Tagesmail vom 21.07.2025
Die ERDE und wir. XCIV,
Das Unendliche verehren, das Erreichbare zerstören: Das Papsttum ist auf der Höhe der Zeit:
„Vor 56 Jahren betraten Astronauten erstmals den Mond, als zweiter war Buzz Aldrin an der Reihe. Zum Jahrestag hat er nun mit Papst Leo XIV. »über das Mysterium und die Größe der Schöpfung reflektiert«.“ (SPIEGEL.de)
Sind Mondfahrer die wahren Verehrer des Mysteriums Schöpfung? Ein Mysterium ist ein Geheimnis. Es ist so heilig, dass es immer mysteriös bleiben will.
Buzz Aldrin, der amerikanische Mondfahrer, gehört auf keinen Fall zu denen, die am Mysterium der Schöpfung keusch vorüber gehen. Lüstern lüpfen sie den Rock und schauen begehrlich auf die unteren Machenschaften des Herrn.
Wie war das mit Galileo Galilei?
„Ein kleiner Schritt für einen Menschen: An einem Frühsommertag 1633 verlas Galileo Galilei im römischen Dominikanerkloster Santa Maria sopra Minerva ein Dokument der Inquisition, mit dem er seiner Lehre von der Erdbewegung um die Sonne abschwor. Der Akt rettete ihm das Leben, aber er wurde zum Symbol einer Spaltung zwischen Naturwissenschaft und Kirchenlehre. Erst dreieinhalb Jahrhunderte nach dem Tod des knorrigen Gelehrten vollzog Johannes Paul II. am 31. Oktober 1992 so etwas wie eine Versöhnung.“ (Katholisch.de)
Jahrhunderte mussten vergehen, bis die Schandtat des italienischen Naturwissenschaftlers vom Vatikan vergeben wurde. Die Katholische Kirche sichert -–wenn auch in sicherem Abstand – den Fortschritt der Neugierigen ab, und fühlt sich dennoch bestätigt: das Mysterium bleibt, auch wenn die Menschheit den Schleier der Unwissenheit planmäßig zerstört. Fortschritt wird zum unaufhebbaren Drang der Geschöpfe, in die Geheimnisse des himmlischen Vaters einzudringen.
Naturwissenschaft – einst die entschiedenste Gegnerin der Kirche – ist zum gläubigen Bestandteil der Theologie geworden. Das ist das Geheimnis der Kirche: was sich ungebärdig zeigt, wird am heftigsten bekämpft. Zeigt es sich unbesiegbar, wird es zum Bestandteil des Glaubens. Der Name des Herrn sei gepriesen.
Und die Naturwissenschaft? Macht mit – und beugt sich. Der neue Papst ist ein Amerikaner und scheint keine Probleme zu haben, das Silicon Valley zum heiligen Zentrum der Wissenschaften zu erheben.
Musk und Zuckerberg, die sich schon heute als allwissende Götter der Erde präsentieren, sind bereits dabei, das erste Treffen zwischen Heiligen und Wissenden vorzubereiten.
Musk wird zwar einige Probleme bekommen, seine wachsende Kinderschar von vielen Müttern vor dem papa christianorum zu rechtfertigen, doch CHatGBT ist schon dabei, den vatikanischen Knoten zu lösen. Es gibt keine Probleme, die für die KI unlösbar wären. Ihr werdet sehen.
Wenn der Glaube an das Unendliche und das Wissen des Unendlichen sich vereinigen, kann der irdischen Schöpfung nichts mehr passieren. Für immer werden wir gerettet sein.
Das spürt auch schon der unbesiegbar scheinende Erzkatholik Jens Spahn, der nichts unterlässt, um Merz auf den Berliner Thron zu folgen. Schon war er zu sehen, wie er in der Kirche aufrecht vor Gott sitzt und den Herrn bittet, seine Karriere siegreich zu vollenden.
Spahn gehört zu jenen Gläubigen, die ihre Heilige Schrift für ein unerschöpfliches Reservoir göttlicher Offenbarungen halten. Da gibt es keinen Spruch, den es nicht gäbe, um das Leben der Seinen zu heiligen.
