Tagesmail vom 27.06.2025
Die ERDE und wir. LXXXVII,
Welch eine Überraschung, im Sauseschritt eilen wir ins höfische Zeitalter mit Weltmonarch DONALD dem Ersten, der uns unter Tränen die Pforte ins Goldene Reich öffnet.
NATO-Generalsekretär Rutte – Christ – nannte Ihn schon prophetisch den Daddy der Welt. Die Gläubigen der USA sollen das Vater-Unser umbenennen in Daddy-Unser, damit der Herrscher der Welt sein wahrhaftig gütiges Herz sprechen lassen kann.
War der amerikanische Angriff gegen Irans verborgene Atomanlagen schon der letzte Akt der Gewalt?
Kaum drei Jahrhunderte ist es her, dass in der frühen Moderne das höfische Zeitalter ausbrach, um – unbewusst – die revolutionäre Gesinnung der Völker anzufeuern – die ihre müßigen Adligen nicht mehr ertrugen.
Es empört sich leichter, wenn der Adel sein geselliges Beisammensein fast angstfrei zelebriert.
Hört euch das an:
„Nie zuvor war Unmoral so blendend schön und mit solch verfeinerten Manieren, solcher Eleganz in Kleidung und Sprache, solch vielfältiger Zerstreuungen, solcher Anmut der Frauen, solch verschnörkelter Höflichkeit im Briefwechsel und solchem Funkeln von Geist und Witz aufgetreten. „Die Franzosen“, sagte Hume im Jahre 1741, „haben in höchstem Maße die nützlichste und angenehmste aller Künste ausgebildet, l`art de vivre, die Künste der Unterhaltung und der Gesellschaft.““ (Durant)
In Venedig hatte, wenn man dem verruchten Ökonomen Sombart glauben darf, der moderne Kapitalismus schon längst begonnen – und KI-Genie Bezos wird mit seiner Freundin heute ebenfalls in Venedig seine offizielle Ehe beginnen. Wie der Verbrecher immer wieder an die Stätte seines Verbrechens zurückkehrt, so auch der Kapitalismus.
Doch bevor wir weiterziehen, schnell noch ein Blick über die Alpen zu den Germanen:
„… was für ein schönes Land, voll von fleißigen, ehrbaren Leuten, wäre es geeint, würde es zur größten Macht … auf der Welt.“
Das war das geteilte Deutschland, das erst allmählich begann, von seiner messianischen Rolle in der zukünftigen Weltpolitik zu träumen.
Nur wer Geld hat, kann sich ein müßiges Leben leisten. Vielleicht sogar ein nächstenliebendes?
Im neuen Kontinent wollten sie vom alten Europa nichts mehr wissen. Der calvinistische Kapitalismus verabscheute die Pracht der Norditaliener, die ihren neuen Reichtum in berauschende Kunst verwandelten.
Der strenge Franklin verordnete, dass Reichtum nur „honestly erworben werden dürfe. Verkaufst du etwas um Gewinn, so höre das Lispeln des Gewissens und begnüge dich mit einem mäßigen Gewinste und mache dir die Unwissenheit des Käufers nicht zunutze.“
Kaufe die Zeit aus und verdummbeutle sie nicht zu Angeberzwecken auf den Lagunen Venedigs. Mit dem strengen Zeitplan Franklins könnte die Silicon-Valley-Horde heute nichts mehr anfangen. Ihr Gewissen lispelt auch nicht mehr, denn sie haben keins, das den Gesamtnutzen der Welt im Auge hätte. Franklin:
„Am Morgen von 5 bis 7: Stehe auf und wasche dich, bete zum Allmächtigen, Richte dir das Geschäft des Tages ein und fasse deine Entschlüsse für denselben, setze das jeweilige Frühstück fort und frühstücke.
Von 8 bis 10: Arbeite.
Von 12 bis 1: Lies oder überlies deine Geschäftsbücher, iß zu Mittag.
Von 2 bis 4: Arbeite.
Von 6 bis 9: Bring alle Dinge wieder an ihre Stelle. Nimm das Abendbrot ein. Unterhalte dich mit Musik, Lesen, Gespräch und Zerstreuung. Prüfe den verlebten Tag.
Von 10 bis 4. Schlafe.
