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Die ERDE und wir. XLII

Tagesmail vom 10.01.2025

Die ERDE und wir. XLII,

„Es geht um angeblich unbequeme Wahrheiten und leere Staatsversprechen.“ (SPIEGEL.de)

Die Wahrheit wird euch frei machen.

Die unbequeme Wahrheit wird euch töten – wenn ihr sie nicht löst.

In einer Welt, in der alle Probleme als lösbar gelten, (wenn nicht sofort, so doch im Laufe des Fortschritts), darf es keine unbequemen Wahrheiten geben, die unlösbar wären.

Alte Menschen fühlen sich gescheitert, wenn sie die Erde in einem Chaos verlassen müssen. Hätten sie noch länger gelebt, so glauben sie, wäre es ihnen und ihren Zeitgenossen bestimmt gelungen, das Chaos in einen Garten zu verwandeln.

Deshalb glauben sie an den endlosen Fortschritt, dem es mit Sicherheit gelingen wird, die unerledigten Aufgaben der Menschheit siegreich zu erledigen.

Und sollte es ihnen nicht gelingen, so doch ihrer genialen Erfindung: der künstlichen Intelligenz.

Werden künstliche Maschinen die Menschen eines Tages übertreffen?

Sie müssen, sonst wären sie nicht genial.

Das Werkzeug muss seinen Schöpfer übertreffen – sonst taugt auch der Schöpfer nichts.

Wie der göttliche Sohn den Vater übertrifft, so wird der Mensch den göttlichen Sohn übertreffen. Die Vollkommenheit der Schöpfung steht nicht am Anfang, sondern am Ende. Wann aber ist das Ende? Und weshalb sollte man an die Aufwärtsentwicklung des Seins glauben?

Ist der Glaube an den gekreuzigten Sohn nur die erste Übung des Glaubens an die Fortentwicklung des aufwärts strebenden Menschen, der seine Vollkommenheit erst im Verlauf der Dinge entdeckt? Mit seiner sich allmählich öffnenden göttlichen Genialität?

Den Menschen, der seine überragenden Fähigkeiten erst allmählich entdeckt, nannte man einst – den Übermenschen.

„Es lässt sich nachweisen, dass der Übermensch-Begriff nicht eine anti-christliche, sondern eine spezifisch christliche Prägung ist, die schon zum Sprachbereich der altchristlichen Anthropologie gehört, allerdings von häretischen (ketzerischen) Kreisen bevorzugt, von der kirchlichen Theologie jedoch mehr und mehr gemieden wird. Diese Wortbildung diente nicht nur der Bezeichnung Christi, sondern auch des christlichen Charismatikers. Sie findet sich erneut in seiner christlichen Bedeutung in pietistischen Erbauungsbüchern des 17. Jahrhunderts und ist erst in der Epoche des deutschen Idealismus und des Sturm und Drang im Zusammenhang mit dem modernen Genie-Begriff auf das künstlerische und vor allem auf das politische Genie übertragen worden, wobei Napoleon als erstes Modell des politischen Übermenschen erscheint.“ (Der Übermensch, herausgegeben von Ernst Benz)

Die Unbestimmtheit des Fortschritts-Begriffs zwischen der Gewissheit des überlegenen Fortschritts und der Skepsis, ob das Kommende auch die wirkliche Überlegenheit bringen wird, hängt noch immer zusammen mit den schwankenden Erwartungen des frühen Christentums.

„Die christliche Gemeinde lebt ursprünglich von der Zukunft her, die in Christus, dem Erstgeborenen unter den Toten, dem Ersten der Auferstandenen bereits begonnen hat. Und die mit der nahen Wiederkunft Christi ihre Vollendung finden wird. Die Brücken nach der Vergangenheit, dem alten Äon, werden abgebrochen; Familie, Besitz, Beruf werden unwichtig, man stellt sich ein auf die kommende Erhöhung, Erneuerung und Verwandlung des Menschseins, auf das Verwandeltwerden in den „vollkommenen Mann“ Christus, den zweiten Adam.“

Doch schon im dritten Jahrhundert setzt sich immer stärker eine andere Anthropologie durch. „Die Gemeinde lebt nicht mehr aus der Zukunft; ihr Menschenbild ist nicht mehr am kommenden, neuen Menschen orientiert.“

Die Anthropologie wird zu einer Wiederherstellung der ursprünglichen Vollkommenheit. Doch diese Regression wird bald wieder überflügelt von der schöpferischen Transformation: „von einer Herrlichkeit zur anderen.“

Am Ende des göttlichen Heilswirkens steht nicht das restaurierte Alte, sondern ein Neues von einer unfasslichen Entwicklungsfähigkeit ins Himmlische, Geistige und Göttliche. „Der christliche Glaube lebt aus der Hoffnung auf diese Zukunft und aus ihrer gläubigen Vorwegnahme in der Gegenwart.“

Ein ziemliches Hin und Her. Müssen wir uns jetzt nach vorne orientieren und auf das Außergewöhnliche hoffen – oder nach hinten, um das schon einst Vollendete, aber Schuldbehaftete wieder zu komplettieren.