„»Unser Kompass ist das christliche Bild vom Menschen«, heißt es auf Seite eins. »Wir sehen immer zuerst den einzelnen Menschen mit seiner unantastbaren Würde und seinen individuellen Fähigkeiten. … Wir begegnen der Welt in Demut, weil wir wissen, dass wir nicht die letzte Wahrheit kennen.«“ (SPIEGEL.de)
Nein, das ist kein Text von Hayek, der seinen Neoliberalismus als Offenbarung der Natur – oder Gottes – herleitet. Eine unantastbare Würde kennt die Bibel nicht. Selbst der Sohn wird angetastet, gequält und gemartert, bis er vorbereitet ist zur Auferstehung.
Die unantastbare Würde ist eine Erfindung der Griechen. Sokrates ließ sich eher von einem Volksgericht zum Tode verurteilen, als dass er seiner Souveränität als zoon politicon entsagt hätte.
Selig werden …: die Bergpredigt verteilt viele Süßigkeiten fürs Jenseits, aber das Bittere – an anderer Stelle – darf keinesfalls fehlen.
„Denn das Gericht wird erbarmungslos sein gegen den, der nicht Barmherzigkeit geübt hat.“
„Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. 41 Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43 Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. 44 Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? 45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. 46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.“
Diese Seite der Medaille hört man heute so gut wie nie. Keine salbungsvolle Bergpredigt ohne grausame Seite göttlicher Bestrafungs- und Zerstörungswut.
Sollten die heutigen Christen sich an diesen Drohworten messen, werden sie ihrem Untergang nicht entgehen. Wieviel Elend und Schrecken gibt es auf dieser Welt – und die barmherzigen Christen schauen unberührt darüber hinweg? Es schreit zum Himmel, zu welcher Kaltherzigkeit die Gläubigen fähig sind, um die angebliche Reinheit ihrer verdorbenen Seelen zu beweisen.
Für das Maß ihrer Verwüstung der Menschheit haben sie so wenig Worte wie für das Maß ihrer Verwüstung der Natur. Nach vorne mit frommen Gesichtern, nach hinten mit stinkendem Müll.
Spahn ist nur Repräsentant der führenden Partei Deutschlands. Fehlerchen darf er sich endlos erlauben, denn nach der Beichte kommt er tiefengereinigt in die böse Welt zurück – und beginnt das Spiel von vorne.
Auch die SPD hatte ihre frommen und pazifistischen Winkel. Inzwischen ist längst alles verflogen, weder haben sie noch Marx geschweige Jesus, aber sie bemühen sich, die klerikale Dominanz durch Gleichgültigkeits-Grimassen à la Scholz auszugleichen. Bei Klingbeil sind vollends alle Spuren verloren gegangen. Er ist nur noch maschineller Funktionär, sonst nichts.
Das Christentum hatte die erstaunliche Fähigkeit, durch dialektische Allverwendbarkeit die Eroberung der Welt zu exekutieren.
Der christliche Westen denkt nicht daran, den 2000-jährigen Streit zwischen Jerusalem und Athen zur Kenntnis zu nehmen. Die frommen Amerikaner ohnehin nicht, sie fühlten sich als Christen, die einige Anleihen im heidnischen Athen machten. Das war’s.
Im Übrigen verachten sie das alte verrottete Europa. Nur in schwierigen Zeiten, etwa in der Auseinandersetzung mit totalitären Deutschen, ließen sie verstärkt einige demokratische Zitate aus der athenischen Demokratie zu.
Heute haben sie diese graecophile Wendung längst wieder ins biblisch Verhängnisvolle zurückgedreht. Heute kennen sie das Reich des Guten – und das Reich des Bösen, durch einen unendlichen Graben getrennt. Punktum.
Peter Singer hat diese verhängnisvolle Rechristianisierung seit Reagan und Dabbelju Bush trefflich geschildert.
„Bushs Herz gehört Jesus. Als der Krieg mit dem Irak bevorstand, las er täglich in der Bibel. Er betet auch täglich. Er glaubt an einen „göttlichen Plan, der alle menschlichen Pläne hinter sich lässt“. Er nennt Freiheit den „Plan des Himmels für die Menschheit“. Umfragen zeigen, dass die Amerikaner wesentlich religiöser sind als die Menschen jedes anderen Landes. In Europa gehen weniger als 20% der Menschen mindesten einmal wöchentlich in die Kirche, in den USA sind es 47%. Etwa 94% der Amerikaner glauben an Gott, 89% an den Himmel, 72% an die Hölle und den Teufel. In den USA hat die Religion größere Aussichten, die Gesellschaft zu verändern, als in jedem anderen entwickelten Land.“ (Der Präsident des Guten und Bösen)
Das ist auch der Grund, warum Trumps diabolische Spielchen nicht ganz ernst genommen werden. Deutsche Berichterstatter haben das alles nicht verstanden, weil sie die göttlich-satanischen Gedankengänge zwischen Himmel und Hölle nicht verstehen.