(Sombart, Der Bourgeois)
Die Adligen waren nicht unbedingt die ersten Kapitalisten. Dazu waren sie zu renitent dem Himmel gegenüber und zu faul der sauren Arbeit gegenüber.
Sombart aber vollbrachte etwas, was heute keinem Ökonomie-Historiker mehr einfiele: er suchte die Ursprünge des Kapitalismus – in der alten athenischen Philosophie, die zweifellos die „große Mutter der missratenen Kinder der Moderne“ war: wir sprechen vom „gesunden Menschenverstand“, den man Utilitarismus nannte: „Sei tugendhaft, so wirst du glücklich“, das ist die Leitidee ihres Lebens. Tugend ist Wirtschaftlichkeit, tugendhaft leben, heißt haushalten mit Leib und Seele.“
„Frage immer, was dir nützlich ist: höre auf die Stimme der Vernunft. Die Vernunft ist die große Lehrmeisterin des Lebens. Alles, was wir uns vorsetzen, können wir mit Hilfe der Vernunft und Selbstüberwindung erreichen. Vollständige Rationalisierung und Ökonomisierung der Lebensführung ist also das Ziel des Weisen.“
Verwunderlich für moderne Leser: die ersten Ökonomie-Theoretiker des Abendlandes sind voll mit Namensnennungen der Antike: Homer, Demosthenes, Xenophon, Virgil, Livius, Plato, Aristoteles etc., am meisten Plutarch, Cicero und Columella.
Wer fehlt? Sokrates natürlich. Der hatte nichts Besseres zu tun, als sich den ganzen Tag auf dem Marktplatz herumzutreiben und die Köpfe der Leute mit Besserwisserei zu verwirren.
Ist Franklin wirklich der Begründer des modernen Kapitalismus? Oder ist er noch ein einfältiger Tropf, der den heraufkommenden Kapitalismus mit dem Neuen Testament in Verbindung bringen wollte?
Dann schauen wir doch mal nach Schottland, wo der wirkliche Kapitalismus geboren sein soll.
„Dagegen ist der Mensch fast immer auf Hilfe angewiesen, wobei er jedoch kaum erwarten kann, daß er sie allein durch das Wohlwollen der Mitmenschen erhalten wird. Er wird sein Ziel wahrscheinlich viel eher erreichen, wenn er deren Eigenliebe zu seinen Gunsten zu nutzen versteht, indem er ihnen zeigt, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, das für ihn zu tun, was er von ihnen wünscht. Jeder, der einem anderen irgendeinen Tausch anbietet, schlagt vor: Gib mir, was ich wünsche, und du bekommst, was du benötigst. Das ist stets der Sinn eines solchen Angebotes, und auf diese Weise erhalten wir nahezu aIle guten Dienste, auf die wir angewiesen sind. Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen- sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil. Niemand möchte weitgehend vom Wohlwollen seiner Mitmenschen abhängen, außer einem Bettler, und selbst der verläßt sich nicht allein darauf.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen)
Adam Smith zerlegt die Nächstenliebe, wir spüren die Anfänge der Aufklärung, die sich kritisch mit der Bergpredigt auseinandersetzt.
„Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? 47 Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? 48 Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“
Seinen Nächsten lieben – das war für den Bergprediger nichts Besonderes. Seine Gläubigen sollten die Humanität der heidnischen Philosophen übertreffen. Der Hellenismus war eine Bedrohung der religiösen Offenbarungs-Ethik. Hier mussten die Erwählten zurückschlagen und die Ethik des Sokrates in den Schatten stellen.
Für Smith ist Nächstenliebe keine Grundlage der Ökonomie. Nur wohlverstandener Egoismus, der im selben Maße gibt wie er nimmt, kann zur rationalen Wirtschaftsmoral werden.
Hier sehen wir ein klassisches Beispiel für die immer schärfer werdende Auseinandersetzung der erwachenden autonomen Vernunft mit dem uralten heteronomen Kirchenglauben.
Ich gebe dir, damit du mir gibst, du gibst mir, damit ich dir gebe. Was ist das für eine Ethik? Jedenfalls keine uneigennützige Fürsorge für Schwache. Hier hat jeder so viel zu bringen wie er kriegen kann. Alle Menschen sind gleich, gleich gesund, gleich fähig und so altruistisch wie egoistisch: rationale Geber und Nehmer.