Diese beiden, sich widersprechenden Hoffnungsorientierungen belasten uns heute im Umgang mit dem Fortschritt: werden alle Probleme der Gegenwart von der maschinellen Genialität gelöst – oder müssen wir uns auf unsere politischen und praktischen Fähigkeiten verlassen, um die Menschheit zu retten?

Hier stehen die KI-Gläubigen, die es nicht fassen können, dass es Menschen gibt, die nicht an die Wunderbarkeit ihrer Algorithmen glauben.

Dort stehen die Humanisten, die von der Lernfähigkeit des Menschen überzeugt sind und den Genieglauben an die Maschine für einen gefährlichen Irrweg halten.

Während der gesamten abendländischen Heilsgeschichte kämpfen diese beiden Richtungen miteinander. Bis die Naturwissenschaften erfunden wurden und der endlose Fortschritt die Führung übernahm.

Wer heute nicht an den unendlichen Fortschritt glaubt, ist ein Kretin. Der echte Fortschrittler ist der, der an die Lösbarkeit aller menschlichen Probleme glaubt.

Diese Hoffnung wird gestützt vom Johannesevangelium, wo Jesus in seinen Abschiedsreden seinen Jüngern sagt:

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue und wird Größeres tun als dies tun; denn ich gehe zum Vater und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich auch tun, auf dass der Vater geehrt werde in dem Sohn.“

Hier wird die Vollmacht der Gläubigen nicht auf das jetzige Maß der Jünger Jesu beschränkt. Jesus verheißt seinen Jüngern eine Geisteskraft, die sie einst befähigen wird, noch größere Werke zu tun als er selber. Mit Hilfe des Heiligen Geistes kann man IHN übertreffen.

Mit anderen Worten: kann der Mensch Gott übertreffen oder bleibt er auf dessen unvergängliche Überlegenheit immer angewiesen?

Die frühe Sekte der Montanisten etwa ist von der wachsenden Überlegenheit des Menschen über den Erlöser überzeugt.

So geht das im Verlauf der Heilsgeschichte hin und her. Erst die Genialität der neuen Naturwissenschaften behauptet, der Mensch werde all seine irdischen Probleme besiegen: der Triumph des menschlichen Genies ist unbezweifelbar. Um es noch einmal zu wiederholen: Jesus verheißt seinen Jüngern eine Geisteskraft, die sie befähigt, noch größere Werke zu tun als er selber.

Der Glaube an das alles übertreffende Genie des Menschen, dem nichts unmöglich ist, wird von den Naturwissenschaften ohne den geringsten Zweifel behauptet.

Da stehen wir heute und wissen nicht, welcher Seite wir Recht geben sollen: den sich futuristisch-allwissend-gebenden KI-Genies oder den nüchternen humanistischen Politikern, die von den „normalen“ Menschen erwarten, dass sie eine friedliche Menschheit durch Reden und Verständigen erarbeiten können?

Dieser Glaube wird immer geringer und bedeutungsloser. An seine Stelle tritt die reißerische Überlegenheit heutiger Übermenschen, die mit Macht, Geld und allwissenden Maschinen alle Probleme der Menschen mit links wegfegen.

An die Kinder denkt niemand. Sollen sie ihre Eltern für fähig halten, ihre Zukunft tatsächlich so zu meistern, sodass sie ein gutes Leben erwarten können?

Stellen wir Naomi Seibt vor, eine kluge junge Frau auf der Schwelle zur internationalen Berühmtheit. „Zwei Dinge, sagt Naomi Seibt, seien ihr wichtig: Sie will bezweifeln dürfen, was andere für Gewissheiten halten. Und sie will sagen dürfen, was sie denkt, auch wenn die Mehrheit anderer Meinung ist.“

Ursprünglich war Naomi eine Unterstützerin der Klimaaktivisten, dann wechselte sie die Seiten:

„Auf dem Podium der Münchner Wappenhalle berichtete Naomi Seibt an jenem Novembertag, dass sie früher selbst zu den – wie es in der Szene heißt – „Klimaalarmisten“ gehört habe. So lange, bis sie sich ins Thema eingearbeitet und Quellen hinterfragt habe. Irgendwann habe sie die Seiten gewechselt, hin zu den Skeptikern.“

Muss man Kindern Recht geben, wenn sie scharfsinnig argumentieren, auch wenn sie damit der Mehrheit der Gesellschaft widersprechen? Naomi machte die Erfahrung, dass sie immer mehr von führenden Elementen der Gesellschaft angegriffen und verfemt wurde, sodass sie sich immer mehr im Denken eingeschränkt fühlte.