Die Deutschen tun begeistert, wenn sie von Amerika erzählen, allein, das verzwickte Gedankengeflecht der Neo-Calvinisten blieb ihnen bis zum heutigen Tag verborgen.
„Viele Amerikaner haben ein apokalyptisches Weltbild. 53 % der Erwachsenen erwarten die baldige Wiederkunft Jesu Christi und das Auftreten des Antichrists, des Statthalters Satans. Diese Prophezeiung projizieren viele amerikanische Christen auf die Welt, in der wir leben. Die Feinde der Nation werden dämonisiert.
Dabbelju steht unter dem Einfluss der Neokonservativen, die ihrerseits Schüler des Leo Strauss waren. Dieser war wiederum ein Schüler des deutschen Juristen Carl Schmitt, eines Bewunderers Hitlers.
Im Mittelpunkt des Leo Strauss steht die Lehre, „es gebe eine Wahrheit für die Massen und eine für die Philosophen – oder Wissenden. Die versteckte Wahrheit dieser doppelten Wahrheit soll den Massen aber nicht enthüllt werden, denn bei ihnen erzeugt die Religion Unterwürfigkeit gegenüber der herrschenden Klasse, ohne die sich die Massen erheben und die höhere Kultur zerstören könnten.“
Seit dem Kirchenvater Tertullian hat der Konnex zwischen Athen und Jerusalem trotz heftiger Widersprüche gehalten. Aber auf wessen Kosten?
Auf Kosten der unbeschädigten Natur, der Armen, der Elenden und des Friedens auf der Welt. Sollte demnächst der schwelende Konflikt zwischen Putin und Trump zur Katastrophe ausarten, wird auch das eine schreckliche Frucht des Christentums sein, welches das griechische Denken komplett ausradieren will, aber nicht ausradieren kann, denn die überlegene Logik und Humanität der athenische Philosophie sind die einzigen Mittel, die die Lebensfähigkeit der modernen Kultur aufrecht erhalten.
Platon hatte aus der Überlegenheit des sokratischen Nichtwissens die totalitäre Herrschaft seiner perfekten Regentenklasse gefolgert. Das wird Sokrates noch immer vorgeworfen, als hätte er nicht gesagt: Ich weiß, dass ich nichts weiss. Das war keine Demut, sondern eine wissende Bescheidenheit. Die Natur konnte ihn nichts lehren, denn die Vernunft des Menschen war autonom für ihn.
Was bis heute noch immer nicht verstanden wird, ist die selbstbewusste Souveränität des Sokrates.
„Es war der bleibende Gegensatz zwischen Sokrates und Platon. Sokrates, der Sprechende, der alles fragend überprüfte, besessen von der Idee des richtigen Lebens, auf der Suche nach der Wahrheit, ohne Sicherheit, sie auch zu finden. Der Demokrat, der an die guten Eigenschaften des Bürgers glaubte: Sokrates, der Vater der Humanität.“ (Singer)
Dagegen war Platon nur ein vor Wichtigkeit strotzender Ideologe, der die Menschheit zu seiner Wahrheit zwingen wollte. Das wurde zum Vorbild aller europäischen Faschisten.
Sokrates war weder Naturalist noch Idealist. Er verkörperte die dialogische Synthese des Menschen mit der Natur. Wären die Abendländer sokratisch geworden, gäbe es heute keine zerstörte Natur.
Auch Hayeks Neoliberalismus fühlt sich unfehlbar, weil er einer übermenschlichen Schicksalsmacht gehorcht. Weiter sind wir nicht gekommen. Das Erbe Athens ist verloren gegangen, das Erbe Jerusalems spaltet die Welt in Gut und Böse und zerstört das entmythologisierte Abendland.
Fortsetzung folgt.