Was wäre das für eine Wirtschaftspolitik, die moderne Christen praktizieren müssten, um Smith gerecht zu werden? Oder gar der Bergpredigt, wo jeder fähig wäre, mehr zu geben als zu nehmen?
Die beste Demokratie wäre eine Gesellschaft der Gleichen. Da lachen heute alle Hühner. Doch da hat man vergessen, dass die französischen Revolutionäre als Grundlage ihrer neuen Gesellschaft – die Gleichheit propagierten.
Einer von ihnen schrieb unmissverständlich: „Jenes Gefühl, durch welches die Revolution ihren ersten Aufschwung nahm, welches sie zu ihren ersten Anstrengungen anstachelte und durch welches sie ihre größten Erfolge errangen, ist die Liebe zur Gleichheit.“
Gleichheit war unteilbar und umfassend. Freiheit und Gleichheit waren zwei Werte, die als untrennbar verstanden wurden, wobei die Gleichheit zumeist als die ursprünglichere von beiden galt. Tatsächlich bezweifelte 1789 niemand, dass Gleichheit der Leitgedanke oder die Parole des laufenden Prozesses sei.“
(Pierre Rosanvallon. Die Gesellschaft der Gleichen)
Wie sagte Margot Friedländer: „Seid doch Menschen, wir sind alle gleich“. Hier wird der Satz gerühmt, doch wenn er ökonomisch sein soll, wird er zerrissen.
Das Wörtchen gleich hat mehrere Bedeutungen. Das wissen selbst die Grundschulkinder. Maschinell gleich sind nur Roboter und Maschinen. So uniform müssen Individuen nicht sein, um dennoch als gleich-wertig zu gelten und vor dem Gesetz und im politischen Leben gleich behandelt zu werden.
Solange Menschen Individuen sind, sind sie einmalige Wesen. Uniform-gleiche Wesen können sie nicht sein, aber gleichwertige Wesen können sie sein.
Also heißt es in der UN-Konvention:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“
Keine Demokratie kann überleben, wenn ihre Menschen nicht gleichberechtigt sind.
Das gilt auch für Nationen: jede muss am Kriterium gleicher universeller Rechte und Pflichten beurteilt werden. Sonst ist die Weltgemeinschaft ein Trümmerhaufen.
Warum sind diese Grunderkenntnisse der Demokratie inzwischen alle vergessen worden? Warum plustert sich jeder Angeber zum besonderen Wesen auf und jede auserwählte Nation zum Liebling Gottes?
Weil nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine völlig andere Wirtschaftsart die Nationen überwältigte, die heute das Weltklima dominiert. Wir sprechen vom Neoliberalismus. Einer ihrer Urheber formulierte das Dogma der Österreichischen Schule, die das Erbe des österreichischen Führers ausradieren sollte, dessen Erbe aber immer mehr ins Leben zurückführt.
„Viele der größten Errungenschaften des Menschen sind nicht das Ergebnis bewusst gerichteten Denkens und noch weniger das Produkt bewusst koordinierter Bemühungen vieler Individuen, sondern das Ergebnis eines Prozesses, in dem der einzelne eine Rolle spielt, die er nie ganz verstehen kann. Sie sind größer als irgendein Individuum, gerade deswegen, weil sie aus einer umfassenden Kombination von Wissen erwachsen, als irgendein einzelner Verstand meistern kann.“
Das ist das brutale Ende jeder Aufklärung, die durch den Kopf jedes Demokraten beglaubigt werden muss.
Jetzt regieren wieder dunkle Mächte aus dem Hintergrund, deren Befehlen man rigoros folgen muss.. Wie in der Theologie lenken dunkle Mächte das Schicksal des Menschen.
Das Zeitalter der Demokratie mit ihrem antiken Erbe wird zerbrechen, wenn es uns nicht gelingt, den theologischen Schrott aus unserer Demokratie der Gleichen und Freien zu entfernen. Die Menschheit ist verurteilt zu Gehirnlosen, Dummköpfen und Unmündigen.
Stopp, wollten wir heute nicht über Klingbeil und Mützenich sprechen? Doch, wollten wir, jetzt müssen wir’s verschieben. Bis zum nächsten Mal.
Fortsetzung folgt.