„Tatsächlich werden ihre Plädoyers immer vehementer. In einem ihrer jüngsten Videos kämpfte sie mit den Tränen, weil einem ihrer Idole, dem Kanadier Stefan Molyneux, der YouTube-Kanal gesperrt worden war, weil er ein Rassist ist. Molyneux ist ein Videoblogger mit zuletzt rund 900.000 Abonnenten. Als Naomi Seibt davon erfuhr, stellte sie sich in ihrem Zimmer vor die Kamera ihres Handys und verglich das Sperren seines Kanals mit dem Verbrennen von Büchern.“

Niemand muss Naomi Recht geben. Warum aber muss man sie derart bedrängen und aggressiv angreifen, dass sie das Gefühl der mangelnden Gedankenfreiheit erhalten musste?

Was in unserer Gesellschaft nicht mehr vorhanden ist: der Glaube an den Menschen, auch wenn er Böses tut, Gewalt anwendet oder sonst wie das Gesetz verletzt.

Böse Menschen gibt es, aber keine bösen, die Teufel wären. In irgendeinem Winkel ihrer beschädigten Biografie hatten sie Recht. Ihre Untaten sind die Folgen ihres fragmentierten Rechthabens, das sie mit schrecklichen Methoden an unschuldigen Menschen ausgelassen haben. Menschen wie Müll zu behandeln, die man nach Belieben bestrafen und einsperren kann, ist selbst satanisch.

Von wem stammt das Wort: „Ich bin der HERR, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe Unheil. Ich bin der HERR, der dies alles tut“?

Selbst Gott offenbart seine Unfähigkeit, immer das Rechte zu tun. Warum sollten seine Geschöpfe ihn übertreffen? Wer das Böse überwinden will, muss diese verstanden haben.

Heute gilt Verstehen als Verzeihen. Nein, Verstehen ist die einzige Möglichkeit für den Bösewicht, seine Taten nachzuvollziehen – um sie nie mehr zu wiederholen. Verstehen ist das einzige Heilmittel gegen die Wiederholung der bösen Tat.

Es geht um das Verstehen der gegenwärtigen Politik. Wer soll das verstehen: da werden auf einen Schlag viele Flüchtlinge ins Land gelassen, dann aber kümmert sich die Kanzlerin nicht mehr um sie. Zudem schweigt sie, wenn andere Flüchtlinge im Meer untergehen. Soll das eine christliche Tat gewesen sein, dieses jämmerliche Almosen, mit dem die Exkanzlerin heute in der Welt hausieren geht?

Die unendlichen Widersprüche der Parteien, ihre Doppelmoral und ihre Inkonsequenzen: wer soll das für einleuchtend und schlüssig halten?

Es geht nicht darum, die Verantwortlichen für allmächtig zu halten. Es geht darum, die eigenen Fähigkeiten selbstkritisch zu erkennen und zu zeigen, welche zukünftigen Wege man sich vorstellen kann, um die Weltprobleme peu a peu zu lösen.

Kein Land ist fähig, die vielen Notleidenden der Welt aufzunehmen. Nur eine solidarische Weltgemeinschaft kann die Weltprobleme debattieren und in Politik verwandeln. Das Wichtigste wäre demnach: Frieden und Verbundenheit herzustellen, um nicht nur globale Wirtschaft zu betreiben, sondern ein Weltlösungsbewusstsein, das niemanden im Stiche lässt.

Zur ehrlichen Selbstbeschreibung des Politikers gehört allemal die Beschreibung dessen, was man kann – und dessen, was man noch nicht kann, aber anstrebt.

Dazu gehören Politiker, die mit ihrem Publikum sprechen und nicht nur mit der Formel abfertigen: habe mit den Aktivisten gesprochen. Punkt. Was sie gesprochen haben, bleibt ihr Staatsgeheimnis. Demokratische Politik aber ist offene und transparente Politik, kein Kartell der Stummheit.

Deutsche Politikerköpfe sind an Wirrheit nicht mehr zu übertreffen. Ihren Wählern haben sie nichts zu bieten – außer ihren verfaulten Kompromissen. Immer das Goldene vom Himmel versprechen, aber das Versprochene nicht halten. Immer nur Doppelmoral und Widersprüchliches praktizieren: das ist deutsche Politik, die ihre Menschen zur AfD, zu Musk und anderen Brachial-Quacksalbern treibt.

Unbequeme Fragen benötigen unbequeme Antworten und keine verschlammten Kompromisse.

Wie Naomi geht’s vielen Kindern und Heranwachsenden. Sie spüren genau die versteckten Widersprüche der Erwachsenen. Die Mehrheit der Menschen sind in diesem Stadium stehen geblieben und reagieren darauf, indem sie nach „rechts rücken“. Dann gelten sie als verstockte Barbaren.

Was benötigen wir, um unseren Beitrag zur Elendsverminderung in der Welt zu leisten?

Aufrichtigkeit, Verstehen und ehrliches Streiten: das muss die Politik der Zukunft sein. Erst dann kann es einen verlässlichen Fortschritt geben.

Davon sind wir heute noch himmelweit entfernt.

Fortsetzung folgt.