeweile sich ins Gegenteil verwandeln.
Die Hippies, kaum erwachsen geworden, verwandelten sich „aus Blumenkindern zu Flintenkindern“. „Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass spielerisches Verhalten leicht die Form unbekümmerter Gewaltanwendung annimmt. Genau dies geschah: Neue Schlagworte begannen auf den Wänden zu erscheinen: „Liebe ist Gewalt“, „Verbrechen ist die höchste Form der Sinnlichkeit“.
Denn der Antinomismus (die logische Widersprüchlichkeit und Unverträglichkeit zweier Kompromissmoralen) ist die ewige Versuchung des Vollkommenheitsdenkens. Der Versuch, eine gänzlich auf dem „Spielerischen“ und auf „Gemeinschaft“ beruhende Gesellschaft aufzubauen, führt entweder zum völligen Zusammenbruch oder zur Tyrannei.“ (John Passmore, Der vollkommene Mensch)
Nein, eine logisch gereinigte Ethik leidet nicht an Antinomismus, sondern ist in der Lage, ihren Weg ans humane Ziel mit Sorgfalt und ohne Fehlleistungen zu bewältigen.
Man muss sich allerdings einigen, was man unter „Vollkommenheit“ verstehen will. Auf keinen Fall geht es um eine platonisch-totalitäre Zwangsbeglückung, sondern um einen rational-behutsamen Wandel auf dem Pfad einer allmählichen Annäherung an das entfernte Ziel.
Passmore hat die Langeweile und Gaudi-Atmosphäre der westlichen Kultur präzis erfasst.
„Durch die Auswirkungen des Vollkommenheitsdenkens ernüchtert, ergeben sie sich in der Tat häufig einem zynischen, ich-orientierten Karrieredenken, das das entgegengesetzte Extrem zum Vollkommenheitsdenken darstellt. Solche Umschwünge des Gefühls sind keineswegs ohne Beispiel in der Geschichte der Menschheit.“
In einem solchen historischen Beispiel befinden wir uns gerade. Den Nimmersatten fällt nichts anderes mehr ein, um sich zu amüsieren und den abscheulichen Rest der Welt an den Abgrund zu schieben. Besser als Holly-wood ist Trump-hood, in dem man mit jedem Schritt im Sumpf verschütt gehen kann.
Welche Moral brauchen wir, um von vorne zu beginnen, um nicht mehr im Morast eines wild gewordenen naturfeindlichen Kapitalismus zu versinken?
Weg mit allen frommen Antinomien, weg mit hetzerischen Heilsgeschichten, weg mit aller Zeit, die Geld sein soll. Sagen wir’s chinesisch:
„Der freie Mann der neuen Kultur ist der, für den weder Knute noch Polizei noch höllisches Feuer mehr nötig ist. Er tut recht, weil er das Rechttun liebt, er tut nichts Böses, nicht aus der Triebfeder einer knechtisch gemeinen Furcht, sondern weil er es hasst, Böses zu tun. In allen Dingen der Lebensführung macht er nicht das Gesetz einer äußeren Autorität, sondern das der inneren Vernunft und des Gewissens zu seinem Gesetz. Er kann leben ohne Herrscher, aber er lebt nicht ohne Gesetze.“
(KU HUNG –MING, Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen, 1917)
Fortsetzung folgt.